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cccamp23: Neuanfang mit leichtem Stolpern

(titelbild: Korrupt, Chaos-communication-camp-2023-lichtinstallation, CC BY-SA 4.0)

Gestern mittag ging fuer mich nach 10 Tagen auf dem Acker das Chaos Communication Camp 2023 vorbei. Am Samstag wollte ich noch gar nicht, dass dieser utopische Eskapismus aufhoert, denn es gibt ja so viel zu sehen, und ich erinnere mich noch, wie traurig ich 2015 und 2019 war, als es vorbei war. Nach zwei Tagen Abbau war ich dann aber doch wieder ganz froh, nicht jeden Abend eine dicke Staubschicht abzuwaschen 😀

Und weil mir irgendwann beim Durchscrollen des Hashtags auf Mastodon auffiel, dass ich quasi nur einen Blogpost zum Camp fand, dachte ich, ich fass mir mal an die eigene Nase und schreib meine Erfahrungen auf. So wie frueher.

Felix Dreissig, Chaos Communication Camp 2023 01, CC BY 4.0

Erkenntnis 1: Ich habe das gebraucht. Und wie ich das gebraucht hatte. Die GPN 2022 war ansonsten die einzige Chaosveranstaltung, die ich seit Pandemiebeginn vollstĂ€ndig besucht hatte, und die tat schon gut. Aber als ich an Tag -2 ankam und ueber das Gelaende ging, war das so ein seltsam-nostalgisches Gefuehl, an einen vertrauten Ort zu kommen (ich versuche das Wort „zuhause“ zu vermeiden, obwohl es das erste Wort war, das mir bei der Ankunft in den Sinn kam), dass es mich zeitweise wirklich ueberwaeltigt hat. Ich habe Menschen teilweise zum ersten Mal seit 2019 wiedergetroffen. Es gab so viele Installationen, die Spieltrieb und Schoenheit vereint haben. Und da sind wir noch nicht einmal bei den vielen Gespraechen, Beitraegen und zufaelligen Begegnungen, die zum intensiven Denken anregen, wie wir unsere Welt umgestalten koennen.

Vielen anderen ging das ihren Beschreibungen nach auch so. Eine gewisse Rueckkehr zur Normalitaet. Und gleichzeitig merkte man den ganzen Strukturen, die so ein Camp ueberhaupt erst ermoeglichen, an, dass es seit dem letzten Camp genau einen – vorpandemischen – Congress gab, bei dem die Teams sich einspielen, abstimmen, weiterentwickeln konnten. Vieles hakelte immer wieder, und vor allem bei den spaeteren Veranstaltungstagen funktionierten manche Dinge nicht mehr so gut. Am letzten Abend traf ich eine improvisierte Absperrung bei den Toiletten und jemandem aus einem zentralen Team an, und wir machten eine improvisierte Baendchenkontrollschicht an der Toilette, waehrend ich mir die Lage erklaeren liess. Insbesondere bei den spaeteren Tagen war es offenbar schwer, ueberhaupt noch Engel fuer manche Schichten zu finden. An manchen Stellen sah es zudem so aus, als rumple es bei der Koordination etwas. Die eine Stelle wusste nicht, was die andere machte, manches ging per Stille-Post-Prinzip verloren, und ich muss ehrlich zugeben, ich hatte eine gewisse Faszination bei der Beobachtung, dass es teilweise so aussah, als seien quasi-buerokratische Dienstwege nachgebildet worden, ohne z.B. das Prinzip der Fayolschen Bruecke einbezogen zu haben. Diese Bruecke sei aber anderenorts wieder eingezogen worden, indem sich Engel untereinander quasi-syndikalistisch selber organisiert und Dinge optimiert haetten. Eigentlich ja so, wie man das haben wollen wuerde. Und waehrend wir da sassen, gab es mehrere Versuche, die Absperrung beim Klo wieder zu errichten, weil irgendwerhatgesagt, etc pp.

Das ist gar kein Vorwurf, nur eine Beobachtung. Der sich auch die Beobachtung anschliesst, dass ich mehrmals von Leuten erzaehlt bekam, dass sie dieses Mal einfach nur das Camp erleben wollen wuerden. Was auch bei jeder einzelnen Person voll nachvollziehbar und auch begruendbar war: Die hatten sich ja alle bereits bei vielen solchen Veranstaltungen eingebracht und richtig umfangreich Dinge gewuppt – kann man ihnen nicht uebelnehmen, dass sich dieses Mal ausnahmsweise nicht mehr in dem Umfang einbringen. In der Summe hiess das halt, dass die eingerosteten Ablaeufe jetzt mit dem Wegfall erfahrener Leute kombiniert wurden, und da waren wir nun.

Das Linked Open Data Village, nachts, irgendwann

Ich muss mich da offen gestanden auch an die eigene Nase fassen. Offiziell habe ich auch nur zwei Stunden geengelt und lebenden Leitkegel gespielt – die restliche Zeit ging fuer die Organisation des Village drauf, wo ich aehnliche Effekte mit der Umverteilung der anstehenden Arbeit beobachtete. Ich habe keine Feldkabel gezogen, war nicht Teil des A-Teams, und entgegen meiner grossmaeuligen Ankuendigungen konnte ich auch nicht (viel) im LOC aushelfen, weil das Village zu viel Zeit gefressen hat. Meine grosse Hoffnung ist, dass das jetzt ein einmaliger Effekt nach 
 *gestikuliert umfassend* 
 war und sich das zu den folgenden grossen Events wieder einpendelt.

Vielleicht hat das tatsaechlich auch mit der sonst so viel beschworenen Dezentralisierung zu tun. Noch so ne Erkenntnis: Twitter/X ist fuer mich jetzt durch. Das war ein schleichender Prozess seit der Uebernahme durch Elmo. Die Dark-Timeline ist seit Sommer 2022 eh langsam eingeschlafen, die Uebernahme durch den Emerald Idiot hat das beschleunigt, und in den letzten Monaten hatte ich immer weniger Lust auf Twitter. Mastodon fuehlt sich an vielen Stellen immer noch rumpelig an, aber weil Xitter so seltsam wurde, habe ich dort nun spaetestens auf dem Camp aufgehoert, haendisch crosszuposten und ich habe auch den Hashtag dort kaum verfolgt. Andererseits heisst das auch, dass die gemeinsame Infoquelle fuer vieles rund ums Camp nun weggefallen war – die zum Beispiel ueber fehlende Engelschichten informiert haette. Und viele, die ich kenne, haben sich eh wegen *gestikuliert nochmals allumfassend* von Social Media insgesamt verabschiedet, sind nun also auch nicht auf Masto. Dazu kam die Dezentralisierung beim Camp selbst. Keine so richtig zentralen Zirkuszelte mehr fuer das „offizielle“ Programm, viele Villages, die Programm betreiben, Rumpelbuehnen are real. Was aber auch heisst: Wenn zu viel der Energie in die dezentralen Villages laeuft (und die auch die Probleme haben, noch die noetigen Ressourcen aufzubringen), hakt’s bei den zentralen Diensten. Aus Alien-Observer-Perspektive auch wieder spannend.

Abbau. Wehmut. Scheisse viel zu tun.

Letzte Erkenntnis : Ich hatte 2019 gar nicht uebers Camp geschrieben. Derweil wir mal eben nebenbei einen Proof of Concept fuer ein community-basiertes, Freie-Software-basiertes Bikesharing dort ausgerollt und praktisch getestet hatten (hier weiter unten beschrieben) und dort unzaehliges Feedback und vor allem viele direkte Beitraege der vielen neugierigen Menschen einsammeln konnten. Im Nachhinein ziemlich klar: Ich steckte im Sommer 2019 bereits psychisch ziemlich in der Scheisse, ausgeloest durch Ziel- und Wertekonflikte und unmittelbarer Fuehrungskultur beim damaligen Broetchengeber. Wahrhaben wollte ich das damals wohl noch nicht so recht. Zeit, wieder mit diesem Blogging anzufangen. Die Energie vom Camp kommt da nur recht. Und ich ueberlege mir schon einmal, wo und wie ich zu weiteren solchen Veranstaltungen beitragen kann.

Weil, ja, ich habe das gebraucht. Und ich hatte den Eindruck, viele andere auch. Der Vorwurf von 2015 von der angeblichen Gentrifizierung der Hacker*innenszene ist immer noch diskutierenswert. Ich sehe den Ausweg aber nicht darin, sich stattdessen den Strukturen anzubiedern, die derzeit im groesseren System die Macht zu haben. Korrupt schreibt, er habe die Stimmung insgesamt als ein wenig zorniger empfunden. Das kann ein guter Anfang sein.

verschwoerhaus.de: Bitte Mailadressen aktualisieren, die Stadt koennte bald mitlesen

Hier war das bislang nicht Thema, aber die Ulmer Stadtspitze fuehrt seit spaetestens 2022 etwas, was ich persoenlich nur als einen Beleidigte-Leberwurst-Krieg nennen kann. Gegner sind dabei genau die ehrenamtlichen Aktiven, die seit 2016 den Part bildeten, der das staedtische Foerderprojekt „Stadtlabor“ am Weinhof ueberhaupt erst interessant und sinnstiftend gemacht hatten.

Die ersten Sticheleien der Stadt sind hier und hier dokumentiert, die Aktiven wurden zum Juli 2022 zum Auszug aufgefordert, und im Update vom Herbst 2022 wird glaube ich deutlich, dass entgegen der, ich sage einmal, Geschichtsumschreibungsversuche der Stadt, dieser Auszug keineswegs freiwillig war. Entweder haetten die Aktiven den Namen und die Hoheit darueber, was das Haus ist, abgeben sollen – oder eben gehen.

In der Folge erhob der Vorsitzende der Ulmer CDU-Ratsfraktion in seiner Rolle als Anwalt der Stadt Klage gegen die Ehrenamtlichen, damit diese den Namen aufgeben und der Stadt ueberlassen. Das LG Stuttgart entschied im Fruehjahr 2023 entgegen aller Erwartungen fuer die Stadt, die nun dadurch die Rechte am Namen „Verschwoerhaus“ hat. Die Aussichten auf einen Erfolg in der Berufung standen zwar nicht schlecht. Der Verein der Aktiven konnte aber – auch durch viele solidarische Spenden aus der Szene – gerade so die Kosten fuer die erste Instanz stemmen. So stand am Ende das nur wenig troestliche Ergebnis, zwar moralisch aufrecht gestanden zu haben, aber nicht die notwendigen Mittel gehabt zu haben, um auch rechtlich zu bestehen.

Waehrend nun zwar in Neu-Ulm eine umso mehr zusammengeschweisste Community ein Neues Haus bespielt, hiess dieses Urteil auch, dass eine Reihe von Betriebsmitteln wegfiel, die mit dem von der Community erdachten Namen zusammenhing (und das Gericht bestreitet auch gar nicht, dass der Name aus dem Ehrenamt kam). Ich war vom Sommer 2016 bis zum Urteil ueber eine Mailadresse stefan.kaufmann@verschwoerhaus.de erreichbar – ueber die Domain, die von Anfang an aus der Community registriert und betrieben wurde, und mit der die Ehrenamtlichen nach Meinung des Gerichts nur den Markennamen „Verschwoerhaus“ fuer die Stadt aufbauten (sic!). Das war nun passe.

Zu allem Ueberfluss scheinen sich Stadtspitze und staedtischer Anwalt jedoch nicht mit ihrem Pyrrhussieg zufriedenzugeben, zwar nun den Namen zu halten, aber effektiv nur mehr eine Huelle ohne den ausschlaggebenden Inhalt. Was in dem „offenen Haus“ (das dieses Jahr wegen angeblich dringender Bauarbeiten laenger geschlossen sein wird, als es waehrend der Corona-Hochphasenjahre jeweils aus guten und berechtigten Gruenden war) ueberhaupt fuer die allgemeine Oeffentlichkeit zugaenglich passiert, ist derzeit schwer nachvollziehbar. Die Stadt pflegt zwar eine Website verschwoerhaus.ulm.de, bis zum heutigen 11.8.2023 ist das jedoch nur eine Unterseite der staedtischen Website, die von heute bis Ende des Jahres ganze vier(!) Veranstaltungen fuer die allgemeine Oeffentlichkeit ankuendigt. Auf einer Projektunterseite werden trotz der aktuellen Schliessung weiter vier Oeffnungszeiten pro Woche fuer ein Ukraine-Foerderprojekt und unklarer Zielgruppe angekuendigt. Und was neben diesem Ukraineprojekt passiert ist, scheint enorm uebersichtlich zu sein.
Trotzdem versucht die Stadtspitze nun, sich auch der Domain verschwoerhaus.de zu bemaechtigen, um den Ort auch unter der von frueher gewohnten Domain zur staedtischen Veranstaltung zu machen, obwohl der OB 2016 dem Rat versicherte:

dass die Stadt nur anschiebe. Es sei kein kommunales Projekt.

Wohlgemerkt ergibt sich aus dem Urteil soweit ich das erkennen kann kein direkter Anspruch der Stadt. Sie will das halt. Ich weiss nicht, was die Motivation ist – als Baustelle gaebe es ja gerade das Haus selber wieder zu oeffnen, oder mal eine vernuenftige Website zu bauen, oder wenigstens die im Stadt-CMS so zu pflegen, dass man als aussenstehende Person auch weiss, ob die Oeffnungszeiten dort fuer einen sind oder ob sie ueberhaupt stattfinden, etc. – fuer all das braucht es keine Domain, und man muss dafuer auch nicht in Aussicht stellen, Funktionstraeger eines Vereins persoenlich auf sechsstellige Betraege zu verklagen.

Es muss also damit gerechnet werden, dass bei Mails an die gewohnten, seit 2016 ehrenamtlich betriebene Adressen @verschwoerhaus.de irgendwann nicht nur die gemeinten Adressat*innen die Empfaenger*innen sein werden. Sondern dass da irgendwelche Stadtleute unter der Adresse an mich und die anderen so erreichbaren Menschen gerichtete Mails empfangen koennten. Wer mich erreichen moechte, sollte also unbedingt @temporaerhaus.de statt der gewohnten Domain verwenden.

Die ganze Geschichte hatte mich bisher schon rat- und fassungslos gemacht. Auf dem Schulhof gab es einen Namen fuer die Typen, die ihre Macht und Kraft ausgeuebt haben, damit Schwaechere das tun, was sie wollen. Und auch fuer das vor allem in Familien vorgefundene Prinzip „ich bringe das Geld her, also tust du, was ich sage“, gibt es einen Namen. Es ist ein gewisser Trost, dass Menschen, die ich fachlich schaetze, diese Fassungslosigkeit teilen. Das auch vor dem Hintergrund, dass nicht nur bei so laeppischen IT-Standardgeschichten wie dem aktuell halten einer Website fuer mich nicht mehr so arg viel digitale Kompetenz zu erkennen ist. Aber momentan ist davon auszugehen, dass die Stadtspitze und der CDU-Fraktionsvorsteher-und-staedtische-Anwalt die ihnen gegebenen Machtvorteile weiter auf eine Weise einsetzen werden, die mehr als nur ein leichtes Gschmaeckle fuer mich haben. Ich bitte alle Mitlesenden, sich darauf einzustellen. Und den „Ulmer Weg“ der Einbeziehung der Buergerschaft in ihren Digitalisierungsbemuehungen genau zu beobachten, wer hier wem zuarbeiten soll, wer die Machthebel in der Hand hat – und auch, wie sich der „Ulmer Weg“ bei den tatsaechlich vorhandenen Digitalkompetenzen rund um die Leuchtturmprojekte wahrnehmbar ausdrueckt.

Ciao, oeffentlicher Dienst

Gerade ist (noch) der erste Januar 2023 (und ich stolpere natuerlich immer noch ueber die Jahreszahl). Das heisst, dass ich vor fast exakt einem Jahr um Mitternacht nicht nur ins neue Jahr gefeiert habe, sondern mit einigen anderen Anwesenden High-Fives abgeklatscht habe, weil wir ab dieser Sekunde nicht mehr im oeffentlichen Dienst angestellt waren.

Ich habe aus verschiedenen Gruenden bis heute nie aufgeschrieben, warum ich damals ausgestiegen bin, und auch die anderen Anwesenden haben das nicht an die grosse Glocke gehaengt (ich habe gerade im Kopf durchgezaehlt, und wenn ich das richtig zusammenbekomme, sind 2022 ausser mir sechs andere Menschen aus dem ehemaligen Team gegangen oder nicht zurueckgekehrt, und dieses Jahr weiss ich von zwei weiteren. Das ist schon scary-beeindruckend.)

Eigentlich ist dieses leise-gehen schade. Thilak Mahendran hat am 6.12.2022 seinen Dienstausweis und seinen Arbeitslaptop im Bundesverwaltungsamt abgegeben, wo er das Kompetenzzentrum Open Data leitete. Und im Gegensatz zu mir hat er offen ueber seinen Ausstieg einen Text geschrieben, den ich sehr lesenswert finde. Weil er erstens die Probleme anspricht, die nicht nur im BVA Alltag sind, sondern die eigentlich eigene Tropes im Verwaltungsgame bilden – und absurder-/peinlicherweise auch gerade in den Organisationseinheiten, die die Speerspitze der Digitalisierung und Innovation und hastenichtgesehen sein sollen oder wollen. Und weil er zweitens den ungesunden Feedback-Loop benennt, an dessen Ende nur noch angepasste Ja-SagerInnen uebrig bleiben, die auch an den „fachlich nicht mehr begruendbaren“ Entscheidungen keinen Anstoss nehmen.

Ich beobachte gerade auf Twitter und Mastodon, dass diese Probleme zunehmend auch anderen Leuten aufzufallen scheinen. Dass man Exit-Interviews fuehren sollte, um auch tatsaechlich zu lernen, warum Menschen die Verwaltung verlassen. Wobei ich den Kreis eigentlich weiter drehen wuerde. Eine Erkenntnis aus ueber 10 Jahren datalove/ulmAPI und dem sich daraus entwickelten Verschwoerhaus war, dass es nicht reicht, nur in die Verwaltung wirken zu wollen, um sie zappelnd und schreiend ins 21. Jahrhundert zu bringen. Mindestens so wichtig ist es, in die allgemeine Oeffentlichkeit und die Politik zu wirken. Damit die auch die richtigen Fragen stellen kann. Zum Beispiel, warum denn keine Exit-Interviews gemacht werden. Oder welche Konsequenzen aus Erkenntnissen gezogen wurden. Oder warum Entscheidungen fachlich nicht begruendbar sind.

Der GovTech-Campus und der lange Schatten des New Public Management

Der frisch prĂ€sentierte Digitalbeirat Ende November 2022 – kann natĂŒrlich nichts fĂŒr den GovTech-Campus

Jetzt will’s die Bundesregierung wissen mit der Digitalisierung. Vergangenen Mittwoch stellte Digitalminister Wissing den Beirat fĂŒr die Umsetzung der Digitalstrategie vor. Mehrere Ministerien haben Konsultationsprozesse fĂŒr ihre Digitalvorhaben gestartet – wenngleich vereinzelt wohl nicht allzu umfangreiches Feedback gewollt war. Neben den Digitallaboren, ExperimentierrĂ€umen und anderen Flaggschiffen existiert zudem seit Anfang diesen Jahres der GovTech-Campus in Berlin. Auf diesen lud der Bundes-CIO Markus Richter unlĂ€ngst die Podcaster Philip Banse und Ulf Buermeyer ein, die in der Lage der Nation (Ausgabe 313, Kapitel 6 ab 36:53) begeistert von ihrem Besuch dort berichten.

Das ist aus zwei GrĂŒnden bemerkenswert. Erstens wegen des GovTech-Campus selbst, seiner Organisation als eingetragener Verein, in dem Unternehmen fĂŒr mehrere tausend Euro Mitglied werden können, und der Tatsache, dass dort Ministerien und privatwirtschaftliche Dienstleister unter demselben Dach sitzen und „gemeinsam“ IT-Dienstleistungen entwickeln. Die Lage hebt das als positives Beispiel hervor.
Zweitens, weil eher im Nebensatz erwĂ€hnt wird, dass es seit vielen Jahren auch eine aktive digitale Zivilgesellschaft in diesem Bereich gibt. Die ehrenamtliche Zivilgesellschaft hat im Konzept des GovTech-Campus aber gar keinen Raum, und wird in der Lage auch nur im Rahmen von Hackathons erwĂ€hnt, die an den BedĂŒrfnissen vorbei entwickeln wĂŒrden.

Derweil kann man argumentieren, dass die Situation, in der die öffentliche Hand bei ihren Digitalisierungsbestrebungen stets auf externe Dienstleister angewiesen ist und mit der Zivilgesellschaft allenfalls im Rahmen von Hackathons interagieren kann, eine Konsequenz des New Public Management ist. In diesem Denkmodell wird die Bevölkerung zu „Kund*innen“ des Staats, der sich – auch in genuinen Aufgaben der Daseinsvorsorge – wie ein Unternehmen verhalten soll. Das heißt zum Beispiel, dass Abteilungen sich untereinander ihre Leistungen in Rechnung stellen. Aber auch, dass Leistungen der öffentlichen Hand an Unternehmen oder eigene Gesellschaften ausgelagert werden. Ein Engagement außerhalb dieser Wirtschaftslogik ist gar nicht vorgesehen – das heißt, die umfangreiche praktische Digitalisierungsexpertise aus dem Ehrenamt zerschellt regelmĂ€ĂŸig an der staatlichen Organisationspraxis.

Schon fĂŒr die Anforderungsbeschreibung von Digitalprojekten braucht es externe Beratung

WĂŒnschewand beim OpenCityCamp 2012

Das hatte gerade fĂŒr die Digitalisierung fatale Folgen. Anstatt IT-Architekturkompetenzen auf allen Ebenen der föderalen Verwaltung aufzubauen, bestimmt seit Jahren eine Reihe externer Dienstleister, wohin der Staat digitalisiert. Was auf den ersten Blick wie eine Effizienzsteigerung klingt – denn natĂŒrlich sollen nicht ĂŒber 11000 Kommunen jeweils ihre eigene Softwarelösungen entwickeln – fĂŒhrte ĂŒber die Jahre zu einem weitreichenden Kompetenzverlust schon bei der Bestimmung, was eigentlich die Anforderung an die zu bauenden Softwarearchitekturen sind. Als Nebeneffekt kann es dann auch schon einmal vorkommen, dass die beschaffte Software am Ende gar nicht fĂŒr den gedachten Einsatzzweck taugt und das Projekt fĂŒr die Katz war. Lilith Wittmann nennt das in ihrer kritischen Besprechung des GovTech-Campus die „Beratertreppe“: Die laufende Externalisierung von Kompetenzen wurde zur selbstverstĂ€rkenden Spirale, so dass seit Langem schon fĂŒr die Erstellung der Ausschreibungen fĂŒr ein Softwareprodukt externe Beratung herangezogen werden muss.

Diese Erfahrung haben in den vergangenen Jahrzehnten auch immer wieder Ehrenamtliche aus der Zivilgesellschaft gemacht. Analog zur Civic-Tech-Bewegung in den Vereinigten Staaten entstanden in den spĂ€ten 2000er-Jahren auch in Deutschland Gruppen Freiwilliger, die am praktischen Beispiel aufzeigten, was mit den Mitteln der Informationstechnik eigentlich möglich wĂ€re. Als Instrument der SelbstermĂ€chtigung und zivilgesellschaftlichem GegenstĂŒck zu Open Government entstanden Transparenz fördernde Auswertungen offener Daten, aber auch ausgereifte Beispiele, wie die öffentliche Hand ihre Leistungen fĂŒr die Bevölkerung noch besser benutzbar machen kann.

All diese Gruppen stießen jedoch frĂŒher oder spĂ€ter auf die immer selben strukturellen HĂŒrden, wenn es darum ging, dass der Staat ihre Ideen auch aufgreift und sich zu eigen macht. In ihrem Buch „A civic technologist’s practice guide“ beschreibt die ehemalige leitende 18F-Mitarbeiterin Cyd Harell zwei notwendige Schritte fĂŒr die erfolgreiche Anwendung von Civic Tech: „Showing what’s possible, and doing what’s necessary“. Dieser Pfad, dass Ehrenamtliche aus der Zivilgesellschaft zeigen, was möglich wĂ€re, und der Staat dann das Notwendige tut, um sich diese Beispiele zu eigen zu machen, scheint in Deutschland aber fast nirgendwo vorgesehen zu sein. Meist ist man entweder zivilgesellschaftliche „Kund*in“ des Staats und kann allenfalls im Rahmen von Anhörungen und Feedbackrunden Jahr fĂŒr Jahr dieselben Post-Its auf MetaplanwĂ€nde kleben – oder man muss selbst Dienstleister*in werden und sich beauftragen lassen, der eigenen Idee irgendwo im Wildwuchs der Verwaltungs-IT ein GĂ€rtchen bestellen zu dĂŒrfen. 

FĂŒr gestaltende Zivilgesellschaft ohne wirtschaftliches Interesse gibt es in diesem Denkmodell keinen Raum

kleineAnfragen.de: 2014–2020

FĂŒr die UnterstĂŒtzung der Umsetzer-Rollen gab es ĂŒber die Jahre verschiedene AnsĂ€tze: Inkubatorprogramme, Förderlinien, Kooperationen mit Umsetzungspartnern aus der Wirtschaft. Das waren aber allesamt lediglich unterschiedliche Geschmacksrichtungen entweder von FirmengrĂŒndungen oder kurz- bis mittelfristigen finanziellen Förderungen, damit Weiterentwicklung und vor allem Wartung und langfristiger Betrieb wenigstens nicht in der Freizeit der Beteiligten passieren musste. Wir haben im Ergebnis bis heute keinen Ansatz, um langfristig einen Pfad zu ebnen, dass die öffentliche Hand selbst fertige, von der öffentlichen Hand direkt ĂŒbernehmbare Produkte wie kleineanfragen.de auch selber betreiben könnte, und sei es ĂŒber Konstrukte wie die kommunalen RechenzentrumsverbĂŒnde. An die Stelle von Civic Tech aus einer engagierten BĂŒrgerschaft und einer Verwaltung, die selbst in der Lage ist, aus deren Erfahrungen zu lernen, ist GovTech getreten – also die vollstĂ€ndige AbhĂ€ngigkeit von Firmen, die teils den Staat als einzigen Kunden fĂŒr ihre Produkte haben.

Das ist auch eine Erfahrung der Zivilgesellschaft aus jahrelanger BeschĂ€ftigung im Austausch mit der Verwaltung – sei es bei selbst organisierten Barcamps oder der Beteiligung an Hackathon-Formaten. Und hier zeigt sich eine weitere problematische Konsequenz dieser Kompetenzauslagerung durch den Staat. Eher im Nebensatz erwĂ€hnt Philip Banse, dass es neben dem ebenfalls auf dem GovTech-Campus vertretenen Digital Service des Bunds auch Ehrenamtsnetzwerke wie Code for Germany gebe – aber die wĂŒrden ja eher Hackathons machen und an den Bedarfen der öffentlichen Hand vorbei entwickeln.

Aus Sprints werden Marathons – aber warum sollen Ehrenamtliche laufen, und nicht der Staat?

Voll gut: Hackathons, um neue FÀhigkeiten zu erwerben oder auf politische MissstÀnde aufmerksam zu machen. Eher nicht so gut: Hackathons, um mal eben Aufgaben des Staats lösen zu wollen. Open Knowledge Foundation Deutschland from Deutschland, Jugend hackt Ulm 2018 (46355412802), CC BY 2.0

Indes waren es gerade die Ehrenamtlichen des Code-for-Germany-Netzwerk, die auf den Nachhall des großen Corona-Hackathons der Bundesregierung 2020 in Form einer Wiederentdeckung von Hackathons durch die öffentliche Hand und seinen Partnerorganisationen wie Tech4Germany (aus dem der oben erwĂ€hnte Digital Service hervorging) eher verhalten reagierten. Viele der Code-for-Germany-Aktiven haben ĂŒber die Jahre hinweg Begegnungen mit Hackathonformaten gehabt  – und merkten ĂŒber die Zeit, dass sie zwar an Erfahrung dazulernten, wie die Verwaltung funktioniert, aber immer wieder auf dieselben Probleme und Hilflosigkeiten dieser Verwaltung stießen, die schon auf den Austauschformaten mehrere Jahre zuvor adressiert werden sollen hĂ€tten. Die Erfahrung der Code-for-Germany-Ehrenamtlichen zeige, „dass es weniger um die Prototypen als viel mehr [um] Erkenntnisse auf einer strukturellen Ebene“ gehe, heißt es in einer Handreichung des Netzwerks vom Sommer 2020. 

Zum einen geht es bei Hackathons wegen des immer noch vielfach genutzten Wettbewerbscharakters nĂ€mlich viel zu hĂ€ufig um den Start neuer Projekte. HĂ€ufig werden also Ideen neu erfunden, an denen andere Gruppen bereits – beispielsweise aus eigener Betroffenheit – zur Verbesserung einer konkreten Situation gearbeitet haben und nun UnterstĂŒtzung zur Weiterentwicklung und Wartung gebrauchen könnten. Zum anderen laufen auch die „Verstetigungsprogramme“ bis heute meist auf die finanzielle UnterstĂŒtzung der Ideengeber*innen oder die Entwicklung der Ideen in ein GeschĂ€ftsmodell hinaus. Aus dem Sprint werde ein Marathon, hieß es im Nachgang des Corona-Hackathons – ohne dabei die Frage zu stellen, warum denn nun ausgerechnet die Zivilgesellschaft einen Marathon laufen soll, und nicht der Staat.

Die ausgearbeiteten Lösungen aus dem Digitalen Ehrenamt liegen meist schon vor – haben aber selten Chance, zu verfangen

Austauschformat, 2017. Open Knowledge Foundation Deutschland from Deutschland, Datensummit 2017 – Tag 1 im BMVi (33974368270), CC BY 2.0

Ganz Ă€hnlich lief dies auch ein Jahr spĂ€ter beim „Update Deutschland“-Hackathon, der auch LĂ€nder und Kommunen als „Zielgruppe“ identifiziert hatte und mit deren UnterstĂŒtzung durchgefĂŒhrt wurde. Der ĂŒberfĂ€llige Aufbruch der Verwaltungsdigitalisierung sollte auch hier aus der Zivilgesellschaft kommen, die aber gleichzeitig unpolitisch von den veranstaltenden Institutionen in Anspruch genommen und in wirtschaftliche Wirkmuster gelenkt werden sollte, wie Daniel Staemmler und Sebastian Berg konstatierten. Bemerkenswert war, dass auch Kommunen an dem Format teilnahmen, die bislang den Input aus der örtlichen Ehrenamtsszene hĂ€ufig links liegengelassen hatten. Analog zu kleineanfragen.de lagen auf mehrere der bei Update Deutschland gestellten „Challenges“ der teilnehmenden Verwaltungen bereits seit Jahren tragfĂ€hige VorschlĂ€ge aus der Zivilgesellschaft vor – die aber bislang von der öffentlichen Hand nicht umgesetzt wurden.

So stellte eine Kommune die Herausforderung vor, die BeschlĂŒsse des Gemeinderats „erlebbarer, einfacher auffindbar und transparenter“ zu machen. Das Ratsinformationssystem der Kommune habe in der Regel Schnittstellen, um diese Informationen abrufen und beispielsweise auf einer Karte darstellen zu können. Bei der beschriebenen Schnittstelle handelt es sich um den seit 2012 durch Ehrenamtliche bei Code for Germany entwickelten Standard OParl. Und die Ironie der Challenge ist, dass, wie gerade erst von Nora Titz beschrieben, am Anfang dieser Standardisierung genau solche grafischen Aufbereitungen der Ratsinformationen standen – damals mit Scrapern aus den Informationssystemen extrahiert und beispielsweise auf Karten dargestellt. Die fĂŒr die Öffentlichkeit nutzbaren, im Ehrenamt entwickelten Frontends fĂŒr die Auswertung der OParl-Daten konnten bis heute nicht von der öffentlichen Hand ĂŒbernommen, geschweige denn betrieben werden. Teilweise scheint es ihr schon schwerzufallen, die beim Ratsinformationssystem-Anbieter bestellte OParl-Schnittstelle auch auf ihre korrekte Installation zu ĂŒberprĂŒfen und abzunehmen. Die OParl-Schnittstelle der Challenge-gebenden Stadt war zum Zeitpunkt des Hackathons gar nicht aktiviert – und ist es auch zum Zeitpunkt dieses Artikels noch nicht. Es existiert zwar ein fertiges Validierungsskript, mit dessen Hilfe man die StandardkonformitĂ€t der Schnittstelle in Minutenschnelle prĂŒfen kann. Um dieses Skript bei der Abnahme im Verwaltungsnetz ausfĂŒhren zu können, bedarf es aber der internen FĂ€higkeiten, den Validator auf Verwaltungsrechnern selbst zum Laufen zu bringen. Danach braucht es noch etwas VerstĂ€ndnis, die Ausgaben interpretieren zu können und sich vom Dienstleister nicht einreden zu lassen, dass der Fehler bei einem selber liege. Was engagierten Freiwilligen mit grundlegenden Kenntnissen eine spielerische FingerĂŒbung weniger Minuten ist, stellt die Verwaltung teilweise heute noch vor große Herausforderungen. Der Staat baut hier nicht die notwendigen Kompetenzen in der Breite auf, um die gratis vom Ehrenamt gelieferten Skripte auch selbstbestimmt ausfĂŒhren zu können. Stattdessen sind diese Ehrenamtlichen letztlich dazu gezwungen, selbst als bezahlte Dienstleister*innen aufzutreten, wenn sie wollen, dass ihre Ideen auch in die Tat umgesetzt werden.

Vorhandenes Wissen aufgreifen und dokumentieren – nach den BedĂŒrfnissen des Ehrenamts!

CC0 Matthias Wörle im Auftrag von Wikimedia Deutschland

Die ĂŒberstarke Begeisterung des Staats fĂŒr Hackathons scheint mittlerweile – zum GlĂŒck! – endlich abzuflauen. Offen bleibt aber die Frage, wie Ehrenamt und Zivilgesellschaft sich ĂŒberhaupt wirkungsvoll mit ihrer Expertise einbringen können. Der Anspruch kann dabei nicht sein, auch als Zivilgesellschaft ein BĂŒro am GovTech-Campus zu haben. Schon die Existenz eines GovTech-Marktes ist mehr Indikator eines grundsĂ€tzlichen Problems, als dass diesem Markt mit einem Austauschcampus noch niederschwelligerer Zugang geschaffen werden soll. Es kann auch nicht die Aufgabe Ehrenamtlicher sein, werktags mit am Tisch zu sitzen, wenn Vergabeverfahren fĂŒr staatliche IT-Lösungen nun möglicherweise noch weniger nachvollziehbarer als bisher zwischen Verwaltung und Dienstleistern ausgehandelt werden. Vielmehr geht es darum, den Wissensschatz der ehrenamtlichen Digitalen Zivilgesellschaft aktiv zu suchen und in die Verwaltung selbst zu transferieren. 

Wikimedia Deutschland hat gemeinsam ergĂ€nzt um Interviews mit der Deutschen Stiftung fĂŒr Ehrenamt und Engagement vergangene Woche im Politikbrief „Digitales Ehrenamt: Zivilgesellschaftliche Teilhabe im Digitalen Raum“ sechs Forderungen aufgestellt, wie dieses Engagement besser vom Staat gewĂŒrdigt und gefördert werden sollte. Eine der Forderungen ist der systematische Transfer ehrenamtlicher Expertise. Der Staat sollte nicht etwa Dienstleister*innen auf seinen GovTech-Campus zu sich einladen und damit weiter Kompetenzen externalisieren, sondern strategisch interne IT-FĂ€higkeiten aufbauen. Das vorhandene Wissen im digitalen Ehrenamt muss durch aufsuchende Beteiligung und den BedĂŒrfnissen der Freiwilligen folgend aufgegriffen und dokumentiert werden, um es verwaltungsintern verwendbar und anwendbar zu machen. Damit könnte endlich eine BrĂŒcke ĂŒber die nach wie vor bestehenden WissensklĂŒfte geschlagen werden – damit kommende Generationen ehrenamtlich Aktiver hoffentlich kĂŒnftig nicht mehr zu ihrer Frustration auf dieselben strukturellen HĂŒrden stoßen, an denen diese Partizipation bislang scheiterte.

//edit am 24. Januar 2023, Rolle der DSEE im Politikbrief von WMDE korrigiert

Kommunalverwaltungen sollten sich nicht fuer IT-Entwicklung missbrauchen lassen

Bundesarchiv, B 145 Bild-F088837-0009 / Thurn, Joachim F. / CC-BY-SA 3.0, Bundesarchiv B 145 Bild-F088837-0009, Berlin, Volksfest, Toiletten-Wagen, CC BY-SA 3.0 DE

„Kommunalverwaltungen sind keine IT-Entwickler“, titelte Sven Hense aus Bonn dieser Tage. Ich war zuerst reflexartig gewillt, ihm zu widersprechen: Ich hatte hier mehrfach gefordert, dass Verwaltungen genau solche Faehigkeiten internalisieren sollen, die man fuer Softwareentwicklung braucht. Und das dann auch anwenden zu koennen:

wenn dieses Digitalisierungszeug endlich mal gelingen soll [
] gehoert [
] auch passende Kompetenz in der Verwaltung aufgebaut. Muessen zumindest manche VerwaltungsbeamtInnen auch irgendwann mal Cronjobs und Shellscripts einrichten koennen. Muessen dafuer schnell passende VMs fuer die Verwaltung klickbar sein. Muss statt Innovationstheater mit (natuerlich nicht transferierbaren) Leuchttuermen die marode IT-Basisinfrastruktur in einen brauchbaren Zustand versetzt und kontinuierlich weiter gewartet werden koennen. Nicht unbedingt, weil die oeffentliche Hand alles selber machen koennen sollte. Im Gegenteil, moeglichst viel sollte als Commodity klickbar sein. Dafuer muesste man aber wissen, was es alles gibt, und Technikfolgen abschaetzen koennen. Und dafuer hilft es ungemein, mal ellenbogentief in APIs gewuehlt zu haben.

Ich glaube, dass meine Forderung immer noch gilt, und dass Sven Recht hat. Denn er beschreibt ein Modell, das in den letzten Jahren immer beliebter geworden ist: Die Kommunen sollen’s richten, indem sie selber die Loesungen stricken, die es braucht, aber um die sich niemand kuemmert. Also eben nicht nach dem Showing-whats-possible-doing-whats-necessary-Muster, bei dem man zeigt was moeglich waere, als Anlass der zustaendigen Stellen, endlich das zu tun, was es dafuer braucht. Sondern, indem sich Bund und Laender aus der Verantwortung stehlen und die Kommunen tragen die Last – in einem „Wettbewerb der Ideen“, der dazu noch perverse Anreize fuer ziellose Digitalisierungsperformance schafft.

Anstatt die marode IT-Basisinfrastruktur zu staerken, laeuft die Foerderschiene naemlich etwa so: Bund und/oder Laender suchen sich ein aktuelles Hypethema aus, um das man nicht herumkommt. Dafuer ist natuerlich eine „Strategie“ aufzustellen. Leider weiss man selber auch nicht so richtig, was man damit anfangen soll. Also werden Foerdermittel ausgelobt, auf die sich Regionen oder Kommunen doch bewerben moegen, und wenn alles gut geht, wird irgendeine der Foerdernehmerinnen schon etwas abliefern, was man am Ende stolz vorzeigen kann. Man hat was getan, muss sich selber nicht kuemmern, und die auserkorenen Regionen/Kommunen duerfen stolz wie Bolle sein, wie sehr man ihnen zutraut, die Zukunft der Digitalisierung mit passgenauen Leuchttuermen zum neuesten Hype auszuleuchten. Aller Seiten Egos sind gestreichelt, und jetzt muss man nur noch irgendwas entwickeln.

Bloederweise geht es dabei selten um die beklagte marode IT-Basis, die man eigentlich zappelnd und schreiend ins 21. Jahrhundert modernisieren sollte. Mit einer gewissen Weitsicht koennte man die derweil einfach im Vorbeigehen mit Teilen dieser Foerdersumme begiessen, so dass das Geld nicht ganz zum Fenster hinausgeworfen ist. Stattdessen ist meist das Gegenteil der Fall: Die gewuenschten Modellprojekte – egal ob jetzt Digitaler Zwilling, Datenraeume, Datenplattformen oder eine sonstige Mode damit abgefruehstueckt werden soll – muessen gelingen, egal was eine kritisch-unabhaengige Begutachtung ergibt. Damit dieser Eindruck aufrechterhalten werden kann, muessen irgendwelche Datenfluesse, Systeme, sonst etwas an die bestehende Legacy-IT angedengelt werden. Technische Schulden werden damit also nicht abgebaut, sondern weitere Interimsbaracken an das aechzende Gesamthaus genagelt, die irgendwann irgendein armes Team wieder abraeumen muss. Wie es mit Wartung und Unterhalt dieser Systeme aussehen soll, ist ebenfalls unklar. Ich wuerde mittlerweile sagen, dass das in gar nicht so wenigen Faellen unter dem Strich ein Draufzahlgeschaeft wird, weil die langfristigen Folgekosten die kurzzeitige Foerderung uebersteigen werden.

Leider fehlt dafuer aber viel zu haeufig ein verwaltungsinterner Blick auf die systemischen Zusammenhaenge der IT-Landschaft und wohin sie sich entwickeln sollte. Und das liegt nicht einmal daran, dass viele der in den Foerderaufrufen gewuenschten Projekte bei den Kommunen eventuell einfach am falschen Ort sind. Bei den meisten Innovation-durch-Wollen-Projekten, denen ich begegnet bin, haette man mit einem Verstaendnis dafuer, wohin man eigentlich will, gar nicht so wenig bewegen koennen. Dafuer haette es aber der Bereitschaft bedurft, nicht nur Sachmittel fuer externe Beratung und Dienstleistung auszugeben, sondern auch Kompetenz im Stellenplan zu verankern und das auch langfristig weitertragen zu wollen. Die fuer diese Entscheidung zustaendigen Gremien verfuegen aber derzeit meist selbst nicht ueber ein Gefuehl fuer IT-Strategie und Opportunitaetskosten (siehe Biancas aktuelle Kolumne), und so dreht sich das Rad weiter. Und nicht zuletzt scheint es bisweilen auch einfach egal, ob das gewuenschte Produkt architekturell ueberhaupt Sinn und Nutzen ergibt – es ging eigentlich nur um einen Dunkelleuchtturm, der Energie und Aufmerksamkeit aufsaugt und allein dem Status und Ansehen dient.

tl;dr: Es ist ultra hilfreich, Kompetenzen zu internalisieren, die man fuer Entwicklung/Betrieb/Deployment von Software braucht. Allein, um aus diesem Wissen die strategischen Pfade auszuwaehlen, die langfristig den Abbau technischer Schulden ermoeglichen oder zumindest den effizientesten Einsatz von Mitteln bedeuten. Stattdessen lagern Bund und Laender derzeit abstrakte Wunschvorstellungen ueber Giesskannenfoerderung an Kommunen aus, die viel zu oft gar nicht die richtigen Anforderungen skizzieren koennen und politisch gewollte Produkte bauen, die womoeglich sowieso niemandem etwas nuetzen.

Solarcampingbusfahrrad

(Dieser Blogpost datiert als Draft von Anfang Februar 2021 und ich wollte „nur noch“ ein paar illustrierende Bilder machen. Ende November Mitte Juli 2022 ist aber besser als gar nicht.)

Ich spiele seit Beginn der Pandemie mit einem (laut Aufschrift) 100-Watt-Solarpanel herum, an das ich mal guenstig gekommen war. Anfangs habe ich versucht, alte Bleigelakkus damit wiederzubeleben, die waren aber einfach schon jenseits ihrer Lebensdauer angekommen. Also liefen die Experimente mit drei 18650-Zellen in Serie.

Sonniger Herbsttag: Es kommen laut 6-EUR-Messgeraet 75 Wp durch.

Je tiefer ich eingestiegen bin, desto faszinierter bin ich, wie guenstig die notwendigen Komponenten mittlerweile geworden sind. Der PWM-Laderegler zum Experimentieren ist fuer unter 10 EUR inklusive Versand zu haben, bringt gleich auch zwei USB-Ladebuchsen mit und war ganz witzig fuer erste Schritte. Ich hatte mir auch diverse Bauanleitungen fuer selbstgebaute „Powerwalls“ auf 18650er-Basis angesehen, letztlich schien mir das aber alles etwas zu muehsam. Der 2020 ausgedachte Plan war also eher, das Panel mit dem PWM-Regler einfach z.B. bei laengeren Ausfluegen an die Autobatterie des Blauen Bus anzuklemmen, damit man problemlos Handys laden oder ne Kompressorkuehlbox betreiben kann und solche Spaesse, ohne dass die Batterie leerlaeuft.

Nach dem Sommerurlaub 2020 mit dem Blauen Bus fiel mir aber auf, wie gross mittlerweile die Vielfalt bei sogenannten „Solargeneratoren“ geworden ist. Das sind Akkupacks, die mit eingebautem MPPT-Solarladeregler, einem Wechselrichter fuer 230-V-Geraete, und meist noch einer Reihe typischer Anschluesse wie USB-A- und -C-Ladebuchsen, 12V-Hohlstecker und Zigarrenanzuenderbuchse daherkommen. Solche Packs kannte ich vorher z.B. von Goalzero, wo sie gerne mal 800 Euro fuer 500 Wh kosteten – umso angenehmer war ich ueberrascht, dass es mittlerweile eine grosse Vielfalt solcher „Powerstationen“ gibt, mit Preisen typischerweise unter 1 EUR pro Wh Speicherkapazitaet.

51 Watt in der Kueche durchs Dachfenster

Ich bin eine ganze Weile um das Angebot im Netz herumgetigert – die hoechstgelobte Suaoki-Station war leider im Sommer 2020 nicht mehr lieferbar – und irgendwann im Herbst ’20 bei einer Allpowers-Solarpowerbank mit 372 Wh haengen geblieben, als es sie durch Rabatt- und Gutschein- und Preisvorschlag-Senden-Kombination fuer 220 Euro gab. Fuer einen Campingurlaub zum Handys nachladen reicht das glaube ich locker, fuer spassigere Sachen (Freiluft-Beamer-Kino, Oelpumpe der Heizung bei Stromausfall versorgen, PA-Anlage unterwegs betreiben) ist die Kiste vielleicht etwas zu klein dimensioniert. Aber die Entwicklung bleibt ja auch nicht stehen – mal schauen, was es in ein paar Jahren da alles geben wird. Das Gesamtpaket ist so jedenfalls komplett in einer Box, passt zusammen, und vielleicht haette ich sowas im Eigenbau etwas guenstiger hinbekommen – aber garantiert nicht so schnell und sauber und aufeinander abgestimmt.

Spannend wird kuenftig auf jeden Fall die Entwicklungen zu beobachten und was sich da noch tut. 2020 sah es so aus als passiere da viel, auch weil die Geraete als Notversorgung fuer CPAP-Beatmungsmaschinen angepriesen wurden. 2021 schien sich die Szene wieder etwas beruhigt zu haben. Ich bin sehr gespannt, was hier noch mit anderen, zyklenfesteren Batteriechemien (v.A. LiFePO) passieren wird.

Solar mit dem Fahrrad?

Im Hinterkopf rumoren bei mir seither auch die Moeglichkeiten, was denn auf die Weise noch so alles moeglich waere. Auf den langen Ueberland-Radtouren 2013 nach Berlin und 2018 zur Ostsee hatte ich das Handy meistens im Flugmodus und mal hier und da aus der Steckdose geladen, da war nichts mit mobiler Elektrizitaet. Und andererseits reizt mich seit Jahren auch die Vorstellung, einmal eine weitere Tour mit einem groesseren Pedelec oder gar Lasti zu fahren. Einmal „weil’s geht“, natuerlich auch weil’s witzig ist, und als drittes Argument vielleicht auch, weil man mit E-Support auch ein Feldbett unterbringen koennte, fuer richtiges Luxus-Lagern statt am Feldrand auf der Isomatte zu schlafen und nachts Nacktschnecken uebers Gesicht kriechen zu haben 😉

Ich hatte aber lange keinerlei Ahnung, wie man das mit dem Solar-Laden hinbekommen soll. Am Powerpack das 230V-Akkuladegeraet anschliessen ist etwas von hinten durch die Brust ins Auge; und wie man 48V-Packs mit 18VOC-Solarpanels laden soll, hatte ich erst nicht verstanden.

Irgendwann stiess ich dann aber auf eine Solar-Bike-Weitfahr-Challenge, und das hiess ja, dass das irgendwie moeglich sein musste. Wie so oft ging es nun also darum, den richtigen Suchbegriff zu finden, um auf das richtige Geraet zu kommen 😀 Und der richtige Begriff ist hier „MPPT-Boost-Controller“, und in diesem Video wird etwas erklaert, was es damit auf sich hat:

Neben den sehr gelobten „Marken“-Boost-Controllern fuer 200 EUR gibt es naemlich auch welche, die fuer rund 30 EUR aus China zu haben sind. Ich hatte mir im Fruehjahr 2021 einen bestellt, um auszuprobieren, wie gut und wie schnell sich die typische Pedelec-Akkus damit laden lassen. Mit einer Akkuladung lassen sich bei 25 km/h Ueberland und hoher E-Unterstuetzung etwa 25 Kilometer mit dem Armadillo fahren; mit langsamerer Geschwindigkeit und mehr Eigen-Muskel-Einsatz natuerlich entsprechend mehr. Eine Option waere, gemuetlich zu fahren und immer den jeweils anderen Akku aus dem Solarpanel laden zu lassen, wobei selbst zwei 100-Watt-Panel da nicht so furchtbar weit kommen duerften.

Die andere Option (und die Idee gefaellt mir gerade sehr gut) ist, das Panel einfach stationaer aufzustellen und die Lasti-Akkus immer daraus nachzuladen. Praktisch die Idee mit dem E-Fahrzeug als dezentralem Solarspeicher, nur halt aeeeh mit Lastenrad statt Tesla und Zeug. Im Praxistest hat das jedenfalls zumindest beim Armadillo funktioniert. Unnoetig schwierig ist das derweil mit den Bosch-Akkus, die noch irgendwelche Beschaltung im Akkupack haben und mit dem Ladegeraet ueber Steuerleitungen zu kommunizieren scheinen.

PS: Die Welt ist natuerlich klein. Norbert aus der Verschwoerhaus-Ehrenamtstruppe hat auch schon bei dieser Solar-Fahrradchallenge mitgemacht. Haette ich mir ja denken koennen!

Parkraumwandler, selbstgebaut

Seit 2017 gibt es „das kleine Parkraumwunder“, das leider keine eigene Website aber eine Facebook-Fanpage hat. Und seit ich das kenne, bin ich begeistert von dem Teil und moechte das nachbauen: Es ist gemaess StVO ein Handwagen, und weil es so gross und sperrig ist wie ein Auto, muss man es auf der Fahrbahn hinter sich herziehen. Und stellt man es auf einem Parkplatz ab, wird es zum Parklet, das die Nutzung des oeffentlichen Strassenraums wieder fuer Alle zugaenglich macht.

Das Modell ist an einigen Orten mittlerweile nachgebaut worden, und dient seither als einer von vielen Beweisen, wie man angesichts von Klimakatastrophe und ueberfaelliger Mobilitaetswende auch einfach mal selber Hand an die eigene Stadt anlegen und Veraenderung bewirken kann, wenn es sonst niemand tut. Waehrend das „Original“ bis hin zur Lenkaufhaengung aus Holz gebaut ist, gibt es auch Plaene mit einem geschweissten Fahrgestell. Und mit zwei Schubkarrenreifen und ein wenig Holz lassen sich beispielsweise auch kleine fahrbare Pflanzkuebel mit Minisitzbank bauen.

Es gibt dann natuerlich wieder Kleingeister, die sagen, „aber das ist ja gar kein Fahrzeug, das ist ein GeGeNsTaNd!“ und mit dem Abschleppen des Gefaehrts drohen. Die Raumwandler in Graz haben das pfiffig geloest, indem sie ihre Plattform auf jeweils ein Schwerlastenrad aufgebaut haben. Das ist dann definitiv ein Fahrzeug 😉

Abfragen im dezentralen Semantic Web. Oder: Baut viele SPARQL-Endpunkte statt grosser Datenplattformen

Wie Abfragen ueber verteilte Wissensquellen aussehen (nicht eine Super-Datenplattform!), ist in diesem Video von 2018 schoen erklaert (danke MarcelOtto). Ein praktisches Beispiel eines federated query mit Wikidata hatten @saerdnaer und @Wikidatafacts als kleine Fingeruebung fuer den kleineren Massstab bei einem Wikidata-Workshop in Ulm entwickelt.

(quelle:internet)

Ab 09:27 kommt im Video ein anschauliches Beispiel des dahinter liegenden Paradigmenwechsels. Anstelle von Apps, die auf hardcodierte APIs zugreifen muessen (und die dann wieder angeflanscht an zentralisierte Datensilos sind), werden Abfragen im dezentralen Modell lokal synthetisiert. Die notwendigen Daten kommen dann aus denjenigen verteilten Quellen, die fuer genau diese Frage notwendig sind.

In Ergaenzung (und technisch notwenige Voraussetzung) zum auf den Kopf gestellten Nutzungsversprechen von Open Data erlaubt diese Herangehensweise eine Abkehr von zentralisierten Superdatenplattformen. Die bisherige Idee war, dass es ja eine Vielzahl von Fachverfahren gebe, deren Daten in einzelnen Silos liegen. Um das aufzubrechen muessten Verfahren standardisiert werden und alle Daten in ein zentrales Silo anliefern. Was auch bedeutet, dass z.B. einzelne Kommunen oder Bezirke ihre bisherigen Fachverfahren fuer ein Thema aufgeben und sich der Mehrheit anschliessen muesten – und sei es mit Zwang.
Im Gegenmodell waere die interne Datenhaltung oder zumindest das Ergebnis eines ETL-Prozesses der Fachverfahrensdaten ein Knowledge Graph – und ueber verteilte Knowledge Graphs lassen sich wie im Video demonstriert wunderbar Abfragen fahren, nur durch die Magie von 5-Sterne-Daten mit Semantik. Die Bausteine dafuer sind mittlerweile Jahrzehnte alt und gut abgehangen. Und eigentlich passt das auch viel besser in das Modell eines foederalen Staats, der nicht alles von oben her vereinheitlicht und nach oben hin an sich zieht, sondern auf den Ebenen auch Entscheidungsspielraeume laesst.

Lilith Wittmann ist wie immer gleich deutlich radikaler und sagt: Alles bis drei Sterne sollte eigentlich gar nicht mehr zaehlen, wir muessten noch weiter gehen und Open Data erst ab vier Sternen ueberhaupt „zaehlen“ lassen:

Open Data und das auf den Kopf gestellte Nutzungsversprechen

Tori Boeck hatte im Februar einen Artikel ueber ein sich nun seit Jahren hartnaeckig haltendes Muster in der deutschen Open-Data-Szene veroeffentlicht: Alles scheint sich um „Anwendungsfaelle“ zu drehen, und dass die tatsaechliche Nutzung offener Daten (neben der schieren Zahl veroeffentlichter Datensaetze) ein Erfolgskriterium sei.

Toris Post war mir jetzt endlich aufraffender Anlass, verschiedene Textstuecke zusammenzustellen, die ich seit einer Weile vor mir herschiebe, und im Mai war das nun endlich alles so weit, dass ich einen ersten Entwurf beim Kommunalen Open Data Barcamp vortragen konnte. Denn dieser Fokus „die oeffentliche Hand soll Open Data bereitstellen, damit Dritte irgendetwas damit tun“ ist einer der fundamentalsten Missverstaendnisse des letzten Jahrzehnts in dieser Szene. Und ich fuerchte, dieses Missverstaendnis sabotiert seit Jahren die eigentlich anzugehenden Aufgaben.

Eine Quelle dieses Missverstaendnis koennte das typische “Showing what’s possible“-Muster aus dem Digitalen Ehrenamt sein. An einem konkreten Beispiel wird gezeigt, was mit offenen APIs und/oder offenen Daten oder einem besseren User Interface moeglich waere. Dabei ist beinahe egal, ob man nun einen bestehenden Dienst besser macht (wie z.B. kleineanfragen.de das tat), oder ob man an einem ganz konkreten Beispiel (fuer das man irgendwie an Datenpunkte kam) ein anschaulich nutzbares Produkt baut, wie die Trinkwasser-App.

Wolfram Eberius, Cfg-summit-20211127-codefor-berlin-02, CC BY-SA 4.0

Ende November hatten wir im Netzwerk Code for Germany einmal versucht, typische Aktivitaeten der lokalen Open-Data-Arbeitsgruppen einzuordnen, und an vielen Stellen kam dieses „showing what’s possible“ zur Sprache. Menschen machen das aus den verschiedensten Beweggruenden: Weil sie selber einen praktischen Anwendungsfall fuer das Ergebnis haben. Weil sie zeigen wollen, was geht. Oder einfach auch nur aus Spass.

An vielen Orten entstanden genau so vor ca. 10 Jahren die ersten veroeffentlichten Datensaetze. In Ulm hatte die Gruppe Engagierter einzelne Datensaetze per Mail von der Stadtverwaltung erhalten, und beispielsweise die Geodaten der Stadtbezirke selber zum Download und ueber eine CouchDB ausgespielt, und in Click-that-Hood praktisch erfahrbar gemacht.

Andere Staedte sprangen auf den „Trend“ auf. Datensaetze wurden immer noch haendisch herausgesucht und veroeffentlicht – und meist orientierte man sich dabei an den Datensaetzen, die bereits anderswo veroeffentlicht oder gar in einen praktischen Anwendungskontext bezogen wurden. Und nebenbei glaubte man, dass Datenportale hermuessten, Metadatenbeschreibungen fuer jede Excel-Liste im Datenportal wurden umstaendlich gepflegt, und viel dergleichen haendische Arbeit mehr.

Auf der zivilgesellschaftlich engagierten Seite entstand dadurch der empfundene Druck, die bisherigen Konzeptprototypen und Showcases zu „redeployen“. Anderswo gab es nun auch Stadtbezirks-Geoshapes, Trinkwasserinformationen und dergleichen mehr. Also, war die Annahme, muesse man die aktuellen Daten nun auch in einen lokalen Ableger dieser Showcases einpflegen. Gleichzeitig stieg die Erwartung, dass diese Beispielvisualisierungen auch auf lange Frist unterhalten und gepflegt werden wuerden. Und an den Orten, an denen sich niemand auf die aufwaendig bereitgestellten Daten stuerzte, war die Enttaeuschung gross. Denn wofuer macht man sich ueberhaupt den Aufwand?

Tbachner, Container Terminal Dortmund 12.01.2013, CC BY 3.0

Eigentlich seltsam, denn die Metapher ging ja eigentlich schon lange dahin, dass die Bereitstellung offener Daten so etwas wie ein automatisierter Containerhafen werden sollte – derweil die Daten immer noch wie haendisches Stueckgut aus den Fachverfahren und Excel-Listen herausgetragen werden.

Und da sind wir eigentlich am Kernproblem: An viel zu vielen Stellen wird haendisches oder maessig automatisiertes 3-Sterne-Open-Data immer noch als akzeptables Zwischenziel angesehen.

Wir erinnern uns aus dem Covid-Daten-Beispiel: Bis zu 3-Sterne-Daten kommen als CSV daher – ohne Informationen, was eigentlich in welcher Spalte steht und was das sein soll. Ist es ein Datum? Ein Strassenname? Die Zahl der Infizierten am gestrigen Tag? Wenn ich das auswerten will, muss ich das meinem Parser erst einmal haendisch pro Spalte beibringen. Und wenn das RKI die Reihenfolge der Spalten aendert, faellt der Parser auf die Nase.

Ich glaube, dass all das damit zusammenhaengt, dass in der Regel intern gar nicht die Voraussetzungen vorhanden sind, um mit diesen Daten in groesserem Umfang etwas anzufangen. Die Listen sind Datenbasis fuer (haendisch erstellte) Reports, (haendisch erstellte) Schaubilder, aber es sind weder die notwendigen Werkzeuge noch die notwendigen Infrastrukturen vorhanden, um schon verwaltungsintern Daten ueberhaupt strukturiert abzulegen und dann an anderer Stelle damit zu arbeiten – idealerweise mit dem Ziel eines Knowlege Graphs fuer 5-Sterne-Open-Data.

Und gerade weil die notwendige Voraussetzung fuer die Herstellung eines solchen Zustands eine hervorragende IT-Infrastruktur auf dem Stand der Technik ist, muessen wir die bisherigen Herangehensweisen weitgehend auf den Kopf stellen. Bisherige Beispielkataloge, was denn ueberhaupt als Open Data veroeffentlicht werden koennte, orientieren sich meist daran, was anderswo da war. Das waren aber eben entweder die beruechtigten “Low Hanging Fruits”, oder eben Datensaetze fuer die genannten Proofs of Concept. Das ist aber meist komplett losgeloest von einer internen Nutzung, die ueberhaupt erst die Motivation und den Anlass geben koennte, die dafuer notwendigen Strukturen aufzubauen. Idealerweise wuerde eine Strategie nicht damit beginnen, die hunderten Fachverfahren zu kartieren und wie man deren Daten per ETL herauskratzen kann. Sondern (mit einer klaren Strategie zu Linked Open Data im Kopf!) praktische Anwendungsfaelle zu finden, in denen Einheit A intern Daten braeuchte, die Einheit B bislang unstrukturiert ablegt oder auf Zuruf aufbereitet – und dann beginnt, Prozesse fuer die automatische Verdatung zu bauen. Inklusive des Aufbaus der notwendigen Kompetenzen und des Unterbaus, um das selber machen zu koennen oder zumindest den Weg dahin kompetent selbst zu bestimmen. Open Data darf kein Mehraufwand sein, sondern faellt quasi als Abfallprodukt aus besseren Prozessen heraus – wer etwas veraktet, produziert automatisch Linked Data, das bereits behoerdenintern nachgenutzt werden kann. Der Open-Teil ist dann „nur“ noch eine Frage dessen, was nach aussen veroeffentlicht werden soll.