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Der Antiberblingercontest

Vor 250 Jahren wurde Albrecht Ludwig Berblinger alias „der Schneider von Ulm“ geboren, und die Stadt nahm sich das zum Anlass, dieses Jahr eine richtig grosse Sause zu schmeissen.

Undatierter Kupferstich des Flugversuchs Berblingers an der Adlerbastei in Ulm. Stadtarchiv Ulm. Gemeinfrei.

Berblinger, kurz zusammengefasst, baute Anfang des 19. Jahrhunderts einen ersten Haengegleiter, mit dem er Flugversuche unternahm – also Jahrzehnte vor Otto Lilienthal. In den Weinbergen am Michelsberg funktionierte das offenbar relativ gut, und irgendwann bekam er die Aufmerksamkeit vom damaligen Koenig von Württemberg, der seine Versuche daraufhin finanzierte.
Als der Koenig in der Stadt weilte, sollte Berblinger dem Finanzier seinen Apparat vorfuehren, aber diesmal vom Ufer der Donau aus. Berblinger kannte zwar den Begriff Thermik wohl nicht, war sich aber offenbar unsicher ob der „Fliegekraft“ ueber dem kalten Fluss und der Abwinde an der Stadtmauer. Ob am Ende wirklich ein Polizeibuettel den zoegernden Berblinger fuer das ungeduldige Publikum von der Adlerbastion schubste oder nicht – Berblinger stuerzte steil in die Donau, wurde sozial ausgestossen, starb verarmt.

Die Stadt nahm sich fuer das Berblingerjahr vieles vor, und manchem davon begegnete ich auch ein paar mal in der Planung. Ein Part – alles ausgedacht vor Covid-19 – ist der Test Test Contest: Menschen sollen Ideen fuer „Innovation“ einreichen und sollen diese dann in der letzten Auswahlrunde einer Jury vorstellen und diese ueberzeugen und dann winken Preisgelder.

Kommt einem bekannt vor, das Konzept, nicht? Ich war nicht so furchtbar angetan davon – meine Meinung zu Innovationswettbewerben mit Preisen und Jurys duerfte bekannt sein. Ein besonders kratzender Miss-Ton war fuer mich vor allem der krasse Widerspruch zwischen der Moral oder Pointe oder Botschaft der Berblinger-Story und dem Hoehle-der-Loewen-Konzept.
Auf der einen Seite steht ein Erfinder, der seiner Zeit voraus war und verlacht und verarmt starb – weil er nicht die Zeit und den Raum bekam, seine Forschung weiterzutreiben und ausreichend gut zu verstehen. Sondern es sollte einen, hm, Pitch zu vorgegebener Zeit und nach den Bedingungen des Geldgebers geben, und das ging dann in die Hose oder die Donau. Und auf der anderen Seite gibt es dann einen Contest, der genau das typische Geldgeber-Pitch-Format umsetzt.

Naja. Ich hatte damals dieses schiefe Bild erwaehnt, aber ich hatte offen gestanden auch ueberhaupt keine bessere Idee, wie man das anders machen koennte. Der Contest ist mittlerweile vorbei, und heute hatte ich mit einem der Beteiligten gequatscht, der auch ein wenig kritisch war. Danach diskutierte ich weiter mit @gruenzeug drueber, passenderweise als wir den zum Aktionsjahr aufgebauten Berblingerturm hochstiegen. Und vielleicht auch, weil @joliyea gerade ein „richtiges“ Hackathon-Handbuch aus Sicht von Digitalem Ehrenamt und Verwaltung schreibt, an dem ich gerade ein wenig mitschreibe, machte es auf einmal Klick. Was ich gerne mal stattdessen haette: Ein Pitch oder wie auch immer man das nennt, wo spannende Ansaetze vorgestellt werden. Und es am Ende aber nicht darum geht, die einzelnen Projekte mit Geld und Ruhm zu bewerfen. Sondern die Projektgruppen sollen umreissen, was es als lokale Stadt- (oder gar Land-!)gesellschaft an gemeinsamer, niedrigschwellig zugaenglicher Infrastruktur braeuchte, um diese Idee voranzutreiben. Und die fachkundige Jury kann sich gerne noch weitere Aspekte ausdenken, die es als oeffentlich zugaenglichen Service geben soll.

looniverse, Berblinger-Turm 6, CC BY-SA 4.0

Ich bin mittlerweile lang genug in dem Geschaeft um zu wissen, dass 15.000 EUR an Einzelgruppen ausschuetten im Vergleich ultra einfach ist, und oeffentlich zugaengliche Infrastruktur bereitzustellen verdammt teuer und aufwaendig ist.
Aber manchmal braucht es halt einfach Ausdauer und langen Atem. Anstelle des metaphorischen ungeduldigen Polizeibuettels, der die Erfindung vor ihrer Zeit in die Donau stoesst. Und man stelle sich mal vor, was da alles bei rauskommen koennte. Wenn man nicht nur einzelne Projekte mit Geld bewirft (was abrechnungs- und steuertechnisch nicht selten eine Huerde und einen Ausschlussfaktor fuer sich darstellt) sondern wenn am Ende die gesamte Stadtgesellschaft mehr Zugang zu Dingen hat, mit denen sich Tolles, Spannendes und vielleicht auch einfach nur Schoenes schaffen laesst.

PS. Im Januar stiess ich auf diesen spannenden Bericht ueber die Donau-Ueberquerung per Heissluftballon durch Madame Bittorf. Die Madame – ueber die erstaunlich wenig bekannt zu sein scheint – schaffte im Berblinger-Donauabsturzjahr 1811, was der Schneider von Ulm nicht schaffte, naemlich einen Flug (okay, eine Fahrt) ueber die Donau, im Ballon.

Offene Daten für den Einzelhandel

Man kann eine ganze Reihe von Gruenden finden, warum man etwas im lokalen Einzelhandel und nicht online kauft. Weil man nicht dazu beitragen will, dass Menschen Robotergleich durch Versandzentren gescheucht werden, beispielsweise. Oder weil es um die Arbeitsbedingungen bei den Paketdiensten oft nicht besser ist. Oder weil man generell einen Wert darin sieht, vor Ort noch Ladengeschaefte zu haben – und die eben auch Umsatz brauchen, um zu ueberleben. Politischer Konsum, ganz klassisch.

In Ulm scheint man der Ansicht zu sein, den Einzelhandel vor allem durch Fahrspuren fuer Autos foerdern zu koennen. Weil, so die Logik, Leute ja staufrei mit dem KFZ in die Innenstadt fahren wollen, um dann zu konsumieren. Die angedachte Reduktion der Friedrich-Ebert-Strasse von vier auf zwei Fahrspuren wurde denn gleich als Untergang des Einzelhandels gebrandmarkt – egal was die verkehrsplanerische Vernunft sagt, denn das Braess-Paradoxon ist eben mal kontraintuitiv.

Aus Sicht einer, aeh, vielleicht mehr netz- als autoorientierten Generation laege die Loesung aber ganz woanders. Die Schmerzen bestehen fuer mich viel mehr darin, dass ich mich gar nicht damit beschaeftigen will, wo ich denn nun mein gewuenschtes Produkt im stationaeren Einzelhandel bekomme und wie ich da hinkomme. Je niedriger diese Schwelle ist, desto einfacher wird der Amazon-Verzicht. Eine Bierlaunenidee war da schnell gefunden:

Offene Daten ueber offene Schnittstellen aus dem Einzelhandel, dazu Soll-Fahrplandaten im GTFS-Format – damit waere das Feld bestellt, auf dem beliebige Browserplugins geschrieben werden koennten, um dem Ziel naeherzukommen.

Wie sich wenige Tage spaeter herausstellte, gibt es so etwas tatsaechlich schon:

Zugegeben, fuer den Buecher-Anwendungsfall ist die Angelegenheit etwas einfacher – jedes Buch laesst sich ja eindeutig ueber seine ISBN identifizieren, und quasi alle Bibliotheken haben irgendeine Form von OPAC, in den sich die ISBN fuettern laesst. Bei anderen Produkten ist das schwieriger aufzuloesen – und vor allem hat der Einzelhandel auch bislang seltenst ueberhaupt Schnittstellen fuer sein Inventar. Geschweige denn in standardisierter Form.

Langfristig waere aber genau das der richtige Ansatz: Offene, standardisierte Schnittstellen. Auf deren Basis dann jemand beispielsweise als Radkutschenkurier sein eigenes Geschaeft aufbauen kann, um entweder binnen einer Stunde die gewuenschte Ware aus dem Laden in der Stadt nach Hause liefert.

Das wird nicht gleich morgen entstehen, und es beraubt einen des befriedigenden Gefuehls der Geschaeftigkeit, das man beispielsweise beim Einrichten von Portalen hat (niemand braucht und/oder nutzt Portale). Geschaeftigkeit ist aber nicht Produktivitaet – und was ich fuer die nachhaltigere Loesung halte, duerfte klar sein, oder? 😉

Die Wiederbelebung des Ulmer Wikipedia-Treffens

Mit 15-Jahre-Wikipedia-Torte!

Mit 15-Jahre-Wikipedia-Torte!

Es scheint in Ulm haeufiger so zu sein, dass bei eingeschlafenen „Traditionen“ nur alle darauf warten, dass jemand™ den ersten Anstoss zur Wiederbelebung gibt. So gab’s hier zwar seit Jahren Wikipedianer*innen, die sich auch immer mal wieder trafen – nur war das letzte dieser Treffen mittlerweile fast vier Jahre her, und kein neues in Sicht.

So ausgestorben schien Ulm, dass ich zur Wiederbelebung meines eigenen kaum benutzten Uralt-Wikipedia-Accounts bei den (hervorragenden!) Treffen in Stuttgart mehr Chancen auf Austausch hatte, als in der Heimatstadt – das konnte natuerlich nicht so bleiben 😉

RudolfSimon als einer der extra von weit angereisten, samt Merchandise

RudolfSimon als einer der extra von weit angereisten, samt Merchandise

Und weil der Bedarf fuer einen neuerlichen Anlaufpunkt der Wikipedianer*innen aus der Region ganz offenkundig so gross war, wurde aus der Initiative von Maimaid fuer ein Treffen im Zunfthaus der Schiffleute sowas wie ein halbes Sueddeutschland-Treffen mit Gaesten aus Stuttgart und Muenchen – die auch gleich noch en passant das Muenster bestiegen und noch fehlende Bilder von Baudenkmaelern schossen.

Kudos und vielen Dank der Organisatorin und der Unterstuetzung aus Augsburg! Und das naechste Treffen wird eher binnen vier Monaten als in vier Jahren stattfinden 😀

Das Prinzip „Einfach mal machen“

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Frustrierend ist regelmaessig, wenn man ein Projekt anfaengt und dann Die Fallstricke™ kommen. Dritte Parteien, die erstmal umfaenglich irgendwas pruefen muessen, zum Beispiel. Und dann faellt die Akte hinter den Schreibtisch. Oder es gibt ein Verfahrenshindernis™. Oder irgendwas muss abgesprochen werden.

Motivierend ist, wenn man andere um sich hat, die sich davon nicht beirren lassen und sich, ihr Ziel fest im Blick, einfach durchboxen. Dazu gehoert Tom Philipp Schiller vom Team FahrRad der Stadt Ulm, der seitdem ich ihn in dieser Rolle kenne unbeirrt fuer das fast schon irrationale Ziel 20% Radverkehrsanteil bis 2020 kaempft. Und zu kaempfen haben seine Kollegin Sandra Clauss und er, werden ihnen doch regelmaessig die Mittel gekuerzt und dieselben unsinnigen Prozesse in den Weg geworfen, mit denen ich auch an der Uni zu kaempfen habe.

Ulmer Eigenkonstruktion: Der Rechtsabbiegepfeil fuer's Rad

Ulmer Eigenkonstruktion: Der Rechtsabbiegepfeil fuer’s Rad

Der Punkt ist aber: Wenn ich mit dem FahrRad-Team zu tun habe, passiert in kuerzester Zeit das ansonsten unmoeglich scheinende. Und so bin ich nur semiverwundert, dass der vielfach (meist vergeblich) geforderte „Gruenpfeil fuer (rechtsabbiegende) Radler*innen“ ausgerechnet in Ulm nun Realitaet geworden ist – als „Copy-and-Paste“-Loesung auch fuer andere Kommunen. An der Abzweigung Berblingerbrunnen auf die Neue Strasse gibt es so etwas schon seit einiger Zeit als Dauergruenlicht fuer die Radspur – und irgendwie typischerweise hatte Tom sich nun eine offenbar StVO-konforme Loesung als Schild ausgedacht, nachdem das anderswo als nicht machbar verworfen worden war. Kudos! 😀

Die volle Praesentation gibt es hier, aufmerksam geworden bin ich via itstartedwithafight

Strippen ziehen

Nach einigen Wechseln in der Belegung wohnen aktuell ueber 100 aus Syrien nach Deutschland gefluechtete Menschen in der provisorischen Unterkunft Keplerhalle, und seit zwei Monaten werden die dortigen Bewohner per Freifunk mit Internet versorgt. Leider jedoch mit nur einem einzigen Richtfunk-Uplink, der zudem immer wieder mal rummuckt.

Bildschirmfoto vom 2016-01-14 00:05:08

Um so cooler, dass sich am Wochenende eine weitere Studi-WG im direkten Umfeld der Halle gefunden hat, die seit Dienstag einen (nach einer vorbildhaften Ulmerin benannten) gespendeten Router bei sich beherbergt. Damit dessen Signal auch in der Keplerhalle empfangen werden kann, musste ich gestern nochmal 50 Meter LAN-Kabel in der Halle verlegen – wofuer ich binnen einer halben Minute 10 Helfer hatte, die gemeinsam die Kabelrolle entwirrten und per Raeuberleiter das Kabel durch die ehemaligen Basketballkorb-Halter faedelten.

Sitzt am suedlichen Hallenfenster und beleuchtet ausserdem die Tramhaltestelle: Kepler3-WR841ND. Man beachte den Billig-PoE-Injector.

Sitzt am suedlichen Hallenfenster, vernetzt ueber die Strasse zu ResiWeglein-WR841ND und beleuchtet ausserdem die Tramhaltestelle: Kepler3-WR841ND. Man beachte den Billig-PoE-Injector.

Nach anfaenglichem Schluckauf und Neuverlegung zweier Kabel ist die Halle nun redundant und mit doppelter Bandbreite ans Internet angeschlossen – leider jedoch immer noch mit nur maximal 20 Mbit/s, die sich die zwischen 50 und 70 eingeloggten Clients teilen muessen. Als interessanter Nebeneffekt ist nun auch die Haltestelle Justizgebaeude mit Freifunk versorgt – was ein zweischneidiges Schwert ist, da etwaige dort eingeloggte Clients ebenfalls zur Netzlast beitragen. Ich habe vom Freifunk-Unterstuetzungsverein das Go bekommen, mit besseren Antennen und ggf. staerkerer Hardware die Anbindung noch etwas robuster zu gestalten.

Redundanz. Deutlich sichtbar: Kepler1-WR841ND nimmt die meisten Clients auf.

Redundanz. Deutlich sichtbar: Kepler1-WR841ND nimmt die meisten Clients auf, und LAN-Kabel sorgen fuer Vernetzung im gruenen Bereich.

This is The Internet™

This is The Internet™

Ich moechte helfen

Prima! Wenn du – egal wo in Ulm und Umgebung – zum Freifunk-Netz beitragen moechtest, kontaktiere die Freifunk-Gruppe, oder mich direkt. Wenn du ein Cafe, einen Laden, sonst eine Einrichtung in und Ulm kennst, die fuer ihre Kund_innen freies Internet ueber Freifunk anbieten moechte, genauso. Und der Freifunk-Unterstuetzungsverein freut sich ueber jede Spende, die er bekommt.

Lessons learned

Mit der Verkabelung des dritten Routers ist das Netz in der Keplerhalle nun endlich so ausgelegt, wie wir das eigentlich von Anfang an vorhatten:

  • Die drei Router (841ND) sind per Mesh-on-LAN miteinander vernetzt und funken jeweils auf verschiedenen, nicht ueberlappenden Kanaelen (1, 6, 11). Somit verteilen sich die Geraete halbwegs auf die einzelnen Router
  • Nur der direkt ueber die Olgastrasse hinweg meshende Knoten ist mit aktiviertem Mesh-on-WLAN auf Kanal 1; den mit der Nanostation-Richtfunkstrecke verbundenen werde ich mittelfristig auch ins Halleninnere verlegen und Mesh-on-WLAN deaktivieren. Das sorgt fuer mehr Freifunk-Airtime.

Folgende Erkenntnisse koennten vielleicht fuer Nachahmer_innen interessant sein:

  • Stromversorgung kann ein Problem sein. Hinten in der Halle gibt es keine einzige funktionierende Steckdose, vorne sind sie rar. Dreifachsteckdosen und Billig-PoE-Injektoren (ca. 2–4 EUR pro Stueck) sind eure Freunde. Klappt bei den 841ND auch ueber ein 50-Meter-Kabel.
  • Unterschaetzt die Kabellaengen nicht. Das 50-Meter-Patchkabel war letztlich ziemlich exakt 5 Meter zu kurz, um es an der Hallenwand entlang bis ins Buero zu fuehren. Abhilfe schaffte etwas wilde, direkt gespannte Verkabelung von Basketballkorbhalter zu Gelaender. Kabel-Kabel-Kupplungen zum Aneinanderstueckeln sind problematisch, wenn PoE-Injektoren verwendet werden (fuehrte zu Reboot-Cycle)

Wilde, freie Verkabelung (Symbolbild)

Wilde, freie Verkabelung (Symbolbild)

  • Man kann selten genug Gaffa und/oder Kabelbinder haben
  • Vielleicht ist es kein Fehler, die Router einzuhausen oder die Kabel wahlweise mit Aufkleberchen zu versehen, wo sie hingehoeren, oder gleich festzutapen. Ich belege den Switch der 841ND in der Regel der Reihe nach so: LAN – Mesh – Mesh – Freifunk (letzteres zum Testen per Kabel). Wenn nun der Uplink ausfaellt und der per Kabel in die vermeintliche LAN-Buchse 2 anstelle des Uplinks gesteckt ist, verleitet das offenbar Leute dazu, den (Mesh-)Uplink in die WAN-Buchse zu stecken. Ich habe jetzt „einfach“ mal auch die WAN-Buchse mit Mesh belegt – was nichts dagegen half, dass jemand mit dem Ubiquiti-Poe-Injektor einen armen 841ND bebrutzelt hat…
  • Und, ultrawichtig: Testet euren geplanten Aufbau so gut und umfangreich es geht „trocken“ zuhause, und zwar in moeglichst allen Facetten. Tauschgeraete sind kein Fehler, um mal kurzzeitig Testkonfigurationen auszuprobieren, ohne gleich den einzigen Uplink lahmzulegen. Die Leute bauen auf euch.

Freifunk fuer Gefluechtete in Ulm

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Waehrend die Stadt nun nach langer Zeit endlich geschafft hat, fuer sage und schreibe 205.000 EUR Investitionskosten „freies“ WLAN an vier Punkte der Stadt zu bringen, waren viele Gefluechtete in den Ulmer Unterkuenften immer noch vom Internet abgeschnitten – Abhilfe schafften da bislang nur freie Hotspots bei diversen Schnellrestaurants und Freifunk-Knoten wie der am Muensterplatz.

Der sehr aktive Blaubeurer Teil der Ulmer Freifunk-Community hatte sich vor diesem Hintergrund wohl schon sehr frueh an die Geschichte mit Mohammed und dem Berg erinnert, und einfach umgekehrt Freifunk-Knoten in die dortige Unterkunft gebracht. Da die Kommunen offenbar keinen eigenen Internetanschluss fuer die Unterkuenfte stellen koennen, wurden kurzerhand nach Absprache mit  dem Landratsamt Freifunk-Router in die Unterkunft getragen, die von bis zu drei Funkstrecken von ausserhalb mit Internet versorgt werden.

In Ulm mahlten die Muehlen dagegen deutlich langsamer. Erst nach Intervention des Eskalationsbeauftragten in der Stadtverwaltung gab es gruenes Licht, ueberhaupt Router in den Gebaeuden einstecken zu duerfen – und dann ging alles ganz schnell.

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Nach einem Rundruf ueber die Ulmer Freifunk-Mailingliste fanden sich innerhalb kuerzester Zeit mehrere Leute, die bereit waren, substanzielle Summen an den Freifunk-Unterstuetzungsverein zu spenden, damit die notwendige Hardware beschafft werden konnte. Dezentral entstand eine Beschaffungsliste, und in der letzten Woche troepfelte nach und nach ein ganzer Haufen Material bei mir ein. Denn ich war der naechstgelegene Mensch aus der Community, der Sichtkontakt zur Unterkunft Keplerhalle hat – wenig mehr als 200 Meter sind es von unserem Dach bis zur Halle.

IMG_20151114_172804082Heavy Lifting fuer die Strecke uebernehmen zwei Ubiquity Nanostation M5, die aus den Spenden bestellt wurden, und als Wireless Bridge eingerichtet sind, d.h. sie verhalten sich quasi wie ein Netzwerkkabel. An meinem Ende haengt die Nanostation hingetuedelt professionell unter dem Dach; per LAN-Kabel und via PoE-Injektor ist sie dann an einen auf Meshing konfigurierten LAN-Port meines etwas schwachbruestigen (841N) Freifunk-Routers angeschlossen.

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Hallenseitig hatten wir uns erst Konstrukte mit Mast auf Flachdach und Kabeldurchfuehrungen durch Fensterrahmen ausgedacht. War alles aber gar nicht noetig – die Nanostation hatte schon Funkkontakt, wenn ich sie nur halbwegs hinter dem Fenster in Richtung meines Hauses ausgerichtet hatte. Also kam der Mast gestern abend kurzerhand einfach auf das Fensterbrett – reicht.

IMG_20151114_172719760Von der Nanostation geht dann das ganze 1:1 umgekehrt wie bei mir daheim: LAN-Kabel per Mesh-on-Lan in den Router „Kepler1“, und weil gestern abend kein passendes Kabelmaterial fuer Hallenverkabelung da war, steht „Kepler2“ einfach innerhalb der Halle und vermesht sich per WLAN. „Kepler3“ sollte eigentlich noch an das andere Hallenende, der Zugang zum passende Ort ist aber momentan etwas abenteuerlich.

Was prima ging

  • Richtfunk per Nanostation ist ein Traum. Kein Vergleich zu Konstruktionen mit Consumer-Plasteroutern
  • Als das Gruenlicht erstmal von der Stadt gekommen war, war alles kein Problem mehr. Die Sicherheitsleute in der Unterkunft waren gerne bei allem dabei, was wir machen wollten – sicher nicht ganz uneigennuetzig 😉
  • noch viel beeindruckender: Wie zwar teilweise chaotisch, aber schnell und selbstlos alle moeglichen Leute dezentral zusammengearbeitet haben, um das Material auszusuchen, zu finanzieren und zu bestellen!

Was noch besser geht

  • Momentan laeuft alles ueber unseren WG-Internetanschluss, der nicht der allerschnellste ist. Weitere Versorgungspunkte in der Umgebung bedeuten mehr Ausfallsicherheit
  • Der gesamte Traffic laeuft ausserdem ueber den einen, schwachen Plasterouter, der gar nicht mehr hinterherkommt, die Verbindungen zu verschluesseln. Das limitiert die maximale Datenrate auf etwa 3 Mbit/s
  • die Router in der Halle wuerde ich gerne noch per Mesh-on-LAN untereinander verkabeln, um das Netz zu stabilisieren und mehr Durchsatz zu ermoeglichen
  • Wenn die offenporigen Dachpfannen nass sind, geht die Verbindungsqualitaet runter. Dank der Nanostations ist das aber ein Luxusproblem, das heisst dann 10 Mbit/s statt 100 😉
  • Ab und zu bricht die Verbindung zur Halle aber auch einfach mal weg. Mein Router gibt an, noch einen lokalen Nachbarn zu haben, aber auf der Karte ist nichts zu sehen, und es laeuft auch kein Traffic mehr durchs Netz. Ursache ist unklar.

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Nicht zuletzt wuerde ich auch gerne die Unterkunft in der Roemerstrasse wieder ans Netz bekommen. Dem dort wohnenden Vorsitzenden des „Menschlichkeit“-Vereins hatte ich schon vor einigen Wochen zwei Freifunk-Router vorbeigebracht – dann lief aber sein Internetvertrag aus, und seither sitzen die Leute dort wieder auf dem Trockenen. Sollte die Unterkunftsleitung mitmachen und wir noch einmal Spenden an den Verein zusammenbekommen, koennte aber Nitek eventuell eine Richtfunkstrecke aufbauen – vom Eselsberg auf den Kuhberg, ueber 3,7 Kilometer ueber das Blautal hinweg 😀

OSM-Routing führt zur Mate

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Bislang waren Ausfluege zum Mate-Dealer fuer mich hier immer was, das man mit nem Auto macht. Schliesslich ist der Mate-Dealer im Industriegebiet NU-Offenhausen, was selbst fuer Neu-Ulm am Arsch der Welt ist.

Das hier schon beschriebene OSM-Fahrradrouting hat aber ne Strecke in petto, die auch ganz gut fahrradgeeignet ist. Die angegebene Viertelstunde je Richtung klappt mit vollem Haenger eher nicht, aber trotzdem.

Im Uebrigen soll angemerkt werden, dass die Radverkehrsfuehrung in Neu-Ulm zum Kotzen ist.

 

Randnotiz: Ja, es gibt „den“ Matedealer. Also den einzigen. Laut Matekarte gibt’s das zwar auch im Marktkauf Soeflingen und dem Oststadt-REWE, zu ersterem isses aber auch ne halbe Weltreise, und in letzterem hab ich die nie gesehen. Goebel in Neu-Ulm fuehrt das Zeug seit @hey_johnnypark die Belegschaft dort 2011 so lange geloechert hat, bis sie’s mal testweise bestellt hatten. Der Erfolg blieb nicht aus.

 

„Freude und Wut“ – Stolpersteine fuer Ulm

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Mehr als 70 Jahre hat es gedauert, bis in Ulm der waehrend der NS-Regierung deportierten und ermordeten Buerger_innen im Strassenbild sichtbar gedacht werden konnte.

Lange wurde von der Initiative Stolpersteine fuer Ulm fuer die Anbringung der „Stolpersteine“ von Gunter Demnig vor den ehemaligen Wohnhaeusern der frueheren Ulmer_innen gerungen – heute wurden die ersten 15 verlegt.

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Kudos fuer die Aufbereitung auf der Website und in der Broschuere, um die Erinnerung an die Vertriebenen und Ermordeten ergaenzend zu den Steinen lebendig zu halten.

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Kudos auch dafuer, dass die Verlegung zusammen mit ueberlebenden Angehoerigen vorgenommen wurde. Ein Schauer laeuft den Ruecken hinab, wenn die betagte Enkelin des Ehepaars Hecht vor dem frisch verlegten Mahnmal vor der Neutorapotheke steht, und nach einem „Grossvatter! Grossmutter! Hier ist eure kleine Anneliese!“ davon spricht, gleichzeitig Freude zu empfinden, endlich einen Ort zu haben, an dem sie der beiden (in Theresienstadt quasi verhungerten) gedenken kann – aber auch Wut: „Was haben die beiden denn getan?“.

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Das resoniert auf seltsame Weise. Ich freue mich, dass das Stadtbild nun nicht mehr nur von Denkmaelern an gefallene Soldaten oder die zivilen Opfer des Bombenkriegs gepraegt wird. Dass das aber 70 Jahre brauchte, ist kaum ertraeglich.

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Noch mehr Facebook-Rassismus

Nicht nur bei der oertlichen Zeitung, auch beim offiziellen Facebook-Account der Stadt Ulm kann man gewisse Themen offenbar nicht anschneiden, ohne dass der braune buergerlich-mittige Mob loslegt.

hindenburg

Die Ueberlegung, dort eine Unterkunft fuer Gefluechtete einzurichten, war nicht ganz neu – als die aber in den Kommentaren auftauchte, ging’s erst einmal rund.

jehova

 

Wie man an den zerhackt wirkenden Folgekommentaren sieht, hatte die Stadt zwischenzeitlich ordentlich aufgeraeumt, d.h. sowas hier ist das, was nach der Kommentarbereinigung uebrig blieb:

durchbringenlassen von_deneressentiments

Kollege Andy hatte interessehalber einfach mal zufaellig auf irgendein Hass-Kommentar-Profil geklickt:

Holy Shit, hab in der Diskussion mal Wahllos ein Profil angeklickt und runtergescrollt………
https://www.facebook.com/video.php?v=10202471008606639&set=vb.1537272794&type=2&theater

Das ist zwar wohl nicht der Kommentator selbst, aber trifft recht genau die Stimmung, die dort unter dem Stadt-Posting herrschte.

Ich bin gespannt, wie die Stadt damit weiter umgeht.