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Paper des Tages: “Those edibles hit hard”

Sowas schlaegt mir Google Scholar in den persoenlichen Empfehlungen vor: “Those edibles hit hard”: Exploration of Twitter data on cannabis edibles in the U.S – Drug & Alcohol Dependence

Inhaltlich ist das zwar eher fad, aber vielleicht kann ich damit endlich auch Teil des uulm-hilarious-paper-review-club werden

 

Finkbeiner test

Dieser Tage von @johl in die Timeline gebracht: Der Finkbeiner-Test.

Hat nix mit dem Ulmer Getraenkemarkt zu tun, sondern kann analog zum Bechdel-Test verstanden werden, wie journalistisch mit einer Wissenschaftlerin (im Gegensatz zu einem Wissenschaftler) umgegangen wird:

To pass the test, an article about a female scientist must not mention:

  • The fact that she’s a woman
  • Her husband’s job
  • Her child care arrangements
  • How she nurtures her underlings
  • How she was taken aback by the competitiveness in her field
  • How she’s such a role model for other women
  • How she’s the „first woman to…“

Papierumfragen mit Optical Mark Recognition

Heutzutage kann man zwar beinahe alles auch per Onlineumfrage erfassen — manchmal moechte oder muss man aber vielleicht auch einmal einen klassischen Papierfragebogen erstellen und ausfuellen lassen. Damit das gerade bei umfangreicheren Umfragen nicht zur Erfassungsorgie wird, gibt es Optical Mark Recognition — kennt man vielleicht von der Vorlesungsevaluation; die uulm verwendet dafuer EvaSys. Dabei werden die Kreuzchen per Scanner ausgewertet und in maschinell lesbare Formate ueberfuehrt.

Wie ich zufaellig ueber Twitter mitbekommen habe, muss man sich dafuer gluecklicherweise keine teure Evaluationsloesung kaufen, sondern kann das auch per freier Software machen. SDAPS heisst das, schlaegt mit knapp einem GiB Speicherplatz zu Buche (inklusive TeX-Paketen, Python und Co) und produziert per Scan auswertbare Frageboegen, die genauso aussehen wie die von EvaSys, aber aus LaTeX kommen.

sdaps

Eine kurze Einfuehrung samt Installationsanleitung gibt es bei Helge Eichelberg, der das fuer etwas komplexere Wahlverfahren bei den Berliner Piraten umgesetzt hat; Beispiel-LaTeX-Vorlagen gibts in der SDAPS-Doku.

//2013-10-23: Linkfix.

Overly honest methods

Das momentan schoenste Twitter-Mem: #overlyhonestmethods — wie Forschung wirklich aussieht. Kuratierte Sammlungen gibt es hier und hier, derweil hier einige Lieblingszitate:

Paperfunde: Wahlbetrug und Bill Clintons Zigarre

Die zwei Fundstuecke des Tages:

Klimek, Yegorov, Hanel & Turner: Statistical detection of systematic election irregularities

Wer sich mit Wahlmanipulationen wie Gerrymandering nicht zufrieden gibt, greift zu „haerteren“ Wahlfaelschungstechniken — aber wie deckt man diese auf? Klimek et al streifen kurz den (umstrittenen) Ansatz ueber Benford’s Law, bevor sie ein eigenes Modell vorstellen; zur Visualisierung eines „Fingerabdrucks“ werden Wahlbeteiligung und Wahlergebnis der Siegerpartei in ein 2D-Diagramm abgetragen. Man beachte die deutlichen Aussreisser bei der 100%/100%-Marke der Wahlen in Russland und Uganda…

Wer sich ueber den Fingerprint der Kanadischen Wahlen wundert: Quebec vs. anglophones Restkanada 🙂

(via fasel)

Zeitliche Zufaelle sorgten dafuer, dass plomlompom ein Paper fand, das ich vor kurzem gerne schon gekannt haette und sich mit der Frage beschaeftigt, was eigentlich als „Sex“ durchgeht. Verdacht: Clinton ist schuld daran! Tatsaechlich eher: Unsere Sprache ist viel zu unpraezise.

Hans, Gillen & Akande: Sex Redefined: The Reclassification of Oral-Genital Contact.

Professionals themselves use these terms inconsistently. For example, in some contexts, abstinence encompasses any and all sexual activity with oneself or others, but in others, it refers to a
more limited scope of behaviors, such as those that carrya risk of STD or may result in conception. Perhaps most infamously, President Bill Clinton played on the ambiguity concerning what behaviors constitute sex by emphatically stating at a White House press conference in January 1998 that he “did not have sexual relations” with a White House intern. Some considered this statement misleading when it later became known that oral-genital contact had occurred, yet many Americans shared the interpretation that President Clinton relied on

Die befragten Studierenden an der UKY teilten diese Ansicht offenbar auch: Nur 20,1% (m) bzw. 19,8% (w) der ProbandInnen wuerden Oral-Genital-Kontakt als „Sex“ bezeichnen — immerhin mehr als bei intensivem Kuessen (8,1%/4,9%), aber deutlich weniger als bei penil-analem (79,9%/77,7%) oder vaginal-analem Geschlechtsverkehr (96,0%/98,2%).

Ich haette gerne DesignerInnen, die einem per Baukasten ein menschliches Aequivalent zu Aircraft Safety Cards zusammenklicken lassen. Da darfs dann auch eine spezielle Karte fuer Sex geben, auf der besondere Eigenschaften des Modells verzeichnet sind, das einem gegenuebersteht. Problem geloest! \o/

Wenn Manfred Spitzer Studien zitiert

Eine kleine Ergaenzung zum Artikel von neulich ueber Manfred Spitzer und seine populaerwissenschaftlichen Haudraufaussagen Medienauftritte: Beat Doebeli reagiert auf Spitzers ZDF-Auftritt und zerlegt muehelos en passant eine seiner aktuellen Kernthesen.

Fazit:

Spitzers Vorgehensweise ist in keinster Art und Weise hilfreich zur Lösung der tatsächlich vorhandenen Herausforderungen im Zusammenhang mit Computer und Internet in Schule und Gesellschaft.

Als Wissenschafter stört mich zudem,dass er sich dauernd auf seine Wissenschaftlichkeit beruft, aber gleichzeitig sehr schludrig und unwissenschaftlich vorgeht. Das schadet auch dem Ansehen der Wissenschaft.

Addendum // Die Zerpflueckung geht weiter. Guido Brombach stellt passende Gegenstudien vor. Besonders schoen: Die Lesekompetenz steigt „trotz“ (oder wegen?) der Nutzung digitaler Medien. Das Argument, dass die „Auslagerung von Wissen“ spaetestens mit dem Buchdruck begonnen hat, gefaellt mir auch.

Populistenhirnforscher

Manfred Spitzer ist Hirnforscher an der uuulm und bekannt fuer seine steilen Thesen insbesondere was die Nutzung „neuer“ Medien auf die geistige Entwicklung angeht. Die verpackt er gerne in populaerwissenschaftliche Buecher, wobei die Betonung hierbei eher in Richtung „populaer“ als „wissenschaftlich“ geht.

Ich finde das aergerlich, weil er mit seinen Buechern und Fernsehauftritten erstens seinen Namen herumtraegt (Hallo Funding!) und auch die oeffentliche Debatte mitpraegt — allem Anschein nach wissend, dass seine dortigen Argumentationen verkuerzt und einseitig sind und das billigt. Ich haette gerne einmal eine ordentliche wissenschaftliche Literaturkritik seiner Buecher gehabt, die diese Argumentationsspruenge bewertet. Martin Lindner hat einen ersten Schritt dahin getan und auf G+ veroeffentlicht.

Science: Jetzt mit Puder

Dies ist das offizielle Video der EU-Kampagne „Science: It’s a Girl Thing!“.

Wer sich mit wissenschaftlichen Publikationen um das Thema Gender vor allem in Bezug auf die MINT/STEM-Faecher beschaeftigt (die hier offenkundig eine Rolle spielen sollen), koennte beispielsweise ueber D.E. Betz and D. Sekaquaptewa: “My Fair Physicist? Feminine Math and Science Role Models Demotivate Young Girls” (in: Social Psychology and Personality Science, 4/2012) stolpern. Das Paper ist ausserhalb von Unis mit sauteurem Sagepub-Abo leider nur gegen Kohle verfuegbar, wer’s lesen will… klopfe mal. Auszug aus dem Abstract:

Women in science, technology, engineering, and mathematics (STEM) are labeled unfeminine, a costly social label that may discourage female students from pursuing these fields. Challenges to this stereotype include feminine STEM role models, but their counterstereotypic-yet-feminine success may actually be demotivating, particularly to young girls. Study 1 showed that feminine STEM role models reduced middle school girls’ current math interest, self-rated ability, and success expectations relative to gender-neutral STEM role models and depressed future plans to study math among STEM-disidentified girls. These results did not extend to feminine role models displaying general (not STEM-specific) school success, indicating that feminine cues were not driving negative outcomes. Study 2 suggested that feminine STEM role models’ combination of femininity and success seemed particularly unattainable to STEM-disidentified girls. The results call for a better understanding of feminine STEM figures aimed at motivating young girls.

Weiter:

Feminine STEM role models were least motivating to girls who
already disliked STEM. In Study 2, these girls saw feminine
STEM role models’ success as especially unlikely, perhaps
because they already saw STEM as an unlikely pursuit (Oyser-
man & Fryberg, 2006). Rather than opening these girls’ minds
to new possibilities, the feminine STEM role model seemed to
shut them further. This result echoes stereotype threat’s ability
to make people prefer the safe and known over the risky and
unknown, whether by inducing prevention focus (Seibt & For-
ster, 2004) or inhibiting new problem-solving strategies (Carr
& Steele, 2009).

Wer hier ueber „Stereotype Threat“ gestolpert ist: Hier wird davon ausgegangen, dass Menschen ein Bedrohungsgefuehl verspueren, wenn sie befuerchten muessen, auf Basis negativer Vorurteilen bewertet zu werden oder glauben, durch ihr eigenes Verhalten ein negatives Vorurteil ueber eine (ihre) Gruppe zu bestaetigen, ohne das zu wollen. Fuer die uulm-Studierenden: Die Arbeitsgruppe Keller hat das als Forschungsschwerpunkt. Auf reducingstereotypethreat.org wird das Thema beleuchtet und Gegenstrategien vorgestellt.

Die Frage ist nun, wie mit diesem Problem umgegangen wird. Die Informatik verliert Jahr fuer Jahr faehige, begabte Menschen (und zwar nicht nur weiblichen Geschlechts) von vorneherein, weil das anhaftende Bild des sozial unfaehigen Nerds immer noch unseren Eindruck von ihr praegt. Resultat: Eine selbsterfuellende Prophezeiung (vgl hierzu auch Cheryan, Plaut, Davies & Steele, 2009: “Ambient Belonging: How Stereotypical Cues Impact Gender Participation in Computer Science”). Und wenn Frauen sich weniger fuer MINT interessieren, wenn zuvor Ziele wie Attraktivitaet und Begehrtheit Maennern gegenueber aktiviert wurden (siehe auch), dann gibt das schon zu denken.

Jedenfalls sollte es zu mehr Nachdenken fuehren, bevor man Puder, Lippenstift und High Heels als Werbebotschaft fuer mehr Frauen in der Wissenschaft ins Feld ziehen laesst. Die Kommentare sprechen gluecklicherweise fuer sich.

(Dieser Beitrag zitiert wissenschaftliche Arbeiten, erhebt aber selbst nicht einmal annaehernd einen Anspruch von Wissenschaftlichkeit. Er ist vielmehr entsetzt schnell zusammengekloeppelt worden.)

Mathematische Modelle zu Impfgegnerschaft

Auf Twitter bin ich auf eine Simulation von Colin Jenkins gestossen, der anhand animierter Kaestchen die Verbreitung von Krankheiten mit einem SIR-Modell zeigt und wie die konsequente Impfung weiter Teile der Bevoelkerung zu einer Herdenimmunitaet fuehrt: Im Falle eines Epidemieausbruchs werden auch die nicht immunisierten Teile der Bevoelkerung geschuetzt, da durch die weitgehende Immunisierung die Verbreitung der Krankheit deutlich erschwert wird.

Wenn man sich durch die verschiedenen Szenarien klickt, wird graphisch sehr schnell deutlich, dass das nur bis zu einer gewissen Grenze an Nicht-geimpften ueberhaupt funktioniert — und dass es somit durchaus ethische Konsequenzen haben kann, sich nicht etwa aus Alters- oder Gesundheitsgruenden (noch) nicht immunisieren lassen zu haben (z.B. kurz nach der Geburt oder bei generell schwachem Immunsystem), sondern aus ideologischer Impfverweigerung. In dem Fall bricht naemlich ab einem gewissen Punkt die komplette Herdenimmunitaet zusammen.

Anhand des Modells ist das sehr schoen anzusehen, und damit das auch im persoenlichen Bekanntenkreis verbreitet werden kann, habe ich Colin angefragt, ob ich ihm die Simulation auf Deutsch uebersetzen darf — durfte ich, hier ist sie. Geht und verbreitet die Kunde — und uebersetzt sie vielleicht auch in eine andere Sprache 🙂

NB: Ich habe mich ein wenig in das SIR-Modell eingelesen, bin aber kein Infektionsbiologe. Falls jemand inhaltliche Maengel findet, moege er sich bitte an Colin oder mich wenden, damit wir das schnell fixen koennen.

2013-05: Endlich kaputte Links gefixt.

Teddybaeren fuer sozial ausgeschlossene

Das Paper des Tages kommt von der National University of Singapore und vereint social awkwardness mit Teddybaeren. Eine Zusammenfassung gibt es beim BPS Research Digest:

Across two studies Kenneth Tai and his colleagues prompted some of their participants to feel socially excluded, either by giving them false feedback on a personality questionnaire („You’re the type who will end up alone later in life“) or by contriving an uncomfortable situation in a group task with other participants („I hate to tell you this, but no one chose you as someone they wanted to work with“). Other participants were given more heartening feedback (e.g. lots of people chose you to be in their group) and acted as a comparison.

Next, all the participants had to rate a „consumer product“ – a 80cm, furry teddy bear. Some of the participants were given the teddy bear to hold; others evaluated him from a distance.

The researchers were interested in how being socially excluded would influence the participants‘ willingness to volunteer for more experiments in the future, and their willingness to share money with another person in an economic game (both taken to be signs of pro-social behaviour). And most of all, the researchers wanted to know if touching a teddy first would make any difference to these behaviours.

It did. Socially excluded participants who had the chance to touch the teddy bear were more likely to volunteer for future experiments and they shared money more generously with another participant. By contrast, touching the teddy made no difference to the behaviour of participants who weren’t socially excluded.

Den Schluss mit dem sozialeren Verhalten ziehe ich zwar zumindest bei der Geldleihfrage nicht (und wenn ich das Paper richtig verstanden habe, ist der Unterschied auch den Autor*innen nicht signifikant genug), aber interessant finde ich das allemal — und die Discussion und Future Research im Paper werfen weitere interessante Fragen auf.

(PS: Wer sich fragt, was wohl die armen Teufel mit sich machten, nachdem man ihnen erzaehlte, dass keiner sie mag: „Given the nature of the exclusion manipulation, participants were thoroughly debriefed before being dismissed.“

Och.)

Tai, Zheng & Narayanan: „Touching a Teddy Bear Mitigates Negative Effects of Social Exclusion to Increase Prosocial Behavior“. In: „Social Psychological and Personality Science“, November 2011, 2 (6)

via Athanasios Mazarakis (@warfair)/ @michele_birtel