(titelbild: Korrupt, Chaos-communication-camp-2023-lichtinstallation, CC BY-SA 4.0)
Gestern mittag ging fuer mich nach 10 Tagen auf dem Acker das Chaos Communication Camp 2023 vorbei. Am Samstag wollte ich noch gar nicht, dass dieser utopische Eskapismus aufhoert, denn es gibt ja so viel zu sehen, und ich erinnere mich noch, wie traurig ich 2015 und 2019 war, als es vorbei war. Nach zwei Tagen Abbau war ich dann aber doch wieder ganz froh, nicht jeden Abend eine dicke Staubschicht abzuwaschen đ
Und weil mir irgendwann beim Durchscrollen des Hashtags auf Mastodon auffiel, dass ich quasi nur einen Blogpost zum Camp fand, dachte ich, ich fass mir mal an die eigene Nase und schreib meine Erfahrungen auf. So wie frueher.
Erkenntnis 1: Ich habe das gebraucht. Und wie ich das gebraucht hatte. Die GPN 2022 war ansonsten die einzige Chaosveranstaltung, die ich seit Pandemiebeginn vollstĂ€ndig besucht hatte, und die tat schon gut. Aber als ich an Tag -2 ankam und ueber das Gelaende ging, war das so ein seltsam-nostalgisches Gefuehl, an einen vertrauten Ort zu kommen (ich versuche das Wort âzuhauseâ zu vermeiden, obwohl es das erste Wort war, das mir bei der Ankunft in den Sinn kam), dass es mich zeitweise wirklich ueberwaeltigt hat. Ich habe Menschen teilweise zum ersten Mal seit 2019 wiedergetroffen. Es gab so viele Installationen, die Spieltrieb und Schoenheit vereint haben. Und da sind wir noch nicht einmal bei den vielen Gespraechen, Beitraegen und zufaelligen Begegnungen, die zum intensiven Denken anregen, wie wir unsere Welt umgestalten koennen.
Vielen anderen ging das ihren Beschreibungen nach auch so. Eine gewisse Rueckkehr zur Normalitaet. Und gleichzeitig merkte man den ganzen Strukturen, die so ein Camp ueberhaupt erst ermoeglichen, an, dass es seit dem letzten Camp genau einen â vorpandemischen â Congress gab, bei dem die Teams sich einspielen, abstimmen, weiterentwickeln konnten. Vieles hakelte immer wieder, und vor allem bei den spaeteren Veranstaltungstagen funktionierten manche Dinge nicht mehr so gut. Am letzten Abend traf ich eine improvisierte Absperrung bei den Toiletten und jemandem aus einem zentralen Team an, und wir machten eine improvisierte Baendchenkontrollschicht an der Toilette, waehrend ich mir die Lage erklaeren liess. Insbesondere bei den spaeteren Tagen war es offenbar schwer, ueberhaupt noch Engel fuer manche Schichten zu finden. An manchen Stellen sah es zudem so aus, als rumple es bei der Koordination etwas. Die eine Stelle wusste nicht, was die andere machte, manches ging per Stille-Post-Prinzip verloren, und ich muss ehrlich zugeben, ich hatte eine gewisse Faszination bei der Beobachtung, dass es teilweise so aussah, als seien quasi-buerokratische Dienstwege nachgebildet worden, ohne z.B. das Prinzip der Fayolschen Bruecke einbezogen zu haben. Diese Bruecke sei aber anderenorts wieder eingezogen worden, indem sich Engel untereinander quasi-syndikalistisch selber organisiert und Dinge optimiert haetten. Eigentlich ja so, wie man das haben wollen wuerde. Und waehrend wir da sassen, gab es mehrere Versuche, die Absperrung beim Klo wieder zu errichten, weil irgendwerhatgesagt, etc pp.
Das ist gar kein Vorwurf, nur eine Beobachtung. Der sich auch die Beobachtung anschliesst, dass ich mehrmals von Leuten erzaehlt bekam, dass sie dieses Mal einfach nur das Camp erleben wollen wuerden. Was auch bei jeder einzelnen Person voll nachvollziehbar und auch begruendbar war: Die hatten sich ja alle bereits bei vielen solchen Veranstaltungen eingebracht und richtig umfangreich Dinge gewuppt â kann man ihnen nicht uebelnehmen, dass sich dieses Mal ausnahmsweise nicht mehr in dem Umfang einbringen. In der Summe hiess das halt, dass die eingerosteten Ablaeufe jetzt mit dem Wegfall erfahrener Leute kombiniert wurden, und da waren wir nun.
Ich muss mich da offen gestanden auch an die eigene Nase fassen. Offiziell habe ich auch nur zwei Stunden geengelt und lebenden Leitkegel gespielt â die restliche Zeit ging fuer die Organisation des Village drauf, wo ich aehnliche Effekte mit der Umverteilung der anstehenden Arbeit beobachtete. Ich habe keine Feldkabel gezogen, war nicht Teil des A-Teams, und entgegen meiner grossmaeuligen Ankuendigungen konnte ich auch nicht (viel) im LOC aushelfen, weil das Village zu viel Zeit gefressen hat. Meine grosse Hoffnung ist, dass das jetzt ein einmaliger Effekt nach ⊠*gestikuliert umfassend* ⊠war und sich das zu den folgenden grossen Events wieder einpendelt.
Vielleicht hat das tatsaechlich auch mit der sonst so viel beschworenen Dezentralisierung zu tun. Noch so ne Erkenntnis: Twitter/X ist fuer mich jetzt durch. Das war ein schleichender Prozess seit der Uebernahme durch Elmo. Die Dark-Timeline ist seit Sommer 2022 eh langsam eingeschlafen, die Uebernahme durch den Emerald Idiot hat das beschleunigt, und in den letzten Monaten hatte ich immer weniger Lust auf Twitter. Mastodon fuehlt sich an vielen Stellen immer noch rumpelig an, aber weil Xitter so seltsam wurde, habe ich dort nun spaetestens auf dem Camp aufgehoert, haendisch crosszuposten und ich habe auch den Hashtag dort kaum verfolgt. Andererseits heisst das auch, dass die gemeinsame Infoquelle fuer vieles rund ums Camp nun weggefallen war â die zum Beispiel ueber fehlende Engelschichten informiert haette. Und viele, die ich kenne, haben sich eh wegen *gestikuliert nochmals allumfassend* von Social Media insgesamt verabschiedet, sind nun also auch nicht auf Masto. Dazu kam die Dezentralisierung beim Camp selbst. Keine so richtig zentralen Zirkuszelte mehr fuer das âoffizielleâ Programm, viele Villages, die Programm betreiben, Rumpelbuehnen are real. Was aber auch heisst: Wenn zu viel der Energie in die dezentralen Villages laeuft (und die auch die Probleme haben, noch die noetigen Ressourcen aufzubringen), hakt’s bei den zentralen Diensten. Aus Alien-Observer-Perspektive auch wieder spannend.
Letzte Erkenntnis : Ich hatte 2019 gar nicht uebers Camp geschrieben. Derweil wir mal eben nebenbei einen Proof of Concept fuer ein community-basiertes, Freie-Software-basiertes Bikesharing dort ausgerollt und praktisch getestet hatten (hier weiter unten beschrieben) und dort unzaehliges Feedback und vor allem viele direkte Beitraege der vielen neugierigen Menschen einsammeln konnten. Im Nachhinein ziemlich klar: Ich steckte im Sommer 2019 bereits psychisch ziemlich in der Scheisse, ausgeloest durch Ziel- und Wertekonflikte und unmittelbarer Fuehrungskultur beim damaligen Broetchengeber. Wahrhaben wollte ich das damals wohl noch nicht so recht. Zeit, wieder mit diesem Blogging anzufangen. Die Energie vom Camp kommt da nur recht. Und ich ueberlege mir schon einmal, wo und wie ich zu weiteren solchen Veranstaltungen beitragen kann.
Weil, ja, ich habe das gebraucht. Und ich hatte den Eindruck, viele andere auch. Der Vorwurf von 2015 von der angeblichen Gentrifizierung der Hacker*innenszene ist immer noch diskutierenswert. Ich sehe den Ausweg aber nicht darin, sich stattdessen den Strukturen anzubiedern, die derzeit im groesseren System die Macht zu haben. Korrupt schreibt, er habe die Stimmung insgesamt als ein wenig zorniger empfunden. Das kann ein guter Anfang sein.