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Verschwörhaus auf Wish bestellt

Dieser Tage fragte mich wieder mal jemand, wann eigentlich das „staedtische Verschwoerhaus“ nun offen sei – weil das naemlich gar nicht so einfach herauszubekommen ist. Wir erinnern uns: Die Ehrenamtscommunity, aus deren Mitte die Idee fuer so einen durch die Kommune angeschobenen Make- und Hackspace kam, wurde im Sommer 2022 aufgrund diverser Kleingeistigkeiten von der Stadt aus den von ihnen aufgebauten Raeumen geworfen. Die Stadt hat der Community dann auch den von ihnen ausgedachten Namen weggeklagt und sich 2023 auch noch der von den Aktiven registrieten Domains bemaechtigt, die eigentlich vom Urteil gar nicht betroffen war, wo der staedtische Anwalt (und CDU-Fraktionsvorsitzende) aber die Moeglichkeit einer persoenlichen Haftbarkeit des Vorstands ueber 250.000 EUR sehr wirkungsvoll gespielt hat.

Offenes Haus, aber nur fuer geladene Gaeste: Diverse Leute, die jahrelang zum Inhalt der alten Raeume beigetragen hatten, wurden von der Eroeffnungsfeier wieder ausgeladen. Bei der Feier sorgte offenbar ein Sicherheitsdienst an der Tuer dafuer, dass nur geladene Gaeste reinkamen (Originaltweet)

Die Stadt hat nun zwar seit irgendwann im September 2023 die Domain verschwoerhaus.de und hatte auch im selben Monat mit viel Brimborium (nur fuer geladenes Publikum, mit Sicherheitsdienst an der Tuere) die Raeume wieder eroeffnet. Waehrend die aus Ulm vertriebene Community binnen vier Monaten von Mai bis September 2023 einen neuen Space gemeinsam mit dem Haus der Nachhaltigkeit im angrenzenden Neu-Ulm eingerichtet hat, wo seit der Eroeffnung bis Silvester 42(!) oeffentliche Veranstaltungen stattfanden und auch alle Welt auf der Website sehen kann, wann welche Termine stattfinden und auch von unterwegs schnell pruefen kann, ob die Tuere offen ist – fand man auf der Website des staedtischen „Verschwoerhaus“ neben vereinzelten Hackathons und „Innovationsmotor“-Terminen lange Zeit nur Ankuendigungen und Versprechen. Die Stadt hat zwar zwischenzeitlich gleich mehrere Hauptamtliche auf die leere Huelle gesetzt, bislang haben sie aber selbst eineinhalb Jahre nach dem Auszug der Ehrenamtlichen und fast vier Monate nach der „Wiedereroeffnung“ nicht einmal eine eigene Website ausserhalb der Unterseite auf der offiziellen Stadt-Website hinbekommen.

Diese staedtische Website zum „Verschwoerhaus“ wurde in der Zwischenzeit mehrfach mit immer neuen Ankuendigungen ausgebaut und zwischenzeitlich wieder geleert. Und beinahe haette ich die aktuelle Ankuendigungsseite einfach so ueberlesen, wenn mich nicht jemand auf einen lustigen Passus hingewiesen haette:

Das Verschwörhaus ist für alle Altersgruppen offen als ‚dritter Raum‘, ohne Konsumzwang und mit flexiblen Öffnungszeiten.

https://www.ulm.de/leben-in-ulm/digitale-stadt/verschw%C3%B6rhaus (Archivlink)

Das kam nicht nur mir seltsam… bekannt vor. Denn im Monatsbericht fuer den Oktober des temporaerhaus steht folgender Satz:

Und weil wir ein Dritter Ort sind, darf das bei uns auch ganz ohne Konsumzwang stattfinden – solche Orte braucht es unserer Meinung nach.

https://temporaerhaus.de/nicht-erschrecken-monatsbericht-oktober-2023/

Das finde ich ein wenig lustig, denn wie es so schoen heisst, Imitation is the sincerest form of flattery. Andererseits hat mich das ein wenig animiert, die Ankuendigungen der Stadt seit 2022 ein wenig mit dem gegenueberzustellen, was tatsaechlich passiert ist. Und natuerlich damit, was die Ehrenamtscommunity seither auf die Beine gestellt hat.

Was wurde am Weinhof ueberhaupt umgesetzt?

Im Sommer 2022 wurde – moeglicherweise in Vorbereitung des Rechtsstreits – die staedtische Website angepasst (Archivlink, evtl. mit Adblocker eine Blockier-Regel fuer das Cookie-Consent-Banner erstellen), auf der unter anderem behauptet wurde, dass mittlerweile der gesamte Gebaeudekomplex als Verschwoerhaus bezeichnet werde[citation needed]. Spannend sind hier die Ueberschriften „ein offenes Haus“, „Offene & vielfaeltige Angebote“ und „Das geht im Verschwoerhaus“. Der Punkt mit dem Offenen Haus verschwand zwischen Mai und Juni 2023 (dazu spaeter mehr), die anderen dann im Januar 2024.

Ab dem Sommer 2022 schien die Stadt im ausgeraeumten Haus selber vor allem interne Workshops rund um die Zukunftsstadt-Projekte im Haus zu veranstalten. In einer Auflistung, die die Stadt nach einer Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz herausgab, finden sich vorwiegend zahlreiche Dubletten zu Veranstaltungen für Ukraine-Geflüchtete – einem Programm, für das die Stadt auf Basis eines noch Anfang 2022 binnen 48 Stunden von den Ehrenamtlichen aus dem Boden gestampften Internetcafés und der allein bei der Ehrenamtsstruktur liegenden Erfahrungen mit Programmen wie Jugend hackt beim Staatsministerium eine Förderung fuer einen ebenfalls im Haus befindlichen Verein eingeworben hatte. Neben dem noch vom ehemaligen Verschwörhaus-Verein bepielten Jugend hackt Lab findet sich ansonsten in der Auflistung vor Allem eine Swingtanzgruppe als Angebot des „Offenen Haus“ – deren Angebote sich aber nie auf der Website der Stadt wieder fanden.

Erfolgsvergleich: Was war 2023 angekuendigt?

Rueckblickend sehr spannend ist auch die Gegenueberstellung der Ankuendigungen, die im Januar 2023 in einem Artikel der Suedwest Presse (Paywall) vom staedtischen „Verschwoerhaus“ und der aktiven Ehrenamtscommunity aufgezaehlt wurden. Der damals bereits knapp acht Monate arbeitende hauptamtliche staedtische Leiter wird im Artikel mit folgenden Zielen zitiert:

  • 2023 werde die Stadt eine Jugend-hackt-Stelle finanzieren (Die CDU-Fraktion hatte im August 2022 beantragt, die 2021–2023 bewilligte Förderung für Jugend hackt zu streichen und kam damit durch) und ein Jugendangebot durchfuehren
  • Es stehe „ein Audio- und ein Videolabor zur Verfügung“
  • der „Makerspace im Untergeschoss [solle] wieder öffnen“
  • „Steht auch das geplante Buchungssystem, so solle die Werkstatt rund um die Uhr und täglich geöffnet sein“
  • „Bis Ende Januar werde er zudem ein Veranstaltungsprogramm fertig haben und vorstellen.“
  • „Fast jeden Tag soll etwas los sein im Verschwörhaus.“

Realitaetscheck: kein einziges dieser Ziele wurde bis Ende 2023 ernsthaft erreicht. Zu mehreren der Punkte passierte nichts erkennbares.

Zu Jugend hackt: Das war gleichermaßen ambitioniert wie realitaetsfremd. Zur Erinnerung: Die Jugend-hackt-Hackathons wurden ausgehend von der Vernetzung mit der Open Knowledge Foundation Deutschland seit derer Gruendung von der oertlichen Ehrenamtscommunity ab 2014 vorbereitet und 2015 als regionaler Ableger von der Community zunaechst an der Uni durchgefuehrt – und beim ersten Jugend hackt in Ulm entstand der Vorschlag an den damaligen OB-Kandidaten Czisch, doch einen staedtisch gefoerderten Ort fuer den Aufbau von Civic Tech und den Wissenstransfer aus der Ehrenamtscommunity in die Verwaltung aufzubauen. Dass die Stadt einerseits die engagierte Community rauswerfen und dennoch Jugend hackt unter ihrem Banner weiter betreiben werden duerfe, war von Anfang an eine total absurde Annahme. Im Maerz 2023 kuendigten die staedtischen Hauptamtlichen an, kuenftig alternativ „Ulm hackt“ anbieten zu wollen (Paywall). Im gesamten Jahr 2023 passierte dergleichen: Absolut nichts.

Zum Audio- und Videolabor: Ab dem Spaetsommer 2016 hatten die Aktiven am Weinhof mit den staedtischen Mitteln – von denen sie nach dem Zitat von Gunter Czisch darauf vertrauten, dass sie fuer den Aufbau ihres Orts sein wuerden, zu dem die Stadt nur den Anschub finanziere – ein Audio- und Video-Setup nach dem Vorbild des VOC des CCC aufgebaut, mit dem sie verschiedenste Veranstaltungen aufgezeichnet und live gestreamt hatten – teilweise auch als von der Digitalen Agenda in Anspruch genommene Community, um deren Veranstaltungen gratis mehr Oeffentlichkeit zu verschaffen. Durch den Gluecksgriff einer Foerderung durch die Deutsche Stiftung fuer Engagement und Ehrenamt Ende 2021 konnte der Verein das bestehende, durch staedtische Mittel beschaffte Audio- und Videosetup zwar durch eigene Geraete ergaenzen und signifikant upgraden. Das bis dahin aufgebaute und der Stadt gehoerende Setup fuer Videostreams und Podcasts vergammelte aber offenbar das gesamte Jahr 2023 ueber mangels Kompetenzen fuer dessen Bedienung in den Schraenken am Weinhof. Waehrend das Temporaerhaus einen Livestream fuer die Eroeffnung des SpoSo-Gebaeudes gemeinsam mit dem Haus der Nachhaltigkeit anbieten konnte, gab es von der exklusiven, nicht-oeffentlichen Wiedereroeffnung des Weinhofs ueber ein Jahr nach dem Auszug der Ehrenamtlichen(!) im September 2023 nur eine Pressemitteilung. Auf der aktuellen Fassung der staedtischen Website vom Januar 2024 steht immer noch die Ankuendigung eines Audio- und Videolabors (das laut Pressebericht vom Januar 2023 angeblich schon zur Verfuegung stehe). Ansonsten: Nichts.

Zum Makerspace und dem Buchungssystem: Ja, ernsthaft, keine Ahnung. Makerspace und Holzwerkstatt sind mit die am meisten nachgefragten Angebote im temporaerhaus seit dessen Wiedereroeffnung in Neu-Ulm. Die Nachfrage sowohl nach 3D-Druck als auch nach Lasercut als auch nach der Holzwerkstatt ist riesig. Am Weinhof hatte die Community zwei 3D-Drucker, einen Lasercutter samt Absaugung und eine ueber die Jahre und die Erfahrung krass gewachsene Holzwerkstatt u.A. mit Formatkreissaege, Dickenhobel und Bandsaege hinterlassen. Was die Stadt daraus bisher gemacht hat ist komplett raetselhaft. Der Presse hatte ich entnommen, dass die bisherige Holzwerkstatt im Keller und der Makespace im Erdgeschoss ausgebaut und per Chipkarte zugaenglich gemacht werden sollen, so dass sie „rund um die Uhr und taeglich geoeffnet sein“ solle. Erkennbar war davon Ende des Jahres 2023: Nichts. Was von den urspruenglichen, von den Ehrenamtlichen ausgewaehlten und aus staedtischen Mitteln beschafften Geraeten am Weinhof zugaenglich ist und wann man diese nutzen kann: Komplett unklar.

Zustand im Maerz: Fuenf Veranstaltungen in den kommenden sieben Monaten.

Zum Veranstaltungsprogramm: Das habe ich ehrlich gesagt auch immer wieder gesucht. Den Akteuren bei der Stadt schien es 2023 wichtiger zu sein, beispielsweise das Urteil des Landgerichts zur Markenrechtsentscheidung in die Seitenleiste der staedtischen Website zu verpacken, als tatsaechliches Angebot des „offenen Haus“ fuer die allgemeine interessierte Oeffentlichkeit zu organisieren und dazu die Oeffentlichkeit auch einzuladen. Nach Auskunft einer weiteren Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz bestand das Angebot des „Offenen Haus“ in der ersten Haelfte 2023 vor allem – sehr dublettenbehaftet – in dem im Dokument so genannten „Ukraine-Projekt“ sowie einer Swingtanzgruppe und einem Angebot des Generationentreffs – nichts davon war vorab auf der staedtischen Website ueber das „Verschwoerhaus“ angekuendigt. Stichproben aus dem Internet-Archiv zeigen diverse Smart-City-Veranstaltungen und sonstige interne Veranstaltungen der Digitalen Agenda sowie interne Workshops der Stadtverwaltung. Weitere nicht oeffentlich angekuendigte Termine wie eine Vorstandssitzung einer örtlichen Unternehmerinitative vervollstaendigen das Programm – von dem angekuendigten Veranstaltungsprogramm Ende Januar 2023 fuer die allgemeine Oeffentlichkeit ist aber nichts zu erkennen. Auf einem Schnappschuss vom Maerz sind beispielsweise sage und schreibe fuenf Smart-City-Veranstaltungen fuer die kommenden sieben Monate zu sehen – das war’s. Wer wissen wollte, wann man denn die Raeume aufsuchen koennte, sollte wohl bei der Stadt anrufen, man weiss es nicht. Gerne haette ich auch eine Auflistung aller Veranstaltungen seit Juni ausgewertet. Die Digitale Agenda nimmt aber wieder einmal die gesetzlichen Pflichten fuer Antworten auf Informationsfreiheitsanfragen eher locker und ist seit zwei Wochen mit der Antwort im Verzug. Das kennt man ja mittlerweile.

Irgendwer kann hier kein Excel

Zu fast jeden Tag soll etwas los sein: Ja gut. Wenn man alle Dubletten aus der Antwort auf die Informationsfreiheitsanfrage loescht, bleiben von 1.1.2023 bis 09.06.2023 – also einem Zeitraum von 159 Tagen – von 108 angegebenen Terminen nur 91 Termine uebrig. Davon entfallen mit 54 Terminen fast 60% auf das Programm fuer die Ukraine-Gefluechteten. Mit 9 internen Fortbildungen und Terminen der Verwaltung und 8 internen Terminen rund um irgendwelche Smart-City- und Zukunftsstadtprojekte bestand das „Angebot“ zu weiteren knapp 20% einfach aus der Nutzung der Raeume fuer verwaltungsinterne Termine. So richtig fuer alle oeffentliche Termine scheinen in dem Zeitraum weniger als 20% ausgemacht zu haben – ist die Bude also doch eher Vereinsheim fuer ausgewaehlte Gruppen? Auch fuer die Zeit nach Juni finden sich nur vereinzelte Veranstaltungen auf den Schnappschuessen im Internet Archive; beispielsweise ein „Innovationsmotor“, bei dem offenbar technische Loesungen fuer soziale Probleme gefunden werden sollen. Von den im Mai 2022 versprochenen „neuen Gruppen“, fuer die sich das Fakeschwoerhaus oeffnen wolle, ist bislang jedenfalls nichts zu sehen.

Das lustigste an diesem Tweet ist das durchs Fenster aufgenommene Video der leeren Raeume, waehrend Leuchtstoffroehren so richtig dystopisch vor sich hin flackern

Ob (abgesehen von den Dubletten) auch alle diese Veranstaltungen ueberhaupt stattgefunden haben, bleibt indes unklar – als im Maerz ein Journalist der Stuttgarter Zeitung ueber den Zustand am Weinhof berichten wollte, war das Haus laut Aushang wegen Krankheit geschlossen. Und ueber Wochen hinweg hing im Fruehjahr ein Zettel an der Eingangstuere, dass wegen Umbauarbeiten die Oeffnungszeiten entfallen wuerden. Alle Selbstauskuenfte der Stadt sollten mit Vorsicht genossen werden – auch zu dem Umbau, wie sich bei einem weiteren Blick ins Internet Archive zeigt.

Diese Stufen gilt es zu ueberwinden, wenn man mit Rolli in den Salon kommen und auch aufs barrierefreie Klo und den Rest des Gebaeudes, ohne einmal aussenrum ueber den Hof fahren zu muessen.

Der Umbau und die Barrierefreiheit: Schon im Fruehjahr 2023 war die Bude eine Weile laut Aushang geschlossen, weil Dinge umgebaut werden sollten. Auf der Website stand davon zunaechst nichts, im Endeffekt wurde wohl nochmal ein wenig mehr Innovationslabor-Vibe in den Laden gebracht und offenbar haben sie es dann irgendwann auch geschafft, eigenes WLAN fest zu installieren (was lustig ist, weil das eine chaotische Ehrenamtstruppe 2016 einfach binnen weniger Tage selber hinbekommen hatte).
Interessant wird es beim zweiten Umbau, der von Juni bis Oktober 2023 angekuendigt war (Archivlink), offenbar auch um den Weggang des zwischenzeitlichen hauptamtlichen Leiters ueberbruecken zu koennen. Aus dem Absatz zum „offenen Haus“ wurde naemlich ein „Das Verschwoerhaus wird barrierefrei“, und da war ich wirklich neugierig, wie sie das hinbekommen wollen. Der vordere Saal – um den es laut Angaben der Stadt explizit gehen sollte – ist naemlich aus allen Richtungen nur ueber Stufen erreichbar, und da wir Aktive haben, die im Rollstuhl sitzen, war das schon immer ein Problem. Nur war das geometrisch gar nicht so leicht zu loesen. Eine praktikable Loesung muesste eigentlich vom Salon in den „hinteren“ Teil von Weinhof 7 gehen, weil nur so die normgerecht barrierefreie Toilette im 2. OG erreicht werden kann. Eine Rampe mit zulaessiger Steigung waere dort aber gut 5 Meter tief, und wegen der seltsamen Treppe kaemen dort nur aufwaendige Scherenliftkonstruktionen als Alternative in Frage. Wir hatten uns ueber die Jahre immer wieder ueber Alternativen den Kopf zerbrochen, aber auch eine Rampe vom Aquarium her kommend oder ueber das Treppenhaus von Weinhof 9 kommend wuerde eine Sackgasse bedeuten, wenn jemand weiter nach hinten ins Haus wollen wuerde.
Der Witz ist jetzt: Ich wuesste immer noch gerne, wie sie das mit der Barrierefreiheit hinbekommen haben. Ich war seit dem Auszugstag im Sommer 2022 nicht mehr in den Raeumen, aber soweit ich das bislang erzaehlt bekommen habe, gibt es den angekuendigten Treppenlift anscheinend gar nicht. Von der Website ist die Ankuendigung zur Eroeffnung auch sang- und klanglos verschwunden.

Fazit: Viel scheint da nicht zu laufen am Weinhof. Obgleich dort mittlerweile offenbar drei hauptamtliche Kraefte arbeiten, fehlt offenbar bis heute die wichtigste Zutat, die solch einen Ort ausmacht und die auch den krankheitsbedingten Ausfall des Hauptamtlichen im Fruehjahr 2023 auffangen haetten koennen: Eine engagierte Ehrenamtscommunity, die den Ort als den ihren begreift und ihn gestaltet. Wie auch, moechte man fast fragen – nachdem sich die verantwortlichen Personen so lange wie tyrannische und intrigante Eltern aufgefuehrt haben, die mit Machtinstrumenten ihren Willen durchzudruecken versucht haben. Das muesste eigentlich auch allen glasklar sein, die auch nur oberflaechlich mit solchen Orten jemals zu tun gehabt hatten, und ein grosser Teil meiner Verhandlungen mit dem OB 2021 bestanden darin, ihm das zu vermitteln und dass eine kritische Begleitung (die auch Innovationstheater hinterfragt) total wertvoll fuer eine Stadt ist. Dass OB und die Leitung der Digitalen Agenda auf die abstruse Idee kamen, das einfach selber hinzubekommen und nicht begriffen haben, dass so etwas ohne die „zwei Hand voll Durchgeknallter“ nicht so wirklich funktioniert, finde ich bis heute absolut wild 😀

Im Januar 2024 wurde nun mit einem Jahr Verspaetung immerhin der Start eines ersten Jugendprogramms unter dem, sagen wir mal, interessanten Titel „Cyberkids“ angekuendigt. Vier Termine bis zum 6. April sind zwar noch weit entfernt von „beinahe jeden Tag“, aber immerhin ueberhaupt einmal etwas oeffentlich angekuendigt zu sehen ist ja schon einmal was, nach ueber eineinhalb Jahren. Nach wie vor werden der Aufbau eines Makespace und eines Podcast-Studios angekuendigt, wo man nur wiederholen kann: Alles von dem angekuendigten Zeug von der Loetwerkstatt ueber 3D-Drucker und Lasercutter bis zur Stickmaschine steht bereits die ganze Zeit seit juli 2022 herum, es muss nur wieder ueber Oeffnungszeiten zugaenglich gemacht werden. 2023 hat das das komplette Jahr nicht geklappt, ich bin mal gespannt auf 2024. Und auch mit der seit irgendwann im September 2023 bei der Stadt liegenden Domain soll nun irgendwas passieren – bei einer Vorzeige-Digitalisierungsabteilung braucht man fuer eine Website wohl einfach mal ein Vierteljahr. Zum Vergleich: Die Ehrenamtlichen hatten sage und schreibe 13 Tage fuer eine eigene Website gebraucht, und nach weniger als eineinhalb Monaten gab es auch eine Anzeige, ob derzeit die Türe offen ist.

Ich kann nur dazu raten, gut Buch ueber die vollmundigen Ankuendigungen zu fuehren und regelmaessig einen Realitaetsabgleich zu machen. Momentan scheint die Stadtspitze keine Nachfragen aus Presse und Gemeinderat zu ihrem PR-durch-Ankuendigungen-Game zu bekommen und gut damit zu fahren. Irgendwann sollten aber schon einmal Fragen kommen, warum jetzt aus oeffentlichen Mittel so viel mehr Aufwand bei vergleichsweise so viel weniger Angebot unterm Strich steht.

Aber vielleicht ist das staedtische Verschwoerhaus ja wirklich ein „Dritter Raum“. Bei dem eingangs beschriebenen Abschreibeversuch vom temporaerhaus scheint es da naemlich einen Uebertragungsfehler vom Dritten Ort gegeben zu haben. Ob das jetzt ein Dritter Raum im Sinne von Homi K. Bhabha sein soll, wo Unterdruecker und Unterdrueckte sich austauschen, oder der hypothetische Dritte Raum im medizinischen Sinn, wohin oeffentliches Geld, aeh, Blutplasma einfach verloren geht, ist nicht ganz klar. Lustig finde ich beide Vorstellungen.

PS: All denen, die in der Vergangenheit Anfragen der Stadt zu Reputation Management bekommen haben (natuerlich immer nur muendlich, nie schriftlich) und alle moeglichen Behauptungen ueber die Ehrenamtscommunity erzaehlt bekommen haben, kann ich nur empfehlen, sich auch eine zweite Meinung von den Aktiven zu holen. Ich bekam teilweise zugetragen, was fuer wilde Spins da im Umlauf sind. Auch das einem Realitaetscheck zu unterziehen ist meist ein grosser Spass fuer alle Beteiligten.

Ciao, oeffentlicher Dienst

Gerade ist (noch) der erste Januar 2023 (und ich stolpere natuerlich immer noch ueber die Jahreszahl). Das heisst, dass ich vor fast exakt einem Jahr um Mitternacht nicht nur ins neue Jahr gefeiert habe, sondern mit einigen anderen Anwesenden High-Fives abgeklatscht habe, weil wir ab dieser Sekunde nicht mehr im oeffentlichen Dienst angestellt waren.

Ich habe aus verschiedenen Gruenden bis heute nie aufgeschrieben, warum ich damals ausgestiegen bin, und auch die anderen Anwesenden haben das nicht an die grosse Glocke gehaengt (ich habe gerade im Kopf durchgezaehlt, und wenn ich das richtig zusammenbekomme, sind 2022 ausser mir sechs andere Menschen aus dem ehemaligen Team gegangen oder nicht zurueckgekehrt, und dieses Jahr weiss ich von zwei weiteren. Das ist schon scary-beeindruckend.)

Eigentlich ist dieses leise-gehen schade. Thilak Mahendran hat am 6.12.2022 seinen Dienstausweis und seinen Arbeitslaptop im Bundesverwaltungsamt abgegeben, wo er das Kompetenzzentrum Open Data leitete. Und im Gegensatz zu mir hat er offen ueber seinen Ausstieg einen Text geschrieben, den ich sehr lesenswert finde. Weil er erstens die Probleme anspricht, die nicht nur im BVA Alltag sind, sondern die eigentlich eigene Tropes im Verwaltungsgame bilden – und absurder-/peinlicherweise auch gerade in den Organisationseinheiten, die die Speerspitze der Digitalisierung und Innovation und hastenichtgesehen sein sollen oder wollen. Und weil er zweitens den ungesunden Feedback-Loop benennt, an dessen Ende nur noch angepasste Ja-SagerInnen uebrig bleiben, die auch an den „fachlich nicht mehr begruendbaren“ Entscheidungen keinen Anstoss nehmen.

Ich beobachte gerade auf Twitter und Mastodon, dass diese Probleme zunehmend auch anderen Leuten aufzufallen scheinen. Dass man Exit-Interviews fuehren sollte, um auch tatsaechlich zu lernen, warum Menschen die Verwaltung verlassen. Wobei ich den Kreis eigentlich weiter drehen wuerde. Eine Erkenntnis aus ueber 10 Jahren datalove/ulmAPI und dem sich daraus entwickelten Verschwoerhaus war, dass es nicht reicht, nur in die Verwaltung wirken zu wollen, um sie zappelnd und schreiend ins 21. Jahrhundert zu bringen. Mindestens so wichtig ist es, in die allgemeine Oeffentlichkeit und die Politik zu wirken. Damit die auch die richtigen Fragen stellen kann. Zum Beispiel, warum denn keine Exit-Interviews gemacht werden. Oder welche Konsequenzen aus Erkenntnissen gezogen wurden. Oder warum Entscheidungen fachlich nicht begruendbar sind.

Buchempfehlung: A Civic Technologist’s Practice Guide, von Cyd Harrell

Die Civic-Tech-„Bewegung“ – so man ueberhaupt von einer sprechen kann, so vielfaeltig wie die Stroemungen sind – kommt langsam ins Pubertaetsalter. Um so ueberraschender, dass Buecher aus der Praxis wie der “Civic Technologist’s Practice Guide“ von Cyd Harrell immer noch so selten sind. Klar, in den ueblichen Fachbuchverlagen gibt es ganze Regalmeter voll mehr oder eher weniger nuetzlicher Handreichungen zu „Digitaler Transformation“, irgendwas mit Agil, oder Smart-City-Esoterik.

Harrell kann in ihrem Buch mit Stand 2020 aus acht Jahren eigener Praxiserfahrung im Maschinenraum berichten. Sie ist UX-Designerin und begann 2012 erst fuer das Center for Civic Design und danach das damals noch recht neu gegruendete Code for America zu arbeiten, bevor es sie zu 18F verschlug.

Max hat ein physisches Exemplar des Buchs gekauft, das gerade in meinem Umfeld die Runde macht, und nach meinem zweiten Durchlauf ist es gespickt mit Klebezetteln und Annotationen. Nicht etwa, weil man Dinge der Verstaendlichkeit halber annotieren muesste, im Gegenteil, die Sprache im Buch finde ich gut verstaendlich und nachvollziehbar. Ich hatte aber quasi alle drei Seiten einen „Ja, das ist gut umrissen und zusammengefasst, merken!“-Moment.

Egal ob es die Frage ist, was Civic Tech eigentlich alles ist (ehrenamtliches Engagement, externe Unterstuetzung und Beratung der oeffentlichen Hand, interner Kompetenzaufbau in der Verwaltung – ja, alles davon), oder dass sowohl das „zeigen was geht“ als auch das „umsetzen, was es dafuer braucht“ gleichermassen zum Spiel gehoert. Viele in der Szene duerften schon laengst selbst zu diesen Erkenntnissen gekommen sein, zusammengefasst in einem Buechlein sind sie aber praktisch und gut weiterzugeben.

Der Blick auf die Erfahrungen in den USA lohnt sich ohnehin. Den Versuch, Fellows in die Verwaltung zu schicken, gab es dort bereits vor 10 Jahren(!), und auch viele andere Dinge, bei denen man aus den Erfahrungen von anderswo haette lernen koennen, wurden einfach in Deutschland nochmal neu von vorne gemacht.
Erst durch das Buch lernte ich aber, dass in den USA bereits 2014 ein bekannter Venture Capitalist in die US-Civic-Tech-Szene einstieg und bereits laufende Programme einfach nochmal fuer sich neu erfand:

[It] took the civic tech community by surprise, but gained enormous mainstream press attention. It eventually disappeared […] without causing any significant change in the civic sphere, but it sufficiently distracted attention from the other groups working in the same space.

Ich hatte das Buch dann kurz weggelegt, aus dem Fenster geschaut und an hiesige „Social Entrepreneurs“ und Versprechen eines deutschen 18F gedacht und das war ein interessantes Emotiotop.

Im spaeteren Verlauf geht es dann aber auch wirklich ans Eingemachte, wenn man wirklich Dinge modernisieren will in einer Verwaltung und wie das ueberhaupt gehen soll, und hier zeigt sich der Kontrast zu ueblichen „ja da machen wir halt bissel was mit agil“-Simulationen. Laeuft das Schwarzbrotgeschaeft als Unterbau ueberhaupt rund, wer operationalisiert spaeter die schoenen Prototoypen, sind genuegend Ressourcen da, um Legacy-Systeme zu analysieren und sie falls noetig auch aendern zu koennen.
Ueberhaupt, wie wird das Verwaltungssystem langfristig befaehigt, selbstaendig in die Zukunft blicken und die naechste oder gar uebernaechste technologische oder infrastrukturelle Huerde zu nehmen, ohne sich dabei aufs Gesicht zu legen und das womoeglich noch als Erfolg zu verkaufen? (Das mit dem selbstaendig Huerden meistern waere nebenbei die erste Definition einer „Souveraenitaet“, die ich tatsaechlich sinnvoll faende)

An manchen Stellen musste ich schwer seufzen. Fuer Harrell ist es denk- und fragbar, ob eine Verwaltungseinheit selber Dienste in der Produktion faehrt. Dass es Test- und Releaseprozesse fuer Software und Dienste gibt. Umfassendes Monitoring von Verfuegbarkeit und Erfolg. Ich wuenschte, dass man die in deutschen Verwaltungen ueberhaupt als Teil strategischer Aufstellung verstuende.

Und deswegen schliesst das Buch mit einem eigenen Kapitel ueber seelisches Wohlbefinden. Dass es dessen bedarf, hat eine ganz eigene Note. Dass es Teil des Buchs ist, spricht fuer Harrell.

Das Buch ist als Kindle- und EPUB-Format fuer knapp 10 Dollar zu haben, oder fuer rund 20 Euro als Taschenbuch. Ich moechte es sehr empfehlen.

Bits und Baeume 2018

Ich fahre gerade (wegen koerperlicher Angeschlagenheit und des weiten Weges etwas verfrueht) von der Bits-und-Baeume-Konferenz aus Berlin zurueck nach Ulm, und wollte noch ein paar der Gespraeche und Gedanken festhalten, die wir in den letzten 48h hatten.

Die Idee der Konferenz war, die jeweiligen Bubbles aus $irgendwas_mit_Digitalisierung und $Nachhaltigkeit zusammenzuwerfen – um die Ueberschneidungen beider Themenfelder aufzuzeigen und die Menschen zusammenzubringen. Ich war offen gestanden anfangs etwas skeptisch, ob es das jetzt wirklich braucht. Nach dem Wochenende kann ich aber ganz im Gegenteil sagen: Das braucht es.

Die Veranstaltung besetzt eine Luecke, die von anderen Konferenzen und Congressen bislang eher maessig ausgefuellt wird. Ich fand es immer wieder schoen, eben nicht zum zehnten Mal dasselbe zu hoeren, sondern deutlich andere Stimmen, die den eigenen Horizont erweitern und zum Nachdenken anregen. Kam ich mir in den letzten Monaten auf anderen Veranstaltungen haeufig wie so ein Mini-Moechtegern-Extremist vor, der den Technozentrismus in der Smart-City-Diskussion infrage stellt und nach der gesellschaftlichen Rolle der technischen Loesungen fragt, fuehlte ich mich dort wie ein Digitale-Werkzeuge-Apologet, der immer wieder ins Achtung gestellt wurde. Weil die grundsaetzlichen Fragen noch viel weiter draussen sind, und ich in letzter Zeit auf ganz anderen Diskussionsebenen unterwegs war.

Das tat enorm gut.

Wir sprachen heute mittag auch ueber die Atmosphaere in den schick umdekorierten Hallen der TU: Die war ruhig, entspannt, unpraetentioes – und vor allem offenbar vollkommen trollfrei. Das tat auch gut. Vielleicht liegt’s am ausschliesslich veganen Essen, wer weiss :>

Ich konnte nur einen Bruchteil der Sessions live oder durch Erzaehlungen miterleben, das VOC hat aber wieder einmal grossartige Arbeit geleistet und die Vortraege Minuten nach Abschluss der Zeitslots ins Netz gestellt. Bislang kann ich Bits und Raeume hervorheben, und die Podiumsdiskussion „mit Digitalisierung zur Verkehrswende“, in der mal eben die Zerschlagung von VW gefordert wurde. Leon Kaiser brachte ausserdem in seinem Beitrag im Pecha-Kucha-Format Sporangium einen soliden Achtminueter ueber die De-Bullshitifizierung der Blockchain (Direktlink). Den Rest muss ich erst alles noch selber erst einmal nachsehen 😀

(Exkurs: Am Ende des Sporangium ertoente auf einmal naeherkommender Gesang aus den Hallen, was das Publikum immer ratloser machte – das stellte sich als das Berliner Heimatjodelduo Esels Albtraum heraus, die spaeter auch noch Stuecke wie den Bullenjodler im Lichthof auffuehrten :D)

Ich war selber auch eingeladen worden, zusammen mit Eva Blum-Dumontet (Privacy International) und Sybille Bauriedl (Europa-Universitaet Flensburg) „Reclaim the Smart City“ zu fordern und anschliessend auf dem Panel zu diskutieren. Ich sag mal so: Das hat geerdet. Ich habe die ganze Geschichte, was wir da in Ulm eigentlich mit der gar-nicht-so-smarten-City machen (und die ich jetzt seit zweieinhalb Jahren immer noch nicht hier niedergeschrieben habe), in den letzten Monaten fast immer nur anderen Kommunalmenschen oder gar Geschaeftsleuten erzaehlt, die selber gerne irgendwas mit Smart City machen wuerden. Das hat meine Koordinaten offenbar ganz ordentlich verschoben, und beim auszugsweisen Nachschauen dessen, was ich da gesagt habe, ist mir dieser offensichtliche engstirnige Verwaltungswicht ganz schoen peinlich.
Insofern danke v.A. an Sybille Bauriedl fuer die deutliche Zielrejustierung, worum’s eigentlich geht, und die kritischen Nachfragen aus dem Publikum. Und danke auch fuer das sehr direkte und offene Feedback nach dem Vortrag, dass sich mein Part im Vortrag sehr nach Selbstbeweihraeucherung angehoert habe. Ich muss diese Geschichte umbauen, die groesseren Ziele und auch viel mehr die vielen tollen Menschen in unserer lokalen Community in den Vordergrund stellen. Und ich muss wohl auch wieder haeufiger auf solche Veranstaltungen gehen, um mich vom Stadt-Alltag nicht allzusehr glattschleifen zu lassen.

Andersherum wuerde mich echt interessieren, ob die Rejustage auch bei anderen stattgefunden hat. Die „Facebook-Zerschlagen-Kampagne“ fuehlte sich ein wenig arg nach Hackerfolklore an. Datenschutz ist fuer die uebergeordneten Ziele halt ebensowenig Selbstzweck wie die Digitalisierung fuer die lebenswerte Stadt. Naja.

Es bleiben Dank und Glueckwunsch fuer ein gelungenes Konferenzformat, das fuer mich Anstoss zu viel Nach- und Weiterdenken war. Und ich bin gespannt, was aus den teilweise absurden Vernetzungsgelegenheitem am Rande noch wird 😉

PS: Es gab Baumkletterkurse! Mit Robin Wood! Wie geil ist das!

(hab mich nicht getraut. naja und ich hab den termin verschlafen)

Dystopien bauen

Ich durfte heute an einem Workshop zur Stadtentwicklung bei uns im Verschwoerhaus teilnehmen, und habe dabei eine fuer mich neue Methode kennengelernt, die ich unbedingt festhalten moechte – weil ich sie erfrischend anders fand und sie mir nach anfaenglicher Verwirrung geradezu diebische Freude bereitet hat.

Es ging – natuerlich – mal wieder um die Stadt der Zukunft, und die vom BBSR beauftragten Agenturen hatten vorher schon sogenannte Trendmolekuele entwickelt. Wenn ich das richtig verstanden habe, sind das Verkettungen einzelner Elemente, beispielsweise das Zusammenspiel von Civic Tech/„Open-Bewegung“, Kooperation von Verwaltung und BuergerInnen, Digitalem Ehrenamt, aber auch von Misstrauen gegenueber Eliten im Gesamtbild „Autoritaetsverlust der Eliten“. Klang ganz stimmig, teilweise ein wenig Buzzwordig, aber gut.

Wir sollten uns also Gedanken ueber eine Zukunftsstadt machen, z.B. eine wie Ulm, im Jahr 2050. Und das hier bekamen wir vorgesetzt (stichwortartiger Auszug):

Public Private Campus

  • Unistadt mit High-Tech-Unternehmen
  • Unternehmen investieren in Infrastruktur, erwarten dafuer ein unternehmensfreundliches Umfeld
  • oeffentliche Dienste sind quasi durchgehend obsolet oder privatisiert
  • Grenzen zwischen Verwaltung und Wirtschaft sind praktisch aufgeloest
  • Eigene Kryptowaehrung (natuerlich :D)
  • Viel Automatisierung, aber weniger qualifizierte Menschen bekommen auch ab und zu mal Jobs ab

Ich fragte mich ja erst, ob wir hier eigentlich verarscht werden sollen. Company Towns als Zielvision eines Gruppenprozesses? Inklusive Scrip als Kryptowaehrungsbullshit? Vor dem Hintergrund der aktuell laufenden Debatten? Wer hat denn da Lack gesoffen?!

Je mehr wir aber die Ideen umherwarfen, wie das Stadtquartier 2050 aussehen koennte (wir hatten den real existierenden Neuen Eselsberg als Beispiel), desto mehr kam ich in die Rolle hinein – und habe mit der Gruppe nach und nach quasi alles eingeworfen, was man so von Omni Consumer Products oder sonstiger dystopischer 1980er-Jahre-SciFi kennt. Die Quartiersbetriebsgesellschaft weist den fleissigen hochqualifizierten Beschaeftigten Wohnraum zu, haelt alles wunderbar sauber, organisiert sogar das verbliebene Ehrenamt mit (Wohlfuehlen durch soziales Engagement as a Service!), belohnt erwuenschtes Verhalten mit kostenlosem Netflix, etc. pp.

Im Nachgespraech waren wir Teilnehmende uns uneins, wie wir uns mit dem Format fuehlen sollten. Manche fanden das Szenario beklemmend und fragten nach dem Zweck, das so auszurichten. Ich hatte waehrend des Workshops immer wieder die ModeratorInnen deswegen geloechert, und an den richtigen Stellen ein Zwinkern als Antwort bekommen – und fand die Idee grandios. Denn: Der Hochglanz-Zukunftsvisionen gibt es ja nun wirklich schon genug. Egal ob das Le Corbusier war, oder die autogerechte Stadt, oder Grosswohnsiedlungen: Auf dem Papier sah das ja immer alles erstmal gut aus. Und bei den vorgestellten Szenarien konnte ich mir ganz problemlos vorstellen, dass die mal im Jahr 2000 mit einer Hochglanzbroschuere und grossen Erwartungen ihren Anfang gemacht haben koennten. Bevor sie eben nach und nach in so ein Huxley-Bilderbuchszenario abgedriftet sind.

Im Laufe des Nachgespraechs wurde dann auch allen klargemacht: Ja, genau das ist das Prinzip. Dinge so ueberspitzen, dass auch wirklich allen klar wird, dass diese Idee unerwuenschte Seiteneffekte haben wird – und welche Strukturen ursaechlich dafuer verantwortlich sein koennten. Eine Sensibilisierung fuer die Macht- und Strukturdynamiken, die man sonst bei der tollen Planstadt-Vision einfach ignoriert und 30 Jahre spaeter beissen sie einen in den Arsch. Ich fuehlte mich immer wieder auch an Towards a new Hacker Ethic erinnert, speziell die von Parrish postulierten neuen Leitfragen darin.

Ich wuerde das Konzept gerne mal im Kontext Smart City spielen. Und bin auch gespannt auf die Idee, diese Szenarien auch tatsaechlich in die Form eines Spiels zu giessen: StadtplanerInnen und IT-Buzzword-Ninjas sitzen im Pen-and-Paper-Rollenspielmodus zusammen und bekommen Quests nach dem Strickmuster „Der Lizenzvertrag fuer deine Cisco-Sensorinfrastruktur laeuft aus. Wuerfle fuer den Weiterfuehrungspreis“ gestellt 😉

 

PS: In unserer OCP-Stadt war nicht alle Hoffnung verloren. Ein moegliches Themenfeld war „Jugendhaus“, und ich habe einfach mal postuliert, dass das OCP-Jugendhaus von den nonkonformistischen Jugendlichen einfach links liegen gelassen wird – die sind naemlich auch 2050 so, wie Jugendliche schon immer waren: Sie finden scheisse, was ihre Eltern machen, schaffen sich ihre eigenen Freiraeume. Und eine kleine, aber wichtige Gruppe davon zieht nachts durch die Strassen, sabotiert mit umgebauten Mikrowellen die Quartiers-Sicherheitsinfrastruktur, laesst der Campuspolizei die Luft aus den Golfwagen und konsumiert illegalisierte Substanzen.

The kids will be alright.

Bitte immer alles gleich richtig machen, Verwaltungsinformatikversion

Grossartiger Text von Dan Sheldon, seines Zeichens Digitalstrategiechef im britischen Gesundheitsministerium: Wie mache ich mich als Regierung oder Verwaltung mit IT-Projekten selbst kaputt?. Genuesslich zerlegt er den offenbar in der Verwaltung eingebauten Drang zu immer neuen Portalen, Pseudoclouds, mangelnde Exitstrategien und die kuriose Zuneigung zu allem, worauf „Enterprise“ steht. Leseempfehlung.

Achja, eigentlich wollte ich das schon ewig mal hier lang und breit erklaeren, aber seit 15. Juni bin ich nun auch Teil dieser Verwaltung. Bei der Stadt Ulm. Und es ist ein wenig erschreckend, wie leicht mittlerweile die Erklaerung von der Zunge rollt, warum Kommunen offenbar haeufig kein Devops haben. Dafuer habe ich aufgrund des verlinkten Artikels einen wunderbaren Digitalstrategiegenerator gefunden. Grossartig.