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Verwaltungsdigitalisierungsinfluencer vs. ArchitektInnen

Die Videos des „Akkudoktor“ Andreas Schmitz rund um Klein-Photovoltaikanlagen sind in Teilen meines Bekanntenkreis lange Pflichtprogramm. Da nerdet sich jemand richtig tief ins Thema rein (und ist auch schon vom Fach), testet Geraete tiefer auf Herz und Nieren als so manchem Hersteller das lieb ist und macht das derweil, ohne dabei was verkaufen zu wollen – weil er an den damit verbundenen hoeheren Zielen interessiert ist.

Im oben eingebetteten Video teilt er gute und schlechte Erfahrungen im Umgang mit Herstellern und wie das normalerweise mit Influencern und Influencer-Agenturen so laeuft – und da fiel es mir wie Schuppen aus den Haaren, dass das in weiten Teilen auch Erwartungshaltung sowie Spannungsfeld zwischen zivilgesellschaftlichem Civic-Tech-Einsatz und Verwaltung – und insbesondere Smart City – widerspiegelt.

Als Gold-Standardfall nennt Schmitz, dass es nach einem von ihm gemeldeten Problem sofort eine Krisensitzung gab, die Entwicklungs-/Engineering-Abteilung einbezogen wurde, er offenbar auch direkten Draht dorthin bekam und er die naechsten Schritte dargelegt bekam, was nun zur Fehlerbehebung passieren wuerde.
Das Negativbeispiel, das bei Influencermarketing normal sei: Man habe nur Kontakt zu einer Influenceragentur. Die hat gar keinen Durchgriff aufs Produkt und bezahlt einen im Zweifelsfall, dass man gefundene Probleme nicht an die grosse Glocke haengt und die Schnauze haelt.

Kommt bekannt vor? Mir schon. Mit dem spannenden Unterschied, dass es die Entwicklungs- und Engineering-Abteilung z.B. in der Smart City meist nie im eigenen Haus gibt. Und es dementsprechend diesen Feedback- und Lösungs-Cycle gar nicht geben kann. Weil quasi jeder Schmarrn von externen Dienstleistern entwickelt wird – die manchmal brauchbares Requirement Engineering vom oeffentlichen Auftraggeber bekommen. Meist aber nicht.

Bei mancher oeffentlichen Stelle wuerde ich mittlerweile aus der Erfahrung im Austausch mit den an der Sache interessierten zivilgesellschaftlichen Engineers (w/m/d) und der behoerdlich eingerichteten Digitalisierungsagentur mittlerweile auch sagen: Das ist mehr Influencer-Agentur denn an der langfristigen Entwicklung interessierte Einheit. Denn sie sind nicht nur von den zu entwickelnden Produkten und Infrastrukturen so weit weg wie die Influencer-Agentur. Sondern ihnen ist im schlimmsten Fall das langfristige ideelle Ziel weniger wichtig als die akute oeffentlichkeitswirksame Darstellung.

Vor dem Hintergrund bin ich gerade auch etwas professionell angepisst vom neuerlichen Vorstoss der Social Entrepreneurs von ProjectTogether, die heute ihr neues rework-Programm vorstellten, mit dem nun alles bei der Verwaltungsdigitalisierung besser werden soll. Nicht nur, dass mir das gesamte Social-Entrepreneur-Wesen von Grund auf unsympathisch ist – ich halte diese Verlagerung von Verantwortung in Startups fuer Teil des Problems, nicht der Loesung. Dazu kommt, dass die Truppe mir mit UpdateDeutschland noch enorm schlecht in Erinnerung ist. Nach dem Event gab es einen Austausch mit Aktiven des Netzwerks Code for Germany, bei dem in kurzer Zeit immer deutlicher wurde, dass der ganzen Veranstaltung kaum vorbereitende Recherche vorausgegangen war, was es bislang schon gab und was weswegen (nicht) funktioniert hatte.

Ich persoenlich haette schon gerne, dass das mit der Verwaltungsmodernisierung was wird. Wenn dann brauchen wir aber mehr Austausch wie den, den Andreas Schmitz beschreibt. Und in vielen Faellen muss dafuer erst einmal die Entwicklungs- und Engineering-Abteilung im Staat erst mal wieder internalisiert und als wichtig eingeordnet werden, anstatt das weiterhin auf Dienstleister auszulagern. Einfach nur dasselbe Silicon-Valley-Cosplay weiter nachzumachen, wird lediglich auch in Deutschland laengst (mehrfach) abgespielte Playbooks nochmal von vorne auffuehren. Dabei den naechsten Schwung ueberzeugter EnthusiastInnen in den Burnout schicken. Denjenigen, die daraus dann eine Buehne machen, hat das bislang selten geschadet. Ich wuerde aber gerne endlich mal wieder die Sache im Vordergrund sehen.

Der GovTech-Campus und der lange Schatten des New Public Management

Der frisch präsentierte Digitalbeirat Ende November 2022 – kann natürlich nichts für den GovTech-Campus

Jetzt will’s die Bundesregierung wissen mit der Digitalisierung. Vergangenen Mittwoch stellte Digitalminister Wissing den Beirat für die Umsetzung der Digitalstrategie vor. Mehrere Ministerien haben Konsultationsprozesse für ihre Digitalvorhaben gestartet – wenngleich vereinzelt wohl nicht allzu umfangreiches Feedback gewollt war. Neben den Digitallaboren, Experimentierräumen und anderen Flaggschiffen existiert zudem seit Anfang diesen Jahres der GovTech-Campus in Berlin. Auf diesen lud der Bundes-CIO Markus Richter unlängst die Podcaster Philip Banse und Ulf Buermeyer ein, die in der Lage der Nation (Ausgabe 313, Kapitel 6 ab 36:53) begeistert von ihrem Besuch dort berichten.

Das ist aus zwei Gründen bemerkenswert. Erstens wegen des GovTech-Campus selbst, seiner Organisation als eingetragener Verein, in dem Unternehmen für mehrere tausend Euro Mitglied werden können, und der Tatsache, dass dort Ministerien und privatwirtschaftliche Dienstleister unter demselben Dach sitzen und „gemeinsam“ IT-Dienstleistungen entwickeln. Die Lage hebt das als positives Beispiel hervor.
Zweitens, weil eher im Nebensatz erwähnt wird, dass es seit vielen Jahren auch eine aktive digitale Zivilgesellschaft in diesem Bereich gibt. Die ehrenamtliche Zivilgesellschaft hat im Konzept des GovTech-Campus aber gar keinen Raum, und wird in der Lage auch nur im Rahmen von Hackathons erwähnt, die an den Bedürfnissen vorbei entwickeln würden.

Derweil kann man argumentieren, dass die Situation, in der die öffentliche Hand bei ihren Digitalisierungsbestrebungen stets auf externe Dienstleister angewiesen ist und mit der Zivilgesellschaft allenfalls im Rahmen von Hackathons interagieren kann, eine Konsequenz des New Public Management ist. In diesem Denkmodell wird die Bevölkerung zu „Kund*innen“ des Staats, der sich – auch in genuinen Aufgaben der Daseinsvorsorge – wie ein Unternehmen verhalten soll. Das heißt zum Beispiel, dass Abteilungen sich untereinander ihre Leistungen in Rechnung stellen. Aber auch, dass Leistungen der öffentlichen Hand an Unternehmen oder eigene Gesellschaften ausgelagert werden. Ein Engagement außerhalb dieser Wirtschaftslogik ist gar nicht vorgesehen – das heißt, die umfangreiche praktische Digitalisierungsexpertise aus dem Ehrenamt zerschellt regelmäßig an der staatlichen Organisationspraxis.

Schon für die Anforderungsbeschreibung von Digitalprojekten braucht es externe Beratung

Wünschewand beim OpenCityCamp 2012

Das hatte gerade für die Digitalisierung fatale Folgen. Anstatt IT-Architekturkompetenzen auf allen Ebenen der föderalen Verwaltung aufzubauen, bestimmt seit Jahren eine Reihe externer Dienstleister, wohin der Staat digitalisiert. Was auf den ersten Blick wie eine Effizienzsteigerung klingt – denn natürlich sollen nicht über 11000 Kommunen jeweils ihre eigene Softwarelösungen entwickeln – führte über die Jahre zu einem weitreichenden Kompetenzverlust schon bei der Bestimmung, was eigentlich die Anforderung an die zu bauenden Softwarearchitekturen sind. Als Nebeneffekt kann es dann auch schon einmal vorkommen, dass die beschaffte Software am Ende gar nicht für den gedachten Einsatzzweck taugt und das Projekt für die Katz war. Lilith Wittmann nennt das in ihrer kritischen Besprechung des GovTech-Campus die „Beratertreppe“: Die laufende Externalisierung von Kompetenzen wurde zur selbstverstärkenden Spirale, so dass seit Langem schon für die Erstellung der Ausschreibungen für ein Softwareprodukt externe Beratung herangezogen werden muss.

Diese Erfahrung haben in den vergangenen Jahrzehnten auch immer wieder Ehrenamtliche aus der Zivilgesellschaft gemacht. Analog zur Civic-Tech-Bewegung in den Vereinigten Staaten entstanden in den späten 2000er-Jahren auch in Deutschland Gruppen Freiwilliger, die am praktischen Beispiel aufzeigten, was mit den Mitteln der Informationstechnik eigentlich möglich wäre. Als Instrument der Selbstermächtigung und zivilgesellschaftlichem Gegenstück zu Open Government entstanden Transparenz fördernde Auswertungen offener Daten, aber auch ausgereifte Beispiele, wie die öffentliche Hand ihre Leistungen für die Bevölkerung noch besser benutzbar machen kann.

All diese Gruppen stießen jedoch früher oder später auf die immer selben strukturellen Hürden, wenn es darum ging, dass der Staat ihre Ideen auch aufgreift und sich zu eigen macht. In ihrem Buch „A civic technologist’s practice guide“ beschreibt die ehemalige leitende 18F-Mitarbeiterin Cyd Harell zwei notwendige Schritte für die erfolgreiche Anwendung von Civic Tech: „Showing what’s possible, and doing what’s necessary“. Dieser Pfad, dass Ehrenamtliche aus der Zivilgesellschaft zeigen, was möglich wäre, und der Staat dann das Notwendige tut, um sich diese Beispiele zu eigen zu machen, scheint in Deutschland aber fast nirgendwo vorgesehen zu sein. Meist ist man entweder zivilgesellschaftliche „Kund*in“ des Staats und kann allenfalls im Rahmen von Anhörungen und Feedbackrunden Jahr für Jahr dieselben Post-Its auf Metaplanwände kleben – oder man muss selbst Dienstleister*in werden und sich beauftragen lassen, der eigenen Idee irgendwo im Wildwuchs der Verwaltungs-IT ein Gärtchen bestellen zu dürfen. 

Für gestaltende Zivilgesellschaft ohne wirtschaftliches Interesse gibt es in diesem Denkmodell keinen Raum

kleineAnfragen.de: 2014–2020

Für die Unterstützung der Umsetzer-Rollen gab es über die Jahre verschiedene Ansätze: Inkubatorprogramme, Förderlinien, Kooperationen mit Umsetzungspartnern aus der Wirtschaft. Das waren aber allesamt lediglich unterschiedliche Geschmacksrichtungen entweder von Firmengründungen oder kurz- bis mittelfristigen finanziellen Förderungen, damit Weiterentwicklung und vor allem Wartung und langfristiger Betrieb wenigstens nicht in der Freizeit der Beteiligten passieren musste. Wir haben im Ergebnis bis heute keinen Ansatz, um langfristig einen Pfad zu ebnen, dass die öffentliche Hand selbst fertige, von der öffentlichen Hand direkt übernehmbare Produkte wie kleineanfragen.de auch selber betreiben könnte, und sei es über Konstrukte wie die kommunalen Rechenzentrumsverbünde. An die Stelle von Civic Tech aus einer engagierten Bürgerschaft und einer Verwaltung, die selbst in der Lage ist, aus deren Erfahrungen zu lernen, ist GovTech getreten – also die vollständige Abhängigkeit von Firmen, die teils den Staat als einzigen Kunden für ihre Produkte haben.

Das ist auch eine Erfahrung der Zivilgesellschaft aus jahrelanger Beschäftigung im Austausch mit der Verwaltung – sei es bei selbst organisierten Barcamps oder der Beteiligung an Hackathon-Formaten. Und hier zeigt sich eine weitere problematische Konsequenz dieser Kompetenzauslagerung durch den Staat. Eher im Nebensatz erwähnt Philip Banse, dass es neben dem ebenfalls auf dem GovTech-Campus vertretenen Digital Service des Bunds auch Ehrenamtsnetzwerke wie Code for Germany gebe – aber die würden ja eher Hackathons machen und an den Bedarfen der öffentlichen Hand vorbei entwickeln.

Aus Sprints werden Marathons – aber warum sollen Ehrenamtliche laufen, und nicht der Staat?

Voll gut: Hackathons, um neue Fähigkeiten zu erwerben oder auf politische Missstände aufmerksam zu machen. Eher nicht so gut: Hackathons, um mal eben Aufgaben des Staats lösen zu wollen. Open Knowledge Foundation Deutschland from Deutschland, Jugend hackt Ulm 2018 (46355412802), CC BY 2.0

Indes waren es gerade die Ehrenamtlichen des Code-for-Germany-Netzwerk, die auf den Nachhall des großen Corona-Hackathons der Bundesregierung 2020 in Form einer Wiederentdeckung von Hackathons durch die öffentliche Hand und seinen Partnerorganisationen wie Tech4Germany (aus dem der oben erwähnte Digital Service hervorging) eher verhalten reagierten. Viele der Code-for-Germany-Aktiven haben über die Jahre hinweg Begegnungen mit Hackathonformaten gehabt  – und merkten über die Zeit, dass sie zwar an Erfahrung dazulernten, wie die Verwaltung funktioniert, aber immer wieder auf dieselben Probleme und Hilflosigkeiten dieser Verwaltung stießen, die schon auf den Austauschformaten mehrere Jahre zuvor adressiert werden sollen hätten. Die Erfahrung der Code-for-Germany-Ehrenamtlichen zeige, „dass es weniger um die Prototypen als viel mehr [um] Erkenntnisse auf einer strukturellen Ebene“ gehe, heißt es in einer Handreichung des Netzwerks vom Sommer 2020. 

Zum einen geht es bei Hackathons wegen des immer noch vielfach genutzten Wettbewerbscharakters nämlich viel zu häufig um den Start neuer Projekte. Häufig werden also Ideen neu erfunden, an denen andere Gruppen bereits – beispielsweise aus eigener Betroffenheit – zur Verbesserung einer konkreten Situation gearbeitet haben und nun Unterstützung zur Weiterentwicklung und Wartung gebrauchen könnten. Zum anderen laufen auch die „Verstetigungsprogramme“ bis heute meist auf die finanzielle Unterstützung der Ideengeber*innen oder die Entwicklung der Ideen in ein Geschäftsmodell hinaus. Aus dem Sprint werde ein Marathon, hieß es im Nachgang des Corona-Hackathons – ohne dabei die Frage zu stellen, warum denn nun ausgerechnet die Zivilgesellschaft einen Marathon laufen soll, und nicht der Staat.

Die ausgearbeiteten Lösungen aus dem Digitalen Ehrenamt liegen meist schon vor – haben aber selten Chance, zu verfangen

Austauschformat, 2017. Open Knowledge Foundation Deutschland from Deutschland, Datensummit 2017 – Tag 1 im BMVi (33974368270), CC BY 2.0

Ganz ähnlich lief dies auch ein Jahr später beim „Update Deutschland“-Hackathon, der auch Länder und Kommunen als „Zielgruppe“ identifiziert hatte und mit deren Unterstützung durchgeführt wurde. Der überfällige Aufbruch der Verwaltungsdigitalisierung sollte auch hier aus der Zivilgesellschaft kommen, die aber gleichzeitig unpolitisch von den veranstaltenden Institutionen in Anspruch genommen und in wirtschaftliche Wirkmuster gelenkt werden sollte, wie Daniel Staemmler und Sebastian Berg konstatierten. Bemerkenswert war, dass auch Kommunen an dem Format teilnahmen, die bislang den Input aus der örtlichen Ehrenamtsszene häufig links liegengelassen hatten. Analog zu kleineanfragen.de lagen auf mehrere der bei Update Deutschland gestellten „Challenges“ der teilnehmenden Verwaltungen bereits seit Jahren tragfähige Vorschläge aus der Zivilgesellschaft vor – die aber bislang von der öffentlichen Hand nicht umgesetzt wurden.

So stellte eine Kommune die Herausforderung vor, die Beschlüsse des Gemeinderats „erlebbarer, einfacher auffindbar und transparenter“ zu machen. Das Ratsinformationssystem der Kommune habe in der Regel Schnittstellen, um diese Informationen abrufen und beispielsweise auf einer Karte darstellen zu können. Bei der beschriebenen Schnittstelle handelt es sich um den seit 2012 durch Ehrenamtliche bei Code for Germany entwickelten Standard OParl. Und die Ironie der Challenge ist, dass, wie gerade erst von Nora Titz beschrieben, am Anfang dieser Standardisierung genau solche grafischen Aufbereitungen der Ratsinformationen standen – damals mit Scrapern aus den Informationssystemen extrahiert und beispielsweise auf Karten dargestellt. Die für die Öffentlichkeit nutzbaren, im Ehrenamt entwickelten Frontends für die Auswertung der OParl-Daten konnten bis heute nicht von der öffentlichen Hand übernommen, geschweige denn betrieben werden. Teilweise scheint es ihr schon schwerzufallen, die beim Ratsinformationssystem-Anbieter bestellte OParl-Schnittstelle auch auf ihre korrekte Installation zu überprüfen und abzunehmen. Die OParl-Schnittstelle der Challenge-gebenden Stadt war zum Zeitpunkt des Hackathons gar nicht aktiviert – und ist es auch zum Zeitpunkt dieses Artikels noch nicht. Es existiert zwar ein fertiges Validierungsskript, mit dessen Hilfe man die Standardkonformität der Schnittstelle in Minutenschnelle prüfen kann. Um dieses Skript bei der Abnahme im Verwaltungsnetz ausführen zu können, bedarf es aber der internen Fähigkeiten, den Validator auf Verwaltungsrechnern selbst zum Laufen zu bringen. Danach braucht es noch etwas Verständnis, die Ausgaben interpretieren zu können und sich vom Dienstleister nicht einreden zu lassen, dass der Fehler bei einem selber liege. Was engagierten Freiwilligen mit grundlegenden Kenntnissen eine spielerische Fingerübung weniger Minuten ist, stellt die Verwaltung teilweise heute noch vor große Herausforderungen. Der Staat baut hier nicht die notwendigen Kompetenzen in der Breite auf, um die gratis vom Ehrenamt gelieferten Skripte auch selbstbestimmt ausführen zu können. Stattdessen sind diese Ehrenamtlichen letztlich dazu gezwungen, selbst als bezahlte Dienstleister*innen aufzutreten, wenn sie wollen, dass ihre Ideen auch in die Tat umgesetzt werden.

Vorhandenes Wissen aufgreifen und dokumentieren – nach den Bedürfnissen des Ehrenamts!

CC0 Matthias Wörle im Auftrag von Wikimedia Deutschland

Die überstarke Begeisterung des Staats für Hackathons scheint mittlerweile – zum Glück! – endlich abzuflauen. Offen bleibt aber die Frage, wie Ehrenamt und Zivilgesellschaft sich überhaupt wirkungsvoll mit ihrer Expertise einbringen können. Der Anspruch kann dabei nicht sein, auch als Zivilgesellschaft ein Büro am GovTech-Campus zu haben. Schon die Existenz eines GovTech-Marktes ist mehr Indikator eines grundsätzlichen Problems, als dass diesem Markt mit einem Austauschcampus noch niederschwelligerer Zugang geschaffen werden soll. Es kann auch nicht die Aufgabe Ehrenamtlicher sein, werktags mit am Tisch zu sitzen, wenn Vergabeverfahren für staatliche IT-Lösungen nun möglicherweise noch weniger nachvollziehbarer als bisher zwischen Verwaltung und Dienstleistern ausgehandelt werden. Vielmehr geht es darum, den Wissensschatz der ehrenamtlichen Digitalen Zivilgesellschaft aktiv zu suchen und in die Verwaltung selbst zu transferieren. 

Wikimedia Deutschland hat gemeinsam ergänzt um Interviews mit der Deutschen Stiftung für Ehrenamt und Engagement vergangene Woche im Politikbrief „Digitales Ehrenamt: Zivilgesellschaftliche Teilhabe im Digitalen Raum“ sechs Forderungen aufgestellt, wie dieses Engagement besser vom Staat gewürdigt und gefördert werden sollte. Eine der Forderungen ist der systematische Transfer ehrenamtlicher Expertise. Der Staat sollte nicht etwa Dienstleister*innen auf seinen GovTech-Campus zu sich einladen und damit weiter Kompetenzen externalisieren, sondern strategisch interne IT-Fähigkeiten aufbauen. Das vorhandene Wissen im digitalen Ehrenamt muss durch aufsuchende Beteiligung und den Bedürfnissen der Freiwilligen folgend aufgegriffen und dokumentiert werden, um es verwaltungsintern verwendbar und anwendbar zu machen. Damit könnte endlich eine Brücke über die nach wie vor bestehenden Wissensklüfte geschlagen werden – damit kommende Generationen ehrenamtlich Aktiver hoffentlich künftig nicht mehr zu ihrer Frustration auf dieselben strukturellen Hürden stoßen, an denen diese Partizipation bislang scheiterte.

//edit am 24. Januar 2023, Rolle der DSEE im Politikbrief von WMDE korrigiert

Veranstaltungs-Nachbesprechungen, aber verteilt. Hybrid forever!

Am Donnerstag war eine Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung zu „Digitaler Souveraenitaet“, und natuerlich musste ich da unbedingt mal reinschauen. Eigentlich war die in Praesenz in Karlsruhe geplant, und da waere ich auch extra hingefahren. Kurz vorher gab es aber einen Schwenk auf online, und das ermoeglichte auch vielen anderen Leuten aus dem weiteren Civic-Tech-Umfeld, teilzunehmen.

Abgesehen von einigen Seltsamkeiten (siehe Liliths Tweet) war das ein spannender Austausch, und im Chat gab es eine rege Diskussion auch mit Menschen, die offenbar Kommunalbackground hatten. Etwas den Rahmen verschoben hatte die Anwesenheit von MdL Jonas Hoffmann, dessen Forderungen zur Vermarktung oeffentlicher Daten ich hier schon kommentiert hatte. Das loeste natuerlich den Bedarf zu weiterer Diskussion aus – wohlgemerkt leider nicht „auf der Veranstaltung selbst“, denn von den vielen Diskussionsstraengen im Chat wurde nur wenig offiziell ausgewaehlt und besprochen. Aber Liliths gewohnt provokante Art sorgte dafuer, dass wir uns fuer nach der Veranstaltung noch in einem Twitter Space verabredeten und dort auch noch eine Stunde quatschten. Die Aufzeichnung ist auch nachhoerbar (im Tweet verlinkt).

Ich will jetzt gar nicht auf das Fuer und Wider von Twitter Spaces (oder anderen solchen Walled Garden) eingehen. Ich wuenschte, es gaebe mehr Alternativen, aber am Ende wird mir dann wieder unironisch die Forderung nach Digitalkommunismus vorgeworfen.

Was ich viel spannender fand: Jemand meinte im Codeforde-Austauschchat, dass man selber ja nicht nochmal eine Stunde investiert haette fuer so eine Nachbesprechung. Aber andererseits war das ja genau das Format, wie man es frueher in der Hosenwelt nach einer Praesenzveranstaltung gehabt haette mit rumstehen und quatschen. Nur dass es sich jetzt weniger in Teildiskussionsrunden aufteilt – und dass Leute von ganz woanders teilnehmen und mitdiskutieren koennen, die in Praesenz nicht unbedingt dabei sein koennten.

Ich glaube ja zwar nicht an eine Rueckkehr in „ein Leben wie vor der Pandemie“. Hybride Veranstaltungen sollten ganz normal werden. Aber ich baue jetzt schon ein wenig in meinem Kopf Setups, wie wir eigentlich auch bei Teilpraesenz-Veranstaltungen gerade solche Nach-Diskussionsrunden unter Einbeziehung moeglichst vieler nicht-anwesender Dritter technisch gut abwickeln koennen. Im Verschwoerhaus hatte der Verein diesen Winter richtig dick Geld in die Hand genommen, um genau solche hybriden Sachen noch besser abwickeln zu koennen (Symbolbild oben). Und uns ist immer wieder aufgefallen, dass all die praktischen Faehigkeiten aus Congress-Streaming, bisherigen Veranstaltungen und natuerlich den Erfahrungen aus pandemischen Loesungen total viel Wissen und Skills aufgebaut haben, die sich relativ gut auf solche Situationen uebertragen lassen duerften.

Ich wuerde das fuer einen grossen Gewinn halten.

DigSouv als Handlungsfaehigkeit

Ein kleiner Nachtrag zur Digitalen Souveraenitaet: Anne Roth hatte diesen Artikel von 2015 auf netzpolitik.org gefunden, in dem Anna Biselli den damaligen Aufschlag des Bitkom zur „Digitalen Souveraenitaet“ kommentiert.

Spannend finde ich, dass sowohl der Artikel als auch das Bitkom-Positionspapier Fragen ueber den „blumigen“ (netzpolitik) bzw undefinierten (Bitkom) Begriff aufwerfen. Waehrend Biselli aber sogleich die fehlende Erwaehnung von Open Source bemaengelt und die Interpretation ins Spiel bringt, nicht auf „Technologie von US-Firmen“ angewiesen zu sein (territoriale Komponente, check), finde ich die Darstellung des Bitkom total interessant.

DigSouv wird dort naemlich als Handlungs- und Entscheidungsfaehigkeit oder vielmehr -kompetenz dargestellt und in Kontrast sowohl zu Fremdbestimmung als auch Autarkie gestellt. Und wenn man das einmal aus der Denkweise heraushebt, dass es dabei um die Fertigung von Software und Technologie geht, halte ich das nicht einmal fuer ein schlechtes Modell.

Am Beispiel der oeffentlichen Hand hiesse das z.B., dass man einerseits nicht in der Beratertreppe landet (schon die Ausschreibung muss extern vergeben werden, weil im Haus niemand Ahnung von der Materie und von Techstrategie hat), und andererseits auch nicht alle Raeder selbst erfinden will („wir pflegen unsere Datensaetze in einem historisch gewachsenen Gemisch aus Windows Server, einem Rudel Excel-Files und hoffnungslos an den Anforderungen vorbeigehenden On-Prem-Datenbanken“). Vielmehr ist man selber in der Lage, die eigenen strategischen Ziele zu ueberblicken, Baustellen in der Infrastruktur zu erkennen und diese gemeinsam mit kuenftigen Zielmarken abzuhaken.

Das halte ich eigentlich fuer ganz erstrebenswerte Ziele. Vielleicht hilft es ja, das einfach als Handlungs- und Entscheidungskompetenz zu bezeichnen und damit den Ballast des magischen Souveraenitaetsbegriffs ueber Bord zu werfen.

Digitale Souveraenitaet, oder: Welche der Bedeutungen soll’s denn sein?

Gerrit, Border stone, CC BY-SA 3.0

Nach den Aha-Momenten zu Logomachie und einer zunehmenden Grantigkeit ueber die inflationaere Verwendung des immer sinnentleerter wirkenden Begriffs der „Digitalen Souveraenitaet“ hatte ich ueber den Sommer einige Paper zum Begriff gelesen, die mir durch die Timeline flatterten. Den Aufschlag machte IIRC dieses Papier von Julia Pohle, und ich habe dann wie so oft eine groessere Menge offener Browsertabs angesammelt, die ich ueber ein halbes Jahr mit mir herumschleppte.

Wesentlicher Antreiber der Debatte sind Vorhaben der Europaeischen Union, irgendwie „digital souveraener“ zu werden – man koennte meinen, im klassischen Sinn der Staatssouveraenitaet, der auf einem definierten territorialen Gebiet basiert, das es gegen ein Aussen abzugrenzen und offenbar auch abzuschotten gilt. Theodore Christakis geht in einem halben Buch auf die verschiedensten Auspraegungen ein, was das alles bedeuten soll: Wird das so etwas wie das bisher immer scharf kritisierte Modell der chinesischen Internetregulierung? Geht es um strategische Autonomie in Bereichen der Tech-Branche? Quasi eine europaeische Digital-Juche-Ideologie?

Auch irgendwie souveraen, aber halt anders

Gleichzeitig wird der Begriff bereits seit einiger Zeit in eher aktivistischen Kreisen verwendet, die ihn mit einem Begriff individueller oder kollektivistischer Autonomie besetzen. Im Herbst 2019 hatten Stephan Couture und Sophie Toupin (DOI 10.1177/1461444819865984, SciHub *hust) die Verwendung des Begriffs in englischen und (wenigen) franzoesischen Texten ausgewertet, und sie zu klassifizieren versucht. Angefangen von der altbekannten Declaration of Independence of Cyberspace (1996) reicht ihr Spektrum ebenfalls ueber das der Staatssouveraenitaet, aber auch Souveraenitaetsbestreben indigener Voelker in der digitalen Domaene, bis zur aktivistischen Verwendung. Der aktivistische Begriffsgebrauch ist dabei ein voellig anderer als der, den sich die EU beispielsweise bei GAIA-X vorstellt – vielmehr sollten mit Freier/Open-Source-Software und -Hardware Mittel zur Selbstermaechtigung geschaffen werden, ohne auf kommerzielle Angebote angewiesen zu sein. Wir kennen die Slogans: „Program or be Programmed“, oder „ein Geraet gehoert nur dir, wenn du es unter Kontrolle hast“, etc.

Zuletzt gehen die AutorInnen auf Persoenliche Digitale Souveraenitaet ein, als Eigenschaft oder Faehigkeit eines Individuums, Kontrolle ueber eigene Geraete, Daten, Hardware etc auszuueben – oder aber als Parallele zur koerperlichen Autonomie, wie sie auch in feministischen Diskursen verstanden werden kann.

Was jetzt, Staat oder Individuum?

Wir haben es also mit konkurrierenden Definitionen desselben Begriffs zu tun, der aber im politischen Raum von Gruppen verwendet wird, denen ich hoechst unterschiedliche Zielsetzungen unterstellen wuerde. Das ist ja schon einmal ein guter Einstieg.

Auf der Suche, genauer herauszufinden, was denn die moeglichst genaue staatliche Definition ist, gaebe es einmal die eher sachliche Variante:

1) it possesses authority;
2) this authority is derived “from some mutually acknowledged source of legitimacy”—which can be God, a constitution, or a hereditary law;
3) this authority is supreme; and
4) this authority is over a territory

Stanford Encyclopedia of Philosophy

Wegen des durchgehend leicht sarkastischen Tons empfehle ich aber aufs Waermste den Aufsatz “The Treachery of Images in the Digital Sovereignty Debate” von Jukka Ruohonen. Bei dieser Stelle musste ich einfach laut lachen:

The year 1648 haunts everyone participating in the current Internet governance and digital sovereignty debate. But why is something that happened 373 years ago relevant for the debate? In 1648 the Peace of Westphalia was signed.

Waehrend das Westfaelische System naemlich durchaus fuer eine Definition staatlicher Souveraenitaet ausreicht, ist darin auch schon gleich das Kernproblem des Uebertrags ins Digitale umrissen. Man kann die Declaration of Independence of Cyberspace als 90er-Jahre-Cyberpunk-Romantik abtun, aber andersherum stoesst die Souveraenitaet von Staaten bei einem grenzueberschreitenden Konstrukt wie dem Internet ebenfalls an ihre (haha) Grenzen: Wenn die Autoritaet an ein Staatsterritorium gebunden ist, und mangels einer uebergeordneten Autoritaet das Zusammenspiel von Staaten an Freiwilligkeit gebunden ist: Ja wie soll denn das gehen mit der Souveraenitaet im Netz? Auch: Stimmt es ueberhaupt, dass ein Staat einem anderen innerhalb dessen Grenzen keine Vorgaben machen kann – weil er ist ja souveraen? Und falls das stimmt: Dann sind nicht wenige ebenfalls als irgendwas mit Souveraenitaet geframete Gesetze ja fuer die Katz, oder?

Ruohonen beschreibt beispielhaft die Schlagabtausche zwischen der EU und den USA als ein nicht endendes Ping-Pong-Spiel:

The game played is also good drama. Particularly jolly are the frequent episodes depicting the players swinging in slow motion even though the ball has been taken away from them; namely, by Schrems (I) in 2015 and Schrems (II) in 2020.
[…]
With respect to ping, extraterritorial power—the ability of a sovereign to exert governmental actions in another sovereign’s realm without its consent—has long been a part of ping’s data protection legislation. […] That said, the same year the GDPR came into force, pong passed its Clarifying Lawful Overseas Use of Data Act (CLOUD Act). It provides pong’s authorities access to data stored in cloud services without the cumbersome mutual assistance treaty, effectively deprecating ping’s people constitutional protections provided by a jurisdiction where the data is stored

Aber selbst innerhalb des Framings der EU scheinen sich die TreiberInnen nicht auf eine der beiden Perspektiven (Staatlichkeit vs. Individuum) einigen zu koennen. In Foreign Policy kommentiert Tyson Barker: Europe Can’t Win the Tech War It Just Started. Geradezu beliebig werde der Begriff einmal mit persoenlicher Autonomie und Freiheitsrechten motiviert, und im naechsten Atemzug mit der uneingeschraenkten Herrschaft auf einem territorialen Gebiet. Und selbst das Territorialkonzept laesst sich willkuerlich in seiner Bedeutung ausdehnen: Sei es Standortfoerderung unter dem Deckmantel einer angeblich noetigen Autarkie; der Wunsch, auch irgendetwas wie DARPA zu haben; oder ein dumpf-nationalistisch klingendes “Taking back control” – bei dem man sich dann fragen kann, von wem man die denn zurueckhaben will und wie die da ueberhaupt erst gelandet ist.

Was man mit einkauft

Plutowiki, Zoll Gailingen Corona, CC0 1.0

Es mag sein, dass sich mit Begriffen wie der „Digitalen Souveraenitaet“ Opportunitaetsfenster auftun, „etwas gutes“ zu tun. Den Begriff staerker auf die individuelle Autonomie framen, und so weiter. Ich persoenlich moechte nicht so recht daran glauben und halte mich mittlerweile von dem Begriff fern.

Erstens, weil er in seiner Verwendung mehrfach in sich widerspruechlich ist und sich unter derselben Flagge komplett inkompatible Zielvorstellung versammeln, mit gegenlaeufigen Absichten.

Zweitens aber: Jede Verwendung eines aktuellen Hype-Begriffs zahlt letztlich darauf ein, dass das jeweilige Meme am Leben bleibt und weiter befeuert wird. Und selbst wenn man beste Absichten unterstellt, muss doch klar sein, dass man damit gleichzeitig auch eine Denkweise am Leben haelt, fuer die streng gesicherte territoriale Grenzen nicht nur im Netz eine Selbstverstaendlichkeit sind. Die Unterscheidung in ein „innen“ und „aussen”, in ein „wir” und ein „die“ ist fester Bestandteil des Konzepts. Und so sehr man ueber die Vorstellung laecheln kann, dass „unsere“ Daten irgendwie sicherer oder besser dran seien, wenn sie in den Grenzen „unseres“ Staatskonstrukts geparkt sind. So sehr man ueber Protektionismus und die Foerderung heimischer Firmen fuer unsinnige Projekte die Augen rollen mag. Man sollte sich darueber im Klaren sein, welches Meme man da mit ganz realen Konsequenzen fuer reale Menschen am Leben haelt.