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Vom Clickbait-Journalismus

Ich bin gleichermassen fasziniert und entsetzt von der Art, wie die Online-Varianten der grossen Pressehaeuser ihr Clickbait-Game immer weiter ausbauen. Ulm und Neu-Ulm sind jeweils Ein-Zeitungs-Kreise: In Ulm dominiert die Suedwest Presse, in Neu-Ulm die Neu-Ulmer Zeitung als Ableger der Augsburger Allgemeinen. Theoretisch funkt in Ulm noch ein wenig die Schwaebische aus Ravensburg rein, und die dient auch als prima Beispiel, was da gerade alles kippt: Die Verlage kaufen eine Zeitung nach der anderen auf, Stellen werden abgebaut nachdem man externe Consulting-Firmen reingeholt hat, dadurch bleibt weniger Zeit fuer tiefere Recherchen und insgesamt kippt der Kurs haeufig mindestens in Richtung Boulevard, um es vorsichtig zu sagen.

Die Neu-Ulmer Zeitung ist mir dabei bislang am wenigsten aufgefallen, aber wenn man sich mal eine Weile Google News fuer die eigene Stadt einrichtet, begegnen einem Clickbait-Titel, die die bisherige fragwuerdige Praxis auf Facebook zahm aussehen lassen. Mein Highlight in den letzten Wochen war ein Artikel des Muenchner Merkur, der Biergaerten in Ulm und Neu-Ulm verglichen hatte – ohne vor Ort gewesen zu sein, anhand der Google-Maps-Bewertungen. Und vom oertlichen Pressehaus dominieren regelmaessig reisserische Ueberschriften im gewohnten andeute-Frage-Stil, die ganz Furchtbares versprechen – und im Text stellt sich dann heraus, dass das alles ganz harmlos ist. Hauptsache geklickt, das treibt die Statistik nach oben, und manche Redakteur*innen spielen dieses von der Hausleitung geforderte Spiel wohl auch einfach mit.

Joan Westenberg beschreibt, dass das nicht einfach nur die Konsequenz der Verwertungslogiken in dem Web sind, in dem wir leider nun sind, sondern ein handfestes Problem:

In their ruthless quest for clicks and attention, headline editors — and let’s be clear, it’s usually editors, not journalists — are destroying the legitimacy of the mainstream media.

They’re like magicians, but instead of pulling rabbits out of hats, they’re yanking context out of stories and replacing it with shock value. These headline mutilators are perfecting the art of the bait-and-switch, serving up tantalizing hooks that barely resemble the meat of the story. It’s not just misleading — it’s manipulation, turning journalism into a carnival sideshow where spectacle eclipses substance.​​​​​​​​​​​​​​​​

The Bait-and-Switch Crisis: A Dangerous Disconnect Between Headlines and Content

Denn haeufig werde bereits die Clickbait-Ueberschrift rezipiert und in die eigene Meinungsbildung eingebaut – egal ob im Newsfeed oder als Vorschau-Snippet in der Telegram-Gruppe. Und, persoenliche Beobachtung, nachdem immer mehr dieser Inhalte sowieso hinter einer Paywall verschwinden, durch die bei weitem nicht alle durchkommen, ist das auch das einzige, was viele Menschen sehen und sich daraus ihre Meinung bilden.

The commercial model of modern publishing is like a hyperactive toddler hopped up on sugar — it’s all instant gratification and constant stimulation. Click. Share. Engage. Repeat. It’s a model that values quantity over quality, speed over accuracy, and provocation over insight.

ebda.

Das kann doch alles nicht langfristig gut gehen.

Lagenachbesprechung

There are these two young fish swimming along, and they happen to meet an older fish swimming the other way, who nods at them and says, “Morning, boys, how’s the water?” And the two young fish swim on for a bit, and then eventually one of them looks over at the other and goes, “What the hell is water?”

David Foster Wallace, 2005 Commencement Speech, Kenyon College

Das soll jetzt nicht falsch klingen, aber ich habe in der vergangenen Woche Freude aus einer Diskussion rund um eine Podcastfolge der „Lage der Nation“ gezogen. Zumindest in Deutschland endet nun Monat 11 der Pandemie, und mir fehlen tiefschuerfende Diskussionen sehr. Und nicht zuletzt gab es fuer mich einige Aha-Momente, die mich sehr an Diskurse rund um „Die Digitalisierung™“ erinnerten – und an welchen Stellen sie regelmaessig implodieren, weil verschiedene Seiten gar nicht ueber dieselbe Sache sprechen. Obwohl sie, oberflaechlich betrachtet, dieselbe Sprache sprechen.

Kernproblematik ist, dass wir auch nach Monat 11 der Pandemie immer noch nicht geschafft haben, die Bewaeltigung der Pandemie zu einer gesamtgesellschaftlichen Anstrengung zu machen, die wir als Kollektiv bewaeltigen, nicht als Ansammlung von Individuen. Derweil wird das kollektive Gedaechtnis, wie wir durch die Pandemie gehen, an vielen Stellen von Stimmen gepraegt, die vergleichsweise gut durch die Lage kommen, waehrend andere Perspektiven fehlen. Das ist ein Problem.

Ich finde leider die Originalquelle auf Twitter nicht mehr, aber ein Zitat in meiner Timeline lautete sinngemaess: „Es gab nie einen ersten Lockdown. Es gab privilegierte Menschen, die sich in ihr Zuhause zurueckgezogen haben. Und weniger privilegierte Menschen, die ihnen Essen geliefert haben.“

Solange diese Sichtweise den Diskurs praegt, haben wir auch nur eine einseitige Debatte (Dass die untereinander wieder viele Risslinien hat, spielt hier keine Rolle. Das Buergertum kann ja auch mal das Feeling mitbekommen, wie das ist, wenn in der eigenen Gruppe verschiedenste Stroemungen miteinander zoffen). Und das ist mir etwas zu wenig.

Impfprivilegien und Individualismus

Den Anfang macht der Podcast „Lage der Nation“, Ausgabe 225. In Kapitel 9 (Ab Minute 45:25) geht es um die Debatte, ob Geimpfte oder Genesene von bestehenden (oder noch kommenden) Beschraenkungen befreit werden sollen. Unter anderem wurde auch der Einwand beleuchtet, ob es nicht unsolidarisch sei, wenn nun Geimpfte und Genesene – platt gesagt – wieder tun duerften, was sie wollen. Die „Lage“-Sprecher verneinen das, im Gegenteil:

Also ich muss ganz ehrlich sagen, dieses Solidaritätsargument überzeugt mich nicht so wahnsinnig. Es ist, sagen wir mal, so ein Stück weit ein Fairness-Argument, solange der Staat tatsächlich die Prioritäten regelt und solange man sich eben nicht frei impfen lassen kann. Aber spätestens wenn Impfstoffe frei verfügbar sind, finde ich, ist Solidarität irgendwie kein wahnsinnig überzeugendes Argument. Da fand ich ganz spannend die Sichtweise von Carolin Emcke, Publizistin aus Berlin. Die hat das auf Twitter sehr schön auf den Punkt gebracht.
Wir zitieren das mal: „Als jemand, die vermutlich erst im Sommer geimpft wird, fallen mir keine vernünftigen Einwände ein, warum andere Menschen, die schon geimpft wurden, nicht auch wieder ins Theater oder ins Kino dürfen sollen. Ich gewinne doch nichts durch deren Verlust“.
Also auf Deutsch, so das Argument. Solidarität ist im Grunde ein Egoismus Argument, denn man selber, man selber verliert ja nichts dadurch, dass die anderen was mehr dürfen. Man muss vielleicht einfach mal den anderen Menschen gönnen, dass sie in gewisser Hinsicht Glück gehabt haben.

Ulf Buermeyer, Lage der Nation 225 (automatisches Transcript)

tante schrieb daraufhin eine Replik – „Lagebesprechung” – in der er die Argumentation Banses und Buermeyers analysiert und insbesondere die Praemissen nochmals gesonders aufzuzeigen versucht, die die beiden als Gegeben voraussetzen. Insbesondere verweist er darauf, dass die Geimpften und Genesenen nicht im luftleeren Raum stehen: Wenn Menschen ins Restaurant oder Theater gehen moechten, bedarf es dafuer wiederum weiterer Menschen, die das Essen kochen und servieren und Tickets abreissen und dergleichen mehr.

tante fuehrt (IMO zu Recht) aus, dass durch die Wiederherstellung des vorpandemischen Normalzustands „Immunkapital“ entsteht und dadurch materieller Druck bei eben diesen Essenskocher:innen und Ticketabreisser:innen, die in folgenden, naja, Optionen muendet:

Ich warte auf die Impfung und verliere meine Existenz/verarme

Ich versuche mir auf dem Schwarzmarkt ne Impfung zu kaufen

Ich versuche mir ein gefälschtes Immunzertifikat zu beschaffen

Ich infiziere mich willentlich und hoffe, nicht schlimm krank zu werden

Ich empfehle die Lektuere und bleibe solange hier.

Ich sehe was, was du nicht siehst

Kippfigur Rubinsche Vase
Kippfigur „Rubinsche Vase“. Je nach Betrachtung ist die Vase zu sehen, oder, naja, die unsichtbaren Arbeiter:innen, die sie fuellen sollen. Gemeinfreie Darstellung von John smithson 2007 via Commons

In der aktuellen „Lage“ 226 gehen Banse und Buermeyer ab Ca. Minute 45 auf tantes Blogpost ein und setzen ihm einige Entgegnungen gegenueber, die ich sehr spannend zu betrachten finde. Ein automatisiertes Transkript des Abschnitts findet sich hier.

Im Wesentlichen bringen die beiden die folgenden Argumentationsstraenge vor:

  • Die von tante bemaengelten unterschlagenen Praemissen seien sehr wohl in LdN225 vorgebracht worden.
  • tantes Argumentation, die Position der beiden spiegle ein sehr individualisiertes Rechts- und Gesellschaftsbild sei unzulaessig, da sie hier im Wesentlichen die Rechtslage wiedergeben wuerden, die genau auf solch einer Sicht aufbaue
  • Als Beispiel koenne man hier die Corona-Warn-App vorbringen, die das individuelle Recht auf Datenschutz hoeher haenge als moegliche gesellschaftliche Vorteile, wenn die von der App erhobenen Daten ueber Kontakte ohne Datenschutz freier verfuegbar gemacht werden wuerden
  • Generell sei die Argumentation mit Solidaritaet zwar menschlich nachvollziehbar, aber eben keine gueltige Argumentation sondern sogar gefaehrlich, weil man damit ja „alles“ begruenden koenne.

Auf die Geschichte mit der Warn-App einzugehen duerfte der muessigste Part sein. Die App ist seit Monaten nur ein weiteres Beispiel fuer den Versuch, durch vermeintlich ueberlegene technische Loesungen tatsaechlich soziale Probleme anzugehen – und dabei die eigentlichen Baustellen (z.B. umfassendes Track&Trace von Infektionen) links liegen zu lassen. Eigentlich war schon die App selber der Versuch, sich irgendwie Freiheiten zu erkaufen anstatt – solidarisch, fuer die gesamte Gesellschaft – die Pandemie komplett in den Griff zu bekommen. Die Debatte um mehr oder weniger Datenschutz in der App ist ein Strohmannargument, und die Unterstellung, dass tante sich ja sicher auch empoeren wuerde wenn man den Datenschutz in der App aufweichen wuerde ist besonders lustig wenn man tantes Geschichte kennt.

Interessanter ist die Behauptung, dass die beiden sehr wohl in LdN225 notwendige Praemissen vorgebracht haetten. Sie seien naemlich davon ausgegangen, dass es dann genuegend Schnelltests geben muesse, um nachweisbar Nicht-Infektioese den Geimpften gleichstellen und damit auch ihnen Dinge ermoeglichen zu koennen. Witzig ist hier, im Transkript darauf zu achten, wer daraus welche Schluesse zieht. Banse sagt:

Ja, wenn denn Geimpfte/Genesene in ein Restaurant gehen dürfen, dann geht das nur unter der Voraussetzung, dass die, die da arbeiten, einen Schnelltest kriegen

waehrend Buermeyer das „Freitesten“ auf eine Gleichstellung mit denjenigen Geimpften bezieht, die sich dafuer entscheiden koennen, zum Beispiel ein Restaurant oder ein Theater zu besuchen.

Beide Faelle beschreiben aber eine komplett unterschiedliche Argumentation, und das ist nicht nur akademisch interessant. Wenn wir im Alltag eine Argumentation vorbringen, fangen wir nie bei Null an. Wir gehen davon aus, dass wir gewisse Grundannahmen mit dem Gegenueber teilen. Zwar ist es theoretisch moeglich, buchstaeblich bei Null anzufangen, wie das in der Mathematik-Grundvorlesung mit Null- und Einselement der Fall ist, auf denen dann quasi alles Folgende abgebildet wird. In alltaeglichen Diskussionen macht man sich damit keine Freund:innen (es sei denn, es ist schon spaet und man trifft in der Kueche Menschen, die wirklich sehr viel Spass an Aussagenlogik haben, was ich hier keinesfalls schlechtreden moechte). In der Praxis wird man sich daher vielfach auf Enthymeme stuetzen, also auf Praemissen, bei denen man annimmt, dass die an einer Diskussion Teilnehmenden sie allgemein anerkennen. Die haben auch den geschickten Vorteil, dass sie einem – weil sie ja allgemein anerkannt sind – bei der Argumentation tatsaechlich helfen.

Es lohnt sich aber durchaus, diese Annahmen einmal gezielt zu dekonstruieren. tante erwaehnt – leider – in seinem Blogpost kein einziges Mal den Begriff „Klasse“. Und der – und die damit verbundenen Praemissen, die man jeweils als allgemein anerkannt annimmt – machen in der Diskussion den grossen Unterschied.

Denn, und damit sind wir beim individualisierten vs. kollektivistischem Gesellschaftsbild angelangt, Freiheit ist nicht eindimensional. Freiheit erschoepft sich nicht in der positiven Freiheit, selber (als geimpfte, genesene oder sei es nur risikobereite Person) zu entscheiden, ein Theater oder ein Restaurant zu besuchen. Zu ihr zaehlt auch die negative Freiheit, nicht durch Dritte dazu gezwungen zu werden, sich einem Risiko auszusetzen, dem man sich nicht aussetzen moechte.

Und hier clashen die Weltbilder. Banse und Buermeyer scheinen sich hauptsaechlich in einer Welt der positiven, individualistischen Freiheit aufzuhalten, in denen externe nicht allein im Recht begruendete Einfluesse selten sind. Keinem von beiden scheint aufzufallen, dass erst durch die Oeffnung von Restaurants oder Theatern eine Situation geschaffen wird, in denen bislang nicht gegen die Pandemie immune Menschen aus wirtschaftlichen Zwaengen letztlich dazu gezwungen werden koennten, sich dem Pendelverkehr im oeffentlichen Personenverkehr auszusetzen, nur um Geimpften und Genesenen das Essen an den Tisch zu bringen. Einen Schnelltest kann man unter diesen Bedingungen fast schon fuer zynisch halten – wir werden wenigstens herausfinden, wenn wir dich als Servicekraft dazu gebracht haben, dich tatsaechlich zu infizieren. Vielleicht findet das Gesundheitsamt dann ja auch raus, ob du daran beteiligt warst, durch deinen eigentlich vollkommen unnoetigen, nur den Menschen mit Immunkapital dienenden Aufenthalt in einer Risikozone dazu beigetragen hast, eine moeglicherweise noch verheerendere Mutante des Virus zu verschaerfen. Oder ob nur du und dein direktes Umfeld in Lebensgefahr gebracht wurden.

Kippfigur. Sieht von unten anders aus als von oben.

Sind hier 6 oder 7 Wuerfel zu sehen? Novi Sad um 1910. Locksit, Kippfigur 6=7 Wuerfel, CC BY-SA 4.0

Das alles waere eigentlich muessig zu diskutieren, wenn die „Lage“ nicht mittlerweile so ein reichweitenstarker Podcast geworden waere, der nicht wenig zur Meinungsbildung zumindest in podcastaffinen Bildungsbuergerkreisen beitragen duerfte. Es gibt derzeit kaum Medienjournalismus, der die Inhalte in reichweitenstarken Podcasts bespricht, und mangels Transcripts ist das auch gar nicht so einfach. Nicht zuletzt aber tat sich die Lage – sicherlich auch wegen des beruflichen Backgrounds von Buermeyer als Jurist – auch in der Vergangenheit dadurch hervor, vorwiegend aus der geltenden Rechtslage heraus Sachverhalte zu argumentieren. Das faengt schon mit der – fehlgeleiteten – Analyse an, was eigentlich Privilegien im rechtlichen Sinne seien.

Gesetze sind aber vor allem gesellschaftliche Konstrukte, die naturgemaess aus existierenden Herrschaftsstrukturen erwachsen. Es gibt keinen Punkt, an dem eine Gesellschaft „fertig“ ist. Was wir heute fuer selbstverstaendlich halten, war noch in der Generation unserer Eltern hart umkaempft. Und fuer manches, was heute Stand der Gesetzgebung ist, wird die nachfolgende Generation uns irritiert den Vogel zeigen. Dieses Bewusstsein, dazu das Anerkenntnis, was „hart umkaempft“ tatsaechlich in der Praxis bei vielen gesellschaftlichen Veraenderungen wirklich bedeutete, und die stetige Dekonstruktion der eigenen Position und Annahmen (gerne bis hin zu dem eher unangenehmen Part, wo mensch auch die Praemissen dekonstruiert, auf denen Teile der eigenen Persoenlichkeit begruendet sind) taeten einer Lage der Nation schon gut.

‘We Shall Overcome’ is a song which, in various languages, is common on every known world in the multiverse. It is always sung by the same people, viz., the people who, when they grow up, will be the people who the next generation sing ‚We Shall Overcome’ at.

 Terry Pratchett, Reaper Man

Soviel zur Filterblase

Wer vergangenen Sonntag entsetzt darueber war, wie viele Waehler*innen offenbar ihre Zukunft in der Union sehen, wie vielen wichtiger ist, einen Veggie-Day in der Kantine abzuwenden, als NSA, Totalueberwachung und Vorratsdatenspeicherung – befindet sich vermutlich in der beruechtigten Filterblase des Internet.

Ausserhalb derer machen die klassischen Medien Meinung, nicht Twitter. Und eine Geschichte der letzten Tage machte mir gleich nochmal deutlicher, wie so etwas aussieht.

Die Open Knowledge Foundation betreibt eine Mailingliste zu Data Driven Journalism – fuer Journalist*innen, die ihre Stories mit Daten unterfuettern, diese greifbar aufbereiten wollen, beispielsweise. Dort schreiben professionelle „Datenveredler*innen“ ebenso wie eine mir nicht bekannte Zahl interessierter Journalist*innen aus aller Welt, und die Liste war immer wieder mal Quelle interessanter Arbeiten, die ich auch hier verlinkt habe.

Montag mittag schrieb dort nun eine Abonnentin, dass sie gerne aus der Liste ausgetragen werden moechte – und loeste damit eine Mailflut aus:

Date: Mon, 23 Sep 2013 09:14:45 +0100
Thread-Topic: Can I be removed from mailing list?
Hi there,

I am leaving my current role so need to be removed from 
your mailing list - the link to click through to this 
option doesn't seem to be working. Can I be removed asap 
please?

Man muss nun eingestehen, dass das Mailman-Interface fuer die Abmeldung nicht die beste Usability hat: Man muss hierfuer die eingetragene Mailadresse ins obere Feld eintragen, das Passwort kann leer bleiben, und dann unten auf „unsubscribe“ klicken. Laesst man das Adressfeld leer, beschwert sich Mailman mit einem „Error: No Address given“. Das schien aber eine riesige Huerde fuer viele Abonnent*innen zu sein, denn es folgten (schnell gezaehlt) sieben Antworten in diesem Stil:

Date: Mon, 23 Sep 2013 14:10:13 +0000
Subject: Re: [ddj] Can I be removed from mailing list?

Me too, UNSUBSCRIBE
[Fullquote entfernt]

…bis dann Gregor Aisch irgendwann der Kragen platzte:

Date: Mon, 23 Sep 2013 20:45:56 +0200
Subject: Re: [ddj] Can I be removed from mailing list?
To save us all from more "me too" message I repeat 
the instructions once for the list:
To unsubscribe send an email with the subject 
"unsubscribe" to
data-driven-journalism-request@lists.okfn.org

Alternatively you can just send any email to
data-driven-journalism-remove@lists.okfn.org

OR you can use the unsubscribe-form which is, by the way, 
linked at the end of each email you received.
http://lists.okfn.org/mailman/options/data-driven-journalism

Here's more information if you want to dive into this:
https://www.gnu.org/software/mailman/mailman-member/node14.html

Best,
Gregor

Dieser Hinweis kam aber nicht gut an:

Date: Mon, 23 Sep 2013 16:41:24 -0400
Subject: Re: [ddj] Can I be removed from mailing list?
Yall are being very sassy about this, while many of us 
have tried many times to remove ourselves following all 
logical procedures, and it simply hasn't been working.

Peter Troxler rantete parallel in einem separaten „Bitte meldet mich von der Mailingliste ab“-Thread sueffisant ueber die Recherchefaehigkeiten der Betroffenen:

Date: Mon, 23 Sep 2013 20:53:13 +0200
Subject: Re: [ddj] I'd like to be' removed from your list
To all of you who for some funny reason are not able to 
unsubscribe yourselves (apologies to all others):
1. please grow up (yes, this is unnecessary flame, 
apologies)
2. follow the unsubscribe link at the very bottom of 
every mail from the list
3. IMPORTANT: add the email address you want to 
unsubscribe into the first box provided on the site 
(labelled "email address")
4. hit the unsubscribe button a wee bit further down 
under the heading unsubscribe
5. wait for the confirmation email to arrive
6. follow the link given in the confirmation email to 
*really* unsubscribe
7. hit the unsubscribe button on the site again to confirm
Yes, it is seven steps (and I just confirmed that it 
really works, as in step 8 you get a confirmation email).
But is that really *so* difficult for people wanting to be
 "data driven journalists", PLEASE!
/ Peter

So weit, so gut – das Thema schien durch, ich ging ins Bett. Und brauchte heute morgen beim Anblick dessen, was sich danach entwickelte, erst einmal einen Kaffee. Es begann ganz harmlos:

Date: Tue, 24 Sep 2013 22:33:19 +0100 (BST)
Subject: [ddj] confirmation on data-driven journalism
I confirm my subscription to data-driven journalism

Zwischendrin machte sich Michael Kreil ein Spaesschen:

Date: Wed, 25 Sep 2013 00:25:17 +0200
Subject: Re: [ddj] confirmation on data-driven journalism
I confirm my love to the data-driven journalism

…und auch Marco Maas mischte mit:

Date: Wed, 25 Sep 2013 11:48:06 +0200
Subject: Re: [ddj] confirmation on data-driven journalism

i confirm that i read all the mails about confirmations 
of subscriptions.

An der Mehrzahl der Abonnent*innen schien dieser Humor aber vorbeizugehen:

Date: Wed, 25 Sep 2013 10:12:54 -0300
Subject: Re: [ddj] data-driven-journalism Digest, Vol 30, Issue 23
Did the admin ask for people to confirm their allegiance 
to the list in this fashion? I don't quite get it, really.

Anyway, since I'm unvoluntarily contributing to this 
thread, count me in.

Der Bestaetigungsthread umfasst momentan ueber 40 Mails mit der expliziten und vollkommen unnoetigen Bitte, auf der Liste zu bleiben. Nur so als Erinnerung, dass das die fortschrittlicheren unter den Journalist*innen sind –  und selbst da scheint schon E-Mail manchmal eine grosse Huerde zu sein.

Open-Data-Links (hauptsaechlich)

OpenData und Co

datascience

Introduction to Data Science mag ich heute besonders hervorheben, weil es ein komplettes Buch rund um Datenauswertung mit R ist, und weil es frei ist (cc-by-nc-sa).
Es beginnt mit einer kleinen Einfuehrung, was ueberhaupt Daten sind, und warum der Autor das kommandozeilenorientierte R statt Excel und Co verwendet (einen Aufsatz ueber die Verbreitung und damit einhergehende Gefaehrlichkeit von Excel gibt es hier, via @343max/@hulalena), fuehrt in kleinen Schritten ueber Data Frames auf statistische Grundlagen wie Quantile, Histogramme und Signifikanz hin, bevor es mit R Studio dann doch klickibunti benutzerfreundlicher wird, um Twitter und Texte zu analysieren, Daten zu speichern und (mein Lieblingsthema! :D) Karten zu bauen.
Alle Beispiele sind aus der Praxis gezogen und ersetzen zwar mit Sicherheit keine tiefere Beschaeftigung mit statistischen Methoden, eignen sich aber wunderbar als Einfuehrung und Appetitmacher auf mehr. Leseempfehlung!

Ausserdem:

API

Unterhaltung

  • Stenocast, Folge 0/1 / stenocast.de — Herr Urbach und Co. lesen alte Plenarprotokolle der Bonner Republik. Arbeitstitel: „Too old, didn’t read“.
  • The Importance of Excel — ob das so unterhaltend ist, sei mal dahingestellt: Warum Excel so weit verbreitet ist, ueberall benutzt wird — und welche Konsequenzen das hat (nochmal aufgegriffen von oben)
  • The Robbers Cave Experiment — Wie Sozialpsychologen einfach mal zwei sommercampende Kindergruppen aufeinander treffen liessen um herauszufinden, was man braucht, damit die sich bekriegen. Aufloesung: Gar nix weiter. (via erlehmann und plom)
  • Traumatische Momente im Kinderfilm — die 50 verstoerendsten Kinderfilmszenen, von den Geisterelefanten bei Dumbo bis — natuerlich — zu Bambis Mutter. (via/@leitmedium)

„Aber ich stelle nicht nur eine Frage, das Interview besteht aus mehreren Fragen.“

Christian Jakubetz nennt es „das vermutlich beste Stueck Fernsehen in diesem Jahr“: Armin Wolf versucht in der ZIB2 Magna-Gruender Frank Stronach zu seinen Aussagen aus dem U-Ausschuss zu befragen, denen zufolge die Magna keine Vorteile durch die Eurofighter-Beschaffung gehabt habe — derweil hatte die Magna offenbar Gegengeschaefte geltend gemacht.

Und der Herr Stronach? Der versucht erst einmal, fuenf Minuten lang ein Dokument vorzulesen und maeandert dann auf jede Frage hin minutenlang ab. Das, und Wolfs Umgang damit: Ganz grosses Kino. „Meine Frage ist noch nicht fertig, Herr Stronach!“

Neil Armstrong und die Fotos

Auf Twitter konnte man der Meldung gestern ebensowenig entgehen wie der Aberkennung der Tour-De-France-Titel eines anderern Armstrong vor einigen Tagen: Der erste Mensch, der auf dem Mond war, ist tot. Zeit fuer wunderbare Mond-Bilder auf Seite 1 der… naja, wohl Montagsausgabe der meisten deutschen Zeitungen.

Charles Apple, seines Zeichens freelance visual journalist, warnt derweil davor, allzu ikonische Mondlandungsbilder unhinterfragt zu verwenden. Der Mondfahrer mit dem goldenen Visor im Weltraumanzug? Buzz Aldrin. Und das Foto ist dazu auch noch manipuliert — im Original ist der Kopf abgeschnitten. Der Fussabdruck im Mondstaub? Oft auf dem Kopf verwendet oder nachtraeglich coloriert. Und dazu noch der von Buzz Aldrin.

Das dpa-Paket scheint alle Bilder richtig zuzuordnen, wenn man annimmt, dass die oertliche Zeitung alle Bildunterschriften 1:1 uebernommen (und „Foto: SWP“ dazugeschrieben) hat; im Zweifelsfall mit geschickten Auslassungen und nicht-ganz-Behauptungen. Wer mag, kann aber mit diesem Blog-Wissen am Montag aufmerksam den oertlichen Kiosk ueberfliegen.

(via)

Die Angst vor den Menschen

In Ulm fand dann doch keine verbotene Facebook-Party statt. In Konstanz sorgten Polizeihubschrauber(sic) und -hundertschaften dafuer, dass die 30 erschienenen jungen Menschen ordnungsgemaess ihren Platzverweis vom Strandbad Horn erhielten. Gewonnen haben auf jeden Fall die Repressionsmassnahmen der betroffenen Staedte und der Landes- und Bundespolizei, denn:

  • Passiert gar nichts (wie in Ulm), waren die Massnahmen erfolgreich. Ohne das Komplettverbot saemtlicher(!) ueber soziale Netzwerke organisierte Veranstaltungen im Stadtgebiet und das massive Polizeiaufgebot waeren schlimme Dinge™ passiert.
  • Passiert wenig oder quasi nix (wie in Konstanz), waren die Massnahmen erfolgreich. Ohne die Allgemeinverfuegung oder mit weniger als diesen vielen hundert PolizistInnen waeren deutlich mehr Leute gekommen und es haetten schlimme Dinge™ passieren koennen.
  • Passiert doch was, waren die Massnahmen erfolgreich. Nur durch die Allgemeinverfuegung und das massive Polizeiaufgebot konnte die Lage halbwegs gemeistert werden.

Unterdessen stellt sich die Frage, wer die Kosten fuer besagte massives Polizeiaufgebot tragen soll. Zitat heise online:

Baden-Württembergs Landespolizeipräsident Wolf Hammann und Innenminister Reinhold Gall (SPD) wollen sich nun wehren. „Die Polizei wird alle Möglichkeiten ausschöpfen, um die Kosten für Polizeieinsätze, beispielsweise Platzverweise wegen Ruhestörungen, Streitigkeiten oder ähnlichem, in Rechnung zu stellen“, sagt Gall.

Bei einer geplanten Facebook-Party an diesem Wochenende in Ulm gab allein die örtliche Polizei ihre Ausgaben mit 60.000 Euro an. […] Nach der ausgeuferten Feier in Backnang (Rems-Murr-Kreis) eine Woche zuvor wollen Polizei und Stadt den Verantwortlichen dort sogar rund 140.000 Euro auf die Quittung schreiben. […]

Die Politik will der Minister aber erstmal nicht einschalten. „Grundsätzlich können junge Menschen Partys feiern und Spaß haben, aber wie immer nicht auf Kosten und zum Schaden Dritter oder der Allgemeinheit.“ Momentan reiche das bestehende Instrumentarium aus, um gegen Facebook-Partys vorzugehen. So zeigten die massiven Drohungen von Stadt und Polizei in Ulm und Konstanz Wirkung – die Partys fielen aus. „Falls notwendig, werde ich zu gegebener Zeit die Problematik in den zuständigen Gremien thematisieren“, betonte Gall.

Da stellen sich mir noch ein paar Fragen:

  • Wenn Fussballfans Party feiern und Spass haben, wird das ebenfalls von Polizeihundertschaften begleitet. Hierfuer kommen die SteuerzahlerInnen auf. Wo ist der Unterschied?
  • Wenn Autokorsos EM- oder WM-Siege feiern, geschieht das zum Nachteil der AnwohnerInnen der betroffenen Strecken, wie man in lokalen Nachrichtenmedien alle zwei Jahre an geeigneter Stelle nachlesen kann. Auch hier schreitet die Polizei nicht ein. Wo ist der Unterschied?
  • Wo ist der Unterschied einer „fuehrungslos“ per Facebook organisierten Party zu einer „fuehrungslos“ durch andere Kommunikationsmittel organisierten Veranstaltung? Verstehen wir uns nicht falsch, Telefonketten sind jetzt nicht mehr so das Mittel der Wahl, aber wuerde man nach dem Nabada zu einem kollektiv veranstalteten Riesenpicknick in der Au einladen, wuerde das in Teilnehmerzahl, eventuell verursachtem Muell und Lautstaerke womoeglich an die „Facebook-Party“ heran-, jedoch nicht wesentlich ueber das „normale“ Treiben nach dem Nabada heraus-ragen. Oder gibt es Tage, an denen das gesellschaftlich akzeptiert ist, weil es da genuegend parallel laufende „herkoemmliche“, kommerzielle Veranstaltungen gibt?
  • Und nicht zuletzt: Warum warte ich bislang vergeblich auf eine kritische Reflektion der im Vorfeld lustig berichtenden Regionalmedien ueber ihre eigene Rolle in der Eskalationsspirale?

Friede, Freude, Pflastersteine

das Dossier titelt ueber die Blockupy-Proteste in Frankfurt. Bei denen legten zwar die Behoerden eine Stadt tagelang teilweise illegal, immer jedoch martialisch auftretend lahm, die herbeibeschworenen Gewaltexzesse seitens der Demonstrierenden blieben jedoch aus.

Nun kann man solch ein Ergebnis immer auf zwei Arten interpretieren. Die Verfechter von Law&Order begruenden das friedliche und entspannte Wochenende mit dem entschiedenen Auftreten der Polizei, die selbst das Verteilen von Grundgesetzen als einen potenziellen Angriff auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung verstand und wenigstens mit Personalienaufnahmen darauf reagierte.

Die Befuerworter der Versammlungsfreiheit halten dagegen das Polizeiauftreten fuer einen gezielten Einschuechterungsversuch, um „demonstrationsunerfahrene“ Bevoelkerungsgruppen von der Wahrnehmung ihrer Rechte abzuschrecken.

Die Demonstrationen blieben indes friedlich. „Bunt“, ein gerne gebrauchtes Wort, das genausogut „fad“ lauten koennte. Jedenfalls fuer die dritte Partei, die in der Bewertung und Rezeption einer jeden oeffentlichkeitswirksamen Aktion beinahe noch wichtiger scheint als Demonstrierende und Ordnungsbehoerden: Die Medien.

Fuer Die Medien™ war Blockupy genau das. Friedlich. Bunt. Fad. Das interessiert eben keinen: Keine Gewaltexzesse, keine Steinewerfer — also auch keine Titelseiten. Absurd:

Eine der größten Kundgebungen, die die Stadt Frankfurt in diesem Jahrtausend gesehen hat, durchgesetzt gegen eine Orgie von Verboten und einen martialischen Polizeieinsatz, 25.000 Teilnehmerinnen aus ganz Europa, der größte Protest gegen Merkels Krisenregime, den Deutschland bisher gesehen hat – und selbst die heimische Frankfurter Rundschau hatte dafür nur einige Spalten im Lokalteil über. Lediglich einige linke, von vornherein interessierte Medien berichteten auch am Montag noch.

Das soll keine Klage ueber eine etwa „zu friedliche“ Blockupy-Demonstration sein, im Gegenteil. Es ist eine Klage gegen das formatierten Geschichten folgende Nachrichtenangebot. Dass ein griechischer Rentner sich vor dem Parlament erschiesst, aus Scham, aus dem Muell leben zu wollen, findet keinen Platz in der Tagesschau. Und dass 25.000 Demonstrierende friedlich durch eine Grossstadt ziehen, passt offenbar nicht ins gewohnte Narrativ — und verliert somit jeglichen Nachrichtenwert.

Denn Inhalte spielten bei der Berichterstattung rund um die Frankfurter Blockupy-Proteste keine Rolle. Die sozialen Bewegungen in Deutschland werden stattdessen gebetsmühlenartig in eine Gewaltdebatte hineingedrängt, obwohl sie seit mehreren Jahren einen immer breiteren Konsens der gewaltfreien Militanz entwickeln und damit neue Anhänger aus allen Schichten gewinnen.

Manchmal wuenschte ich mir, Leute wuerden wieder selbst mehr aus dem Haus gehen und sich Dinge selber ansehen. Ich weiss gar nicht, ob ich mich selber als „Demonstrant“ bezeichnen koennte — ich war zwar mittlerweile bei einigen zugegen, aber fast immer in der Beobachterrolle, egal ob vor der Haustuere oder weiter weg. Das erweckende Erlebnis, im Beobachterteam auf der FSA09 wenige Meter von dem Pruegeleinsatz“ gestanden und im Nachgang die Berichterstattung mit den eigenen Protokollen und den Bildern und Videos der anderen TeilnehmerInnen verglichen zu haben, hat mein Vertrauen in Presseberichte (nicht nur) von Demonstrationen nachhaltig veraendert.

Damals, 2009, nachdem andere Medien die NPD-Demo in Ulm zu einer Strassenschlacht im Stile von Kreuzberg am 1. Mai hochstilisierten, erschien in der oertlichen Zeitung ein schoener (leider nicht mehr abrufbarer) Artikel darueber, wie befremdlich doch der Vergleich dieser Berichte zum eigenen Empfinden sei.

Und spaetestens jetzt sollte man sich sowieso wieder an die eigene Nase fassen und noch einmal genau nachdenken, wann eigentlich der 1. Mai in Kreuzberg zuletzt wirklich aus Strassenschlachten bestand.

Schon beim ersten Mai in Berlin konnte man in diesem Jahr ein einzigartiges Schauspiel beobachten: um die einzige brennende Mülltonne drängten sich 20 Fotografen.

Datendings (Hallo Journalisten)

Datenflut – Vortrag bei twenty.twenty in Wien – 21.03.2012 from datenjournalist.de on Vimeo.

Als ich vor zwei Jahren bei der grossen Ulmer Zeitung ein Praktikum in der Onlineredaktion machte, verfiel ich in ein typisches Informatikerverhalten. Mir fiel auf, dass ein nicht unerheblicher Teil der Arbeit aus prinzipiell automatisierbaren Teilaspekten bestand, und innerlich drehten die Muehlen, die das irgendwie scripten wollten. Beispielsweise wurde der Polizeibericht, sobald er per E-Mail eintraf, sowohl von der Onlineredaktion als auch von Print jeweils gelesen, in der Regel umgeschrieben, in das jeweilige Contentmanagementsystem befoerdert und veroeffentlicht.

Nach hinreichend vielen Semestern Informatikstudium reicht das fuer einen inneren Aufschrei und einen kaum zu baendigenden Willen, dieses System zu automatisieren.

Geschafft habe ich das damals nicht, aber ich habe mir wenigstens einige Seiten festgehalten, mit deren Hilfe ich damals ein wenig in die Welt des Datenjournalismus eingestiegen bin.

Fast forward: Zwei Jahre spaeter, und wir sind eigentlich immer noch nicht bahnbrechend weiter als 2010.

Ich glaube, es gibt recht viele Journalisten, die entweder Angst vor Daten haben oder aus irgendwelchen Gründen glauben, eine Analyse sei nicht nötig. Sie glauben, dass die traditionellen Wege der Berichterstattung immer schon richtig waren und das das auch so bleiben sollte. Das ist für mich eine Sünde des falschen Handelns. Auf der anderen Seite gibt es das Problem, dass in vielen Redaktionen die Existenz bestimmter Werkzeuge, Techniken oder Möglichkeiten einfach nicht bekannt ist. Von den zwei Gründen der Nicht-Nutzung ist das die besonders tragische Auslassung

sagt Aron Pilhofer im Interview mit Tereza Bouza, dessen deutsche Version der in dieser Thematik beinahe allgegenwaertige Lorenz Matzat in seinem Blog veroeffentlicht hat.

Der Einstieg ist dabei denkbar einfach — damals stiess ich auf grosse Begeisterung, als ich eine einfache Flash-Timeline zu einem Thema vorschlug, die mit wenigen Zeilen Code eingebunden werden konnte. Flowingdata ist eine schoene Anlaufstelle fuer Inspiration zu Visualisierungen jeglicher Art, und wer tiefer einsteigen moechte, findet bei Florian Gossy eine umfassende Linkliste.

Trotzdem werde ich immer wieder ueberrascht, wie abweisend mit dem Thema umgegangen wird. Es mag an der Mathematik liegen, die oft gefordert wird, oder an dem mehr oder (eher) weniger grossen Programmieraufwand, aber oft habe ich den Eindruck, dass man nicht so recht Lust hat, sich ueberhaupt mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Beim kommenden OpenCityCamp im Mai hier in Ulm war von Anfang an der Plan, sich auch mit Datenjournalismus auseinanderzusetzen, und dementsprechend war das auch Teil der Pressemitteilung der Universitaet, die zu meiner Freude auch in diversen oertlichen Medien aufgegriffen wurde.

Wenn wir aber dann kurz auf die Moeglichkeit verwiesen, doch auch als JournalistIn am OpenCityCamp teilnzunehmen, gab es bislang nur Kopfschuetteln: Das sei ja am Wochenende, und wenn man da nicht vom Arbeitgeber freigestellt werde, gehe ja die Freizeit drauf. Mehr als dass meine da schon laengst fuer draufgeht, konnte ich dann auch nicht mehr entgegnen…

(eingebettetes Video ebenfalls von Lorenz Matzat)

Addendum, beinahe vergessen: Bei der Spreerunde gibt es Aufzeichnungen der NR-Tagung Datenjournalismus. Fuer diem, die’s dann vielleicht doch interessiert.

Linkschleuder

Leistungsschutzrecht — nicht nur mich ueberraschte heute die Nachricht, dass die Koalition gestern die Einfuehrung eines Leistungsschutzrechts verkuendet hat. Kuenftig sollen „gewerbliche Aggregatoren“ ein Entgelt an Verlage zahlen(!) wenn sie Links auf deren Erzeugnisse setzen(!!). Google News, soll also fuer die werbefreie Lieferung von Klickvie^w Lesern an Onlineausgaben von Zeitungen auch noch Geld bezahlen. Oder vielleicht auch ich, wenn ich hier mal Werbung schalten sollte. Weil das ja eine Verbesserung des Urheberrechts ist!!11

Die Reaktionen aus dem Netz liessen nicht lange auf sich warten: Gerrit van Aaken subsummiert, dass man dann wohl einfach nicht mehr auf deutsche LSR-Profiteure verlinkt. „Lernen durch Schmerzen“, wie Lars Reineke das nennt. Ich bin derweil versucht, mal bei den oertlichen Medien nachzufragen, was sie denn davon halten — so wie das der Presseschauer schon seit geraumer Zeit tut. Und wer jetzt immer noch keine Ahnung hat, was denn dieses Leistungsschutzgeld^h^h^h^hrecht sein soll, kann sich einmal bei der IGEL — Initiative gegen ein Leistunggschutzrecht von Till Kreutzer oder dem heutigen Zeit-Online-Artikel von Kai Biermann ins Thema einlesen.

Ueberhaupt, das Urheberrecht. Thomas Knuewer interviewt eine 16jaehrige aus seinem Bekanntenkreis zu ihrem Engagement rund um die ACTA-Demonstrationen und bestaetigt meine Einschaetzung, dass hier in grossem Stil junge Leute mobilisiert wurden, deren faktische Lebensrealitaet von Rechteverwertern kriminalisiert wird. Eine weitere Aufarbeitung der Demonstrationen (und Wulff, und zu Guttenberg, und Wikileaks) vor allem aus medienkritischer Sicht kommt von DRadio Breitband mit dem gerade omnipraesent wirkenden Philipp Banse.

Marcel Weiss denkt derweil nach vorne und ueberlegt, wie ein modernes Urheberrecht aussehen koennte, Thomas Stadler fragt gar, ob wir uns vom Konzept des geistigen Eigentums verabschieden muessen, und beim Perlentaucher wird erklaert, dass der Ablauf der Schutzfrist oft eine Erleichterung fuer beinahe alle Beteiligten darstellt — und nicht selten auch ein Segen fuer die Werke selbst ist. Der Telegraph haelt tongue-in-cheek dagegen und schlaegt ein Eternal Copyright vor, damit auch die Ur-Ur-Urenkel von Lewis Carroll noch an Disneys „Alice im Wunderland“ beteiligt werden koennen. Na denn.

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Wer dagegen offene Lizenzen mag, kann aktuell mit wenigen Klicks in Sachen OpenData & Co taetig werden: Beim Zukunftsdialog der Bundeskanzlerin sollte Open Access auf die Agenda. Jeder Klick kann helfen, dass aus oeffentlichen Mitteln finanzierte Forschung zukuenftig frei fuer alle veroeffentlicht wird. Und nun habe ich schon wieder „Open…“ gesagt, obwohl mir es langsam stinkt, alles „Openirgendwas“ zu nennen. „Open Data“ needs to die ist ein kleiner Exkurs ueber die moeglichen schaedlichen Implikationen, alles „Open$foo“ zu nennen.

Wir, aeh, haben unser Barcamp dann trotzdem OpenCityCamp genannt. Wer Lust hat, sich ueber Moeglichkeiten auszutauschen, was man in Ulm alles bewegen koennte, melde sich an! 🙂

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