Eine der Lieblingsbeschaeftigungen von Netzmenschen, insbesondere Piraten, ist das rituelle gegenseitige Bewerfen mit metaphorischer Kacka, auch „Shitstorm“ genannt. Vorgestern bin ich in ein solches Phaenomen geraten, als es — wieder einmal — um die Genderfrage ging.
Jetzt muss ich zugeben, von diesem Thema nicht so viel zu verstehen, wie ich das gerne wuerde. Ich bin ein Kerl, der jahrelang die ueblichen Meinungen vertreten hat: Dass gegenderte Sprache scheisse aussehe, Frauenquoten dazu fuehrten, dass Frauen nur wegen ihres Geschlechts statt ihrer Qualifikation an Posten kaemen, und dass das heute doch alles viel besser sei als frueher.
Das hat sich mittlerweile geaendert. Wie ich Mathias Eigl damals erzaehlt habe: Ich folge Twitter bewusst Leuten, die anderer Meinung sind als ich. Auf der Konferenz der Informatikfachschaften steht das Thema traditionell auf der Tagesordnung, nicht nur der dort anwesenden Oesterreicher wegen (die in dieser Sache viel weiter sind als wir, habe ich oft den Eindruck). Und ich habe mich an meiner Fakultaet mit der Frage beschaeftigt, warum wir eigentlich so wenige Frauen in den Ingenieurwissenschaften und der Informatik haben. Obwohl Programmiererin mal ein „typischer Frauenberuf“ war (was ist das eigentlich?), und trotz Vorbildern wie Grace Hopper.
Und dann war ich angefixt. Landete in einem Seminar des Institut fuer Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin und analysierte Geschlechterrollen in Film- und Fernsehdarstellungen. Las Blogs, die ich noch vor zwei Jahren fuer Schaum-vorm-Mund-Publikationen hielt, und beobachtete mich zusehends selbst Schaum vor dem Mund zu bekommen, wenn mir jemand mit platten Aussagen zu dem Thema kommt.
Ich wuenschte, ich wuesste mehr. Und koennte mich distanzierter mit dem Thema beschaeftigen. Dann haette ich gleich vorgestern abend schreiben koennen, was mich an der Einstellung stoert, (maennlicher) Feminismus sei Sexismus: Es negiert jegliche Verantwortung seitens Maennern und setzt gleich noch eine implizite Beschuldigung an alle Frauen obenauf.
Wenn es Sexismus sein soll, sich als Mann fuer eine tatsaechliche Gleichberechtigung nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Praxis und vor allem in den Koepfen der Menschen einzusetzen, dann mag darin die gute Absicht mitschwingen, Frauen zuzugestehen, stark genug zu sein, dieses Problem selbst loesen zu koennen. Das hiesse aber auch: Der Weg zur Gleichheit ist keiner, den alle gemeinsam beschreiten, sondern der gefaelligst von denjenigen beschritten werden soll, die momentan marginalisiert werden. Und: Diejenigen, die momentan vom Status Quo profitieren, ihn aber zum Ziele der Gleichstellung in Frage zu stellen bereit sind, haben sich herauszuhalten. Und, zuletzt und am schwerwiegendsten: Wenn (noch) keine Gleichstellung erfolgt ist, ist die marginalisierte Gruppe selbst daran schuld. Die sollte doch stark genug sein.
Mir warf Jochen aka Laser (den ich persoenlich kenne und mit dem ich ansonsten keine Probleme habe) vor, dass mein Wissen doch nur angelesen sei und er seines aus dem Real Life habe. Er hat Recht: Ich habe mir das angelesen, und weiss immer noch zu wenig, und im Real Life hat er einige Jahre mehr als ich auf dem Buckel.
Nach dem rund einen Jahr, in dem ich mich intensiver mit dem Thema auseinandersetze, weiss ich hauptsaechlich, dass es viel mehr Aspekte darin gibt, mit denen ich mich noch gar nicht beschaeftigt habe. Dass einem, wie in anderen Beispielen auch, erst einmal die Augenbinde abgenommen werden, man das Phaenomen zu erkennen lernen muss. Und man den Eindruck hat, umso weniger zu wissen, je mehr man lernt.
Wie fast immer: Wenn es so scheint, dass man zu einem Thema innerhalb eines Jahres nichts dazugelernt hat, bleiben zwei Moeglichkeiten. Entweder, man weiss alles dazu, was es zu wissen gibt. Oder man hat in diesem Jahr so rein gar nichts dazugelernt.
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Mit Dank und teilweise Sorry an die vielen wenigen, die nicht muede werden, ihre Positionen oeffentlich im Netz zu vertreten, trotz oder gerade wegen der Resonanz, die sie dafuer einfangen. Die Namen waeren zu viele, aber beim kegeklub kann man sich heute beispielsweise die Ergebnisse einer grossen Genderumfrage bei den Piraten ansehen.
Das Thema geht noch weiter als nur in die Genderdebatte; Zu Antira habe ich mangels eigenen Wissens wenig geschrieben, und Ableismus waere die naechste Baustelle, bei der ich zumindest Jule danken mag, ueber die ich vor zehn Jahren erste Kontakte zu einer mir bis dahin fremden Behindertenwelt bekam und die mich dazu gebracht hat, DGS zu lernen đ