Schlagwort-Archive: Piraten

Apple-Schlangesteher und politische Demonstrationen

Dass Christopher Lauer die Piraten verlaesst, ist wohl gleichermassen schade wie konsequent — Respekt vor der Geduld, mit der er die staendigen Anfeindungen seiner Person und „den Berlinern“ gegenueber ertragen hat. Vor allem, weil „die Berliner“ tatsaechlich Politik machten und machen. Zum Einen mit dem Mittel der parlamentarischen Anfrage, mit dem „die Berliner“ gerne und oft Stachel im Fleisch des Berliner Senats sind, und zum Einen mit Beitraegen wie dem folgenden:

Addendum: Stefan Koerner hatte Lauer offenbar vorher eine Ordnungsmassnahme aufgedrueckt. Sympathisch. Aber wenngleich der Herr Koerner bislang wenig parlamentarische Politik betrieben hat, gab er eigenen Angaben zufolge ja >100 EUR am Tag fuer die Partei aus, da ist das sicher berechtigt.

Addendum2: Schiedsrichter fordert Videobeweis 😀

Linkschau

Um @sebaso zu zitieren: „Endlich mal ein vernuenftiger Use Case fuer NC-Lizenzen!“ → Lizenzhinweise fuer Ueberwachungskamerabilder, selbstgebastelt 🙂

♩

Was die Polizei alleine nicht schafft – bedrueckende Erlebniserzaehlung einer (gesetzeswidrigen) Polizeikontrolle im Zug allein der Hautfarbe wegen.

Der Ältere fragt nach meinen Ausweispapieren. Die Polizisten hatten also vor mir jede Menge Möglichkeiten nach Ausweispapieren zu fragen, aber nein, nur meine Papiere zu sehen, schien anscheinend interessant. Sehe ich so interessant aus? Wie sehe ich denn aus? Meine Haut hat eine FĂ€rbung, die als „schwarz“ bezeichnet wird, obwohl eindeutig nicht schwarz. Ich trage ein grĂŒn-schwarzes HolzfĂ€llerhemd, eine Base-ball-MĂŒtze und habe ein Schal um den Hals. Vor mir auf dem Tisch liegen zwei dicke BĂŒcher zu Mikroökonometrie und Regressionsmodellen fĂŒr kategorische abhĂ€ngige Variablen.

♩

Murder Machines: Why Cars Will Kill 30,000 Americans This Year. Pointiert geschriebenes Stueck rund um die Geschichte der Verantwortung bei Verkehrsunfaellen mit Kraftfahrzeugen.

Roads were seen as a public space, which all citizens had an equal right to, even children at play. “Common law tended to pin responsibility on the person operating the heavier or more dangerous vehicle,” says Norton, “so there was a bias in favor of the pedestrian.” [
]

By the end of the 1920s, more than 200,000 Americans had been killed by automobiles. Most of these fatalities were pedestrians in cities, and the majority of these were children. “If a kid is hit in a street in 2014, I think our first reaction would be to ask, ‘What parent is so neglectful that they let their child play in the street?,’” says Norton.

“In 1914, it was pretty much the opposite. It was more like, ‘What evil bastard would drive their speeding car where a kid might be playing?’ That tells us how much our outlook on the public street has changed—blaming the driver was really automatic then. It didn’t help if they said something like, ‘The kid darted out into the street!,’ because the answer would’ve been, ‘That’s what kids do. By choosing to operate this dangerous machine, it’s your job to watch out for others.’ It would be like if you drove a motorcycle in a hallway today and hit somebody—you couldn’t say, ‘Oh, well, they just jumped out in front of me,’ because the response would be that you shouldn’t operate a motorcycle in a hallway.”

(via)

♩

The Data Visualization Catalogue – Welche Datenvisualisierung passt zu welcher Art von Daten? (via)

♩

The Sunlight Foundation’s Data Visualization Style Guidelines – Schoene Einfuehrung zu gut lesbaren Graphen. (via)

♩

Zuletzt noch ein wenig Piratenrelatierter Content:

Wieviel Demokratie vertraegt die FDGO? – Lesestoff nicht nur fuer Piraten, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu etwas Heiligem verklaeren, ganz ideologiefrei, natuerlich.

Kritisiert wird an dieser Definition zunĂ€chst ihre Entstehung. Das BVerfG hatte sie zu großen Teilen aus dem damaligen § 88 Abs. 2 StGB (heute § 92 Abs. 2 StGB) ĂŒbernommen, aus dem Abschnitt der staatsgefĂ€hrdenden Straftaten. Das Gericht hat damit eine bereits existierende Definition des Strafrechts zu Verfassungsrecht erhöht. Problematisch ist das besonders, weil mit dem fdGO-Begriff EinschrĂ€nkung von Grundrechten einhergehen. Die Definition selbst lĂ€sst viele Fragen offen, die auch von den Gerichten und in der Rechtswissenschaft nicht einheitlich beantwortet werden. [
]

Nach dieser Logik lĂ€sst sich jede an Freiheit, Gleichheit und Hierarchieabbau orientierte Gesellschaftskritik, die nicht oder nicht ausschließlich auf die parlamentarische Demokratie, den bĂŒrgerlichen National-Staat oder ein kapitalistisches Ökonomiemodell setzt, als extremistisch diskreditieren, ungeachtet dessen, ob sich die Kritiker_innen klar gegen orthodoxen Marxismus-Leninismus, Stalinismus und autoritĂ€re Staatssysteme wie z.B. die DDR positionieren. Der Schutz von Freiheit und Demokratie kehrt sich so in sein Gegenteil.

(via)

Ausserdem zwei Kommentare zu #bombergate und der, hm, „linkskritischen“ Fraktion innerhalb der Piraten, die mal eben die Partei lahmzulegen versuchen, um ihren Willen zu bekommen: Wer eskaliert hier eigentlich? von Lars Reineke und eine rhetorische Frage von Michael Seemann.

♩

Bonuscontent: The Male Gaze in Porn (With Commentary By Doge) – alleine schon der Kommentare wie „such not cunnilingus“ wegen ansehen. Und der Musik 😉

q.e.d.

Wer die Popcornpiraten nicht kennt: Das war eine von Clemens Caspar Mierau betriebene Seite, die all die Denkwuerdigkeiten dokumentierte, die leider Tag fuer Tag bei der Piratenpartei so vor sich gingen. Ein Watchblog quasi, nur eben durch den Umstand, dass Piratens so gerne digital, oeffentlich und dadurch leicht zitierbar arbeiten, sehr leicht zu befuettern.

War, wohlgemerkt, denn das Experiment ist nun zu Ende, und auf Pastebin findet sich dazu ein von @leitmedium geschriebene „Abschlussartikel“ ueber die Hintergruende des Blogs, und die Diskrepanzen zwischen dem selbstgewaehlten Anspruch der Partei hinsichtlich Transparenz, Offenheit und Urheberrechtsreform und der Wahl der Mittel einiger dort erwaehnter Personen, gegen solche Veroeffentlichungen vorzugehen.

Lektuere ausdruecklich empfohlen. Und auch manche Reaktionen auf den Artikel finde ich aufschlussreich:

Wie @plomlompom schreibt: q.e.d.

PRISM und die Filterblase

Ich geb’s zu, ich bin mitschuldig: Ich habe zwar den Post mit dem niedlichen Pinguin verlinkt, aber nur auf Facebook. Ich habe auf die #StopWatchingUs-Demonstration vergangenen Samstag in Ulm hingewiesen – aber nur auf Twitter. Der Grossteil meines Umfelds hat – wie so oft – nichts mitbekommen von alldem.

Umsomehr freut es mich, dass das Thema wie damals ACTA nun auch in mundgerechter Form dargestellt wird, fuer alle diejenigen, fuer die das Netz nicht der Hauptlebensraum ist. Mama und Papa, ich weiss, dass ihr hier gelegentlich mitlest: Schaut dieses Video an!

Dass trotz des sperrigen Themas und vor allem der Hitze schon vor der Anfangskundgebung 150 Leute den Weg zum backofenartig wirkenden Marktplatz gefunden hatten, fand ich grossartig. Dass nach den zum Teil langen Reden von Gisela Glueck-Gross, Lisa Collins (Piraten), Annette Weinreich (Gruene), Eva-Maria Glathe-Braun (Linke), Hilde Mattheis (SPD), nem baertigen Typen fuer Amnesty und Sven Krohlas (nochmal Piraten) die ueberragende Mehrheit noch zu einem Demozug durch die Altstadt bewegen liess, phaenomenal – wie Sven Krohlas richtig bemerkte, musste er den Anwesenden ja nicht erklaeren, was es mit PRISM auf sich habe, sondern den seltsam heruebersehenden Menschen im Eiscafe. Und wenn’s auch nicht gleich 3000 Menschen waren wie in Berlin, wo man bei „nur“ 500 Leuten schon enttaeuscht ist – fuer Ulm doch mal nicht schlecht 🙂

Prism_Ulm_26

Zwar sind die Ulmer*innen bei Demonstrationen offenbar so ruhig, dass fast alle Sprechchoere vom sehr ausdauernden „Vorbeter“ mit meinem Megaphon vorgesagt werden mussten – dass ich aber mal in einer Gruppe von Buerger*innen, SPDlern, Gruenen, Piraten, Linken und ein paar JuLis laufen wuerde, die irgendwann aus voller Kehle „Stoppt den Verfassungsschutz“ rufen, haette ich nicht gedacht 😉

Prism_Ulm_13

Was mir ansonsten sehr gefallen hat: Die Praesenz von Amnesty. Haette ich mehr als nur fuenf Minuten Zeit gehabt, um den spontan an mich delegierten Amnesty-Redebeitrag zu schreiben, haette ich gerne untergebracht, dass es nicht nur um die von vielen (vor allem Piraten) immer wieder beschworenen „Buergerrechte“ geht, sondern um Menschenrechte – also auch derjenigen, die keine „Buerger*innen“ sind, weil sie eben gerade Asyl suchen oder zum Enemy Combattant erklaert wurden. Und neben „Asyl fuer Snowden“ und „Asyl fuer Manning“ haett ich mir auch mehr „Asyl fuer alle“-Mitrufende gewuenscht 😉

Weitere Literatur:

Die Bilder wurden freundlicherweise von Robert Conin unter CC-BY 3.0-Lizenz bereitgestellt.

Leseempfehlungen

Heute mal eine eher wilde Mischung, dafuer mit Anrissen 😉

Nicht ein GlĂ€schen? Nur eins, zum Anstoßen? Nein, kein zum GlĂ€schen verniedlichtes Alkoholglas fĂŒr mich, und eins schon gar nicht, eins ist ja ganz zwecklos. Wenn ich am Alkoholtrinken etwas immer verachtet habe, so ist es das sogenannte maßvolle Trinken. VernĂŒnftig trinken wohl gar noch, Rausch ohne Reue? Amateure! Was „leicht angeheitert“ genannt wird, nenne ich Bausparerrausch, fast so absurd wie alkoholfreies Bier.

„Nuechtern“: Benjamin von Stuckrad-Barre beschreibt sechs Jahre ohne Alkohol. Via @fukami.

♩

Wer sich an die FlĂŒchtlingsdebatte der 90er erinnert und die Parallelen zu heute feststellt, schĂ€mt sich fĂŒr das mangelhafte gesellschaftliche GedĂ€chtnis und den politischen Stillstand.
Das Unwort des Jahres 1992, „Scheinasylant“ schĂŒrte das Klima des Hasses. AuslĂ€nderfeindliche Kampagnen der Republikaner fielen auf fruchtbaren, spießbĂŒrgerlichen Boden mit Motiven wie „Das Boot ist voll“ und fĂŒhrten unmittelbar zur Pogromstimmung von Rostock und den abscheulichen Brandmorden in Mölln.

„Niemand ist illegal“: Bruno Gert Kramm zu Asylrecht. Verwandt: Frontal21-Beitrag. Das „illegale“ Democamp in Berlin scheint JournalistInnen derweil nur am Rande zu interessieren — was Laura Dornheim zu einem vermutlich anfangs nur sarkastisch gemeinten Plan fuehrte


♩

If Bob doesn’t take any drugs, then it will be in my best interest to take them. They will give me a performance edge against Bob. I have a better chance of winning.

Similarly, if Bob takes drugs, it’s also in my interest to agree to take them. At least that way Bob won’t have an advantage over me.

So even though I have no control over what Bob chooses to do, taking drugs gives me the better outcome, regardless of his action.

“Lance Armstrong and the Prisoner’s Dilemma of Doping in Professional Sports”, von Bruce Schneier. (via @mikko bzw. @vollkorn)

♩

Ich war immer aus unterschiedlichen GrĂŒnden gegen die Frauenquote, obwohl ich den Frauen in unserer Gesellschaft mehr Chancengleichheit, Gleichberechtigung und mehr Selbstbestimmung gewĂŒnscht habe. Projeziert man Sixtus’ Tweet auf meinen Wunsch, so stellt man fest: Vom WĂŒnschen alleine wird den Frauen leider nicht geholfen.

„Ich unterstuetze jetzt die Quote“. Von einem Piraten Peter Piksa (kein Pirat). Geht doch!

♩

Like any son with a father in his late 60s, I assumed his sudden silence meant he was having a minor cardiac event. He wasn’t, however: he was simply back in the presence of a building he hadn’t seen in half a century.

We got out of the car and circled the mass of black marble. Dad didn’t say much for a minute or so, but I was astonished that this forgotten edifice had made the cut in Rockstar’s highly compressed take on Los Angeles. [
] It’s the kind of building that wouldn’t really be missed, and yet here it was, and dad was visibly shaken.

We drove about for another hour or two after that, and by this point dad was hooked. Not hooked on L.A. Noire’s narrative, perhaps, or caught up in the complex chains of missions, but hooked on the city, on the fascinating, insightful job that Rockstar had done in stitching the past together. Even though I can’t actually drive, and the car we were in wasn’t a real car anyway, I had a strong sense that I was in the front seat, turning the wheel beneath my hands, and he was riding low in the back, face pressed to the glass. Role reversal. It happens to all fathers and sons eventually, I guess. Why shouldn’t it happen because of games?

„Night and The City“: Chris Donlan spielt LA Noir mit seinem Vater, der im LA der 1940er aufwuchs. Ein Grund mehr, warum ich so gerne so viel Digitalisate a la Google Street View haette — digitale Archaeologie quasi, und sei’s fuer solch ein Spiel. (via @lorz)

Die Piraten und die Feuerwehr

Bei der Piratenpartei wird zur vollkommenen Nicht-Ueberraschung aller einmal wieder eine Sau durchs Netzdorf getrieben; dieses Mal heisst sie „Bezahlung von Parteipersonal“. Die ist nicht neu, aber aktuell laeuft sie wieder, seit Johannes Ponader von seinen ParteikollegInnen auf Spendenbasis finanziert werden moechte.

Das schlaegt einige Wellen — nicht zu Unrecht. Aber neben der Frage, ob nun er finanziert werden soll und wie er finanziert werden soll (diese Art von Maezenatentum ist zumindest spannend) stellen auch einige die Frage, ob man fuer parteiliche Arbeit ueberhaupt finanziert werden soll. Ja, sagen die einen, alles andere waere Ausbeuterei. Und die Nein-Sager ziehen bisweilen interessante Vergleiche:

 

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Ja, das ist bei der Feuerwehr auch so. Ob sich das freiwillige Feuerwehrwesen noch lange in seiner jetzigen Form — insbesondere in Flaechenlaendern wie Bayern — halten koennen wird, halte ich fuer fragwuerdig.

In den 1950ern, als eine Feuerloeschkreiselpumpe mit Abgasstrahler noch mit eines der kompliziertesten Geraete im Feuerwehrdienst war und ein Standard-Loeschangriff aus klassischen drei Rohren von aussen in die Bude spritzte, war das alles noch einfacher. Heutzutage sind hydraulisches Rettungsgeraet, Pressluftatmer, Abseilgeraete, computergesteuerte Schaumzumischanlagen und dergleichen schon lange nicht mehr High-Tech, sondern quasi Standardausruestung. Mittlerweile sorgen allein die Instandhaltungsarbeiten, Fort- und Ausbildungen rund um das Atemschutzwesen in meiner beschaulichen kleinen Feuerwehr fuer einen Aufwand von knapp 600 Personenarbeitsstunden zusaetzlich zu den „normalen“ Aus- und Fortbildungen, Uebungen und Einsaetzen. Aehnlich sieht es bei den Fahrzeug- und Geraetewarten aus, und die umfangreichen Dokumentationspflichten des Feuerwehrkommandos kenne ich aus leidlicher Erfahrung selbst sehr gut.

Dass Boomel ausgerechnet die Feuerwehren, in denen seit Jahren Rufe nach bezahlten Fachwarten oder Aufwandsentschaedigungen laut werden, als Positivbeispiel fuer eine seiner Ansicht nach nicht notwendige Entlohnung von Parteifunktionen heranzieht, finde ich jedenfalls eher belustigend.

(In Baden-Wuerttemberg gibt es solche Entschaedigungen uebrigens vielerorts. Manchmal muss man einfach nur einmal ueber den bayerischen Horizont hinaussehen.)

Die starken Frauen

Eine der Lieblingsbeschaeftigungen von Netzmenschen, insbesondere Piraten, ist das rituelle gegenseitige Bewerfen mit metaphorischer Kacka, auch „Shitstorm“ genannt. Vorgestern bin ich in ein solches Phaenomen geraten, als es — wieder einmal — um die Genderfrage ging.

Jetzt muss ich zugeben, von diesem Thema nicht so viel zu verstehen, wie ich das gerne wuerde. Ich bin ein Kerl, der jahrelang die ueblichen Meinungen vertreten hat: Dass gegenderte Sprache scheisse aussehe, Frauenquoten dazu fuehrten, dass Frauen nur wegen ihres Geschlechts statt ihrer Qualifikation an Posten kaemen, und dass das heute doch alles viel besser sei als frueher.

Das hat sich mittlerweile geaendert. Wie ich Mathias Eigl damals erzaehlt habe: Ich folge Twitter bewusst Leuten, die anderer Meinung sind als ich. Auf der Konferenz der Informatikfachschaften steht das Thema traditionell auf der Tagesordnung, nicht nur der dort anwesenden Oesterreicher wegen (die in dieser Sache viel weiter sind als wir, habe ich oft den Eindruck). Und ich habe mich an meiner Fakultaet mit der Frage beschaeftigt, warum wir eigentlich so wenige Frauen in den Ingenieurwissenschaften und der Informatik haben. Obwohl Programmiererin mal ein „typischer Frauenberuf“ war (was ist das eigentlich?), und trotz Vorbildern wie Grace Hopper.

Und dann war ich angefixt. Landete in einem Seminar des Institut fuer Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin und analysierte Geschlechterrollen in Film- und Fernsehdarstellungen. Las Blogs, die ich noch vor zwei Jahren fuer Schaum-vorm-Mund-Publikationen hielt, und beobachtete mich zusehends selbst Schaum vor dem Mund zu bekommen, wenn mir jemand mit platten Aussagen zu dem Thema kommt.


 

Ich wuenschte, ich wuesste mehr. Und koennte mich distanzierter mit dem Thema beschaeftigen. Dann haette ich gleich vorgestern abend schreiben koennen, was mich an der Einstellung stoert, (maennlicher) Feminismus sei Sexismus: Es negiert jegliche Verantwortung seitens Maennern und setzt gleich noch eine implizite Beschuldigung an alle Frauen obenauf.

Wenn es Sexismus sein soll, sich als Mann fuer eine tatsaechliche Gleichberechtigung nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Praxis und vor allem in den Koepfen der Menschen einzusetzen, dann mag darin die gute Absicht mitschwingen, Frauen zuzugestehen, stark genug zu sein, dieses Problem selbst loesen zu koennen. Das hiesse aber auch: Der Weg zur Gleichheit ist keiner, den alle gemeinsam beschreiten, sondern der gefaelligst von denjenigen beschritten werden soll, die momentan marginalisiert werden. Und: Diejenigen, die momentan vom Status Quo profitieren, ihn aber zum Ziele der Gleichstellung in Frage zu stellen bereit sind, haben sich herauszuhalten. Und, zuletzt und am schwerwiegendsten: Wenn (noch) keine Gleichstellung erfolgt ist, ist die marginalisierte Gruppe selbst daran schuld. Die sollte doch stark genug sein.

Mir warf Jochen aka Laser (den ich persoenlich kenne und mit dem ich ansonsten keine Probleme habe) vor, dass mein Wissen doch nur angelesen sei und er seines aus dem Real Life habe. Er hat Recht: Ich habe mir das angelesen, und weiss immer noch zu wenig, und im Real Life hat er einige Jahre mehr als ich auf dem Buckel.

Nach dem rund einen Jahr, in dem ich mich intensiver mit dem Thema auseinandersetze, weiss ich hauptsaechlich, dass es viel mehr Aspekte darin gibt, mit denen ich mich noch gar nicht beschaeftigt habe. Dass einem, wie in anderen Beispielen auch, erst einmal die Augenbinde abgenommen werden, man das Phaenomen zu erkennen lernen muss. Und man den Eindruck hat, umso weniger zu wissen, je mehr man lernt.

Wie fast immer: Wenn es so scheint, dass man zu einem Thema innerhalb eines Jahres nichts dazugelernt hat, bleiben zwei Moeglichkeiten. Entweder, man weiss alles dazu, was es zu wissen gibt. Oder man hat in diesem Jahr so rein gar nichts dazugelernt.

·

Mit Dank und teilweise Sorry an die vielen wenigen, die nicht muede werden, ihre Positionen oeffentlich im Netz zu vertreten, trotz oder gerade wegen der Resonanz, die sie dafuer einfangen. Die Namen waeren zu viele, aber beim kegeklub kann man sich heute beispielsweise die Ergebnisse einer grossen Genderumfrage bei den Piraten ansehen.
Das Thema geht noch weiter als nur in die Genderdebatte; Zu Antira habe ich mangels eigenen Wissens wenig geschrieben, und Ableismus waere die naechste Baustelle, bei der ich zumindest Jule danken mag, ueber die ich vor zehn Jahren erste Kontakte zu einer mir bis dahin fremden Behindertenwelt bekam und die mich dazu gebracht hat, DGS zu lernen 🙂

Ich hab 1000 Freunde im Internet, und wir treffen uns jetzt alle zwei Wochen auf dem Muensterplatz

Jetzt, mit sechs Tagen Abstand, kann ich sagen: Die letzte Woche war ein gewaltiger Ritt. Irgendwann war die Bitte zur Unterstuetzung einer kleinen Anti-ACTA-Demonstration auf dem Muensterplatz ueber diverse Ulmer Mailingslisten getrudelt, und ohne grossartig nachzudenken, hatte ich zugesagt, mich um ein wenig Sprachverstaerkung fuer die erwarteten 100 Personen zu kuemmern.

Bis die aufgetrieben war, stand der Zaehler bei 500 Teilnehmern. Also umdisponieren, Anlage fuer 400 Personen auftreiben — und bis die organisiert war, hatten ueber 1000 Leute auf „teilnehmen“ geklickt. Ich bin immer noch sehr sehr geflasht von diesem Samstag, an dem insgesamt wohl 50 bis 100 Leute spontan Hilfe als Ordner und in der Teekueche zugesagt hatten, oder im Fall von Greencore Events mal eben eine HK Icon fuer lau auffuhren, um auch sicher mehr als 500 Leute beschallen zu koennen.

Ob nun 1000 Leute dort waren, die die Polizei gezaehlt haben will, oder 400, wie die Suedwest Presse behauptet, ist mir eigentlich bums. Vielleicht mag ja jemand mal mittels der Videos und Bilder eine Abschaetzung machen.

Viel wichtiger sind mir zwei Dinge:

1.: Ich kam mir auf dieser Demo mehr oder weniger alt vor. Das Publikum war zwar bunt durchmischt und ich habe gefuehlt alle Altersklassen gesehen. Im Vergleich zur Freiheit statt Angst oder den regelmaessigen Bildern aus Stuttgart haette ich in Ulm den Altersdurchschnitt aber deutlich niedriger angesetzt. 23 vielleicht, ich weiss es nicht. Erzaehle mir nochmal einer etwas von apolitischen Jugendlichen. Und ausserdem: Wer etwas von einer „Netzgemeinde“ erzaehlt, darf sich von mir fuerderhin als Deppen bezeichnen lassen. Diese Gruppe wirkte deutlich heterogen.

2.: Das Thema ist schwer vermittelbar. Und das ist eine der Hauptproblematiken. Das urspruengliche ACTA-Mobilisierungsvideo von Anonymous polemisiert vollkommen unnoetigerweise, und auch die Diskussionen und Behauptungen auf den Facebook-Gruppen- und -Einladungsseiten wirken vielfach von Verschwoerungstheorien und Wir-Sie-Denken gepraegt. Das ist nicht notwendig. Das schadet sogar.

Es ist dringend notwendig, dass sich diese aktuelle Bewegung ueber die Hintergruende von Urheber- bzw. Verwerterrechten und das von ihnen aufgeworfene Spannungsfeld informieren. Im DLF gab es eine Sendung hierzu, Techdirt hat die Copyright-Verschaerfungen der letzten Jahre zusammengefasst (nb: Copyright ist etwas anderes als Urheberrecht) und Everything is a Remix geht auf die grundsaetzliche Bedeutung von Verwerterrechten auf unser digitales Zeitalter ein.

Everything is a Remix Part 4 from Kirby Ferguson on Vimeo.

Ueberhaupt: Das Zauberwort duerfte „erklaeren“ sein. Netzpolitik bzw. digiges wollen „das Netz, nicht den Krieg erklaeren“, und genau dies ist auch noetig, falls der Ruf nach einem reformierten, fuer alle Beteiligten fairen Urheberrecht ein Ruf aus der breiten Gesellschaft werden soll.

An erster Stelle hierfuer steht Information.

PS: Der Klischeepunk erklaert auf acht9.de, warum kommenden Samstag erneut eine Demo auf dem Muensterplatz sein wird.

Geht doch mit der Mobilisierung

Wer demonstrieren moechte, hat’s in der Regel eher schwer. 2007 konnte ich immerhin so um die 80 Personen im Soundslide dokumentieren, die gegen die Vorratsdatenspeicherung demonstrierten, vor einigen Wochen standen dann nur mehr fuenf Leute bei der VDS-Mahnwache, und die SWP titelte zur letzten Ulmer Bildungsstreik-Demo, dass man sich das Demonstrieren bei gerade mal 100 Schueler*innen und Studierenden doch glatt sparen koennte.

Ich kann mir deswegen eine gewisse klammheimliche Freude nicht verkneifen, wenn es um die Anti-ACTA-Demonstrationen am kommenden Samstag geht, die europaweit stattfinden sollen. Anonymous hatte vorab ein fuer meine Begriffe leicht ueberzogenes Informationsvideo veroeffentlicht, das ich in den letzten Wochen erstaunlich oft auf Facebook verbreitet sah — auch von Leuten, die mir bislang selten im netzpolitischen Kontext aufgefallen waren. Und dieses Video wirkte offenbar als eine Art Katalysator.

Die Piraten aus Ulm und Ehingen hatten ja anfangs mit 50 Demonstrationsteilnehmern gerechnet und die Kundgebung fuer Samstag entsprechend beim Ordnungsamt Ulm angemeldet. Zeitgleich hatten einige Anons ein Facebook-Event fuer die Demonstration am Samstag und zwei vorangehende Paperstorms zur Mobilisierung angelegt: Jeweils Freitags sollte die Stadt mit Plakaten und Flyern zum Thema bestueckt werden.

Und dann gings rund.

Freitag nachmittag hatten sich 264 Menschen als Demoteilnehmer*innen auf Facebook eingetragen. Aktuell, zwei Tage spaeter, zaehlt die Seite 472 Zusagen und 349 „vielleicht“ Kommende. Selbst wenn nur ein Teil der Angemeldeten am Samstag auch teilnimmt, duerften dort je nach Witterung 250+ Personen aufkreuzen. Gar nicht schlecht.

Bis dahin sollte man sich die Einschaetzung von RA Thomas Stadler zu ACTA durchlesen, die deutlich weniger drastisch ausfaellt als das Anon-Video. Das ist jedoch kein Grund, nicht gegen die Art und Weise des Zustandekommens dieses Vertrags zu demonstrieren — und gegen die zugrunde liegenden Dogmen. Ein oeffentlicher Aufschrei ist ganz im Gegenteil sogar ueberfaellig.

//Nachtrag: qrios hat auch noch einige Argumente zusammengefasst.

Lauer liefert

Reden kann er, der Herr Lauer:

Abgeordnetenhaus – Piratenpartei (2) Christopher Lauer zur Regierungserklärung 12.1.2012.avi – YouTube

Die BĂŒrgerinnen und BĂŒrger Berlins kĂ€men doch nicht auf die Idee nach mehr Beteiligung zu verlangen, wenn sie das GefĂŒhl hĂ€tten, dass sie hier im Sinne einer Volksvertretung vertreten werden. Hat sich hier noch nie jemand die Frage gestellt, warum sich Menschen, fĂŒr die Strom aus der Steckdose und Geld aus dem Automaten kommt auf einmal Interesse daran haben, sich politisch zu beteiligen? (Volltext)

Wenn ich so etwas sehe, dann erfuellt mich das besonders angesichts der Suedpiraten, die bis zum Einzug der Berliner Piraten ins AGH ueber ebendiese Berliner eher abfaellig redeten, mit einer nicht abzustreitenden Freude.

Ganz abseits jeder Schadenfreude motiviert so etwas aber auch, trotz oder gerade wegen der eigenen Lage in Sueddeutschland, angesichts der dort durchaus noch vorhandenen Probleme, die Piraten nicht aufzugeben.