Thilo Weichert ist nicht nur Chef des ULD, sondern auch Evangelist. Lars Reineke vergleicht ihn nicht zu Unrecht mit einem „religioesen Fundamentalisten“, wobei man sich das „religioes“ sparen und gegebenenfalls bei der Ueberarbeitung der zugehoerigen Wikipedia-Seite helfen kann. Letzten Herbst hatte Weichert beispielsweise mal eben den ueberwiegenden Teil des anwesenden Publikums in der Boell-Stiftung als „dumm“ bezeichnet, weil sie Google benutzen, und nun will er Kraft seines Datenschuetzeramtes schleswig-holsteinische Firmen ins Visier nehmen, wenn sie Facebook-„like“-Buttons verwenden.
Wenn man sich in die weigertsche Logik einmal eindenkt, ist das auch gar nicht mal so bescheuert, wie es im ersten Moment klingt. Trotz vielfaeltiger Kritik aus dem gewohnt gut funktionierenden Empoerungskombinat gibt es demnach auch einige unterstuetzende Kommentare zu diesem Schritt, und insgesamt scheint es, als seien alle Reaktionen recht gut vorhersehbar gewesen. Selbst der Jarvis schreibt in so vorhersehbarer Tonalitaet und Schlagrichtung, dass man mittlerweile versucht ist, saemtliche Internetdebatten zukuenftig doch einfach von rudimentaeren KIs ausfechten zu lassen, damit man die Zeit sinnvoller am Baggersee verbringen kann, wozu man eigentlich nur noch saemtliche dort umliegenden Mobilfunkmasten faellen muesste.
Die gesamte Datenschutzdebatte um die Geschichte ist mir gerade ziemlich Wurscht (was im spaeteren Verlauf fuer Veraegerung sorgen sollte), vielmehr war da ein kleines Detail, das mich zum Nachdenken brachte. Es schrob Jarvis folgendermassen:
“Google’s only interest is to earn money,” he said, as if shocked. That theme continues in his Facebook attack, where he complains that the company is worth more than $50 billion. No, he’s not from the Communist part.
„Googles einziges Ziel ist es, Geld zu verdienen.“
Es ist irgendwie seltsam, das so stehen zu sehen, weil es eine eigene Wahrnehmungsverzerrung aufdeckt. Natuerlich ist es das Ziel Googles (und auch Facebooks), ordentlich Reibach zu machen — das sind schliesslich profitorientierte Unternehmen, innerhalb eines kapitalistischen Marktes — aber das zu schreiben wirkt fuer mich aehnlich, als wuerde mein fuenfjaehriges Selbst auf einen Zettel krakeln, dass es das Christkind nicht gibt. Wir wussten das alle irgendwie, aber es macht aus golden und rot glitzernden Weihnachtsbaeumen einfach nur bedampfte Kunststoffstreifen und in China geblasene Glaskugeln, und natuerlich hat die Mama die Glocke gelaeutet, und keine anthropomorphe Jahresendfluegelfigur.
(Ich fange ausserdem an, Google und Facebook mit Weihnachten zu vergleichen. Ich muss Weichert mal fragen, was er so gegen seine Wahnvorstellungen nimmt und ob ich etwas abhaben kann.)
Worauf ich hinaus will: Abgesehen von der gesamten Datenschutzdebatte und was man in diesem Zusammenhang anstellen kann, fehlt mir ein wesentlicher Punkt in der Diskussion, der mir seit der Einfuehrung von Google Plus und allerspaetestens seit den nerd-typischen Profilloeschungsamoklaeufen ebenda irgendwo am Hinterkopf nagt (oben, eher links am Rand).
Erstens.
Anfangs war das alles fuer mich eher ein Usability-Problem: Wohin soll ich eigentlich den Mist giessen, der staendig durch meinen Kopf wabert? Zur grossen Erleichterung einer grossen Menge an Bahnfahrern gibt es ja mittlerweile das Internet, so dass ich das nicht mehr zufaelligen Nebensitzern erzaehlen muss — allein, welcher Kanal ist der beste? Facebook? Google Plus? Eigenes Blog? Youtube? Twitter?
Ja, solche Fragen treiben mich um, und deswegen habe ich mir zur weiteren Verkomplizierung erst einmal eine Soup angelegt. Noch ein Kanal mehr. Prima, du Pfeife.
Eine Variante ist ja, einfach alles _ueberall_ abzuladen: Kurze Gedankenflatulenzen passen optimal auf Twitter, der Rest kommt ins eigene Blog und wird dann in alle sozialen Netzwerke gekuebelt, die nicht schon von vorneherein meine Seite blocken. Sowas nervt dann erfolgreich all diejenigen, die einem auf mehreren Netzwerken folgen, wodurch sich dann der virtuelle Bekanntenkreis solange verkleinert, bis man mit allen Social-Media-Beratern alleine ist.
Die naechste logische Konsequenz waere also ein Meta-Netzwerk: Eine Seite, auf der ich mich einloggen kann, und auf der alles zusammengefuehrt wird, was ich irgendwie auf welchem Datensilo auch immer sehen kann. XY ist online, und ich kann mit XY Instant Messaging betreiben — egal, ob XY nun auf ihrer Seite den Facebook-Chat, OTR oder Brieftauben verwendet. Kommentare auf einen meiner Beitraege werden aggregiert angezeigt — egal ob sie nun in Google Plus, als Twitter-Reply oder als Blogkommentar aufgelaufen sind.
Also habe ich Google Scholar angeworfen und nach Papers ueber dezentrale soziale Netzwerke gesucht. Und wurde von einer Flut an Papers ueber Privacy in Social Networks erschlagen. Verdammte Privacy-Forscher. Es gab aber auch Lichtblicke — ich bin momentan so etwa 10% durch einen dicken Stapel mehr oder weniger aktueller Papers und habe einen Wust an Notizen gesammelt, deren Bedeutung ich zum Teil sogar noch verstehe.
Aber.
Zweitens.
Es gibt einen wesentlichen Punkt, der vermutlich zum Grossteil dafuer verantwortlich ist, dass heute beispielsweise immer noch kaum jemand Mails verschluesselt. Oder der Oma ein GNU/Linux auf ihrem Surfrechner installiert (Ubuntu hat hier einiges geaendert, aber trotzdem). Es ist immer wieder dasselbe, sobald man ein fesches neues Projekt entdeckt, das technisch (und wissenschaftlich) sehr sexy ist: Man kann getrost diverse Kisten Bier darauf wetten, dass das UI grottig sein wird. Grausig. Abschreckend.
Das faengt mit simplen Dingen an. Ich kann in Sekunden ein Bild vom iPhone nach Twitter kuebeln. Oder nach Facebook. Mit Beschreibung, zack, fertig. Vielleicht habe ich einfach nicht den richtigen Client dafuer, aber wenn ich dieselbe Nummer mit meinem Blog veranstalten will, habe ich auf Facebook schon droelf Likes und acht Kommentare, bis das Bild ueberhaupt mal (im falschen Format) auf dem Blog gelandet ist. Und nach Facebook und Google Plus muss ich es dann haendisch verlinken, weil… ach… lassen wir das halt. So etwas nervt.
Mit den Facebook-Alternativen ist es nicht anders. In einigen Papers wird FOAF als Modellbeispiel fuer dezentrale Netze herangezogen. Auf dem cccamp 2011 gab es einen Workshop dazu, und schon die Anleitung zeigt, dass wir auf eine Akzeptanz in der breiten Masse ebenso hoffen duerfen wie auf ein Bekenntnis der CSU zu freiem Internet und einem bedingungslosen Grundeinkommen.
Ich werde jetzt erst einmal den Stapel Papers zu Ende lesen. Egal, was da aber drinsteht, und egal, was in den naechsten Jahren (nicht nur) zu unabhaengigen Social Networks kommen wird: Die Akzeptanz hierfuer steht und faellt mit der User Experience. Man sieht, wie wichtig mir das ist, wenn ich tatsaechlich „User Experience“ schreibe.
Wir schliessen mit den Worten von Stephan Urbach ueber Software fuer Aktivisten. Gut, dass er beschlossen hat, bei uns zu bleiben.
First, please make good UIs. Make them that anyone can use the tool. You will not believe, how many people out there would use your great software if it was usable. Please remember, that not everyone outside who is on the ground is in the position to have the knowledge on how their machines work and how they get configured proper. Please do not create security problems because of a shitty UI. There might be a great algorithm but if most of the targeted user base is not able to use it the goal is not reached. […]
Make good error messages that the users understand. Yeah, for you might a big NULL be enough but for the users it is not. Catch exceptions and translate them that normal people understand. It is not a problem if an error occurs, but it needs to be understandable.
Please, when you do the UI – do it like the last Hello Kitty App – without Hello Kitty. Do not write „Activists Messaging System“ on it. Use Nyancat in it if appropiate. Make it hipsterglitter without hipsters and glitter. You get the point. […]
Conclusion: Be awesome. Make it easy. Test. Crowdsource. Review. Make it more secure. Test. Be still awesome. Thank you.