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Technischer Sachverstand versus Politik

Via @tarzun kam heute morgen ein Link auf einen denkwuerdigen Artikel in meine Timeline geschneit: Hadmut Danisch beschreibt recht umfangreich seine Beteiligung Sachverstaendiger an den Diskussionen zwischen Providern und Ministerien im Vorfeld der von-der-Leyenschen Stoppschilder. Das Schlimme ist, dass ich manche Absaetze gleichermassen gruselig wie nachvollziehbar fand. Beispiel:

Immerhin hatte man damals in dieser Sitzung im Familienministerium doch bemerkt, daß irgendwas da doch nicht so lief, wie man sich das vorgestellt hatte. Zumal auch dem BKA ein Stirnrunzeln gekommen war, der vom BSI nicht mehr glücklich aussah, und irgendeiner von der Politik, ich weiß nicht mehr, wer das war, sah aber nach Paragraphenhengst aus, plötzlich damit anfing, daß an den Gegenargumenten wohl doch was dran sein könnte. Da wurde denen plötzlich unwohl. Nicht, weil sie eingesehen hätten, daß sie schief liegen. Die waren schon von ihrer Unfehlbarkeit überzeugt. Sondern weil sie merkten, daß sie bei diesen dubiosen Männern da in der Runde mit ihrer nassforschen Art nicht durchkamen. Das erkannte Problem war, daß die Provider nicht von deren Unfehlbarkeit überzeugt waren.

Es geht dann noch ein wenig mit der Beschreibung des Treffens zwischen Providern und BKA weiter, in dem relativ schnell deutlich geworden sei, dass die Sperren wie beschrieben nicht funktionieren wuerden koennen — die Provider seien sich hier durch die Bank einig gewesen, mit Ausnahme von Vodafone (aus welchen Gruenden auch immer die ausscherten). Das sei aber dann offenbar egal gewesen: Es ging ja um Politik.

So kam das deutsche Zugangserschwerungsgesetz zustande. Und so ähnlich werden vermutlich auch zukünftig Gesetze zum Internet zustandekommen. Erst war es ein Irrtum, auf dem Ignoranz und Inkompetenz massiv wucherten. Und dann war es eine wissentliche Täuschung der Öffentlichkeit, um den Gesichtsverlust zu vermeiden.

Und deswegen muessen wir alle, die hier technischen Sachverstand haben, gegensteuern, wann immer wir koennen.

Nur damit das nicht untergeht

Die Netzsperren sind wohl Geschichte. Da freuen sich jetzt alle. Schreiben wir aber trotzdem sicherheitshalber mal auf:

  • Die Idee fuer diese ganze Scheisse kam urspruenglich mal aus der CDU. Von Frau von der Leyen. Damit das keiner vergisst. Friedrich hin, CSU her. Und der Uhl kam meines Wissens doch auch aus der CSU, nicht?
  • Das auch noch in Gesetzesform giessen zu wollen war Plan der SPD. Tralafitti!
  • Blaetter, die heute dpa-Meldungen zum Ende der Netzsperren auskippen, hatten vor zwei Jahren zum Teil „differenziertere“ Meinungen. Ich zitiere nochmal aus dem Brief des SWP-Ressortleiters Wilhelm Hoelkemeier an mich:

    Ansonsten gilt: Es existieren in unserer Redaktion beide Positionen — für und gegen die Einrichtung von Netzsperren. Das schlägt sich so auch im Blatt nieder

    Es gab also durchaus Journalisten, die die Zensursula-Ideen gut fanden oder zumindest nicht tiefgehend hinterfragten (in diesem Beispiel Gunther Hartwig und Thomas Veitinger)

Sollte man vielleicht im Hinterkopf behalten.

Warum es nicht vergebens war

Zugegeben. Anfangs ging es mir wie @mspro. Da ist das Sperrgesetz im eigenen Land noch nicht mal aufgehoben, und schon geht es auf EU-Ebene weiter — wie Don Quijote mit den Windmuehlen. Als haetten die Petition, die Demonstrationen, der Versuch, Medien und Politik wachzuruetteln, nie stattgefunden.

All das hat aber stattgefunden. Und demnach ist einiges anders als im vergangenen Jahr. Auf B5 aktuell habe ich alle 15 Minuten die Stellungnahme des voll namentlich genannten Arbeitskreises gegen Internet-Sperren und Zensur verlesen bekommen, was im Radio einen geradezu pathetischen Klang bekommt. Waehrend bei der SWP vor einem Jahr noch Gunther Hartwig und Thomas Veitinger pro Netzsperren schrieben, war der Censilia-Vorstoss dieses Mal einen Seite-1-Kommentar wert, in dem Christoph Faisst die Sperrphantasien als die, Zitat, „sinnlose Symbolpolitik“ anprangert, die sie tatsaechlich sind. Und selbst Bild.de ergeht sich nicht in Ad-hominem-Angriffen gegen Sperrgegner, sondern berichtet ueberraschend ausgewogen.

Ich bin natuerlich zu sehr Zyniker, um den Unterschied zwischen der gedruckten Bild und bild.de nicht zu erkennen. Und ich werde mich von den Anti-Zensur-Beteuerungen der schwarz-gelben Regierung nicht einlullen lassen. Aber trotzdem zeigen mir solche einzelnen Punkte, dass die Bemuehungen des vergangenen Jahres alles andere als vergebens waren.

„Loeschen statt sperren“ in Stuttgart

So, nun war ich tatsaechlich auch zum ersten Mal in meinem Leben als „echter Demonstrant“ an einer Demonstration teilgenommen. So wunderbar ist das mit dem Internet: Ein paar Mails ueber die Hochschulpiratenliste, ein Eintrag im Wiki, ein paar Posts im Politikforum und der „Zensursula“-Gruppe bei Team-Ulm, und auf einmal standen sage und schreibe 20 Leute in Ulm vor dem Hauptbahnhof, die gemeinsam mit BaWue-Tickets nach Stuttgart fuhren.

Wene musste natuerlich gleich mal aus dem Zug twittern, dass Ulm zwei Drittel der angemeldeten Demoteilnehmer stemmt, und Raimar hat das getan, was er am besten kann: Pennen :->

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Skurril: In Stuttgart angekommen wird man von einem Stuttgarter Mit-Org begruesst und erst einmal Geld fuer in letzter Minute zu kopierende Flyer gesammelt. Jeder laesst ein paar Euro springen, ein paar Leute verschwinden in den Copyshop, der Rest sucht die Demo.

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Die Kundgebung war dann auch ein wenig arg leise. Megaphone oder andere Verstaerker waren nicht genehmigt worden, Redner gab es eigentlich auch keine, es haben sich dann aber doch noch ein paar Freiwillige gefunden, die — ja, Nerds! — Texte vom UMTS-Handy ablasen.

Gut fand ich den Kontakt zu den Passanten, die natuerlich (besonders beim Marsch, siehe spaeter) die Menschenansammlung skeptisch beaeugte. Man blieb nicht bei sich „in der Blase“, sondern verteilte aktiv Flyer an Umstehende und Passanten, kam auch ins Gespraech und konnte viele Vorurteile aufklaeren. „Sauerei“ hoerte ich von einer aelteren Dame, als es um die Petition ging, die erst im Herbst Thema im Ausschuss werden soll, und auch das Anliegen „Loeschen statt Sperren“ traf auf weitverbreitete Zustimmung. Gerade aeltere Leuten war das Argument der einmal errichteten Zensurinfrastruktur leicht zu vermitteln und traf auch auf offene Ohren.

Amuesant wurde es dann nach der offiziellen Aufloesung um 1400 Uhr. Ich wollte eigentlich nur die Ulmer sammeln, um gemeinsam zum Bahnhof zu laufen, damit kein BaWue-Ticket-Mitfahrer abhanden kommt. Als sich dann das Ulmer Grueppchen in Bewegung setzte, liefen aber auf einmal immer noch mehr Menschen hinterher — schlussendlich zog der Grossteil der Demonstranten „Nur Diktatur braucht Zensur“ skandierend und Flyer verteilend durch die Stuttgarter Innenstadt. War zwar nicht so geplant, hat aber offenbar fuer Aufmerksamkeit gesorgt 😀

Eine Auswahl meiner Bilder gibt es auf Flickr — allesamt unter cc-by-nc-sa-Lizenz. Wer die Bilder in gross fuer Veroeffentlichungen lizenzieren mag, kann sich vertrauensvoll an stefan at bloggt punkt es wenden.

Wieder und wieder

Mir war wirklich koerperlich schlecht gestern abend.

Die Fachschaft Informatik tagte wie jeden Donnerstag abend im BECI, und ich habe mit einem Ohr ueber Telefon der Debatte rund um die Netzsperren gelauscht. Das war schwer ertraeglich. Noch schwerer ertraeglich war die Abstimmung.

Ja, es waere wohl wirklich naiv gewesen, zu glauben, das Gesetz wuerde nicht durchkommen. Aber wie Tauss das in seiner bemerkenswerten Stellungnahme angesprochen hat, fuehle ich mich wie mit Fuessen getreten — mit Anlauf ins Gesicht. Und es lief mir eiskalt ueber den Ruecken, als mir waehrend der kurzen FIN-Sitzungsunterbrechung mit Schweigeminute das dazu passende Zitat aus „1984“ einfiel. Aus Politikverdrossenheit wurde in dieser Minute die feste Ueberzeugung, dass ich alle mir zur Verfuegung stehenden — legalen — Mittel ausnutzen werden muss, um diese Abgeordneten daran zu hindern, dem Internet und unserem Land weiteren Schaden zuzufuegen. „Ihr werdet euch noch wuenschen, wir waeren politikverdrossen“ (@343max)

Abschliessend:

  • Ekin Deligoez (Gruene, NU): Enthalten
  • Hilde Mattheis (SPD, UL): Dafuer gestimmt
  • Dr. Georg Nuesslein (CSU, NU): Dafuer gestimmt
  • Anette Schavan (CDU, UL): Dafuer gestimmt

Kann man sich ja merken fuer den Herbst.

(Achja, das Zitat: „Sie wollen ein Bild der Zukunft? Stellen sie sich einen Stiefel vor, der in ein menschliches Antlitz tritt — wieder und wieder“)

Es geht los.

Die E-Petition ist die erfolgreichste in der Geschichte des deutschen Onlinepetitionswesens, und trotzdem scheinen die Netzsperren beschlossene Sache zu sein.

Na gut.

dann gibt es eben auch in Deutschland einen groß angelegten Online-Wahlkampf mit Tausenden, die sich mit Kreativität politisch engagieren und die sich mit technologischen Werkzeugen einmischen, dabei aber über Twitter und Blogs hinaus wirken.

(Alexander Svensson)

Es geht los. Seid dabei.

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Schwarmintelligenz(?)

Ich bin stolz darauf, dass sich binnen weniger Tage 50.000 Leute mobilisieren liessen, die bereit waren, mit ihrem Namen fuer (bzw. gegen) eine Sache zu stehen. Rein ueber das Internet und die deutsche Blogosphaere. Und dass diese Leute ihrerseits bereit waren, mehr als 50.000 weitere Unterstuetzer in dieser Sache zu finden. On- wie offline. Das ist beachtenswert. Und das hat auch schon etwas bewirkt.

Der Zyniker in mir haelt aber dagegen, dass der IQ einer Gruppe immer der IQ des duemmsten Mitglieds, geteilt durch die Anzahl der anwesenden Menschen ist. Und deswegen fiel mir bei der Kampagne „blockt @npdde“ nicht nur das Fruehstueck aus dem Mund, sondern auch vergangene aehnliche Aktionen wie der Fall Heilmann ein.

Leute. Nur weil sich die Netzgemeinde Gehoer verschaffen konnte, heisst das nicht, dass man nun eine neue, strahlende Elite ist. Und retweetet bitte nicht jede bescheuerte Idee. Vor allem nicht die bescheuerten Ideen. Man koennte sonst den Eindruck haben, es mit einem seltsamen Mob zu tun zu haben, der auf jede Sau aufspringt, die irgendein Alpha-Blogger oder -Twitterer durchs Dorf treibt.

Danke.

Am 23. Mai ist GG-Tag

Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz fuer die Bundesrepublik Deutschland im Bundesgesetzblatt Nummer 1 verkuendet. Am kommenden Samstag soll dieser Tag nun in vielen Staedten gewuerdigt und die Gelegenheit ergriffen werden, auf die dort verbrieften Grundrechte und den teilweise etwas fahrlaessigen Umgang mit ihnen hinzuweisen.

Auch in Ulm sind diverse Aktionen geplant — ich versuche einmal, sie hier zu sammeln. Falls etwas fehlt, hilft eine Mail an stefan (at) bloggt.es weiter.

Grundrechtefest 2009

Der AK Vorrat ruft am Jahrestag dazu auf

das Vertrauen in die Sicherheit einer freien Gesellschaft zurückzugewinnen und protestier[t] gegen die zunehmende Einschränkung unserer Freiheitsrechte im Zuge des internationalen Sicherheitswahns.

Auch der Ulmer Ortsverband wird sich beteiligen, von 1000–1700 Uhr steht ein Infostand in der Fussgaengerzone, gegenueber des H&M.

Der OV ist mir noch von einigen Mini-Demonstrationen und -Kundgebungen mit wenig begeisternden Rednern im Gedaechtnis — mal sehen, ob sich das gebessert hat.

Grundgesetzlesen

Bei MOGIS hatte man die Idee, am 23. oeffentlich die im GG verankerten Grundrechte zu verlesen. Offenbar soll das in Ulm im Umfeld des AK-Vorrat-Stands passieren, weitere (spaerliche) Informationen gibt es im entsprechenden Wiki.

Zensursula-Petition

Mir persoenlich wuerde es gefallen, an diesem Tag noch einmal moeglichst viele Passanten auf die E-Petition gegen Netzsperren aufmerksam zu machen. Besonders das Art.5-GG-Trauerplakat waere hierfuer passend, aber auch Handzettel und Flyer koennte man verteilen. Koennte sich denn jemand aus der Leserschaft hierfuer begeistern?

User Generated Agitprop

Ich bin momentan jeden zweiten Tag aufs neue amuesiert, wenn wieder irgendwelche Plakatierer an der uulm am Werk waren. Die Zensursula haengt in mehreren Inkarnationen (jedes Mal unterschiedliches Druckbild) mit zwei verschiedenen Versionen von Abreisszetteln an allen moeglichen und unmoeglichen Orten, und zu Wochenbeginn hat auch jemand den Guttenberg grossflaechig verteilt.

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Fehlt eigentlich nur noch die Traueranzeige, die man in Berlin derzeit so oft sieht…