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Oh Internet…

Die (mir persoenlich bekannte und nicht als aufmerksamssuechtig eingeschaetzte) @VictoriaHamburg hat gestern ihr mindestens verstoerendes Erlebnis mit dem Rettungsruf verbloggt — und wird jetzt in einem signifikanten Teil der Blogkommentare dafuer gebasht. Von den vielen Rettungsprofis natuerlich (die vorher noch Reaktorprofis, oder Gurkenprofis, also generell Universalprofis) waren.

Ich kenne die Leitstelle Hamburg nicht. Es gibt einige Kommentare, die auch Sachkenntnis erahnen lassen und die Hintergruende zu ermitteln versuchen, die sind aber (leider) subjektiv recht selten.

Allgemein: So ein Verhalten wie von Victoria beschrieben gibt es leider ab und zu. Genauso, wie es Fehlbesetzungen auch bei der Polizei, im Lehrerberuf oder an beliebigen anderen Stellen gibt, kann es auch Disponenten geben, die man eigentlich nicht auf nach Hilfe suchende Anrufer loslassen sollte. In jedem Fall sollte man hier aber nachhaken, falls man so jemandem begegnet. Wir hatten einen Fall, in dem ein Anrufer, der einen Flaechenbrand melden wollte, vom Polizei-Disponenten (die damals noch die vom Handynetz auflaufenden 112-Rufe bearbeiteten) belehrt wurde, dass es doch viel zu nass sei, als dass in einer Freiflaeche etwas brennen koenne. Erst der zweite Anrufer, dessen Ruf in der Feuerwehreinsatzzentrale aufschlug, sorgte fuer einen Alarm — das umfangreiche Holzlager war bis dahin abgebrannt.

Der Fall wurde damals von der Kreisbrandinspektion aufgegriffen und zusammen mit der Polizei nachvollzogen — dem Disponenten wurde klargemacht, dass ziemlich viele Dinge zu beliebigen Tages- und Wetterlagen brennen koennen. Ich bin mir sicher, dass die Angelegenheit in Hamburg auch aufgerollt werden wird. Schliesslich soll jeder, der den Notruf waehlt, auch kompetente Hilfe beanspruchen koennen.

Bloede Kommentare, dass man doch gefaelligst einen Ersthelferkurs machen solle, anstatt ueber das geschilderte unprofessionelle Verhalten entsetzt zu sein, kann man sich dagegen gerne sparen.

Das BMI will Input zu „Vergessen im Internet“

Nachdem „Studierende [und] Wissenschaftler“ in der Mail des Innenministeriums pauschal angesprochen waren, will ich das mal weiter streuen:

Gesucht werden im Rahmen dieses Wettbewerbs die besten Ideen zum Thema „Vergessen im Internet“. Dabei soll es um die Auseinandersetzung beispielsweise mit den folgenden Fragen gehen: Wie schaffen wir ein Bewusstsein für die Probleme, die mit dem Nicht-Vergessen im Internet zusammenhängen? Was kann der einzelne Nutzer bzw. die Gesellschaft insgesamt tun, um diesen Herausforderungen besser zu begegnen? Brauchen wir eine technische Lösung oder genügt es, den Umgang mit persönlichen Daten zu verändern? Müssen auf politischer Ebene neue Regeln definiert werden?

„Vergessen“? So wie bei der Radiergummi-Extension? Mir kommt da eher ein kleines Trollgrinsen ins Gesicht, und der Ansporn, das mal ein wenig in die andere Richtung hin zu entwickeln. Zumal es auch ein Preisgeld gibt:

Der Gestaltungsspielraum für die Wettbewerbsbeiträge ist außerordentlich groß. Es können beispielsweise Plakate, Fotocollagen, Videos, Essays, wissenschaftliche Texte, Entwürfe für technische Lösungen u.v.m. eingereicht werden.

Teilnehmen können Studierende aller Semester und Fachrichtungen sowie Wissenschaftler bzw. wissenschaftliche Institute – sowohl Einzel- als auch Gruppenarbeiten sind möglich. In den verschiedenen Kategorien gibt es für die besten Beiträge jeweils 5.000,- € zu gewinnen. Zusätzlich können im Einzelfall durch unsere Netzwerke Praktika und Stipendien vermittelt werden. Besonders geeignete Ideen können im Rahmen von Kooperationen weiterentwickelt werden. Gerade diese Möglichkeiten dürften für Studierende besonders interessant sein.

Aluhuete und Spackos: Los geht’s. Der Wettbewerb laeuft noch bis 31. August.

(Hervorhebungen wie im Original)

Der Echoraum

„Soziale Spaltung“ im Netz titeln die einen, die anderen nehmen die Facebook-Fankommentare um den Luegenbaron Guttenberg als Beispiel: Wenn das Netz ein Abbild der gesamten Gesellschaft ist, dann findet sich frueher oder spaeter eben auch die Klientel der Bild-Leser dort, oder beliebiger anderer Gruppen, die fuer uns bisher einfach „die anderen“ waren.

Jetzt kann man natuerlich argumentieren, dass man schon aus Gruenden der eigenen geistigen Gesundheit vielleicht einfach darauf verzichtet, bestimmte Twitterer, PI-News oder sonstige Ecken des Netzes zu verfolgen. Wir schaffen uns einfach unsere eigenen Echoraeume, wo alle mit uns einer Meinung sind, und leben friedlich bis in alle Zeit (juppheidi etcetera).

Damit werden dann aber halt nicht die Probleme zwischen datenschutzkritischer Spackeria und Datenschuetzern geklaert. Und wenn ich dann sehe, dass ich bei einem Facebook-Dialog wie dem Obigen der Einzige bin, dem der Vergleich sauer aufstoesst, dann finde ich das auch bitter. Wir haben uns dann eine Weile per Message ueber den Post gezofft und am Ende hatte die Urheberin auch verstanden, warum ich nicht so begeistert war — da war ich aber auch schon entfreundet.

Das gibt einem dann schon zu denken. Also nicht das Entfreunden, das war mir egal, ich kannte die Betreffende nur, weil sie mal zu einer WG-Party bei mir aufgekreuzt ist. Aber wenn ich jemanden wegen seiner seltsamen Meinungen bei Twitter entfolgen will, denke ich mittlerweile zwei Mal drueber nach. Lieber Meinungspluralitaet als ewig dieselben Meinungen zu lesen.

PS an alle Twitterer: Ich hab echt kein Problem mit Montag. Da haben wenigstens die Geschaefte offen.

Aegypten und der Rest der Welt.

Irgendwie gleichen sich die Ablaeufe. Genau wie bei der Berichterstattung ueber Tunesien scheint es sich bei den Ablaeufen in Aegypten hauptsaechlich um ein Problem mit Touristen zu handeln. Haette man noch einen Glauben in die klassischen Massenmedien, waere jetzt der ideale Zeitpunkt, ihn zu verlieren. Lokale Medien versuchen indes gar nicht erst, einen oertlichen Bezug zu den Geschehnissen herzustellen (gibt es eine aegyptische Gemeinde in Ulm?), sondern uebernehmen dpa-Meldungen.

Das ist jedoch kein lokales Problem, sondern offenbar deutschland- wenn nicht europaweit so.  Die meisten Informationen kamen und kommen ueber das Netz zu mir — natuerlich mit dem ueblichen Warnhinweis, Quellen zu ueberpruefen und erst einmal nichts unbesehen zu glauben. Loebliche Ausnahme bei den klassischen Medien scheint Al Jazeera zu sein, mit einem Liveblog, einer Brennpunktseite, und mehreren TwitterAccounts, ueber die sie auch an andere Augenzeugen live vor Ort hinweisen.

Resultat: Sendelizenz fuer Aegypten entzogen. Auswirkungen: Kaum, denn die Informationen laufen weiter ueber das Internet, selbst gegen die Blockadeanstrengungen der dortigen Regierung.

Damit duerfte auch aufs Neue eindrucksvoll in der Praxis demonstriert worden sein, was Sperreinrichtungen und „Not-Aus-Knoepfe“ fuer das Internet in der Praxis bedeuten. Nachdem selbst die Al-Jazeera-Reporter in ihrer Mobilitaet eingeschraenkt sind, ist das Netz die einzige Quelle dafuer, dass die Aufstaende in Aegypten offenbar tatsaechlich auch in den laendlichen Gebieten stattfinden, nicht nur in Ballungszentren — eine Besonderheit. Die Regierung setzt indes alles daran, ihren Buergern den Zugang zum Netz zu verwehren: am Donnerstag liess sie praktisch landesweit das Internet abklemmen, waehrend Aktivisten in Aegypten und weltweit parallel sofort an Umgehungsmassnahmen zu arbeiten begannen. Die reichen von zuhause eingerichteten Dialup-Zugaengen ueber die Sammlung noch funktionierender aegyptischer ISPs bis zum Amateurfunk.

Fazit: Ist ein Mem ausreichend potent, wird es sich verbreiten. Egal, was Regierungen anstellen. Und: Ist erst einmal Sperrinfrastruktur vorhanden, wird sie frueher oder spaeter repressiv eingesetzt werden.

Natuerlich wuerden Regierungen aber nie etwas boeses tun, jedenfalls nicht unsere. Nur boese Regierungen tun boeses, so wie in Aegypten, wo man es offenbar seitens der Sicherheitsbehoerden gezielt darauf angesetzt hat, zu Gewalttaten anzustiften, um den eigenen Kurs rechtfertigen zu koennen.

Aber sowas gibts bei uns natuerlich nicht. Niemals.

Ausserdem: Die restliche Welt verdient auf jeden Fall ordentlich mit. Traenengasgranaten aus den USA, Abhoertechnik aus Israel. Bin gespannt, was noch so alles auftaucht.

Warten wir also ab, was passiert, und was auf diese „Revolution“ folgen wird. Und hoffen wir vor allem, dass es keine dieser typischen „Revolutionen“ ist, die Pratchett so treffend charakterisiert:

„Don’t put your trust in revolutions. They always come around again. That’s why they’re called revolutions. People die, and nothing changes.“ (Night Watch)

Ach ja: „Twitter-Revolution“ wird’s vermutlich nicht werden. Und hoffentlich auch nicht „Facebook-Revolution“. Frueher hat ja auch niemand „Flugblatt-Revolution“ gesagt.

Informationslecks vorhersehbar

Neulich fand an der uulm ein Mitarbeiterseminar fuer das „Verhalten im Amokfall“ statt, nicht zuletzt wegen des Zyankalizwischenfalls 2006 mittlerweile eine mehr oder weniger regelmaessige Aktion hier. Ich wollte eigentlich auch interessehalber teilnehmen, hatte mich aber aufgrund akuten Schlafmangels kurzfristig umentschieden.

Nun ist mir aber ein schoenes Flussdiagramm in die Haende gefallen, das im Rahmen der Veranstaltung ausgegeben wurde, und das laesst mich schon ein wenig die Haende ueber dem Kopf zusammenschlagen. Im Amokfall soll die Universitaet per Megaphon ueber die Lage informiert werden, was jedem, der schonmal Megaphone benutzen musste, dann doch eher optimistisch vorkommen duerfte.

Besonders denkwuerdig ist aber, dass in diesem Plan von Praesidium und Polizei offenkundig davon ausgegangen wird, dass zeitgleich zu Amoklaeufen dann auch mal das Internet kurzzeitig aus der Welt verschwindet. 2006 hatte es immerhin sechs Stunden gedauert, bis das Thema im lokalen Social Network auftauchte — Radio, Fernsehen und Presse wussten trotz eintreffender Polizeihundertschaften stundenlang nichts von der Aktion, was nicht zuletzt an der abgeschiedenen Lage der Uni liegen duerfte.

Heutzutage duerfte so ein Zwischenfall binnen weniger Minuten auf den ueblichen Kanaelen auftauchen: TU, Twitter, Facebook, aber eben auch als Bewegtbild auf bambuser, qik und Co.

Um so niedlicher liest sich daher die Anweisung auf dem Flussdiagramm der Uni:

Presseauskünfte nur durch Präsident/Pressesprecher

Faszination

Eigentlich wollte ich gestern den ganzen Tag lang auf meine Pruefung lernen.

Als gegen Mittag die ersten Twittermeldungen ueber verpruegelte Schueler aus Stuttgart eintrafen, fiel es verdammt schwer, bei der Sache zu bleiben, und nicht sofort noch eben mal diretto unter heissen Bedingungen livezutesten.

Und als ich abends eigentlich noch Texte einsprechen wollte, sass ich stattdessen fast bis 0300 Uhr wie gebannt vor den Video-Livestreams aus dem Schlosspark, waehrend auf Twitter neue Bilder nachgeschoben wurden und ich dem Ulmer K21-Buendnis beim Live-Verfassen einer Pressemitteilung zusah.

Es faellt mir schwer, so richtig auszudruecken, was dieses Gefuehl ist. „Faszination“ klingt irgendwie viel zu schwach, es scheint nicht zu reichen fuer dieses seltsame Gefuehl, eigentlich zu traeumen, wenn man so mal eben mit wenigen Sekunden Verzoegerung sieht, was andere so mal eben mit ihrem Telefon aufgenommen haben. Mit einem Telefon! Absurd! Waren das nicht vorgestern noch so gruene Dinger mit Nummernschalter? Heute uebertragen die, wie andere gruene Dinger ganz ohne Nummer mit Reizgas spritzen. Live. Wahnsinn.

In bierseliger Runde im Swobster’s letzte Woche kam irgendwann die philosophische Frage auf, in welcher Zeit man denn gerne gelebt haette, wenn man sich’s aussuchen koennte. Kennt ihr bestimmt alle, die Frage kommt immer mal wieder. Letzte Woche habe ich zum ersten Mal ohne zu zoegern „genau jetzt“ gesagt. Ich glaube, diese Antwort ist die beste, die es auf die Frage gibt.

Links:

Ergaenzungen

Eins.

Im Originalartikel zur Netzpolitik-Soiree war Jens Bests Fragenueberfall nur eine Randnotiz, die Kommentarspalte ist jetzt aber die vermutlich laengste, die es jemals hier geben wird, und ich moechte ganz ausdruecklich noch einmal auf sie hinweisen. Jetzt ist mir ein wenig klarer, worauf Jens eigentlich hinaus wollte — letztlich duerfte das Ziel sein, Aengste und Vorurteile abzubauen.

Zwei.

Das Problem scheint mir, dass man allzuleicht versucht ist, diese — auf Un- und Halbwissen basierenden — Aengste mit „Nicht-Netz-Menschen“ zu verbinden. Vergessen werden dabei all diejenigen, die zwar im Netz unterwegs sind, aber keine wesentliche Ahnung von der Materie haben. „Internetausdrucker“ ist da auch wieder so ein furchtbarer Begriff, damals im Usenet waren es die AOL-Nutzer, und morgen gibt’s den naechsten abwertenden Begriff. Wir brauchen eine Integrationsdebatte, heisst es dagegen bei Torsten Kleinz, und er hat voll und ganz Recht. Vom Gros der Lehrer kann die vielbeschworene Medienkompetenz nicht kommen — warum kuemmern wir uns aber nicht selber darueber, anstatt nur herablassend zu laestern? Leseempfehlung, und bitte mitdiskutieren. Aehnliches gab es vor einer Weile schon bei Enno Park.

Drei.

Bei der Diskussion mit Jens hatte ich einen Flashback. Eine aehnliche Diskussion nach dem Motto „wozu ueberhaupt noch Datenschutz“ gab es schon im Fruehjahr bei qrios im Blog — leider mit meines Erachtens viel zu wenig Diskussionsbeteiligung. Sollte man eigentlich noch einmal aufgreifen, finde ich.

Vier (zuerst vergessen, also Ergaenzungs-Ergaenzung).

Nach Inspektion meines Buchregals war Wlada der Ansicht, ich habe einen aehnlichen Literaturgeschmack wie ihr Chef und hat sich Free Culture ausgeliehen, was ich gleichermassen unerwartet wie verdammt cool fand. Womit die maximal nonchalant-prahlerische Ueberleitung zu Dirk von Gehlen geschafft waere, der auch noch etwas zur Lobo./.Weiss-Debatte schrieb, was ich zuerst uebersehen hatte.

Ein Abend in der Boell-Stiftung

Die Haeppchen und das Freibier nach der Soiree konnten das ein wenig retten, aber trotzdem: Ich war nicht zufrieden nach dieser Podiumsdiskussion.

Einmal zu Jarvis: Ja, er ist mitreissend, in seiner Vortragsart gleichermassen wie mit seinen Vergleichen. Aber auch bei der zehnten Wiederholung werden seine ungueltigen Parabeln nicht wahrer. Das „German Paradox“ existiert schlichtweg nicht. Ganz im Gegenteil spiegelt der scheinbare Widerspruch zwischen den gemischten Nacktsaunas und der Paranoia vor StreetView genau die Angst vor Kontrollverlust wider, um die es geht. In der Sauna sitzen zehn andere Nackedeis, die ueberschaubar sind und von denen keiner eine Kamera dabei hat, um den Anblick mit der ganzen Welt zu teilen (Von einzelnen Ausnahmen abgesehen).

Genauso duerfte es Google so ziemlich zuletzt um die armen Chinesen gehen, wenn sie ihre Suchmaschine in China entgegen staatlicher Zensurbestrebungen betreiben. Google ist immer noch von wirtschaftlichen Interessen getrieben, genauso natuerlich wie quasi alle Staaten, die im Interesse ihrer heimischen Firmen abgesehen vom erhobenen Zeigefinger einen Teufel gegen die chinesische Zensur tun. Hier schenkt sich keiner etwas.

Und nicht zuletzt halte ich Positionen wie die, dass derjenige, der die Privatheit hochhaelt, die Oeffentlichkeit „bestiehlt“, der Diskussion fuer nicht zutraeglich. Aber gut.

Der eigentliche Kracher des Abends war Thilo Weichert. Ich weiss nicht, wie man dazu kommt, muendigen Buergern die Entscheidungsfaehigkeit absprechen zu wollen, unter Kenntnis und Abwaegung aller Risiken einen Dienst wie Google Mail zu waehlen. Nils meinte spaeter, das Publikum habe ihm gar keine Fragen mehr gestellt, weil die Antworten vermutlich schmerzverursachender gewesen waeren als ihn zu ignorieren.

Die Weichertsche Argumentation geht in etwa so: Wem man seine Daten anvertraut, der muss vorher en Detail offenlegen, wie er mit den Daten verfaehrt und was damit passiert. Wer das tut, erhaelt eine staatliche Zertifizierung (und jeder weiss ja, dass solche Siegel total toll sind!) und ist damit offiziell vertrauenswuerdig.

Jetzt kann man sich fragen, ob Weichert jemals per Anhalter unterwegs war, und wenn ja, ob er sich jedesmal vorher das polizeiliche Fuehrungszeugnis zeigen liess. Abseits technokratischer Automatenvorstellungen duerfte die reale Welt eher so funktionieren: Ein Gegenueber bekommt erst einmal einen Vertrauensvorschuss, den es erfuellen oder verspielen kann. Baut ein Unternehmen Mist, spricht sich das herum; der Markt reguliert sich also selbst. Wo in diesem Prozess ein staatliches Siegel notwendig oder sinnvoll ist, hat sich mir nicht erschlossen. In den Sphaeren, in denen Weichert schwebt, scheint das aber dringend erforderlich zu sein (wo diese Sphaeren sind und wie man da hinkommt, will ich besser gar nicht wissen).

Was mich noch viel mehr gewurmt hat, war die Frage, die ich nicht gestellt habe (und auch niemand sonst). Die Diskussion wurde wieder einmal ganz um Unternehmen, namentlich Google gewickelt. Wie passt es aber in Weicherts Offenlegungs- und Zertifizierungsweltbild, dass der Staat — wo der Opt-Out dann doch ungleich schwieriger ausfaellt — in vollkommener Abgeschottetheit geheime Vertraege wie ACTA und INDECT aushandelt, die zweifelsfrei in die Privatsphaere der Buerger eingreifen?

Wahrscheinlich werden die beteiligten Behoerden dann im Umgang mit den Daten zertifiziert und bekommen ein Siegel. Oder sie sind von vorneherein vertrauenswuerdig. Das wuerde sicher in Weicherts technokratisches Weltbild passen.

//addendum: Ganz vergessen: Jens Bests Fragen sowohl in Inhalt als auch in Form fand ich furchtbar. Was sollte das denn eigentlich?

(Titelbild von Pascal geklaut. Unten: @presseschauer uebt sozialen Druck auf @nullsummenspiel aus, um Spenden fuer die FSA zu sammeln.)

Kleiner Einwurf in Sachen Netzneutralitaet

Was mir gerade zu der Debatte eingefallen ist: Ist die „vollkommene Neutralitaet“ in Telekommunikationsnetzen ueberhaupt Status Quo?

Ich meine mich zu erinnern, dass mein Kreisbrandinspektor mir einmal erzaehlt hat, dass seinem Mobilfunkanschluss in Ueberlastsituationen bevorzugt eine Leitung zugewiesen werde — begruendet damit, dass besondere Fuehrungskraefte im Katastrophenschutz im K-Fall auch bei ueberlastetem Netz noch eine Chance zur Kommunikation per GSM haben sollen.

Der Umstand, dass auch er manchmal kein Freizeichen bekommt, relativiert die Vorstellung fuer mich ein wenig. Aber so bedingungslos war die Gleichbehandlung wohl dann doch nicht.

(Ich vermute, hier gerade Aepfel mit Birnen zu vergleichen)

Warum es nicht vergebens war

Zugegeben. Anfangs ging es mir wie @mspro. Da ist das Sperrgesetz im eigenen Land noch nicht mal aufgehoben, und schon geht es auf EU-Ebene weiter — wie Don Quijote mit den Windmuehlen. Als haetten die Petition, die Demonstrationen, der Versuch, Medien und Politik wachzuruetteln, nie stattgefunden.

All das hat aber stattgefunden. Und demnach ist einiges anders als im vergangenen Jahr. Auf B5 aktuell habe ich alle 15 Minuten die Stellungnahme des voll namentlich genannten Arbeitskreises gegen Internet-Sperren und Zensur verlesen bekommen, was im Radio einen geradezu pathetischen Klang bekommt. Waehrend bei der SWP vor einem Jahr noch Gunther Hartwig und Thomas Veitinger pro Netzsperren schrieben, war der Censilia-Vorstoss dieses Mal einen Seite-1-Kommentar wert, in dem Christoph Faisst die Sperrphantasien als die, Zitat, „sinnlose Symbolpolitik“ anprangert, die sie tatsaechlich sind. Und selbst Bild.de ergeht sich nicht in Ad-hominem-Angriffen gegen Sperrgegner, sondern berichtet ueberraschend ausgewogen.

Ich bin natuerlich zu sehr Zyniker, um den Unterschied zwischen der gedruckten Bild und bild.de nicht zu erkennen. Und ich werde mich von den Anti-Zensur-Beteuerungen der schwarz-gelben Regierung nicht einlullen lassen. Aber trotzdem zeigen mir solche einzelnen Punkte, dass die Bemuehungen des vergangenen Jahres alles andere als vergebens waren.