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Nur damit das nicht untergeht

Die Netzsperren sind wohl Geschichte. Da freuen sich jetzt alle. Schreiben wir aber trotzdem sicherheitshalber mal auf:

  • Die Idee fuer diese ganze Scheisse kam urspruenglich mal aus der CDU. Von Frau von der Leyen. Damit das keiner vergisst. Friedrich hin, CSU her. Und der Uhl kam meines Wissens doch auch aus der CSU, nicht?
  • Das auch noch in Gesetzesform giessen zu wollen war Plan der SPD. Tralafitti!
  • Blaetter, die heute dpa-Meldungen zum Ende der Netzsperren auskippen, hatten vor zwei Jahren zum Teil „differenziertere“ Meinungen. Ich zitiere nochmal aus dem Brief des SWP-Ressortleiters Wilhelm Hoelkemeier an mich:

    Ansonsten gilt: Es existieren in unserer Redaktion beide Positionen — für und gegen die Einrichtung von Netzsperren. Das schlägt sich so auch im Blatt nieder

    Es gab also durchaus Journalisten, die die Zensursula-Ideen gut fanden oder zumindest nicht tiefgehend hinterfragten (in diesem Beispiel Gunther Hartwig und Thomas Veitinger)

Sollte man vielleicht im Hinterkopf behalten.

Warum es nicht vergebens war

Zugegeben. Anfangs ging es mir wie @mspro. Da ist das Sperrgesetz im eigenen Land noch nicht mal aufgehoben, und schon geht es auf EU-Ebene weiter — wie Don Quijote mit den Windmuehlen. Als haetten die Petition, die Demonstrationen, der Versuch, Medien und Politik wachzuruetteln, nie stattgefunden.

All das hat aber stattgefunden. Und demnach ist einiges anders als im vergangenen Jahr. Auf B5 aktuell habe ich alle 15 Minuten die Stellungnahme des voll namentlich genannten Arbeitskreises gegen Internet-Sperren und Zensur verlesen bekommen, was im Radio einen geradezu pathetischen Klang bekommt. Waehrend bei der SWP vor einem Jahr noch Gunther Hartwig und Thomas Veitinger pro Netzsperren schrieben, war der Censilia-Vorstoss dieses Mal einen Seite-1-Kommentar wert, in dem Christoph Faisst die Sperrphantasien als die, Zitat, „sinnlose Symbolpolitik“ anprangert, die sie tatsaechlich sind. Und selbst Bild.de ergeht sich nicht in Ad-hominem-Angriffen gegen Sperrgegner, sondern berichtet ueberraschend ausgewogen.

Ich bin natuerlich zu sehr Zyniker, um den Unterschied zwischen der gedruckten Bild und bild.de nicht zu erkennen. Und ich werde mich von den Anti-Zensur-Beteuerungen der schwarz-gelben Regierung nicht einlullen lassen. Aber trotzdem zeigen mir solche einzelnen Punkte, dass die Bemuehungen des vergangenen Jahres alles andere als vergebens waren.

„Loeschen statt sperren“ in Stuttgart

So, nun war ich tatsaechlich auch zum ersten Mal in meinem Leben als „echter Demonstrant“ an einer Demonstration teilgenommen. So wunderbar ist das mit dem Internet: Ein paar Mails ueber die Hochschulpiratenliste, ein Eintrag im Wiki, ein paar Posts im Politikforum und der „Zensursula“-Gruppe bei Team-Ulm, und auf einmal standen sage und schreibe 20 Leute in Ulm vor dem Hauptbahnhof, die gemeinsam mit BaWue-Tickets nach Stuttgart fuhren.

Wene musste natuerlich gleich mal aus dem Zug twittern, dass Ulm zwei Drittel der angemeldeten Demoteilnehmer stemmt, und Raimar hat das getan, was er am besten kann: Pennen :->

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Skurril: In Stuttgart angekommen wird man von einem Stuttgarter Mit-Org begruesst und erst einmal Geld fuer in letzter Minute zu kopierende Flyer gesammelt. Jeder laesst ein paar Euro springen, ein paar Leute verschwinden in den Copyshop, der Rest sucht die Demo.

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Die Kundgebung war dann auch ein wenig arg leise. Megaphone oder andere Verstaerker waren nicht genehmigt worden, Redner gab es eigentlich auch keine, es haben sich dann aber doch noch ein paar Freiwillige gefunden, die — ja, Nerds! — Texte vom UMTS-Handy ablasen.

Gut fand ich den Kontakt zu den Passanten, die natuerlich (besonders beim Marsch, siehe spaeter) die Menschenansammlung skeptisch beaeugte. Man blieb nicht bei sich „in der Blase“, sondern verteilte aktiv Flyer an Umstehende und Passanten, kam auch ins Gespraech und konnte viele Vorurteile aufklaeren. „Sauerei“ hoerte ich von einer aelteren Dame, als es um die Petition ging, die erst im Herbst Thema im Ausschuss werden soll, und auch das Anliegen „Loeschen statt Sperren“ traf auf weitverbreitete Zustimmung. Gerade aeltere Leuten war das Argument der einmal errichteten Zensurinfrastruktur leicht zu vermitteln und traf auch auf offene Ohren.

Amuesant wurde es dann nach der offiziellen Aufloesung um 1400 Uhr. Ich wollte eigentlich nur die Ulmer sammeln, um gemeinsam zum Bahnhof zu laufen, damit kein BaWue-Ticket-Mitfahrer abhanden kommt. Als sich dann das Ulmer Grueppchen in Bewegung setzte, liefen aber auf einmal immer noch mehr Menschen hinterher — schlussendlich zog der Grossteil der Demonstranten „Nur Diktatur braucht Zensur“ skandierend und Flyer verteilend durch die Stuttgarter Innenstadt. War zwar nicht so geplant, hat aber offenbar fuer Aufmerksamkeit gesorgt 😀

Eine Auswahl meiner Bilder gibt es auf Flickr — allesamt unter cc-by-nc-sa-Lizenz. Wer die Bilder in gross fuer Veroeffentlichungen lizenzieren mag, kann sich vertrauensvoll an stefan at bloggt punkt es wenden.