Im letzten Post hatte ich angekuendigt, etwas auf das vom Land NRW bei pwc in Auftrag gegebene „Kurzgutachten“ zur sogenannten Datenlizenz Deutschland einzugehen.
Ich habe keine Ahnung, wie das zustande kam, aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die dort Beteiligten die Welt der freien Lizenzen nicht so recht kennen, oder dass eventuell das gewuenschte Ergebnis schon vorher feststand.
Kurz und knackig: Die Zusammenfassung
Fangen wir einmal mit der Zusammenfassung auf Seite 4 an:
Gegenüber anderen Open Data-Lizenzen bietet die Datenlizenz Deutschland 2.0 den Vorteil, dass diese auf die Begrifflichkeiten des deutschen Urheberrechts ausgelegt ist und so keine zusätzlichen Auslegungsprobleme bereitet.
Diese Aussage ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert.
Zum Einen gibt es durchaus Open-Data-Lizenzen, die auf den europaeischen Urheberrechtsraum ausgelegt sind. Zum Entstehungszeitpunkt der DL-DE 1.0 gab es zwar die Creative-Commons-Lizenz noch in der Version 3.0, die z.B. kein Datenbankherstellerrecht nach dem europaeischen Rechtsverstaendnis kannte. Genau um diese Luecke zu beheben, wurde jedoch beispielsweise die ODbL entwickelt (hierzu spaeter mehr). Und die CC 4.0 ist ganz klar und von Anfang an auf Kompatibilitaet mit dem europaeischen Rechtsrahmen hin entwickelt worden.
In einer Broschuere von 2019 zu implizieren, dass die DL-DE allen anderen Open-Data-Lizenzen eine Passgenauigkeit auf den deutschen Urheberrechtsraum voraus habe, ist schlichtweg eine Falschaussage.
Zum Anderen ist spannend, dass hier behauptet wird, dass keine „zusaetzlichen“ (zusaetzlich wozu?) Auslegungsprobleme bereitet werden wuerden. Das steht in krassem Widerspruch zum naechsten Absatz:
Sie ist einfach strukturiert, knapp, und somit auch vom nicht rechtskundigen Anwender ohne vertiefte weitere Erläuterungen zu verstehen
Im letzten Post erwaehnte ich schon die Dreigliedrigkeit der CC-Lizenzen: Die fuer Laien verstaendliche Kurzfassung, die maschinenlesbare Fassung und den formellen Lizenzvertrag unter Berufung auf die anzuwendenden einschlaegigen Rechtsgrundlagen.
Die CC-Lizenzen bringen also durchaus eine einfach strukturierte, knappe, und explizit an Laien gerichtete Kurzfassung („human-readable summary“) mit sich, um mit wenigen Worten den Rahmen und die Bedingungen fuer die Nutzung zu umreissen.
Um aber auch in unklaren Faellen Rechtssicherheit und Verlaesslichkeit zu haben, gehoert bei den CC-Lizenzen die Langfassung dazu – die beispielsweise erklaert, warum diese Lizenz ueberhaupt in diesem Fall angewendet werden kann, worum es genau geht, dass keine Beschraenkungen der gewaehrten Rechte fuer nachfolgende Empfaenger zulaessig sind, wie es mit der Lizenzierung von Patent- oder Markenrechten aussieht, etc pp.
Hierzu schweigt sich die DL-DE aus. Komplett. Wer genaueres wissen will, hat einfach Pech gehabt. Nice!
Mit den beiden Datenlizenzen Deutschland steht zudem ein bereits abgestimmtes, vom IT-Planungsrat vorgeschlagenes Lizenzie-rungsregime zur Verfügung.
„Die Leute, die »aendert alle 90 Tage euer Windowspasswort und es muss folgende Zeichen haben« kauften, kauften auch:“
Die Verwendung anderer Open Data-Datenlizenzen ist grundsätzlich möglich. Im Hinblick auf die praktische Handhabung durch die Verwaltung wären damit aber signifikante Nachteile verbunden. Diese Nachteile ergeben sich im Regelfall aus der mangelnden Abgestimmtheit auf das deutsche Urheberrecht und der vergleichsweisen Komplexität der Regelungen dieser Lizenzen.
Wie oben beschrieben: Das ist schlicht und dreist gelogen. Andere Lizenzen sind nicht weniger auf das UrhG abgestimmt, sondern die DL-DE unterschlaegt, wie sie eigentlich im Detail mit dem UrhG korrespondiert. Die notwendigerweise zugrundeliegenden Regelungen, wie die DL-DE funktioniert, sind in der Praxis nicht weniger komplex – sie sind halt einfach bei der DL-DE nirgendwo aufgeschrieben, und damit fuer juristische Laien gar nicht erst zugaenglich.
Die Verwendung ausländischer Open Data-Lizenzen kann zudem im Einzelfall ausgeschlossen sein, soweit Regelungen dieser Lizenzen mit deutschem Recht nicht vereinbar sind. Dies gilt insbesondere für die regelmäßig vorgesehenen weitgehenden Haftungsausschlüsse, selbst wenn diese unter einen Anwendungsvorbehalt gestellt sind.
Das ist natuerlich eine besonders schoene Passage – deutsches Recht fuer deutsche Daten. Naja. Wie bereits mehrfach beschrieben faellt das Argument der Nichtanwendbarkeit „auslaendischer“ Lizenzen recht schnell in sich zusammen.
Sehr witzig finde ich auch, wie in Bezug auf die problematisierten Haftungsausschluesse sofort zurueckgerudert wird. Schliesslich finden sich im Legal Code der CC folgende Passus:
„Sofern der Lizenzgeber nicht separat anderes erklärt und so weit wie möglich, bietet der Lizenzgeber das lizenzierte Material so wie es ist und verfügbar ist an […]“, oder „Dort, wo Haftungsbeschränkungen ganz oder teilweise unzulässig sind, gilt die vorliegende Beschränkung möglicherweise für Sie nicht.“
(Das wird im Abschnitt 6.1 des Gutachtens dann auch eingeraeumt. Klingt halt weniger knackig.)
Anstatt die schoen designte Broschuere voller Unsinn zu bauen, haette man einen Boilerplate-Text entwerfen, der die CC-Lizenzen durch eine Erklaerung zur moeglicherweise doch vorliegenden Haftung und im idealfall sogar fuer die passende Attribuierung bei der Verwendung durch OpenStreetMap (oder auch andere) ergaenzt. Aber vielleicht war dafuer zu wenig Geld da, oder es sollte ein vorher feststehendes Ergebnis rauskommen.
Das faellt dann auch im direkt nachfolgenden Absatz auf:
Die Vorgaben der Datenlizenzenz Deutschland 2.0 mit Namensnennung zu Namensnennung und Quellenvermerk können allerdings mit anderen Lizenzregimen kollidieren […] Hier empfehlen wir ggf. Klarstellungen durch den Bereitsteller […], etwa im Hinblick auf die Möglichkeit der Nutzung der Contributor List von OpenStreetMap, um den Nutzerinnen und Nutzernn ausreichend Rechtssicherheit zu geben.
Ach. Ich will jetzt gar nicht auf die grundsaetzliche Problematik der OSM-Datenbanklizenzierung eingehen – aber wenn die DL-DE doch so einwandfrei fuer den deutschen Open-Data-Kontext angepasst ist, warum ist sie dann nicht von Haus aus fuer die Nutzung mit OSM geeignet? Ihr habt eine Lizenz speziell fuer OSM [Korrektur:] den deutschen Rechtsraum geschaffen, die aber dann nochmal ergaenzt werden muss, damit mit die groesste existierende OSM-Community (naemlich die deutschsprachige) mit unter ihr lizenzierten Daten arbeiten kann? Was ist denn das fuer eine Kack-Anpassung? 😀
Kapitel 2: Die Ausgangslage
Spannend ist im gesamten Gutachten, wie eben auch dem Kapitel ueber die Ausgangslage, dass das Vorliegen einer Werkqualitaet im Sinne des UrhG als notwendige Voraussetzung fuer die Anwendbarkeit einer auf dem UrhG basierenden Standardlizenz sehr nonchalant unter den Tisch fallen gelassen wird. So beginnt das Kapitel mit diesem Satz:
Werden Daten der öffentlichen Verwaltung als »Open Data« veröffentlicht, werden die Nutzungs- und Verwertungsrechte der Nutzerinnen und Nutzer an diesen Daten durch Nutzungsbedingungen festgelegt. Abruf und Verwendung der Daten stehen unter dem Vorbehalt der Einhaltung dieser Nutzungsbedingungen.
Alleine der zweite Satz ist ein kleines Feuerwerk, aus dem sich sicher eine schoene Diskussion im Medienrechtsseminar drehen laesst.
Aber schon der erste Satz ist als fuer die oeffentliche Verwaltung geschriebenes Gutachten fatal. Es bleibt hier vollkommen unklar, ob es sich um ein privatrechtliches Verhaeltnis zwischen anbietender Stelle und NutzerIn handelt (und was passiert dann eigentlich, wenn die NutzerIn vertragsbruechig handelt, die Daten entgegen der Vereinbarung einfach so an mich weitergibt und ich dann beliebige Dinge damit mache?), oder ob es sich (was anzunehmen ist) um einen Standardvertrag zur Uebertragung der Verwertungs- und Vervielfaeltigungsrechte handelt, wie das eben bei anderen Open-Data-Lizenzen (oder eben auch bei Free-Software-Lizenzen) der Fall ist.
Im weiteren Verlauf wird die „Vielfalt“ der verschiedenen Open-Data-Lizenzen bemaengelt und dass das ein Problem fuer die Open-Data-Proliferation sei. An der Stelle haette man durchaus einmal innehalten und reflektieren koennen, ob diese Situation durch die Einfuehrung zweier zusaetzlicher Lizenzen, die wenn dann nur in Deutschland Anwendung finden werden, irgendwie besser werden soll, aber ich glaube ich muss im weiteren Verlauf dieses Textes vielleicht ein Clownsemoji als Sarkasmuskennzeichner einfuehren. Noch viel dummdreister wird diese Passage aber dadurch, dass sie den Text Avoiding Data Silos als Fussnote und angeblichen Beweis dieser Behauptung heranzieht. Weder behauptet dieser Text, dass die Situation durch die Einfuehrung neuer Lizenzen besser wird. Noch, und das regt mich viel mehr auf, fliessen danach die Recommendation des Texts in das „Gutachten“ ein. Dort steht naemlich unter anderem:
Clarify if data falls under the scope of copyright, database rights, or similar rights.
Nichts davon ist in der DL-DE zu finden.
Consider copyright reform if the protection status of public sector information is not clear. This may include granting positive use rights for public sector information within copyright law instead of adding many exceptions to copyright.
Nichts davon haben der IT-Planungsrat oder sonstige Gremien auf den Weg gebracht. Stattdessen reibt man sich an der hundsvermaledeiten Datenlizenz Deutschland auf. Anstatt den passenden Rechtsrahmen zu bauen, um einfach, gut und rechtssicher Open Data in Deutschland vielleicht sogar generell im Rahmen von §5 UrhG als gemeinfrei veroeffentlichen zu koennen, wird eine Sonderlocke nach der anderen gedreht, die mit nichts kompatibel und handwerklich unzulaenglich ist. Man vergleiche hierzu auch die Stellungnahme von Mathias Schindler im Bundestags-Ausschuss Digitale Agenda von 2014(!)
If data is exempt from copyright and database rights, publish clear notices that inform users about their rights to freely reuse, combine and distribute information.
Nichts davon kann die DL-DE. Danke hier an @krabina, der im Kommentar zum vorigen Post richtigerweise darauf hingewiesen hat, dass die CC 0 besser nur dann verwendet werden soll, wenn es sich um urheberrechtlich geschuetztes Material handelt, das mit Absicht freigegeben wird, und bei nicht schuetzbarem Material die Public Domain Mark verwendet werden soll. Die DL-DE hat hier eine Zero-Lizenz, die nichts erklaert und nicht klarstellt, warum da jetzt Zero draufsteht.
Recommended solutions are the public domain dedication Creative Commons Zero and the Creative Commons Attribution 4.0 licence.
Ja. Das steht im Text, der per Fussnote als Beweis der Notwendigkeit genau des Gegenteils herangezogen werden soll. Weiter will ich darauf gerade gar nicht eingehen. Der gesamte Text ist als Handlungsempfehlung deutlich besser als das pwc-Ramschgutachten.
Der Vollstaendigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass die europaeische Kommission nun auch die Creative-Commons-Lizenzen in Version 4.0 empfiehlt, auch fuer Daten. So von wegen Vereinheitlichung.
Kapitel 5: OSM und DL-DE und Lizenzfolklore
In Kapitel 5 werden diverse offene Lizenzen angefuehrt und verglichen.
Spannenderweise wird hier (mit angegebenem Abrufdatum Herbst 2018) bei der Creative Commons unter Verweis auf Spindler/Schuster/Wiebe, „Recht der elektronischen Medien“ (3. Aufl. 2015) immer noch angefuehrt, dass die CC-Lizenzen „für mehr als 50 Länder an die nationale Rechtslage angepasst und über-setzt“ worden seien. Das Buch liegt mir leider nicht vor; wohl aber der Verdacht, dass hier Bezug auf die CC in der Version vor der international passenden 4.0 genommen wird – also noch mit der bereits mehrfach thematisierten und mittlerweile weggefallenen Portierungsproblematik.
Weiter werden die Datenbanklizenzen PDDL, ODC-By und ODbL thematisiert. Hier wird an keiner Stelle auch nur mit einer Silbe erwaehnt, dass diese Lizenzen zu Zeiten der CC 3.0 dazu dienten, das mit der CC damals nicht abgedeckte Sui-Generis-Recht fuer Datenbanken im europaeischen Rechtsraum abzudecken. Zwar werden die Nutzungsbedingungen kurz umrissen, ein Gesamtbild des Zusammenspiels der verschiedenen Lizenzen wird aber nicht aufgezeigt. Es darf die Frage gestattet sein, ob es bei den ErstellerInnen des Gutachtens vorhanden war.
Im Folgenden wird es dann echt witzig:
Die dl-de/by-2-0 unterscheidet nicht zwischen Urheberrechten und Leistungsschutzrechten. Sie ist daher sowohl auf Datenbanken i.S.d. § 87a UrhG als auch auf Werke i.S.d. § 2ff. UrhG anwendbar.
WO STEHT DAS? WIE BEKOMME ICH DAS ALS ANWENDER HERAUS???
Sorry. Kurz durchatmen.
Das ist genau der Punkt: Ich persoenlich nehme selber natuerlich an, dass die DL-DE auf dem UrhG fusst, weil ich weiss, wie andere freie Lizenzen funktionieren. Das wird aber weder denjenigen explizit gemacht, die diese Lizenz vergeben (ist sie hier ueberhaupt einschlaegig?), noch denjenigen, die so lizenzierte Daten nutzen wollen. Ich kann nur nochmal auf den als Fussnote herangezogenen Text verweisen: “Clarify if data falls under the scope of copyright, database rights, or similar rights.” – das bleibt die DL-DE schuldig.
Der Rest des Kapitels geht dann sehr ausfuehrlich darauf ein, wann wo und wie die DL-DE nicht mit der OSM kompatibel ist. Wie oben beschrieben: Seltsam, wenn sie doch angeblich eine speziell angepasste Lizenz fuer Open Data in Deutschland ist, und es OSM sowie die Datenbereitstellung fuer OSM durch die oeffentliche Hand bereits vor der Erfindung der DL-DE gab.
Haftungsunklarheiten
In Abschnitt 6.1.1 wird nun endlich die CC BY in Version 4.0 mit der DL-DE BY verglichen, und bezeichnenderweise wird beiden gleich eingangs derselbe Rechteumfang zugesprochen. Oder anders gesagt: Sie sind hier offenbar funktional identisch. Es bleibt also die Frage offen, wofuer es die DL-DE ueberhaupt braucht.
Danach wird die eingangs angerissene Haftungsproblematik angerissen. Hier wird offenbar darauf herumgeritten, dass die DL-DE von vorneherein keine Haftungsausschluesse vorsieht, waehrend die CC 4.0 „soweit anwendbar“ die Haftung ausschliesst und das am Ende wieder passt, weil das ja nicht anwendbar ist. Die Konsequenz des Gutachtens ist daraufhin:
Dies gilt allerdings nur, soweit sich auch die weitere Nutzung nach deutschem Recht richtet. Im Übrigen ist von einer Inkompatibilität auszugehen.
Von den GutachterInnen wird dadurch offenbar geflissentlich der Teilsatz „Sofern der Lizenzgeber nicht separat anderes erklärt“ im Legal Code der CC unter den Tisch fallen gelassen. Die Schlussfolgerungen verstehe ich jedenfalls ueberhaupt nicht.
An der Stelle pausiere ich die Kommentierung, weil der Zug gleich in Hamburg ankommt und mich der restliche Text aufregt. Mehr folgt.