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Namen und Deutungshoheiten

Interessanter Artikel auf politik.de zum Stuttgart-21-Stresstest, nach dessen „Bestehen“ die S21-Gegner vermeintlich irrationalerweise weiter protestieren. Doch der Teufel steckt im Detail:

Der Stresstest der Schweizer Firma SMA bescheinigt Stuttgart 21 eine „wirtschaftlich optimale Betriebsqualität“. Niemand weiß besser als die Deutsche Bahn, dass dies ein klar definierter Begriff ist, denn sie selbst hat ihn eingeführt. Er bedeutet, dass Verspätungen der Züge zwar nicht zunehmen, aber auch nicht abgebaut werden können.

[…] Die Bahn wirft Nebelkerzen. Das fing schon während der Schlichtung an. Der Grüne Boris Palmer setzte da die Anforderung „gute Betriebsqualität“ durch. Die Bahn hütete sich, bekannt zu geben, dass sie 2008 die Benotungs-Terminologie geändert hatte, was Palmer nicht wusste. Das Wort „gut“ kommt nur in der alten Terminologie vor, in der neuen wurde es durch das Wort „Premium-Qualität“ ersetzt. Ebenso kommt „befriedigend“ nicht mehr vor, es heißt jetzt „wirtschaftlich optimale Betriebsqualität“

Stresstest für die Demokratie – Suche – politik.de – Portal für Politik und Demokratie. ( via @jensbest)

Leseempfehlung (3)

Ganz klassisches Medieninformatikthema zuerst: Welche Navigationsloesung fuer Touchgeraete (lies momentan: iPad) ist die bessere — scrollen oder durch Tabs rotieren? Es stellt sich heraus, dass diese Frage uralt ist und bereits 1987 behandelt wurde. Mehr dazu bei den informationarchitects. (via @gerritvanaaken)

Schoenes Zitat:

It’s a touch screen device. Touch SCREEN device. The fact that you touch it doesn’t mean that it’s like print. As a matter of fact it’s lightyears away from print.

A propos Print. Christian Jakubetz springt auf den Zug mit den gerade so beliebten Thesen auf und postuliert zehn Thesen zur Zukunft der Zeitung.

TLDR: Es sieht duester aus.

Stellen, an denen ich ganz besonders heftig genickt habe:

  • Die Wochenzeitung wird die neue Tageszeitung – und nicht umgekehrt
  • Die Tageszeitungen sparen sich zu Tode
  • Die Tageszeitungen vergreisen in den Redaktionen
  • Als nächstes wandert der Lokaljournalismus ins Netz ab

Wer dagegenhalten will, darf gerne bei meiner mittlerweile zwei Jahre alten Print-Wette mitmachen: 500 EUR Einsatz fuer Studierende, ueber den Einsatz von Verdienern muessten wir uns dann nochmal unterhalten.

    Und wie zur Unterstreichung der These vom abwandernden Lokaljournalismus hier ein Stueck aus der RZ ueber den neulich hier schon beschriebenen @tilman36, der mal eben mit Laptop, Webcam und UMTS zwei Stunden lang sein eigenes Sendestudio aufmachte: „Mobiles Kamera-Einsatzkommando“

    Manche setzen weiterhin auf Print und die Bedeutung der gedruckten Zeitung fuer die Bildung. Die SWP startete gestern die Serie „Wir lesen“, auf deren Projektseite mit Video ich einfach mal kommentar- und wertungslos verlinken moechte.

    Der Tag der Brandschutztuere

    Ich breche ab. Da bin ich ne Stunde beim Essen, und schon ist die Twitter-Timeline voller Anspielungen auf eine Stahltuere.

    Was ist passiert? Ein paar Aktivisten hatten symbolischerweise den Suedfluegel des Stuttgarter Bahnhofs besetzt. Eigentlich wollte man den dann irgendwann mal wieder friedlich verlassen, nur ging dann eine Brandschutztuer nicht mehr auf, und die Polizei versuchte, eben diese Tuer zu ueberwinden. Und weil @tilman36 das gleich mitgefilmt hat, konnte man den Tueroeffnungsversuch auch im Internet verfolgen. Live. Ueber eine Stunde lang. Der Feuerwehrler in mir, dem das schnelle und effiziente Tueroeffnen beigebracht wurde, hat dann schon etwas lachen muessen, als er die Aufzeichnung gesehen hat (ab ca. 1:30 wirds laut).

    Eine ganz neue Form von Reality-TV. Von den etablierten Medien hatte das natuerlich keiner, bis jetzt.

    PS: Brandschutztueren haben ja gewisse Feuerwiderstandsklassen. Feuerhemmend F30 heisst beispielsweise, dass die Tuer 30 Minuten lang einer Brandbeaufschlagung widerstehen kann. Die besagte Tuer ist dann wohl hochpolizeihemmend P60 😉

    Danke fuer die Links an @sebaso!

    Faszination

    Eigentlich wollte ich gestern den ganzen Tag lang auf meine Pruefung lernen.

    Als gegen Mittag die ersten Twittermeldungen ueber verpruegelte Schueler aus Stuttgart eintrafen, fiel es verdammt schwer, bei der Sache zu bleiben, und nicht sofort noch eben mal diretto unter heissen Bedingungen livezutesten.

    Und als ich abends eigentlich noch Texte einsprechen wollte, sass ich stattdessen fast bis 0300 Uhr wie gebannt vor den Video-Livestreams aus dem Schlosspark, waehrend auf Twitter neue Bilder nachgeschoben wurden und ich dem Ulmer K21-Buendnis beim Live-Verfassen einer Pressemitteilung zusah.

    Es faellt mir schwer, so richtig auszudruecken, was dieses Gefuehl ist. „Faszination“ klingt irgendwie viel zu schwach, es scheint nicht zu reichen fuer dieses seltsame Gefuehl, eigentlich zu traeumen, wenn man so mal eben mit wenigen Sekunden Verzoegerung sieht, was andere so mal eben mit ihrem Telefon aufgenommen haben. Mit einem Telefon! Absurd! Waren das nicht vorgestern noch so gruene Dinger mit Nummernschalter? Heute uebertragen die, wie andere gruene Dinger ganz ohne Nummer mit Reizgas spritzen. Live. Wahnsinn.

    In bierseliger Runde im Swobster’s letzte Woche kam irgendwann die philosophische Frage auf, in welcher Zeit man denn gerne gelebt haette, wenn man sich’s aussuchen koennte. Kennt ihr bestimmt alle, die Frage kommt immer mal wieder. Letzte Woche habe ich zum ersten Mal ohne zu zoegern „genau jetzt“ gesagt. Ich glaube, diese Antwort ist die beste, die es auf die Frage gibt.

    Links:

    Crossmedia fatal

    Die SWP hatte heute ein zweiseitiges Feature ueber Stuttgart 21 in der Printausgabe. Seite 4/5, Filetstueck also, mehrere Themen jeweils aus Sicht der Befuerworter und der Gegner argumentiert.

    Im Layout sieht das klasse aus. Die Texte aussen um erlaeuternde Grafiken zum raeumlichen Zusammenhang in Stuttgart selbst, zur Neubaustrecke Ulm-Wendlingen, eine Zeitleiste der Entscheidungen, Diagramme… wunderhuebsch.

    Und was davon wurde fuer Online weitergesponnen, dem Medium entsprechend aufbereitet und eingestellt?

    NICHTS!

    Es gibt eine Einstiegsseite mit Bild, Teaser und Link auf eine Uebersichtsseite, auf der lieblos Links zu den einzelnen Texten geklatscht sind, die Texte sind lieblos in neue Artikel geklatscht, es gibt keine Karte, keine Grafik, kein Bild, nicht mal recyclete Klickstrecken, kurz gesagt, es gibt einen SCHEISSDRECK zu sehen.

    Bis auf die rechte Spalte natuerlich, samt Twitter und Facebook und RSS, und Wetterbericht und Branchenbuch, und Nachtleben in Ulm, und Todesanzeigen.

    Ich wuerde ja normal gar nichts sagen — ich weiss mittlerweile aus erster Hand, wie wenig Zeit man in einer Onlineredaktion neben Content Management und dem normalen Tagesgeschaeft fuer Sonderaktionen hat; dass man nicht mal eben ein Flashpaket aus der Luft zaubern kann, und ich weiss auch, in welchen Parallelwelten Print- und Onlineredaktion oft nebeneinander her arbeiten. Aber gestern abend ging es in einem Gespraech um genau solche Punkte, und waehrend ich auf bislang nicht genutzte Erzaehlformen, Experimente und volle Ausnutzung des Mediums aus war, hoerte ich immer nur „monetarisieren“, „kein Geld“ und sonstiges Zeug, das mir Gaensehaut bereitete.

    Ich glaube, ich geh mich jetzt besaufen.

    Run and Gun

    Prolog

    Freitag, 17.xx Uhr: Bei den Eltern sitzen und feststellen, dass tags darauf eine Gruppe S21-Gegner nach Ulm kommen will, um „den Protest ins Land zu tragen“. Gruebeln.

    17.38: Mail ueber den Redaktionsverteiler, da koennte man doch was machen. Warum nicht auch multimedial? Video? Wer hat Zeit?

    17.51: Kollege fragt nach dem Zuiko 35/2.8 samt Adapter, das ich ihm fuer ein HDSLR-Video leihen wollte. In Ulm. Gna.

    18.40–19.10: Mailinglistendiskussion, ob man ueberhaupt ueber den S21-Protest berichten soll. Beschliesse, den Widersprecher zu ignorieren.

    19.20: Beschluss 1, Treffpunkt in Voehringen zwecks Objektivuebergabe, plus 50/1.8 und 28-70/2.8, um sicher zu gehen.

    20.00: Beschluss 2, fahre morgen nach Ulm, um als One-Man-Show ein Soundslide von der Kundgebung zu machen. Dann faellt mir auf, dass ich gerade alle meine guten Objektive und den Zuiko-Objektivadapter verliehen habe. Gesichtspalme.

    Resultat

    (Direktsoundslidelink)

    Naja. Ich habe den Windschutz fuer den Zoom H2 nicht mehr gefunden, was etwa ein Drittel der Aussenaufnahmen wegen des Windes ziemlich unbrauchbar gemacht hat. Alleine sowohl Audio aufzunehmen als auch Bilder zu machen, ist prinzipiell moeglich, bringt aber das Risiko grosser Text-Bild-Scheren mit sich, wie das hier auch passiert ist. Vor Ort war ich knapp 60 Minuten, die Aufbereitung im Quick-and-Dirty-Stil hat vielleicht eine gute Stunde gedauert, das ist alles sehr ertraeglich.

    Insgesamt: Alles andere als hohe Kunst, aber immerhin nichts, wofuer man sich schaemen muesste.

    Randnotiz: Die SWP hatte eine Volontaerin fuer die Berichterstattung abgestellt, die ich — vermutlich durch das Praktikum — zumindest vom Sehen her kannte, und mit der sich etwa folgender Dialog entspann:

    „Sie sind auch von der Presse?“
    „Ja. Ich kenn dich glaube ich. Du bist doch Volo im Print bei der SWP, nicht?“
    „Ja. Bei der Suedwest Presse. Und du…?“
    „Von Team-Ulm.“
    „Ah, das ist doch dieses, aeh,…“ [enteilt zum Interviewpartner]
    „…euer Medienpartner. Genau.“

    Wohl doch noch nicht soweit mit der Vernetzung. Damn.

    Ende der Sympathiestrecke

    Ueber den schwaebischen Aufstand gegen das Prestigeprojekt Stuttgart 21 gibt es im Netz viel zu lesen — beispielhaft der Artikel der SZ, der wunderbar aufzeigt, warum hier auf einmal eine Masse zutiefst buergerlicher Schwaben zum ersten Mal an Sitzstreiks teilnimmt.

    Bislang hatte ich die ganze Protestwelle nur am Rande verfolgt — dass man nun auch in Ulm Mobilisierungsaufrufe findet, finde ich dann aber doch interessant. Bleiben wir gespannt, was da noch kommt.