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Warum sich auch die Filmindustrie Sorgen machen sollte

Martin Weigert hat bei netzwertig einige Thesen aufgestellt, wieso sich die Filmindustrie keine Sorgen machen brauche, die ich allesamt interessant finde. Mir kommt es naemlich so vor, als wuerde er genau die Argumentation verfolgen, die mittlerweile der Musikindustrie als extrem kurzsichtig vorgeworfen wurde:

These 1: Erlebnis Kinobesuch.

Nach Weigert habe das Kino immer noch den Vorteil ueberlegener Technik (Beispiel „Avatar“ in 3D), und zweitens sei der soziale Aspekt des gemeinsamen Kinobesuches hervorzuheben. Was 3D-Technik wie bei Avatar angeht, hat er natuerlich vollkommen Recht, und auch das Grossbilderlebnis ist kaum mit dem Heimkino zu vergleichen. Riesige HD-Fernseher oder sogar hoch aufgeloeste Videoprojektoren samt passender Mehrkanaltonanlage sind aber mittlerweile keine besondere Ausnahme mehr, sondern finden sich heutzutage in vielen Wohnzimmern wieder. Und das „soziale“ Element ist eher ein zweischneidiges Schwert — wer schon einmal im Kinosaal voller Popcornraschler, Laesterer und Zwischenrufer sass, kennt das. Im Vergleich dazu mit Freunden im Wohnzimmer (oder dem Feuerwehr-Lehrsaal) zu sitzen und gemeinsam einen Film zu sehen, ist da oft angenehmer. Zumal man den Film auch mal zur Toilettenpause unterbrechen kann, wenn das Bier drueckt.

Einzige Ausnahmen sind hier fuer mich die Sneak-Previews und Sonderformate a la Avatar. Ansonsten kann ich Weigerts These hier nicht folgen.

These 2: Begrenztes Angebot

Im Gegensatz zu Musik sei das Angebot an Filmen deutlich begrenzter und demnach wertvoller. Erst einmal wird ein Film anders konsumiert als ein Musikstueck, das man auch mal beim Joggen oder kochen „nebenbei“ hoert. Worldwideboxoffice.com hat zudem allein fuer 2009 ganze 198 Kinofilmproduktionen verzeichnet — hieraus eine prinzipielle Knappheit abzuleiten, halte ich also fuer etwas arg konstruiert.

These 3: Kosten-Nutzen-Missverhaeltnis bei nicht lizenzierten Downloads

Der Aufwand, einen Film per Tauschboerse o.ae. herunterzuladen, sei unverhaeltnismaessig hoch. Behauptet jedenfalls Weigert, der zu geringe Uebertragungsraten, Trafficbegrenzungen des Breitbandanschlusses (hat das jemand?!), Dateiformatvielfalt und die fehlende Verbindung zwischen PC und Fernseher als Gruende hierfuer anfuehrt.

Von allen Thesen halte ich diese fuer die undurchdachteste. Weigert sitzt der Fehleinschaetzung auf, dass sich die Technologie gerade so weit entwickle, dass sie zum Vorteil der Rechteinhaber gereiche — und dann einfach anhalten werde. Ein 700 MB grosses ISO-Image laesst sich schon ueber eine Leitung mit 2 Mbit/s in deutlich unter einer Stunde herunterladen — bei heutigen 16-Mbit/s-Anschluessen kann so ein Film bei voller Auslastung der Leitung in unter 10 Minuten geladen sein, und die Bandbreiten werden sicher auch in Zukunft weiter zunehmen. Heimanwender-NAS-Systeme und Netzwerkstreamer wie die WD TV Live kommen zu bezahlbaren Preisen mit eingebautem Bittorrent-Client samt einfachem Webinterface und sorgen fuer die hochaufloesende Verbindung zum Fernseher, ganz ohne ueberhaupt noch einen PC zu benoetigen — und die aktuellen Chipsaetze spielen so ziemlich alles ab, vom AVI-Container in den ueblichen Codierungen ueber die verschiedenen MPEG-Varianten bis zum hochaufloesenden MKV-Container. Teilweise kommen sogar schon Fernseher mit eingebauter USB-Schnittstelle und Decoderchipsatz daher.

Der Aufwand, den man sich fuer die illegale Beschaffung eines Filmes machen muss, ist also mittlerweile stark gesunken und wird auch weiter sinken — und somit das Herunterladen von Filmen noch breiteren Bevoelkerungsgruppen ermoeglichen. Gleichzeitig muss man sich weiterhin mit nicht ueberspringbarer Werbung und Anti-Piracy-Warnungen im Kino und auf legalen Filmtraegern herumschlagen. Das Angebot der illegalen Version ist also ironischerweise immer noch besser als die legale Variante, die nach wie vor noch nicht sinnvoll und zu angemessenen Preisen ueber das Netz gekauft werden kann.

These 4: Entwicklungspotenzial von Filmen

Weigert behauptet, dass bei Filmen noch „unzaehlige“ neue Moeglichkeiten offen stuenden, ohne diese — mit Ausnahme der derzeitigen 3D-Filme — konkret benennen zu koennen. Gleichzeitig erwaehnt er aber, dass die 3D-Technik in Kuerze auch fuer das Heimkino zur Verfuegung stehen koennte. Fuer mich stellt sich da die Frage, wieso es nicht moeglich sein soll, dass derartige Techniken — wie auch immer diese zukuenftig aussehen moegen — zukuenftig auch gerippt werden koennen.

Alles in Allem hinterlaesst dieser Exkurs bei mir einen sehr schalen Beigeschmack. Auf die tatsaechlichen Herausforderungen, naemlich funktionierende Geschaeftsmodelle, ein einfach zu bedienendes und preislich attraktives iTunes-Pendant fuer Filme zum Beispiel, wird kein Stueck eingegangen. Eingehen kann mit dieser Sichtweise nur die Filmindustrie.

Von Zukunftsvisionen und verbindenden Highways

Die mit viel Leidenschaft innerhalb des Netzes gefuehrte und ausserhalb quasi vollkommen ignorierte Debatte ueber Schirrmachers juengstes Buch habe ich eigentlich nur irritiert-amuesiert vom Spielfeldrand aus beobachtet. Erstens, weil ich „Payback“ noch gar nicht gelesen hatte (und mich wundert bis heute, wie schnell das die Kritiker schafften), hauptsaechlich aber deswegen, weil das argumentative Widerlegen eines deutschlandweit bekannten Feuilletonisten zwar definitiv auf meiner Bucket-List, auf der Prioritaetenliste aber erstmal hinter ein paar anderen Sachen steht. Ihr wisst schon, Studium und so. Und als ich dann endlich Zeit hatte, war ohnehin schon alles gesagt, nur eben noch nicht von allen, und da muss ich mich eigentlich auch nicht mehr einmischen.

Seinen Artikel ueber das „Schwellenjahr 2010“ in der FAZ habe ich hingegen gelesen, und zwar mit Freude. Erstens, weil in dem Text keine Donnerpfeile gegen die generell boesen Entwicklungen der Moderne aus einem mit Haekeldeckchen versehenen Elfenbeinturm geschleudert werden, sondern Schirrmacher durchaus tiefgehende Ahnung von dem zu haben scheint, ueber das er schreibt. Ob die zu 100% von ihm selbst stammt, oder ihm bei manchen Passagen jemand beistand, ist dabei eigentlich nebensaechlich.

Zweitens, weil er mich zum Nachdenken ueber Zukunftsvisionen gebracht hat. Die zeichnen sich ja in der Regel dadurch aus, dass wir alle schon im Jahr 2000 mit fliegenden Atomraketenautos durch die Welt haetten fliegen muessen und fuer uns moderne Leute des Atomraketenautozeitalters immer ein wenig laecherlich wirken. Sie liegen aber im Kern selten verkehrt, wenngleich sie einfach auf ganz andere Art und Weise Realitaet wurden, wie man sich das damals vorgestellt hatte.

Bei Star Trek begibt man sich in ein Holodeck, um an alten Autos herumzuschrauben oder Sherlock Holmes zu spielenVirtual Reality also, das, an dem seit Jahren herumgeforscht wird, ohne dass man der Zukunftsvision des ganz normalen Holodecks naeher gekommen waere. Zu Recht bezeichnet Schirrmacher das als „Uebergangsbegriff“:

Das Jahr 2010 könnte das Jahr sein, in dem der immer blasser gewordene Begriff „virtual reality“, der Übergangsbegriff des letzten Jahrzehnts, endgültig verlöschen wird. Die Brücke zwischen virtueller und wirklicher Wirklichkeit bricht gerade hinter uns zusammen, kaum dass wir den ersten Fußtritt ins neue Jahr gesetzt haben. Es ist ganz anders gekommen als gedacht. Die Menschen treten nicht mit Cyberhelmen und digitalen Handschuhen bewaffnet in ein Paralleluniversum des zweiten Lebens ein. Wir sind, wo wir auch sind, im Netz.

Stattdessen also Augmented Reality? Alternate Reality Games gibt es bereits, und das allgegenwaertige Netz koennte sogar das bislang doch eher arg nerdige LARP einer breiten Masse zugaenglich machen. Aber E-Mail war schliesslich auch mal nur etwas fuer Nerds.

Abschliessend: Nochmal eine ausdrueckliche Leseempfehlung fuer den FAZ-Artikel, und das Video einer ganz anderen Zukunftsvision, erdacht vor ueber 51 Jahren in den Disney-Studios, ueber die Highways der Zukunft:

Okay okay, das mit den Turbinenautos hat ebensowenig stattgefunden wie die Erfindung des Massen-Atomautos, und die Idee einer vollkommen zersiedelten Landschaft ist im ersten Moment fuer uns eher erschreckend.

Mich erstaunt aber doch, wie viele der aufgezeigten Ideen heutzutage tatsaechlich Alltag sind, wenngleich eben in ganz anderer Form, als man sich das damals vorstellen konnte. Und wer den Schluss uebermaessig pathetisch findet, der substituiere gedanklich einfach mal „Highway“ durch „Information Highway“ und schaue sich das nochmal an. Aha-Moment garantiert.

PS: Bin ich der einzige, dem das Gesamtdesign des Films so ueberragend gut gefaellt? Allein schon die Architektur des Einkaufszentrums… ich liebe diesen Stil!

Schwarmintelligenz(?)

Ich bin stolz darauf, dass sich binnen weniger Tage 50.000 Leute mobilisieren liessen, die bereit waren, mit ihrem Namen fuer (bzw. gegen) eine Sache zu stehen. Rein ueber das Internet und die deutsche Blogosphaere. Und dass diese Leute ihrerseits bereit waren, mehr als 50.000 weitere Unterstuetzer in dieser Sache zu finden. On- wie offline. Das ist beachtenswert. Und das hat auch schon etwas bewirkt.

Der Zyniker in mir haelt aber dagegen, dass der IQ einer Gruppe immer der IQ des duemmsten Mitglieds, geteilt durch die Anzahl der anwesenden Menschen ist. Und deswegen fiel mir bei der Kampagne „blockt @npdde“ nicht nur das Fruehstueck aus dem Mund, sondern auch vergangene aehnliche Aktionen wie der Fall Heilmann ein.

Leute. Nur weil sich die Netzgemeinde Gehoer verschaffen konnte, heisst das nicht, dass man nun eine neue, strahlende Elite ist. Und retweetet bitte nicht jede bescheuerte Idee. Vor allem nicht die bescheuerten Ideen. Man koennte sonst den Eindruck haben, es mit einem seltsamen Mob zu tun zu haben, der auf jede Sau aufspringt, die irgendein Alpha-Blogger oder -Twitterer durchs Dorf treibt.

Danke.