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Aegypten und der Rest der Welt.

Irgendwie gleichen sich die Ablaeufe. Genau wie bei der Berichterstattung ueber Tunesien scheint es sich bei den Ablaeufen in Aegypten hauptsaechlich um ein Problem mit Touristen zu handeln. Haette man noch einen Glauben in die klassischen Massenmedien, waere jetzt der ideale Zeitpunkt, ihn zu verlieren. Lokale Medien versuchen indes gar nicht erst, einen oertlichen Bezug zu den Geschehnissen herzustellen (gibt es eine aegyptische Gemeinde in Ulm?), sondern uebernehmen dpa-Meldungen.

Das ist jedoch kein lokales Problem, sondern offenbar deutschland- wenn nicht europaweit so.  Die meisten Informationen kamen und kommen ueber das Netz zu mir — natuerlich mit dem ueblichen Warnhinweis, Quellen zu ueberpruefen und erst einmal nichts unbesehen zu glauben. Loebliche Ausnahme bei den klassischen Medien scheint Al Jazeera zu sein, mit einem Liveblog, einer Brennpunktseite, und mehreren TwitterAccounts, ueber die sie auch an andere Augenzeugen live vor Ort hinweisen.

Resultat: Sendelizenz fuer Aegypten entzogen. Auswirkungen: Kaum, denn die Informationen laufen weiter ueber das Internet, selbst gegen die Blockadeanstrengungen der dortigen Regierung.

Damit duerfte auch aufs Neue eindrucksvoll in der Praxis demonstriert worden sein, was Sperreinrichtungen und „Not-Aus-Knoepfe“ fuer das Internet in der Praxis bedeuten. Nachdem selbst die Al-Jazeera-Reporter in ihrer Mobilitaet eingeschraenkt sind, ist das Netz die einzige Quelle dafuer, dass die Aufstaende in Aegypten offenbar tatsaechlich auch in den laendlichen Gebieten stattfinden, nicht nur in Ballungszentren — eine Besonderheit. Die Regierung setzt indes alles daran, ihren Buergern den Zugang zum Netz zu verwehren: am Donnerstag liess sie praktisch landesweit das Internet abklemmen, waehrend Aktivisten in Aegypten und weltweit parallel sofort an Umgehungsmassnahmen zu arbeiten begannen. Die reichen von zuhause eingerichteten Dialup-Zugaengen ueber die Sammlung noch funktionierender aegyptischer ISPs bis zum Amateurfunk.

Fazit: Ist ein Mem ausreichend potent, wird es sich verbreiten. Egal, was Regierungen anstellen. Und: Ist erst einmal Sperrinfrastruktur vorhanden, wird sie frueher oder spaeter repressiv eingesetzt werden.

Natuerlich wuerden Regierungen aber nie etwas boeses tun, jedenfalls nicht unsere. Nur boese Regierungen tun boeses, so wie in Aegypten, wo man es offenbar seitens der Sicherheitsbehoerden gezielt darauf angesetzt hat, zu Gewalttaten anzustiften, um den eigenen Kurs rechtfertigen zu koennen.

Aber sowas gibts bei uns natuerlich nicht. Niemals.

Ausserdem: Die restliche Welt verdient auf jeden Fall ordentlich mit. Traenengasgranaten aus den USA, Abhoertechnik aus Israel. Bin gespannt, was noch so alles auftaucht.

Warten wir also ab, was passiert, und was auf diese „Revolution“ folgen wird. Und hoffen wir vor allem, dass es keine dieser typischen „Revolutionen“ ist, die Pratchett so treffend charakterisiert:

„Don’t put your trust in revolutions. They always come around again. That’s why they’re called revolutions. People die, and nothing changes.“ (Night Watch)

Ach ja: „Twitter-Revolution“ wird’s vermutlich nicht werden. Und hoffentlich auch nicht „Facebook-Revolution“. Frueher hat ja auch niemand „Flugblatt-Revolution“ gesagt.

„Ein ausgezeichneter Partner“

Ich war ueber das Wochenende bei meinen Eltern, die im Gegensatz zu mir Zeitung und Fernseher vorraetig haben, so dass man dort auch mal in den Genuss der Massenmedienberichterstattung kommt. Und es ist interessant, wie dort der Fokus sitzt: In der Berichterstattung ueber Tunesien wird kurz umrissen, was da eigentlich vor sich geht (ohne zu arg in die Tiefe zu gehen, natuerlich) und danach ueber die Haelfte der Tunesien-Sendezeit auf Tunesien-Urlauber, heimkehrende Tunesien-Urlauber und Angela Merkel verwendet, die ueber die Heimkehr der Tunesien-Urlauber spricht.

Was zum Teufel?

Mittlerweile bin ich wieder in Ulm, deswegen kann ich leider nicht nachvollziehen, wie die oertliche Zeitung hierueber berichtet: Das German-Foreign-Policy-Blog hat kleine Widersprueche zwischen den wohlwollenden Aussagen der Bundesregierung ueber den Sturz Ben Alis und vergangenen Positionen der Adenauer-Stiftung und des Auswaertigen Amtes gefunden:

„Tunesien ist der bedeutendste deutsche Exportpartner unter den Maghreb-Ländern“, schreibt das Auswärtige Amt über die ökonomische Handlangerrolle des nordafrikanischen Staates.

[…]

Der Außenminister, dessen Behörde zuvor selbst Journalisten aus Deutschland im Stich gelassen hatte, die von den tunesischen Repressionsapparaten bedrängt wurden, teilt nun mit, Tunesien brauche „einen nachhaltigen und dauerhaften Reformkurs“. Dass seine Behörde gewisse Schwierigkeiten hat, den Sturz ihres langjährigen Verbündeten in Tunis zu verarbeiten, zeigt ein Blick auf die aktuellen Informationen des Auswärtigen Amts über Tunesien. Dort findet sich – Stand: August 2010 – die Feststellung: „Die Beziehungen zwischen Deutschland und Tunesien sind gut und intensiv.“

Volltext / via @_houellebeck