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Der Echoraum

„Soziale Spaltung“ im Netz titeln die einen, die anderen nehmen die Facebook-Fankommentare um den Luegenbaron Guttenberg als Beispiel: Wenn das Netz ein Abbild der gesamten Gesellschaft ist, dann findet sich frueher oder spaeter eben auch die Klientel der Bild-Leser dort, oder beliebiger anderer Gruppen, die fuer uns bisher einfach „die anderen“ waren.

Jetzt kann man natuerlich argumentieren, dass man schon aus Gruenden der eigenen geistigen Gesundheit vielleicht einfach darauf verzichtet, bestimmte Twitterer, PI-News oder sonstige Ecken des Netzes zu verfolgen. Wir schaffen uns einfach unsere eigenen Echoraeume, wo alle mit uns einer Meinung sind, und leben friedlich bis in alle Zeit (juppheidi etcetera).

Damit werden dann aber halt nicht die Probleme zwischen datenschutzkritischer Spackeria und Datenschuetzern geklaert. Und wenn ich dann sehe, dass ich bei einem Facebook-Dialog wie dem Obigen der Einzige bin, dem der Vergleich sauer aufstoesst, dann finde ich das auch bitter. Wir haben uns dann eine Weile per Message ueber den Post gezofft und am Ende hatte die Urheberin auch verstanden, warum ich nicht so begeistert war — da war ich aber auch schon entfreundet.

Das gibt einem dann schon zu denken. Also nicht das Entfreunden, das war mir egal, ich kannte die Betreffende nur, weil sie mal zu einer WG-Party bei mir aufgekreuzt ist. Aber wenn ich jemanden wegen seiner seltsamen Meinungen bei Twitter entfolgen will, denke ich mittlerweile zwei Mal drueber nach. Lieber Meinungspluralitaet als ewig dieselben Meinungen zu lesen.

PS an alle Twitterer: Ich hab echt kein Problem mit Montag. Da haben wenigstens die Geschaefte offen.

Leseempfehlung (4)

So ist das mit der Zerfaserung der digitalen Identitaet auf Twitter und Google-Reader-Share und Facebook und was weiss ich: Wer nicht allem folgt, bekommt nur einen Teil mit. Hier deswegen der Versuch, die vielen Linkempfehlungen der letzten Tage nochmal zusammenzufassen und kurz zu verstichworten.

(Wer meinen Reader-Share und bei Twitter mitliest, kann an dieser Stelle abschalten.)

Stichwort Wikileaks. Die dazu passende Suchmaschine duerfte ja bekannt sein, interessant waren fuer mich in den vergangenen Tagen vor allem die Reaktionen in der digitalen Medienwelt. Zum einen auf die Deutung von Wikileaks an sich: Was Julian Assange ueberhaupt will und wie man ihn interpretieren sollte, bemueht sich die SZ darzulegen, waehrend die grundsaetzliche Bedeutung von Transparenz und die Abwehrreaktionen der eigentlich doch so auf selbige bedachten Politiker unter anderem beim Freitag, beim Guardian, bei Picki und bei Steingrau eroertert werden.

Zwei weitere Punkte finde ich besonders spannend an der ganzen Affaere. Zum einen, dass sich auf einmal Politiker als Datenschuetzer gerieren und nach staerkerer Regulierung des Internets rufen — zum anderen, dass bei Wikileaks binnen kuerzester Zeit die Originalseite nicht mehr erreichbar war, was doch eigentlich bei Missbrauchsdarstellungen, gegen die normalerweise die Zensurbestrebungen gerichtet sind, ohne Sperrinfrastruktur nicht moeglich sei. Der Streisand-Effekt liess natuerlich auch nicht lange auf sich warten, und sowohl Amazon als auch Paypal sehen sich mittlerweile einem mittelschweren Scheissesturm ausgesetzt, inklusive Linksammlungen, wo man denn abseits von Amazon seine Weihnachtseinkaeufe im Netz taetigen kann. Die Idee, dass letztendlich nicht einmal Sperrgesetze notwendig sind, um uns von Informationen abzusaegen, sondern Konzerne darueber entscheiden koennen, irritiert offensichtlich nicht nur mich.

Irritierend finde ich auch, dass die Depeschen #07BERLIN242, #06MADRID3104 und #07MADRID173 in Bezug auf die Entfuehrung von Khaled El-Masri nur einer der oertlichen Zeitungen einen halbwegs ausfuehrlichen Artikel Wert war, die andere das Thema nur als Randnotiz abheftet. Wenn ein deutscher Staatsbuerger illegal verschleppt und daraufhin die Strafverfolgung der Verschlepper aktiv behindert wird, scheint das wohl nicht immer auch relevant zu sein. Oder aber es fehlen die Ressourcen, das Thema noch einmal aufzubereiten. Beides faende ich… schade.

Aehnlich sieht das auch Robert Basic (dass ich den nochmal verlinken wuerde!) in einem anderen Zusammenhang. Die Berichterstattung der klassischen Medien ueber den JMStV ist mehr als duerftig, und nicht nur er duerfte darueber enttaeuscht sein.

Und weil man nicht immer meckern soll, noch ein wenig Positivismus zum Schluss (mainly for Mediennerds):

Und taeglich gibts Bezahlinhalt

Die Augsburger Allgemeine will wieder mal auf Bezahlinhalte setzen. Bitte selbst in beliebiger Reihenfolge einsetzen: $gaehn, $rant, $kopfschuettel. Aber halt, ein Aspekt war neu und hat mich nachdenken lassen: Sie wollen die Lokalnachrichten einzaeunen. Also das, was man eben nicht schon irgendwoanders bekommt, und zufaelligerweise genau das, was fuer mich noch den einzigen Anreiz bietet, eine lokale Tageszeitung zu lesen.

Ich bin mal gespannt, ob sich das durchsetzt. Und wie lange es dauert, bis es eine kostenlose Alternative gibt.

Lustiges Fehlerzaehlen mit der Illertisser Zeitung

Die deutschen Feuerwehren (und vermutlich nicht nur die) stehen vor einem Problem. Frueher durfte man mit der alten Fahrerlaubnisklasse III Fahrzeuge bis 7,5 Tonnen zulaessiger Gesamtmasse (zGm) und zusaetzlich bis zu zwei Anhaenger mit zusammen maximal 11 to Anhaengemasse fahren. Heutzutage gilt die „normale“ PKW-Fahrerlaubnisklasse B gerade mal fuer Fahrzeuge bis 3,5 to zGm plus einen Anhaenger mit maximal 750 kg zGm.

Gleichzeitig wurden aber viele Feuerwehrfahrzeuge taktisch aufgewertet. So wurde das Tragkraftspritzenfahrzeug (TSF), quasi die eierlegende Wollmilchsau fuer die kleinsten Feuerwehren, vielerorts durch ein TSF-W mit eingebautem Wassertank ersetzt, hinzu kamen Atemschutz und Sondergeraete fuer technische Hilfeleistungen. Die 3,5-Tonnen-Grenze war dabei natuerlich nicht zu halten, viele TSF-W werden heute auf leichten LKW-Fahrgestellen mit bis zu 7,5 to zGm aufgebaut. Fazit: Einerseits werden die Fahrzeuge immer schwerer, andererseits gibt es immer weniger FwDl mit der alten Fahrerlaubnisklasse III oder der neuen Klasse C1, die die Fahrzeuge auch bewegen duerfen.

Auch die IZ hat sich angesichts der geplanten Einfuehrung von Sonderfahrerlaubnissen fuer Feuerwehrdienstleistende mit dem Thema befasst. In der Online-Version des Artikels wurden mittlerweile einige Schnitzer korrigiert, die urspruengliche Printfassung hat aber schon einige Knaller zu bieten:

Und jetzt wird’s ernst: Junge Einsatzkräfte mit dem neuen Klasse C-Führerschein dürfen nicht mehr ans Steuer.

Natuerlich duerfen die. Klasse-C-Fahrer duerfen sogar Fahrzeuge ueber 7,5 to zGm bewegen, nur keine Last- und Sattelzuege (deswegen macht man in der Regel gleich die Klasse CE)

Daher hat der Landesfeuerwehrverband eine Ausnahmeregelung beantragt: 3,5 Tonnen plus 0,75 Tonnen-Anhänger.

Das waere ja eine tolle Ausnahmegenehmigung: Alles bleibt, wie es in der Klasse B ist. Oehmja.

[…] eine Ausbildung mit Prüfung für den erforderlichen Führerschein C1 — bis 3,5 Tonnen mit Anhänger […]

Moep. C1 sind KFZ bis 7,5 to zGm plus Anhaenger. Online steht nun, dass das frueher der (PKW-)Fuehrerschein der Klasse III gewesen sei, was auch nicht stimmt.

Der Führerschein C 1-Feuerwehr soll nach zwei Jahren zum vollwertigen Führerschein bis 7,5 Tonnen Gesamtgewicht — also wie beim alten Klasse 3-Schein, umgeschrieben werden können

Nein. Umgeschrieben werden soll zum ganz normalen C1-Schein. Klasse III ist eine andere Baustelle mit viel mehr Moeglichkeiten gewesen — viele C1-Fahrer duerften sich wuenschen, tatsaechlich FS-Klasse III zu besitzen.

Vielleicht habe ich den ganzen Fahrerlaubnisklassenkack einfach schon zu oft gehoert, um das so zu sehen, aber wie zur Hoelle kann man eigentlich bei fuenf Nennungen der Erlaubnisklassen und zGm viermal totalen Bockmist schreiben und alles wild durcheinanderwerfen? Zumal man das mit zwei Klicks auf Wikipedia oder im Zweifelsfall beim Verkehrsministerium recherchieren kann?

Das ist halt die Besonderheit von Qualitaetsmedien 😉

Jede Stimme zaehlt

Ich war ja schon etwas irritiert, als ich die Wahlergebnisliste in der Illertisser Zeitung gesehen habe. Schriftlich aufgefuehrt sind dort beispielsweise „Die Frauen“ mit 0,18%, AUF mit 0,17% oder EDE mit 0,04%(!).

Die Piraten haben 0,8% eingefahren. Sieht aber keiner. Weil’s im Diagramm nicht auftaucht.

iz_wahlergebnis

Nach Prozentpunkten sortiert kommen die Piraten im Wahlkreis NU immerhin auf Rang 9 — einen Platz hinter den Republikanern. Oh Mann.

ergebnisse_nu_@Notesoflife hat sich auch ueber aehnliches Vorgehen in der Schwäbischen Zeitung beschwert. Dort tauchen zwar die Republikaner und die Freien Waehler auf — die Piraten, die mehr Stimmen als die beiden eingefahren haben, fallen aber unter den Tisch. Nach Stimmen sortiert landen die eigentlich auf Platz 6, zwischen Linkspartei und Freien Waehlern.

wahlergebnisse_ulIch war uebrigens der einzige, der in meinem Wahllokal orange gestimmt hat, und auch in den anderen Altenstadter Wahllokalen waren es meist nur 1-2 Stimmen — trotzdem ausreichend, um oertlich auf 0,7% zu kommen. Ein Beweis mehr, dass wirklich jede Stimme zaehlt…

Offene Briefe (3)

Sehr geehrte Redakteurinnen und Redakteure der Augsburger Allgemeinen,

in Ihrer Ausgabe vom Samstag, dem 18. April 2009 veroeffentlichten Sie einen von der dpa stammenden kurzen Einspalter über die freiwillige Selbstverpflichtung einiger deutscher Internetprovider, vom BKA ausgewaehlte Seiten zu sperren.

Gedenken Sie, dieser kurzen Notiz noch einen ausfuehrlichen Artikel folgen zu lassen? Ist Ihnen bekannt, dass unter anderem der Internetexperte Lutz Donnerhacke das Bundesfamilienministerium diesbezueglich der vorsaetzlichen Luege bezichtigt? Oder dass Missbrauchsopfer wie Christian Bahls oeffentlich diese Massnahmen als kontraproduktiv anprangern? (vgl. Interview im Tagesspiegel vom 16.4.)

Ich freue mich auf Ihre Antwort, die ich auch gerne auszugsweise in meinem privaten Blog zitieren wuerde.

regards,
-stk

Leser ernstnehmen? Fehlanzeige.

Eine Sache, die ich gestern bei den Augsburger Studenten zwar angesprochen, aber vielleicht nicht deutlich genug gemacht habe: Ein unglaublich wichtiger Erfolgsfaktor eines Onlineangebotes ist das Feedback vom Nutzer zum Anbieter (und zurueck). Der netzaffine Leser von heute ist es mittlerweile gewohnt, zu quasi allen Themen auch seinen Senf abgeben zu koennen — und dass seine Meinung auch ernst genommen wird. Und das ist der Knackpunkt, bei denen viele etablierte Medien massenweise vollkommen versagen.

Stefan Niggemeier zitiert einen Fall aus dem August: Ein Leser weist die Redaktion auf einen Schreibfehler im Angebot von Welt Online hin. Welt Online antwortet auch: Mit einem Standardbrief a la „vielen Dank fuer den Hinweis“. Sonstige Folgen: Keine.

Eine Ausnahmeerscheinung? Leider nein. Will man beispielsweise der Augsburger Allgemeinen schreiben, dass dort in einem Artikel Unsinn steht, bekommt man folgende Mail als Antwort:

Vielen Dank für Ihren Leserbrief.
Diese Antwort wird automatisch erstellt, damit Sie eine Bestätigung dafür haben, dass uns Ihre Zuschrift erreicht hat. Bitte antworten Sie nicht auf diese E-Mail.

Ein wichtiger Hinweis für Sie: Um eine Zuschrift veröffentlichen zu können, brauchen wir Ihre vollständige Anschrift. In der Zeitung werden allerdings nur Name und Wohnort abgedruckt.

Bitte geben Sie auch an, auf welchen Beitrag in der Zeitung Sie sich beziehen und wann dieser Beitrag erschienen ist.

Falls Ihre Zuschrift bereits diese Angaben enthält: Dankeschön. Falls nicht, bitte senden Sie uns diese Angaben noch zu.

Mit freundlichen Grüßen

AUGSBURGER ALLGEMEINE
Journal und Leserservice
– Leserbriefe –

Irgendeine weitergehende Antwort? Nein — damit wuerde man dem Leser ja viel mehr Wichtigkeit beimessen, als ihm zusteht, nicht wahr? Aufwachen, meine Damen und Herren…

//Nachtrag, 1752: Ich hatte das zwar schon vor ner Weile im Feed, aber in diesem Zusammenhang passen die „Five Barriers to user participation“ nochmal ganz gut.

Ronald Hinzpeter und das Internet

Wenn es sich ergibt, dass zwei Parteien einen gemeinsamen Feind haben, tun sich manchmal bemerkenswerte Buendnisse auf. Welchen Feind die Musikindustrie und die meisten bundesdeutschen Zeitungen gemeinsam haben, muss man ja eigentlich nicht extra erwaehnen — Richtig, ganz klar: Das Internet.

So schreibt Ronald Hinzpeter am Samstag auf Seite 3 der Augsburger Allgemeinen im Rahmen der Branchenmesse popkomm ueber Musik-Piraten aus dem Internet, und wie die Branche darauf reagiert — beispielsweise freut sie sich ueber wachsende Umsaetze bei (sicherlich DRM-geschuetzten) MP3s und ist empoert darueber, dass nach wie vor einige junge Leute keine Skrupel davor haben, sich ein (DRM-freies) Stueck aus dem Internet zu ziehen.

Eines verschweigen jedoch sowohl der Branchenvertreter als auch Ronald Hinzpeter ganz beflissentlich: Wie es ueberhaupt zu der Situation kam, dass die „illegalen“ Tauschboersen attraktiver waren als das Angebot der Musikindustrie. Denn, Urheberrechtsdiskussion hin oder her, fuer ein rundes Bild zu diesem Thema muss auch erwaehnt werden, dass die grossen Labels jahrelang gnadenlos versagt haben, ihre Ware im Internet zu attraktiven Konditionen anzubieten. Anstatt das Internet als fantastischen neuen Vertriebskanal fuer
den ganz individuellen Geschmack jedes einzelnen Hoerers zu begreifen, setzte man weiterhin auf CD-Verwurstungen im bewaehrten Schema „drei Hits, Rest Muell, 20 Euro“. Und war ueberrascht, als die Nutzer darauf reagierten, indem sie die verfuegbaren Mittel nutzten, um sich Tauschboersen zu stricken. Und noch ueberraschter, als ausgerechnet ein IT-Guru endlich ein vernuenftiges Vertriebskonzept auf die Fuesse stellte.

All das erwaehnt Ronald Hinzpeter nicht. Vielleicht wuerde das nicht in die Welt der Zeitungen passen, von denen viele weiterhin das gedruckte Wort als Mass aller Dinge setzen, und die Googles Versuche, ihnen Leser zu bescheren, als Unverschaemtheit bezeichnen. Stattdessen kolportiert Hinzpeter ungeniert die Ansichten der popkomm-Dinosaurier, man moege doch Urheberrechtsverletzern einfach den Internethahn abdrehen. Und findet quasi nur noch als Nachtrag Stimmen gegen derartige Eingriffe in die Netzneutralitaet, in erster Linie natuerlich die sattsam bekannten Datenschuetzer, die doch sowieso immer den Zeigefinger mahnend erhoben haben. Als ob auf die irgendjemand hoeren wuerde, nicht wahr.

Der Artikel ist uebrigens nur fuer Abonnenten oder gegen Geld abrufbar, und auch eine Moeglichkeit, mit dem Autoren in Kontakt, ja vielleicht sogar eine oeffentliche Diskussion zu seinem Artikel zu treten, gibt es auf der Seite nicht, trotz der in der Printausgabe vielbeworbenen Diskussionsforen und leidlich genutzten Umfragen. Aber das passt irgendwie ja auch ins Bild.

nachtrag, 15. oktober: der heutige xkcd passt einfach zu gut, um ihn hier nicht zu erwaehnen. ende der durchsage.