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Qualitaet aus Deutschland

Bei allem Interesse an der Inlandspolitik sollte man nicht vergessen, dass da in Nordafrika gerade gleich mehrere Nationen gegen den Willen der „freien Welt“ ihre Diktaturen demontieren. Wie das bei Regimewechseln so ist, will man dann vielleicht auch mal die Geheimpolizeiquartiere einsehen — und die gefundenen Unterlagen als „Amn Dawla Leaks“ direkt bei Facebook hochladen.

Ueber die grundsaetzliche Sinnhaftigkeit, sich bei so etwas von Facebook abhaengig zu machen, kann man zwar streiten. Im aktuellen Fall funktioniert das aber offenbar, und da tauchen interessante Details auf: In Fefes Blog ist mittlerweile mit zahlreichen Updates nachzulesen, dass anscheinend deutsche Technik ganz dick in die Internetueberwachung eingebunden war. In den neuesten Updates werden auch moegliche Querverbindungen zum Bundesnachrichtendienst gezogen — solche Schluesse sollte man bei Fefe wie ueblich mit Vorsicht geniessen.

Anderenorts packt man Folterequipment aus: Angeblich berichtet der Herr im folgenden Video, was er durch die gezeigte Apparatur „Made in Germany“ zu erleiden hatte. Echtheit meines Wissens bislang unbestaetigt.

Aegypten, erlebt von Fotojournalisten

…im Lens Blog der New York Times, erzaehlt aus der Perspektive verschiedener Agenturfotografen. Alles andere als einfach dort, und ganz egal, wie man Gutjahrs kurzen Abstecher nach Kairo sieht: Es ist nicht einfach, von dort zu berichten.

Addendum: Dieser, im Originalartikel verlinkte Bericht von Andrew Burton ist lesenswert. Zitate:

Very suddenly 50% of the crowd started attacking me – kicking, punching and slapping. The other 50% (anti-Mubarak supporters) quickly encircled me to protect me. […] We were headed towards an Egyptian army tank and when we hit the it, the men positioned me with my back to the tank, squatting down. At this point, I was pinned. People continued to kick, punch and grab at cameras. Soldiers standing on top of the tank were waving pistols and screaming. I was fucking terrified. My shirt was ripped from my back, hands went into my pockets (the most they got was my CF cards), the men protecting me were looking at me screaming me, ‘you are safe, we are here for you, we will get you out of this.”

I only escaped when the soldiers on top of the tank literally ripped me out of the crowd, lifting me by the armpits. I was dumped head first inside the tank.

[…]

I dont know what happened to the men that protected me. I owe them my life, or something close to it.

(via @JamesEstrin und @ryansholin)

Aegypten und der Rest der Welt.

Irgendwie gleichen sich die Ablaeufe. Genau wie bei der Berichterstattung ueber Tunesien scheint es sich bei den Ablaeufen in Aegypten hauptsaechlich um ein Problem mit Touristen zu handeln. Haette man noch einen Glauben in die klassischen Massenmedien, waere jetzt der ideale Zeitpunkt, ihn zu verlieren. Lokale Medien versuchen indes gar nicht erst, einen oertlichen Bezug zu den Geschehnissen herzustellen (gibt es eine aegyptische Gemeinde in Ulm?), sondern uebernehmen dpa-Meldungen.

Das ist jedoch kein lokales Problem, sondern offenbar deutschland- wenn nicht europaweit so.  Die meisten Informationen kamen und kommen ueber das Netz zu mir — natuerlich mit dem ueblichen Warnhinweis, Quellen zu ueberpruefen und erst einmal nichts unbesehen zu glauben. Loebliche Ausnahme bei den klassischen Medien scheint Al Jazeera zu sein, mit einem Liveblog, einer Brennpunktseite, und mehreren TwitterAccounts, ueber die sie auch an andere Augenzeugen live vor Ort hinweisen.

Resultat: Sendelizenz fuer Aegypten entzogen. Auswirkungen: Kaum, denn die Informationen laufen weiter ueber das Internet, selbst gegen die Blockadeanstrengungen der dortigen Regierung.

Damit duerfte auch aufs Neue eindrucksvoll in der Praxis demonstriert worden sein, was Sperreinrichtungen und „Not-Aus-Knoepfe“ fuer das Internet in der Praxis bedeuten. Nachdem selbst die Al-Jazeera-Reporter in ihrer Mobilitaet eingeschraenkt sind, ist das Netz die einzige Quelle dafuer, dass die Aufstaende in Aegypten offenbar tatsaechlich auch in den laendlichen Gebieten stattfinden, nicht nur in Ballungszentren — eine Besonderheit. Die Regierung setzt indes alles daran, ihren Buergern den Zugang zum Netz zu verwehren: am Donnerstag liess sie praktisch landesweit das Internet abklemmen, waehrend Aktivisten in Aegypten und weltweit parallel sofort an Umgehungsmassnahmen zu arbeiten begannen. Die reichen von zuhause eingerichteten Dialup-Zugaengen ueber die Sammlung noch funktionierender aegyptischer ISPs bis zum Amateurfunk.

Fazit: Ist ein Mem ausreichend potent, wird es sich verbreiten. Egal, was Regierungen anstellen. Und: Ist erst einmal Sperrinfrastruktur vorhanden, wird sie frueher oder spaeter repressiv eingesetzt werden.

Natuerlich wuerden Regierungen aber nie etwas boeses tun, jedenfalls nicht unsere. Nur boese Regierungen tun boeses, so wie in Aegypten, wo man es offenbar seitens der Sicherheitsbehoerden gezielt darauf angesetzt hat, zu Gewalttaten anzustiften, um den eigenen Kurs rechtfertigen zu koennen.

Aber sowas gibts bei uns natuerlich nicht. Niemals.

Ausserdem: Die restliche Welt verdient auf jeden Fall ordentlich mit. Traenengasgranaten aus den USA, Abhoertechnik aus Israel. Bin gespannt, was noch so alles auftaucht.

Warten wir also ab, was passiert, und was auf diese „Revolution“ folgen wird. Und hoffen wir vor allem, dass es keine dieser typischen „Revolutionen“ ist, die Pratchett so treffend charakterisiert:

„Don’t put your trust in revolutions. They always come around again. That’s why they’re called revolutions. People die, and nothing changes.“ (Night Watch)

Ach ja: „Twitter-Revolution“ wird’s vermutlich nicht werden. Und hoffentlich auch nicht „Facebook-Revolution“. Frueher hat ja auch niemand „Flugblatt-Revolution“ gesagt.