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Stoererhaftung im Bundestag

Am 25.10. hat sich der Bundestag mit der Stoererhaftung bei unverschluesselten WLANs beschaeftigt — die SPD hatte einen Antrag gestellt, die Problematik der Stoererhaftung zu evaluieren, die hierzulande nach wie vor ein Damoklesschwert fuer Freifunk-Initiativen darstellt. Die Linksfraktion hatte daraufhin gleich einen Gesetzesentwurf eingebracht, das Telemediengesetz zu aendern, der von der digiges mit entworfen worden war.

Haette Netzpolitik die Sache nicht kommentiert, waere mir die „Debatte“ vermutlich gar nicht aufgefallen — Debatte in Anfuehrungszeichen, denn die Redebeitraege wurden zu Protokoll gegeben und nicht tatsaechlich gehalten. Heraus stach dabei — wieder einmal — der CSU-Abgeordnete fuer den Wahlkreis Neu-Ulm/Guenzburg, Dr. Georg Nuesslein, dessen Rede ich hier im Volltext zitieren moechte:

Wenn ich mir den vorliegenden Gesetzentwurf der Linken zur Änderung des Telemediengesetzes anschaue, wird mir sofort klar, wohin die Reise mal wieder gehen soll: Da gerieren sich die Genossen erneut zu Sozialaposteln par excellence, fordern freies Internet für alle, freie I-Pads für alle, freie Rechner für alle. Ich muss schon genau in den Text hineinlesen, um zu sehen, ob es sich hier um eine Hartz-IV-Debatte handelt oder ob es um die Haftungsfrage für WLAN-Betreiber geht.

Da lese ich: „Gerade für Menschen mit geringem Einkommen sind beide Zugangswege“ – gemeint sind kabel- und funkbasierte Internetanschlüsse – „jedoch nur schwer zu finanzieren. Es bedarf kaum der näheren Erörterung, warum bei einem monatlichen Regelsatz von derzeit 374 Euro zzgl. Kosten der Unterbringung 10 bis 20 Euro für einen DSL-Zugang ganz erheblich ins Gewicht fallen.“ Ich lese davon, dass „nicht hinreichend verfügbare Internetzugänge … die … Abhängigkeit der individuellen Bildungschancen vom sozialen Status der Eltern“ verschärfen, ich lese von einer „Frage der sozialen Gerechtigkeit“ und davon, dass „ein Computer zum soziokulturellen Existenzminimum gehört“. Ich jedenfalls will hier und heute keine linke Sozialdebatte à la Linke führen, sondern mich der Haftungsfrage für WLAN-Betreiber widmen.

(Anmerkung: Gerade darum geht es ja. Buergernetzinitiativen wie Freifunk ermoeglichen ja insbesondere, Dritten eine gegebenenfalls im Leistungsumfang gedrosselte Mit-Nutzungsmoeglichkeit an die Hand zu geben — nicht jedoch, solange hier Haftungsfragen im Weg stehen)

Die grundlegende Frage, die sowohl in dem SPD-Antrag als auch in dem Gesetzentwurf der Linken gestellt wird, hat im digitalen Zeitalter – auch vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtsprechung – durchaus seine Berechtigung, nämlich die Frage: Müssen private und kleingewerbliche WLAN-Anbieter wie Cafés dafür haften, wenn dritte Nutzer sich in ihrem Netz illegal verhalten, wenn solche Nutzer zum Beispiel illegal Musik oder Videos downloaden und damit gegen das Urheberrecht verstoßen? Warum sollte ein Kneipenwirt dafür belangt werden können, wenn ein Internetpirat in seinem WLAN-Netz Beute macht? Warum sollte der Kneipenwirt dafür kostenpflichtig abgemahnt werden und dafür schließlich auch noch kräftig Schadensersatz gegenüber dem geschädigten Rechteinhaber zahlen?

Dass ein solcher Fall bei einem betroffenen gewerblichen WLAN-Betreiber nicht gerade ein Anreiz ist, das Netz weiterhin anzubieten, und dass infolge solcher Vorkommnisse vielleicht der öffentlich zugängliche WLAN-Ausbau in Deutschland ins Stocken geraten könnte, vermag auf den ersten Blick denkbar zu sein. Schließlich ist die flächendeckende Versorgung von Kommunen und Städten mit frei zugänglichem Internet, wie sie jetzt zum Beispiel Kabel Deutschland und die Wall AG in Berlin mit der Einrichtung von Hotspots realisieren, auch ein interessantes Geschäftsmodell für die Telekommunikationswirtschaft und macht Städte und Gemeinden für Besucher und Gäste attraktiver.

(Anmerkung: Nuesslein scheint hier nur gewerbliche Nutzung im Blick zu haben. Eine Zurverfuegungstellung aus rein altruistischen Motiven scheint er nicht auf dem Radar zu haben.)

Nun sieht die Lösung der hellroten und der dunkelroten Genossen zunächst relativ einfach aus: Man erweitert einfach im Telemediengesetz den in § 8 definierten Kreis von Diensteanbietern, die von der Haftungspflicht ausgeschlossen sind – das sind im Wesentlichen die Accountbetreiber –, um die WLAN-Betreiber, ob gewerbliche oder private. Zusätzlich sollen WLAN-Betreiber von der sogenannten Störerhaftung ausgenommen werden; das heißt, geschädigte Rechteinhaber, zum Beispiel Musikverlage, sollen gegenüber dem Betreiber keinen Anspruch auf Unterlassung mehr haben. Das ist die eine Seite. Wie aber stehen dann die Rechteinhaber da, deren geistiges Eigentum dem zwar immer noch illegalen, faktisch aber beliebigen Zugriff von Nutzern schutzlos ausgeliefert wäre? Denn wo keine Haftung, da kein durchsetzbarer Schadensersatzanspruch. Diese Regelung würde bedeuten, dass Vergehen im Netz – seien sie zivilrechtlicher oder strafrechtlicher Art – erstens überhaupt nicht mehr zurückverfolgt werden könnten und zweitens nicht mehr geahndet werden könnten.

Nach derzeitiger Rechtslage kann wenigstens der Account des WLAN-Betreibers über dessen IP-Adresse zurückverfolgt werden, die diesem Betreiber eindeutig zuzuordnen ist. Dies ist bei den verschiedenen Nutzern, die sich mit dynamischen IP-Adressen in das WLAN-Netz einklinken, so nicht möglich. Denn sie sind nur während ihres Aufenthalts im Netz über ihre MAC-Adresse identifizierbar. Mit dieser gerätebezogenen Adresse lässt sich die Aktivität des Users nur nachweisen, während er noch im Netz ist.

Man müsste ihn also noch in flagranti beim illegalen Download erwischen, um ihm ein Vergehen zum Beispiel gegen das Urheberrecht nachweisen zu können. Selbst wenn es technisch möglich wäre, die einzelnen Nutzer im Nachhinein zu identifizieren – das heißt, wann welcher Nutzer welche Aktivität im Internet vorgenommen hat –, wäre dies aus datenschutzrechtlichen Gründen verboten. Dafür müsste der WLAN-Betreiber sozusagen auf Verdacht für alle Nutzer regelrechte Datenbanken mit Personendaten anlegen und speichern.

Das Telekommunikationsgesetz untersagt jedoch – zu Recht – die Erhebung nicht erforderlicher Daten. Darauf hat auch das Landgericht München in seinem Urteil vom 12. Januar 2012 (Aktenzeichen 17 HK O 1398/11) abgestellt.

In Ihrem Gesetzentwurf verteufeln Sie, geschätzte Linkskollegen, dass „Betreiber/innen von drahtlosen Netzwerken … die Mit-Nutzung ihrer Netze in aller Regel durch Verschlüsselungsverfahren unmöglich“ machen. Die Betreiber versuchten, „ihre Netze so gut als möglich abzuriegeln“. Ja, was sind das doch für böse Menschen! Gar nicht so sozial wie die guten Linken, die ja alles für alle öffnen wollen! Schlimm, so was! Ich weiß nicht, ob Sie, Frau Wawzyniak, Sie, Herr Korte, Sie, Frau Jelpke, oder Sie, Frau Pau, Ihr privates WLAN-Netz zu Hause einfach so von Ihren Nachbarn oder sonstigen Personen mitnutzen lassen wollen.

(Anmerkung: Netzpolitik.org wirft an der Stelle ein, dass MdB Wawzyniak genau das vorhat. Auch Freifunk basiert auf genau dieser Idee: Ein gemeinsames Netz aufzuspannen, innerhalb dessen einzelne NutzerInnen den privaten Netzzugang fuer die gemeinsame Nutzung zur Verfuegung stellen)

Das sehe ich jedenfalls schon mal aus ökonomischen Gründen nicht ein – soll sich der Nachbar doch einen eigenen Zugang besorgen –, aber vor allem aus Sicherheits- und, ja, aus Haftungsgründen.

Es ist schon heute so, dass „auch privaten Anschlussinhabern … aber eine Pflicht“ obliegt, „zu prüfen, ob ihr WLAN-Anschluss durch angemessene Sicherungsmaßnahmen vor der Gefahr geschützt ist, von unberechtigten Dritten zur Begehung von Urheberrechtsverletzungen missbraucht zu werden.“ Zwar muss der private Betreiber eines WLAN-Netzes seine Netzwerksicherheit nicht ständig auf dem neuesten Stand der Technik halten.
„Ihre Prüfpflicht bezieht sich daher auf die Einhaltung der im Zeitpunkt der Installation des Routers für den privaten Bereich marktüblichen Sicherungen“. So hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 12. Mai 2010 (Aktenzeichen I ZR 121/08 – Sommer unseres Lebens) gesprochen.

In diesem Verfahren ging es um einen WLAN-Betreiber, der sein WLAN nicht durch ein Passwort geschützt hatte und damit seine Prüfpflicht im gerade zitierten Sinne verletzt hatte. Der BGH hat hier angenommen, dass der Beklagte – also der WLAN-Betreiber – „nach den Rechtsgrundsätzen der sogenannten Störerhaftung auf Unterlassung und auf Erstattung der Abmahnkosten“
– das sind nach geltendem Recht maximal 100 Euro – haftet. Der BGH weiter: „Diese Haftung besteht schon nach der ersten über seinen WLAN-Anschluss begangenen Urheberrechtsverletzung. Hingegen ist der Beklagte nicht zum Schadensersatz verpflichtet. Eine Haftung als Täter einer Urheberrechtsverletzung hat der Bundesgerichtshof verneint, weil nicht der Beklagte“ – also der WLAN-Betreiber – „den fraglichen Musiktitel im Internet zugänglich gemacht hat. Eine Haftung als Gehilfe bei der fremden Urheberrechtsverletzung hätte Vorsatz vorausgesetzt, an dem es im Streitfall fehlte“, so der
BGH.

Die Rechteinhaber zum Beispiel von Musiktiteln oder Filmen haben also gegenüber WLAN-Betreibern unter bestimmten Voraussetzungen einen Rechtsanspruch auf Unterlassung. Das ist die heißdiskutierte Störerhaftung des WLAN-Betreibers bei rechtswidrigen Handlungen Dritter. Wenn man den Rechteinhabern nach dem Willen der heute parlamentarisch vereinigten Linksfront diesen bereits eingeschränkten Rechtsanspruch nimmt, werden die WLAN-Betreiber auf Kosten der Rechteinhaber bessergestellt. Die bleiben nämlich auf ihrem Schaden sitzen.

Das kann es ja auch nicht sein.

Jetzt folgert die Linke daraus: „Im Ergebnis führt insbesondere die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dazu, dass Funknetzwerke verschlüsselt werden und für die kostenfreie Mitnutzung nicht zur Verfügung stehen.“ Dabei gäbe es „eine Reihe guter Gründe … ihre Netze zur Mitnutzung zu öffnen“, unter anderem: „Private könnten ihre Netze insbesondere aus sozialen Motiven heraus öffnen, um insbesondere sozial benachteiligten Menschen den Zugang zum Internet zu ermöglichen.“

Wenn ich zwischen diesem Mutter-Teresa-Motiv 2.0 einerseits und den Risiken und Sicherheitsbedenken bei unverschlüsseltem WLAN-Netz andererseits abzuwägen hätte, wüsste ich schnell, dass ich mein Netz verschlüssele. Es geht bei privaten WLAN-Anbietern letztendlich auch um Verantwortung: Will ich mein Netz für alle öffnen, muss dann aber auch mit den eventuellen negativen Konsequenzen leben, oder sorge ich von vorneherein für Einschränkungen für Dritte, damit aber auch für meinen eigenen Schutz? Das muss letztlich jeder Einzelne für sich entscheiden.

(Anmerkung: Ich bin mir nicht sicher, ob Nuesslein hier polemisiert [gegenueber der Linken macht er das furchtbar gern], oder sich einfach nicht mit der Materie beschaeftigt hat; ich tippe auf Letzteres. Es geht ja in erster Linie nicht darum, das gesamte Heimnetzwerk ungesichert zu lassen, sondern beispielsweise ein geschuetztes Netzwerk fuer den Hausgebrauch aufzuspannen, und ein zweites fuer oeffentlichen Zugang anzubieten. Zwei Service Sets auf einem Geraet anbieten zu koennen ist heute kein aussergewoehnliches Feature mehr, das kann selbst die FritzBox im Werkszustand)

Ich denke, die wesentliche Problematik ist in dieser Debatte klargeworden: hier Haftungsbürde bei unverschuldet schuldigen WLAN-Betreibern, da Anspruch von Inhabern geistigen Eigentums im Netz auf Entschädigung im Missbrauchsfall. Die Entscheidung, ob und in welchem rechtlichen Rahmen wir hier tätig werden müssen, sollte nicht übers Knie gebrochen werden. Gründlichkeit geht bei solchen Haftungsfragen klar vor Schnelligkeit. Ob und wie das im Telemediengesetz geregelt werden muss, prüfen wir in nächster Zeit ausführlich. Hoppla hopp nach dem Willen von Sozialdemokraten und Sozialisten ist sicherlich die falsche Entscheidung.

Wir wollen ja nicht für etwas haftbar gemacht werden, was uns und den Betroffenen früher oder später auf die Füße fallen kann, nicht wahr?

Nervt eure Abgeordneten wegen der VDS

Ich kann gar nicht oft genug betonen, wie wichtig konstruktives trollen ist. Aktuell ruft der AK Vorrat am Rande seiner Stellungnahme zur Vorratsdatenspeicherung dazu auf, mal die verantwortlichen Abgeordneten zu fragen, warum sie da fuer ein verfassungswidriges Gesetz gestimmt haben, obwohl doch davor gewarnt worden ist.

Fuer die Region hier sind das:

  • Dr. Georg Nuesslein (CSU, NU): Telefon 030-227 77026, Fax 030-227 76269
  • Hilde Mattheis (SPD, UL): Telefon 030-227 75142, Fax 030-227 76713

Ich weiss, das Thema haengt einem mittlerweile fast schon wieder zum Hals raus. Aber keine falsche Scheu, einfach mal Buergernaehe auch ausserhalb des Wahlkampfs betreiben und die Watschen des BVerfG ruhig nochmal ordentlich reinreiben. Bei Frau Mattheis habe ich den Eindruck, dass die Argumente ankommen und mittlerweile auch gehoert und verstanden werden, bei Herrn Nuesslein… ruft an.

Undercover bei der CSU

Als Shootingstar zu Guttenberg in Neu-Ulm die Massen begeisterte (auch mit Spontanitaeten, die sich bei der zweiten Vorstellung in Guenzburg als gar nicht so spontan herausstellten), hatte ich ja aus Jux an einem CSU-Gewinnspiel teilgenommen. Waere ja schliesslich nett, eine Bildungsreise nach Berlin zu gewinnen, und die Datennutzungserlaubnis kann man ja durchstreichen.

Das hatte ich schon ganz vergessen, bis ich eine Einladung zur CSU-Weihnachtsfeier in Roggenburg erhielt, samt Hinweis, zu den gluecklichen Gewinnern zu zaehlen. Das ganze erinnert irgendwie an eine Kaffeefahrt-Einladung, zumal ja nicht dabeisteht, was ich eigentlich gewonnen habe. Und irgendwie bin ich jetzt zwiegespalten: Einerseits habe ich keine Lust, dort wegen eines Franz-Josef-Strauss-Bierkrugs oder sowas in der Art hinzufahren. Andererseits waere es sicher interessant, einmal die Leute und Meinungen dort zu beobachten und aufzuschreiben. Und die Aussicht, vielleicht doch eine Reise nach Berlin zu gewinnen und am Ende zusammen mit den anderen Gewinnern und meinem Lieblingsnuesslein in die Kamera zu grinsen, freut mich sogar diebisch. Nicht nur wegen des dann von mir ganz nebenbei am Revers getragenen Zensursula-Buttons.

Was meint ihr?

Ein gar nicht mal so neuer Zeitgeist

“Einer neuen Zeitgeisterscheinung” ausgesetzt fuehlt sich mein Wahlkreisdirektmandat Dr. Georg Nuesslein (CSU), wenn bei ihm, koordiniert ueber das Internet, Buerger anrufen und ihm Fragen zur Atompolitik der kommenden schwarz-gelben Regierung stellen — soweit ich weiss, eine Aktion von campact. “Besonders lustig” finde er das nicht, was die Augsburger Allgemeine im dazugehoerigen Artikel als “Attacken” bezeichnet.

Lustig ist das Ganze auch nicht gemeint, und ein allzu neuer Zeitgeist ist damit auch nicht verbunden, wenn der Buerger auch ausserhalb von Wahlen Fragen und Anliegen an seine gewaehlten Vertreter richtet, ganz im Gegenteil: Er will als Gespraechspartner ernst genommen werden. Die Zeiten, in denen Kommunikation nur als Broadcast von oben nach unten funktionierte, sind vorbei. Ganz genau so sieht aber die Kommunikationsstrategie von Herrn Nuesslein aus: Einige Perlen seiner rhetorischen Kunst (dieses elegante Linkenbashing!) bei youtube, ein wenig genutztes Profil bei Facebook, und das war es dann auch schon. Da ist es nur konsequent, dass sich Nuesslein jeglicher offener, transparenter Beantwortung von Fragen bei abgeordnetenwatch.de mit halbseidener Begruendung verweigert.

Wenn wir also von “Zeitgeist” sprechen, dann bitte vom veralteten Zeitgeist des Dr. Georg Nuesslein.

Wieder und wieder

Mir war wirklich koerperlich schlecht gestern abend.

Die Fachschaft Informatik tagte wie jeden Donnerstag abend im BECI, und ich habe mit einem Ohr ueber Telefon der Debatte rund um die Netzsperren gelauscht. Das war schwer ertraeglich. Noch schwerer ertraeglich war die Abstimmung.

Ja, es waere wohl wirklich naiv gewesen, zu glauben, das Gesetz wuerde nicht durchkommen. Aber wie Tauss das in seiner bemerkenswerten Stellungnahme angesprochen hat, fuehle ich mich wie mit Fuessen getreten — mit Anlauf ins Gesicht. Und es lief mir eiskalt ueber den Ruecken, als mir waehrend der kurzen FIN-Sitzungsunterbrechung mit Schweigeminute das dazu passende Zitat aus „1984“ einfiel. Aus Politikverdrossenheit wurde in dieser Minute die feste Ueberzeugung, dass ich alle mir zur Verfuegung stehenden — legalen — Mittel ausnutzen werden muss, um diese Abgeordneten daran zu hindern, dem Internet und unserem Land weiteren Schaden zuzufuegen. „Ihr werdet euch noch wuenschen, wir waeren politikverdrossen“ (@343max)

Abschliessend:

  • Ekin Deligoez (Gruene, NU): Enthalten
  • Hilde Mattheis (SPD, UL): Dafuer gestimmt
  • Dr. Georg Nuesslein (CSU, NU): Dafuer gestimmt
  • Anette Schavan (CDU, UL): Dafuer gestimmt

Kann man sich ja merken fuer den Herbst.

(Achja, das Zitat: „Sie wollen ein Bild der Zukunft? Stellen sie sich einen Stiefel vor, der in ein menschliches Antlitz tritt — wieder und wieder“)

Warum ich Abgeordnetenwatch mag

…weil es der direkte Weg ist, herauszufinden, was fuer Charaktere unsere MdBs sind. Beispielsweise, dass Dr. Georg Nuesslein entweder das Internet nicht kapiert bzw. bedienen kann, oder nicht fuer Offenheit und Transparenz ist. Oder, dass Dr. Hans-Peter Uhl ebenfalls entweder nicht das Internet bedienen kann, oder einfach grundsaetzlich gnadenlos naiv und dogmatisch ist.

Die Liste laesst sich selbstverstaendlich fortsetzen.

(Danke an Nitek fuer den Linktipp)

Es gibt keinen deutschen Obama

Jetzt auf einmal versucht man sich gegenseitig zu ueberbieten. Die SPD mit walhkampf09.de, die Union mit team2009.de. Die Parallelen zur erfolgreichen Barack-Obama-Kampagnenseite will mal wohl auch gar nicht leugnen.

Alle deutschen Kampagnenableger haben aber etwas gemeinsam: Sie kommen zu spaet, und sie funktionieren nicht. Oder, polemischer gesagt, sie sind allesamt scheisse.

Da wird ein bissel getwittert, aweng geyoutubt, und eine Facebook-Seite hat man auch. Aber alles sieht so halbherzig aus, als habe man eben gesehen, dass dieser Obama das doch auch so gemacht hat, und dann muesse das doch auch bei der SPCDU funktionieren. Dass das eben nicht so einfach geht, weiss man doch eigentlich spaetestens seit dem missglueckten „Yes we can“ von Hubertus Heil, oder?

Vom Zufall zum Internet-Underdog

Thorsten Schaefer-Guembel war der erste Politiker, der es bisher geschafft hat, „richtig“ im Internet zu mobilisieren. Und das, wenn man mal ganz ehrlich ist, vollkommen ohne Grund. Weiss irgendjemand aus dem Stegreif, fuer was TSG steht? Was ihn so besonders macht, wenn man einmal davon absieht, dass er im Vergleich zu Roland Koch das geringere Uebel ist?

Ich auch nicht.

Der komplette multimediale TSG-Wahlkampf konnte eigentlich nur im Kielwasser der Obamanie so funktionieren. Und geplant war sie ja schon gleich dreimal nicht, erst durch Achim Schaffrinna vom Design-Tagebuch und die Wiederentdeckung seines als Witz gedachten Logos wurde aus dem „Milchbubi, den man damals auf dem Pausenhof verhauen haette“ (Quelle nicht mehr auffindbar) ein Quasi-Spitzenkandidat, ein Internet-Underdog. Ueberzeugend ist anders — Carta geht einen Schritt weiter und vergleicht TSG eher mit Palin als mit Obama. Recht haben sie.

Wo bleibt der „richtige“ Multimediawahlkampf?

Jetzt koennte man meinen, mit einer ordentlichen Kampagne haette das sicher funktioniert, und die aktuelle Schwierigkeit liege ja auch darin, dass die zwei Regierungsparteien nicht einfach mal parallel zum Regierungsgeschaeft zwei Jahre emotionalen Wahlkampf wie in den USA fahren koennen.

Das Problem ist: Wer sollte diese Kampagne durchfuehren?

Im Vorfeld der bayerischen Kommunalwahlen trat man an mich heran, ob ich denn nicht einige der Kommunalpolitiker unterstuetzen koenne. Nein, wollte ich nicht, da die Zeit knapp und das Kampagnenbudget quasi nichtexistent war. Aber Tipps gab ich gerne: WordPress als CMS aufsetzen, die Kandidaten stellen sich darauf vor und kommentieren das aktuelle kommunale politische Geschehen.

Herausgekommen sind am Ende die furchtbarsten Flyer, die ich jemals gesehen habe, und eine im Wesentlichen komplett dysfunktionale Website a la Frontpage Express. Man hatte ja schliesslich eine „Designerin“ im Kandidatenteam.

Dieses Denken scheint sich komplett von der Kommunal- ueber die Kreis-, Bezirks- und Landespolitik bis zum Bund durchzuziehen. Transparente Politiker (in welcher Form auch immer) sind die Ausnahme. Und damit beginnt die eigentliche Crux.

The medium is not the message

Ein multimedialer Wahlkampf gleich welcher Art ist immer nur der Nachrichtenkanal. Man stelle sich vor, auf die obamanatische Tour haette man in den USA einen Politiker vom Kaliber Kurt Beck beworben. Um Himmels Willen. Damit solch ein Wahlkampf funktioniert, bedarf es eines Hoffnungstraegers, eines glaubwuerdigen, vertrauenswuerdigen und charismatischen Kandidaten, dem man zutraut, etwas zu veraendern — change —, dem man Glauben schenken kann — we can believe in —, der einen hoffen laesst, endlich einmal einen Politiker vor sich zu haben, der nicht opportunistisch der Parteimeinung hinterherlaeuft — hope —.

Aus dem Stegreif wuerde mir bei all diesen Kriterien hoechstens der Stroebele einfallen. Der Rest? Die Wahlkreise Ulm und Neu-Ulm werden von Ekin Deligoez (Gruene), Hilde Mattheis (SPD), Dr. Georg Nuesslein (CSU) und Annette Schavan (CDU) vertreten. Von Frau Schavan habe ich auf Anfragen grundsaetzlich nie eine Antwort bekommen. Hilde Mattheis war im September 07 noch vollkommen gegen Onlinedurchsuchungen, stimmte aber letztendlich fuer genau dieselben Durchsuchungen im BKA-Gesetz — Begruendung schwammig. Dr. Georg Nuesslein haelt gerne lange Reden, in denen er viel spricht und wenig sagt, er will keine Anfragen auf abgeordnetenwatch beantworten und bedankt sich „fuer Ihre E-Mail“, wenn ich ihm einen Brief schreibe. Bleibt allein Frau Deligoez, aber die Gruenen sind ja auch nicht mehr das, was sie mal waren.

Diese Profillosigkeit, das staendige Hin- und Herschwenken, Opportunismus und Eigennutz sind es letztendlich, die einen Obama-Wahlkampf in der Bundesrepublik vollkommen aussichtslos machen. Und das traurige ist, dass das nicht besser wird, wie Klaus Jarchow auf medienlese.com so sehr lesenswert eroertert hat: In Deutschland wird nicht derjenige zum Bundeskanzlerkandidaten, der revolutionaere Ideen hat und die Massen begeistern kann, sondern jemand, der die Ochsentour an allen moeglichen Parteifunktionaeren vorbei nach oben geschafft hat.

Das ist meines Erachtens gar nicht mal so gut fuer die Demokratie.