Stoererhaftung im Bundestag

Am 25.10. hat sich der Bundestag mit der Stoererhaftung bei unverschluesselten WLANs beschaeftigt — die SPD hatte einen Antrag gestellt, die Problematik der Stoererhaftung zu evaluieren, die hierzulande nach wie vor ein Damoklesschwert fuer Freifunk-Initiativen darstellt. Die Linksfraktion hatte daraufhin gleich einen Gesetzesentwurf eingebracht, das Telemediengesetz zu aendern, der von der digiges mit entworfen worden war.

Haette Netzpolitik die Sache nicht kommentiert, waere mir die „Debatte“ vermutlich gar nicht aufgefallen — Debatte in Anfuehrungszeichen, denn die Redebeitraege wurden zu Protokoll gegeben und nicht tatsaechlich gehalten. Heraus stach dabei — wieder einmal — der CSU-Abgeordnete fuer den Wahlkreis Neu-Ulm/Guenzburg, Dr. Georg Nuesslein, dessen Rede ich hier im Volltext zitieren moechte:

Wenn ich mir den vorliegenden Gesetzentwurf der Linken zur Änderung des Telemediengesetzes anschaue, wird mir sofort klar, wohin die Reise mal wieder gehen soll: Da gerieren sich die Genossen erneut zu Sozialaposteln par excellence, fordern freies Internet für alle, freie I-Pads für alle, freie Rechner für alle. Ich muss schon genau in den Text hineinlesen, um zu sehen, ob es sich hier um eine Hartz-IV-Debatte handelt oder ob es um die Haftungsfrage für WLAN-Betreiber geht.

Da lese ich: „Gerade für Menschen mit geringem Einkommen sind beide Zugangswege“ – gemeint sind kabel- und funkbasierte Internetanschlüsse – „jedoch nur schwer zu finanzieren. Es bedarf kaum der näheren Erörterung, warum bei einem monatlichen Regelsatz von derzeit 374 Euro zzgl. Kosten der Unterbringung 10 bis 20 Euro für einen DSL-Zugang ganz erheblich ins Gewicht fallen.“ Ich lese davon, dass „nicht hinreichend verfügbare Internetzugänge … die … Abhängigkeit der individuellen Bildungschancen vom sozialen Status der Eltern“ verschärfen, ich lese von einer „Frage der sozialen Gerechtigkeit“ und davon, dass „ein Computer zum soziokulturellen Existenzminimum gehört“. Ich jedenfalls will hier und heute keine linke Sozialdebatte à la Linke führen, sondern mich der Haftungsfrage für WLAN-Betreiber widmen.

(Anmerkung: Gerade darum geht es ja. Buergernetzinitiativen wie Freifunk ermoeglichen ja insbesondere, Dritten eine gegebenenfalls im Leistungsumfang gedrosselte Mit-Nutzungsmoeglichkeit an die Hand zu geben — nicht jedoch, solange hier Haftungsfragen im Weg stehen)

Die grundlegende Frage, die sowohl in dem SPD-Antrag als auch in dem Gesetzentwurf der Linken gestellt wird, hat im digitalen Zeitalter – auch vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtsprechung – durchaus seine Berechtigung, nämlich die Frage: Müssen private und kleingewerbliche WLAN-Anbieter wie Cafés dafür haften, wenn dritte Nutzer sich in ihrem Netz illegal verhalten, wenn solche Nutzer zum Beispiel illegal Musik oder Videos downloaden und damit gegen das Urheberrecht verstoßen? Warum sollte ein Kneipenwirt dafür belangt werden können, wenn ein Internetpirat in seinem WLAN-Netz Beute macht? Warum sollte der Kneipenwirt dafür kostenpflichtig abgemahnt werden und dafür schließlich auch noch kräftig Schadensersatz gegenüber dem geschädigten Rechteinhaber zahlen?

Dass ein solcher Fall bei einem betroffenen gewerblichen WLAN-Betreiber nicht gerade ein Anreiz ist, das Netz weiterhin anzubieten, und dass infolge solcher Vorkommnisse vielleicht der öffentlich zugängliche WLAN-Ausbau in Deutschland ins Stocken geraten könnte, vermag auf den ersten Blick denkbar zu sein. Schließlich ist die flächendeckende Versorgung von Kommunen und Städten mit frei zugänglichem Internet, wie sie jetzt zum Beispiel Kabel Deutschland und die Wall AG in Berlin mit der Einrichtung von Hotspots realisieren, auch ein interessantes Geschäftsmodell für die Telekommunikationswirtschaft und macht Städte und Gemeinden für Besucher und Gäste attraktiver.

(Anmerkung: Nuesslein scheint hier nur gewerbliche Nutzung im Blick zu haben. Eine Zurverfuegungstellung aus rein altruistischen Motiven scheint er nicht auf dem Radar zu haben.)

Nun sieht die Lösung der hellroten und der dunkelroten Genossen zunächst relativ einfach aus: Man erweitert einfach im Telemediengesetz den in § 8 definierten Kreis von Diensteanbietern, die von der Haftungspflicht ausgeschlossen sind – das sind im Wesentlichen die Accountbetreiber –, um die WLAN-Betreiber, ob gewerbliche oder private. Zusätzlich sollen WLAN-Betreiber von der sogenannten Störerhaftung ausgenommen werden; das heißt, geschädigte Rechteinhaber, zum Beispiel Musikverlage, sollen gegenüber dem Betreiber keinen Anspruch auf Unterlassung mehr haben. Das ist die eine Seite. Wie aber stehen dann die Rechteinhaber da, deren geistiges Eigentum dem zwar immer noch illegalen, faktisch aber beliebigen Zugriff von Nutzern schutzlos ausgeliefert wäre? Denn wo keine Haftung, da kein durchsetzbarer Schadensersatzanspruch. Diese Regelung würde bedeuten, dass Vergehen im Netz – seien sie zivilrechtlicher oder strafrechtlicher Art – erstens überhaupt nicht mehr zurückverfolgt werden könnten und zweitens nicht mehr geahndet werden könnten.

Nach derzeitiger Rechtslage kann wenigstens der Account des WLAN-Betreibers über dessen IP-Adresse zurückverfolgt werden, die diesem Betreiber eindeutig zuzuordnen ist. Dies ist bei den verschiedenen Nutzern, die sich mit dynamischen IP-Adressen in das WLAN-Netz einklinken, so nicht möglich. Denn sie sind nur während ihres Aufenthalts im Netz über ihre MAC-Adresse identifizierbar. Mit dieser gerätebezogenen Adresse lässt sich die Aktivität des Users nur nachweisen, während er noch im Netz ist.

Man müsste ihn also noch in flagranti beim illegalen Download erwischen, um ihm ein Vergehen zum Beispiel gegen das Urheberrecht nachweisen zu können. Selbst wenn es technisch möglich wäre, die einzelnen Nutzer im Nachhinein zu identifizieren – das heißt, wann welcher Nutzer welche Aktivität im Internet vorgenommen hat –, wäre dies aus datenschutzrechtlichen Gründen verboten. Dafür müsste der WLAN-Betreiber sozusagen auf Verdacht für alle Nutzer regelrechte Datenbanken mit Personendaten anlegen und speichern.

Das Telekommunikationsgesetz untersagt jedoch – zu Recht – die Erhebung nicht erforderlicher Daten. Darauf hat auch das Landgericht München in seinem Urteil vom 12. Januar 2012 (Aktenzeichen 17 HK O 1398/11) abgestellt.

In Ihrem Gesetzentwurf verteufeln Sie, geschätzte Linkskollegen, dass „Betreiber/innen von drahtlosen Netzwerken … die Mit-Nutzung ihrer Netze in aller Regel durch Verschlüsselungsverfahren unmöglich“ machen. Die Betreiber versuchten, „ihre Netze so gut als möglich abzuriegeln“. Ja, was sind das doch für böse Menschen! Gar nicht so sozial wie die guten Linken, die ja alles für alle öffnen wollen! Schlimm, so was! Ich weiß nicht, ob Sie, Frau Wawzyniak, Sie, Herr Korte, Sie, Frau Jelpke, oder Sie, Frau Pau, Ihr privates WLAN-Netz zu Hause einfach so von Ihren Nachbarn oder sonstigen Personen mitnutzen lassen wollen.

(Anmerkung: Netzpolitik.org wirft an der Stelle ein, dass MdB Wawzyniak genau das vorhat. Auch Freifunk basiert auf genau dieser Idee: Ein gemeinsames Netz aufzuspannen, innerhalb dessen einzelne NutzerInnen den privaten Netzzugang fuer die gemeinsame Nutzung zur Verfuegung stellen)

Das sehe ich jedenfalls schon mal aus ökonomischen Gründen nicht ein – soll sich der Nachbar doch einen eigenen Zugang besorgen –, aber vor allem aus Sicherheits- und, ja, aus Haftungsgründen.

Es ist schon heute so, dass „auch privaten Anschlussinhabern … aber eine Pflicht“ obliegt, „zu prüfen, ob ihr WLAN-Anschluss durch angemessene Sicherungsmaßnahmen vor der Gefahr geschützt ist, von unberechtigten Dritten zur Begehung von Urheberrechtsverletzungen missbraucht zu werden.“ Zwar muss der private Betreiber eines WLAN-Netzes seine Netzwerksicherheit nicht ständig auf dem neuesten Stand der Technik halten.
„Ihre Prüfpflicht bezieht sich daher auf die Einhaltung der im Zeitpunkt der Installation des Routers für den privaten Bereich marktüblichen Sicherungen“. So hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 12. Mai 2010 (Aktenzeichen I ZR 121/08 – Sommer unseres Lebens) gesprochen.

In diesem Verfahren ging es um einen WLAN-Betreiber, der sein WLAN nicht durch ein Passwort geschützt hatte und damit seine Prüfpflicht im gerade zitierten Sinne verletzt hatte. Der BGH hat hier angenommen, dass der Beklagte – also der WLAN-Betreiber – „nach den Rechtsgrundsätzen der sogenannten Störerhaftung auf Unterlassung und auf Erstattung der Abmahnkosten“
– das sind nach geltendem Recht maximal 100 Euro – haftet. Der BGH weiter: „Diese Haftung besteht schon nach der ersten über seinen WLAN-Anschluss begangenen Urheberrechtsverletzung. Hingegen ist der Beklagte nicht zum Schadensersatz verpflichtet. Eine Haftung als Täter einer Urheberrechtsverletzung hat der Bundesgerichtshof verneint, weil nicht der Beklagte“ – also der WLAN-Betreiber – „den fraglichen Musiktitel im Internet zugänglich gemacht hat. Eine Haftung als Gehilfe bei der fremden Urheberrechtsverletzung hätte Vorsatz vorausgesetzt, an dem es im Streitfall fehlte“, so der
BGH.

Die Rechteinhaber zum Beispiel von Musiktiteln oder Filmen haben also gegenüber WLAN-Betreibern unter bestimmten Voraussetzungen einen Rechtsanspruch auf Unterlassung. Das ist die heißdiskutierte Störerhaftung des WLAN-Betreibers bei rechtswidrigen Handlungen Dritter. Wenn man den Rechteinhabern nach dem Willen der heute parlamentarisch vereinigten Linksfront diesen bereits eingeschränkten Rechtsanspruch nimmt, werden die WLAN-Betreiber auf Kosten der Rechteinhaber bessergestellt. Die bleiben nämlich auf ihrem Schaden sitzen.

Das kann es ja auch nicht sein.

Jetzt folgert die Linke daraus: „Im Ergebnis führt insbesondere die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dazu, dass Funknetzwerke verschlüsselt werden und für die kostenfreie Mitnutzung nicht zur Verfügung stehen.“ Dabei gäbe es „eine Reihe guter Gründe … ihre Netze zur Mitnutzung zu öffnen“, unter anderem: „Private könnten ihre Netze insbesondere aus sozialen Motiven heraus öffnen, um insbesondere sozial benachteiligten Menschen den Zugang zum Internet zu ermöglichen.“

Wenn ich zwischen diesem Mutter-Teresa-Motiv 2.0 einerseits und den Risiken und Sicherheitsbedenken bei unverschlüsseltem WLAN-Netz andererseits abzuwägen hätte, wüsste ich schnell, dass ich mein Netz verschlüssele. Es geht bei privaten WLAN-Anbietern letztendlich auch um Verantwortung: Will ich mein Netz für alle öffnen, muss dann aber auch mit den eventuellen negativen Konsequenzen leben, oder sorge ich von vorneherein für Einschränkungen für Dritte, damit aber auch für meinen eigenen Schutz? Das muss letztlich jeder Einzelne für sich entscheiden.

(Anmerkung: Ich bin mir nicht sicher, ob Nuesslein hier polemisiert [gegenueber der Linken macht er das furchtbar gern], oder sich einfach nicht mit der Materie beschaeftigt hat; ich tippe auf Letzteres. Es geht ja in erster Linie nicht darum, das gesamte Heimnetzwerk ungesichert zu lassen, sondern beispielsweise ein geschuetztes Netzwerk fuer den Hausgebrauch aufzuspannen, und ein zweites fuer oeffentlichen Zugang anzubieten. Zwei Service Sets auf einem Geraet anbieten zu koennen ist heute kein aussergewoehnliches Feature mehr, das kann selbst die FritzBox im Werkszustand)

Ich denke, die wesentliche Problematik ist in dieser Debatte klargeworden: hier Haftungsbürde bei unverschuldet schuldigen WLAN-Betreibern, da Anspruch von Inhabern geistigen Eigentums im Netz auf Entschädigung im Missbrauchsfall. Die Entscheidung, ob und in welchem rechtlichen Rahmen wir hier tätig werden müssen, sollte nicht übers Knie gebrochen werden. Gründlichkeit geht bei solchen Haftungsfragen klar vor Schnelligkeit. Ob und wie das im Telemediengesetz geregelt werden muss, prüfen wir in nächster Zeit ausführlich. Hoppla hopp nach dem Willen von Sozialdemokraten und Sozialisten ist sicherlich die falsche Entscheidung.

Wir wollen ja nicht für etwas haftbar gemacht werden, was uns und den Betroffenen früher oder später auf die Füße fallen kann, nicht wahr?

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