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Auf dem Dach

Damit jetzt auch mal im Bild bewiesen wurde, dass man nicht eigens nach Berlin fahren muss, um Picknick auf dem Dach machen zu koennen. Nein, das geht auch in Ulm, und wenn man sich einen geeigneten der vielen Berge aussucht, hat man einen wunderbaren 270°-Panoramablick ins Donau- oder Blautal.

Gut, der Umstand, dass zumindest einer der Bewohner des zum Dach gehoerenden Hauses mit dabei war, macht die ganze Angelegenheit ein bisschen weniger spektakulaer. Nicht aber die Aussicht, und das Gefuehl, gerade noch ein letztes bisschen Spaetsommer mitzunehmen, bevor die Sonne untergeht.

(Bildverfremdung mit CameraBag fuers iPhone. Nettes Spielzeug.)

Welcome to Baden-Wuerttemberg, dry state.

Mein Kuehlschrank ist kaputt. Besser gesagt, er funktioniert zu gut. So gut, dass das Eisfach ein Fach voll Eis ist, und der Rest des Kuehlschranks bei etwa +1°C liegt.

Wuerde ich jetzt beispielsweise in Koeln oder Berlin wohnen, waere das alles kein Problem. Dort gibt’s naemlich an jeder Strassenecke ein Buedchen oder einen Spaeti, der einem auch nachts um 2300 Uhr noch zwei Tiefkuehlpizze und ein Biertraegerchen verkauft, wenn zum Beispiel im Hauff-Wohnheim der Strom ausgefallen ist und Raimar und Erre zum Kochen und DVD-schauen vorbeikommen. (Nur dass die beiden normalerweise dafuer nicht extra nach Berlin oder Koeln kommen).

Ich fand das schon immer toll. In Ulm-Mitte gibt’s nach 2100 Uhr nur noch die Tamoil an der Ecke, an der man spontan irgendetwas kaufen kann, und auch die hat nicht die ganze Nacht offen. Bloed, wenn man beispielsweise den ganzen Tag an der Uni war und einem abends erst einfaellt, dass man nichts mehr zum Essen im Haus hat. Da wuenscht man sich manchmal schon die Zustaende zurueck, die ich damals in Kentucky erlebt hatte: Morgens um 0400 nach der Arbeit noch schnell nach Glasgow in den WalMart fahren und fuer 50 Dollar Lebensmittel einkaufen koennen, oder wenn’s sein muss ein Fahrrad oder einen Aufsitzrasenmaeher. Einziges Problem an der Sache: Wenn man auch nur eine Dose Bier wollte, musste man 30 Meilen nach Bowling Green fahren, weil sonst nirgendwo im weiten Umkreis Alkohol verkauft werden durfte. Einzelne Bierdosen oder Schnapsflaschen durften nicht oeffentlich gezeigt werden (daher die bekannte braune Papiertuete), und nach 2200 Uhr gab’s auch keinen Alkohol mehr — weil man sonst ja womoeglich nicht in der Lage waere, am naechsten Tag zum Gottesdienst zu gehen. Kein Witz, so wurde mir das erklaert.

Das hat natuerlich keinen von uns daran gehindert, schon morgens den ganzen Kofferraum voll Coors zu laden und abends nach der Arbeit zu zechen, bis irgendjemand mit dem Golfkart in Nachbars Tabakfeld gebraust ist. Oder den polnischen Arbeitskollegen davon abgehalten, sich mit einem knappen Liter Early Times so abzuschiessen, dass er zwei Tage lang nicht mehr arbeitsfaehig war. Und weder die 30 Meilen bis zum naechsten Wet County, noch das abendliche Alkoholverkaufsverbot, noch braune Papiertueten oder der Umstand, dass ich damals mit 20 gar keinen Alkohol trinken durfte, haben uns davon gehindert, am Independence Day ein feuchtfroehliches Grillfest zu veranstalten. Sogar nach 2200 Uhr. Und keiner von uns waere am naechsten Morgen von der Idee begeistert gewesen, einen Gottesdienst zu besuchen. Gut, dass ich Spaetschicht hatte.

Sowas faellt mir halt ein, wenn ich sehe, dass Herr Rech jetzt mit naechtlichen Alkoholverkaufsverboten irgendetwas wild aus der Luft gezogenes erreichen moechte. Und da dachte ich immer, die Amis haetten einen Regulierungshau.

Brandversicherungen und Mut

Nach irgendwelchen schlimmen Geschehnissen wird wahrscheinlich deswegen so viel von so vielen Leuten kluggeschissen, weil es so furchtbar einfach ist. Manches davon ist einfach nur doof, anderes bietet Anlass, mal genauer nachzudenken und zu hinterfragen.

Erstens. Buchmacher nehmen vermutlich gar keine Wetten mehr darauf an, wie schnell Unionspolitiker mehr Videoueberwachung und Killerspielverbote fordern, sobald wieder eine neue Gewalttat bekannt wurde. Dass Videokameras zur Gewaltpraevention ebensoviel taugen wie eine Brandversicherung vor Feuer schuetzt, interessiert scheinbar genausowenig wie der Umstand, dass die tatsaechlich vorhandenen Videokameras die brutale Tat in der Muenchener S-Bahn kein bisschen verhindern, mildern oder abschwaechen konnten. Kameras verhindern auch nicht die Umstaende, unter denen junge Menschen aufwachsen, und die sie erst auf die im wahrsten Sinne des Wortes asoziale Idee bringen, ihre Mitmenschen mit koerperlicher Gewalt zu traktieren, sogar bis zur Todesfolge. Videoueberwachung hilft auch Zuschauern nicht, Hilfe herbeizurufen, aber das tun Placebonotrufsaeulen natuerlich auch nicht. Und nicht zuletzt mobilisiert Videoueberwachung auch keinen einzigen Zuseher, einzuschreiten.

Zweitens. Ja, die Zuseher. “Gaffer” nennen sie einige und schuetteln den Kopf angesichts ihres passiven Verhaltens. Das geht aus der Ferne natuerlich gut, wenn man nicht dabei war und sich vormachen kann, ein rechtschaffener Buerger zu sein, der immer eingreifen wuerde. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Ich bin seit zehn Jahren bei der Feuerwehr und weiss im Einsatz auch ohne notfallmedizinische Ausbildung halbwegs, was ich zu tun habe. Vor einem Jahr habe ich direkt vor mir miterlebt, wie eine aeltere Dame nach der Blutspende zusammengeklappt ist und sich eingenaesst hat. Ich wuerde mich nicht feige nennen wollen, aber das einzige, was ich in dem Moment tat, war dasselbe, was alle anderen taten: Aufhoeren auf der Rotkreuzsemmel herumzukauen und mit grossen Augen auf das Geschehen starren. Bis sich einer regte und Hilfe holte. Dann erwacht man so langsam und bei mir schaltete sich der “Blaulichtmodus” ein. Hinterher war mir das furchtbar peinlich, aber offenbar ist das nichts aussergewoehnliches.

Machen wir uns nichts vor: Wir sind Herdentiere. Wenn auf einmal jemand herkommt, der offenbar staerker ist als man selbst, und den grossen Zampano markiert, schauen wir erst einmal geradeaus und hoffen, dass es uns nicht trifft. Besonders dann, wenn es gleich mehrere Stoerenfriede sind. Die ganze “friedliche Herde” wuerde mit diesen Einzelnen locker fertig. Dafuer bedarf es aber erst eines Anfuehrers, der die anderen aus ihrer Starre aufweckt und ihnen sagt, was sie tun sollen. Findet sich der Anfuehrer nicht, oder schafft er es nicht, die anderen aus ihrer defensiven Schreckhaltung zu holen, haben wir ein Problem. Dann warten naemlich alle darauf, bis noch jemand aufsteht und sagt, “Hey, so geht’s nicht”, um dann laut “Genau, so geht’s nicht!” zu sagen und sich hinter ihn zu stellen. Nur, wenn das alle tun, bleiben alle sitzen und beschimpfen innerlich die anderen, was sie doch fuer Feiglinge sind. Und sich selber auch.

Das ist ausdruecklich keine Schuldzuweisung, nicht einmal ansatzweise. Man sollte sich das aber noch einmal vor Augen halten, dass es nur allzu leicht ist, hier mit dem Finger zu zeigen oder dem Kopf zu schuetteln — obwohl die meisten von uns vermutlich nicht viel anders gehandelt haetten, wenn sie tatsaechlich dabei gewesen waeren und das nicht nur als Gedankenuebung auf dem Buerostuhl exerzieren.

Julia Zeh zitieren macht Spass.

Cicero uebertitelt das Interview mit Julia Zeh mit einer Aussage, die sie nicht machen will, aber das macht nichts. Es zu lesen lohnt schon wegen folgender Passage:

Was antworten sie einem Menschen der sagt, der Staat solle die Menschen ruhig überwachen, denn wer nichts zu verbergen habe, habe auch nichts zu befürchten?
Dem antworte ich, dass er nicht verstanden hat, was Demokratie ist, dass er nicht verstanden hat, was Freiheit ist, dass er offensichtlich kein Gefühl mehr für seine eigene Würde besitzt und dass er der perfekte Untertan ist. Danach haut er mir wahrscheinlich eine rein, wenn keine Kamera in der Nähe ist.

Ausserdem: Ich spiele gerade Concierge (oder wie das akademisch heisst) bei einer wissenschaftlichen Konferenz und schaffs ansonsten gerade mal, alle zwei Tage meine Mails abzuarbeiten und so. Das ist keine Entschuldigung, aber eine Erklaerung.

(Die Liste der Austragungsorte liest sich sowieso toll: Wien, Brisbane, Mailand, Ulm, New York City. Und wir werden fuer die herausragend gute Organisation gelobt. Nice :) )