Grossartiger Text von Dan Sheldon, seines Zeichens Digitalstrategiechef im britischen Gesundheitsministerium: Wie mache ich mich als Regierung oder Verwaltung mit IT-Projekten selbst kaputt?. Genuesslich zerlegt er den offenbar in der Verwaltung eingebauten Drang zu immer neuen Portalen, Pseudoclouds, mangelnde Exitstrategien und die kuriose Zuneigung zu allem, worauf „Enterprise“ steht. Leseempfehlung.
Achja, eigentlich wollte ich das schon ewig mal hier lang und breit erklaeren, aber seit 15. Juni bin ich nun auch Teil dieser Verwaltung. Bei der Stadt Ulm. Und es ist ein wenig erschreckend, wie leicht mittlerweile die Erklaerung von der Zunge rollt, warum Kommunen offenbar haeufig kein Devops haben. Dafuer habe ich aufgrund des verlinkten Artikels einen wunderbaren Digitalstrategiegenerator gefunden. Grossartig.
Wer sich mit wissenschaftlichen Publikationen um das Thema Gender vor allem in Bezug auf die MINT/STEM-Faecher beschaeftigt (die hier offenkundig eine Rolle spielen sollen), koennte beispielsweise ueber D.E. Betz and D. Sekaquaptewa: “My Fair Physicist? Feminine Math and Science Role Models Demotivate Young Girls” (in: Social Psychology and Personality Science, 4/2012) stolpern. Das Paper ist ausserhalb von Unis mit sauteurem Sagepub-Abo leider nur gegen Kohle verfuegbar, wer’s lesen will… klopfe mal. Auszug aus dem Abstract:
Women in science, technology, engineering, and mathematics (STEM) are labeled unfeminine, a costly social label that may discourage female students from pursuing these fields. Challenges to this stereotype include feminine STEM role models, but their counterstereotypic-yet-feminine success may actually be demotivating, particularly to young girls. Study 1 showed that feminine STEM role models reduced middle school girls’ current math interest, self-rated ability, and success expectations relative to gender-neutral STEM role models and depressed future plans to study math among STEM-disidentified girls. These results did not extend to feminine role models displaying general (not STEM-specific) school success, indicating that feminine cues were not driving negative outcomes. Study 2 suggested that feminine STEM role models’ combination of femininity and success seemed particularly unattainable to STEM-disidentified girls. The results call for a better understanding of feminine STEM figures aimed at motivating young girls.
Weiter:
Feminine STEM role models were least motivating to girls who
already disliked STEM. In Study 2, these girls saw feminine
STEM role models’ success as especially unlikely, perhaps
because they already saw STEM as an unlikely pursuit (Oyser-
man & Fryberg, 2006). Rather than opening these girls’ minds
to new possibilities, the feminine STEM role model seemed to
shut them further. This result echoes stereotype threat’s ability
to make people prefer the safe and known over the risky and
unknown, whether by inducing prevention focus (Seibt & For-
ster, 2004) or inhibiting new problem-solving strategies (Carr
& Steele, 2009).
Wer hier ueber „Stereotype Threat“ gestolpert ist: Hier wird davon ausgegangen, dass Menschen ein Bedrohungsgefuehl verspueren, wenn sie befuerchten muessen, auf Basis negativer Vorurteilen bewertet zu werden oder glauben, durch ihr eigenes Verhalten ein negatives Vorurteil ueber eine (ihre) Gruppe zu bestaetigen, ohne das zu wollen. Fuer die uulm-Studierenden: Die Arbeitsgruppe Keller hat das als Forschungsschwerpunkt. Auf reducingstereotypethreat.org wird das Thema beleuchtet und Gegenstrategien vorgestellt.
Die Frage ist nun, wie mit diesem Problem umgegangen wird. Die Informatik verliert Jahr fuer Jahr faehige, begabte Menschen (und zwar nicht nur weiblichen Geschlechts) von vorneherein, weil das anhaftende Bild des sozial unfaehigen Nerds immer noch unseren Eindruck von ihr praegt. Resultat: Eine selbsterfuellende Prophezeiung (vgl hierzu auch Cheryan, Plaut, Davies & Steele, 2009: “Ambient Belonging: How Stereotypical Cues Impact Gender Participation in Computer Science”). Und wenn Frauen sich weniger fuer MINT interessieren, wenn zuvor Ziele wie Attraktivitaet und Begehrtheit Maennern gegenueber aktiviert wurden (siehe auch), dann gibt das schon zu denken.
Jedenfalls sollte es zu mehr Nachdenken fuehren, bevor man Puder, Lippenstift und High Heels als Werbebotschaft fuer mehr Frauen in der Wissenschaft ins Feld ziehen laesst. Die Kommentare sprechen gluecklicherweise fuer sich.
(Dieser Beitrag zitiert wissenschaftliche Arbeiten, erhebt aber selbst nicht einmal annaehernd einen Anspruch von Wissenschaftlichkeit. Er ist vielmehr entsetzt schnell zusammengekloeppelt worden.)
The present research examined the impact of everyday romantic goal strivings on women’s attitudes toward science, technology, engineering, and math (STEM). It was hypothesized that women may distance themselves from STEM when the goal to be romantically desirable is activated because pursuing intelligence goals in masculine domains (i.e., STEM) conflicts with pursuing romantic goals associated with traditional romantic scripts and gender norms. Consistent with hypotheses, women, but not men, who viewed images (Study 1) or overheard conversations (Studies 2a-2b) related to romantic goals reported less positive attitudes toward STEM and less preference for majoring in math/science compared to other disciplines. On days
when women pursued romantic goals, the more romantic activities they engaged in and the more desirable they felt, but the fewer math activities they engaged in. Furthermore, women’s previous day romantic goal strivings predicted feeling more desirable but being less invested in math on the following day (Study 3).
Wie so oft lohnt es sich, Zitierstellen des Papers anzusehen: Dieser Artikel erlaeutert noch ein wenig und geht auf das zugrundeliegende Prinzip des Primings ein — zum Beispiel, dass Menschen kreativer werden, wenn sie einem Apple-Logo ausgesetzt waren, als wenn sie ein IBM-Logo sahen. (Hint: Statt des Apfels koennte das auch dein Tesaabroller sein)
Now have come the big, dazzling computers—and a whole new kind of work for women: programming. Telling the miracle machines what to do and how to do it. […]
And if it doesn’t sound like woman’s work—well, it just is.
Schoen zu lesen, auch die weitere Entwicklung ab 1984, in deren Zug immer weniger Frauen Informatik attraktiv zu finden schienen — vermutlich nicht zuletzt dem Bild des einsamen, sozial inadaequaten Nerds vor dem Rechner geschuldet.
Der Trend scheint sich aber wieder umzukehren: In Harvard habe sich die Quote von Informatikabsolventinnen von 13% auf 25% beinahe verdoppelt (bis zu den 37% von 1984 noch ein Stueck hin), und persoenlich habe ich den Eindruck, dass die Quote vor allem in der Medieninformatik noch steiler steigt.
Der Artikel ist jedenfalls lesenswert, nicht zuletzt wegen des Interviews mit einer der Fog-Creek-eigenen Informatikerinnen:
My friends who are girls ask for help to fix their computers normally because it’s acceptable for them not to be able to do it. They don’t realize that I’m just going to google the answer anyway! They think I already know the answer! Whereas I think most guys would be embarrassed to admit that they can’t fix their computers.