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Soviel zur Filterblase

Wer vergangenen Sonntag entsetzt darueber war, wie viele Waehler*innen offenbar ihre Zukunft in der Union sehen, wie vielen wichtiger ist, einen Veggie-Day in der Kantine abzuwenden, als NSA, Totalueberwachung und Vorratsdatenspeicherung – befindet sich vermutlich in der beruechtigten Filterblase des Internet.

Ausserhalb derer machen die klassischen Medien Meinung, nicht Twitter. Und eine Geschichte der letzten Tage machte mir gleich nochmal deutlicher, wie so etwas aussieht.

Die Open Knowledge Foundation betreibt eine Mailingliste zu Data Driven Journalism – fuer Journalist*innen, die ihre Stories mit Daten unterfuettern, diese greifbar aufbereiten wollen, beispielsweise. Dort schreiben professionelle „Datenveredler*innen“ ebenso wie eine mir nicht bekannte Zahl interessierter Journalist*innen aus aller Welt, und die Liste war immer wieder mal Quelle interessanter Arbeiten, die ich auch hier verlinkt habe.

Montag mittag schrieb dort nun eine Abonnentin, dass sie gerne aus der Liste ausgetragen werden moechte – und loeste damit eine Mailflut aus:

Date: Mon, 23 Sep 2013 09:14:45 +0100
Thread-Topic: Can I be removed from mailing list?
Hi there,

I am leaving my current role so need to be removed from 
your mailing list - the link to click through to this 
option doesn't seem to be working. Can I be removed asap 
please?

Man muss nun eingestehen, dass das Mailman-Interface fuer die Abmeldung nicht die beste Usability hat: Man muss hierfuer die eingetragene Mailadresse ins obere Feld eintragen, das Passwort kann leer bleiben, und dann unten auf „unsubscribe“ klicken. Laesst man das Adressfeld leer, beschwert sich Mailman mit einem „Error: No Address given“. Das schien aber eine riesige Huerde fuer viele Abonnent*innen zu sein, denn es folgten (schnell gezaehlt) sieben Antworten in diesem Stil:

Date: Mon, 23 Sep 2013 14:10:13 +0000
Subject: Re: [ddj] Can I be removed from mailing list?

Me too, UNSUBSCRIBE
[Fullquote entfernt]

…bis dann Gregor Aisch irgendwann der Kragen platzte:

Date: Mon, 23 Sep 2013 20:45:56 +0200
Subject: Re: [ddj] Can I be removed from mailing list?
To save us all from more "me too" message I repeat 
the instructions once for the list:
To unsubscribe send an email with the subject 
"unsubscribe" to
data-driven-journalism-request@lists.okfn.org

Alternatively you can just send any email to
data-driven-journalism-remove@lists.okfn.org

OR you can use the unsubscribe-form which is, by the way, 
linked at the end of each email you received.
http://lists.okfn.org/mailman/options/data-driven-journalism

Here's more information if you want to dive into this:
https://www.gnu.org/software/mailman/mailman-member/node14.html

Best,
Gregor

Dieser Hinweis kam aber nicht gut an:

Date: Mon, 23 Sep 2013 16:41:24 -0400
Subject: Re: [ddj] Can I be removed from mailing list?
Yall are being very sassy about this, while many of us 
have tried many times to remove ourselves following all 
logical procedures, and it simply hasn't been working.

Peter Troxler rantete parallel in einem separaten „Bitte meldet mich von der Mailingliste ab“-Thread sueffisant ueber die Recherchefaehigkeiten der Betroffenen:

Date: Mon, 23 Sep 2013 20:53:13 +0200
Subject: Re: [ddj] I'd like to be' removed from your list
To all of you who for some funny reason are not able to 
unsubscribe yourselves (apologies to all others):
1. please grow up (yes, this is unnecessary flame, 
apologies)
2. follow the unsubscribe link at the very bottom of 
every mail from the list
3. IMPORTANT: add the email address you want to 
unsubscribe into the first box provided on the site 
(labelled "email address")
4. hit the unsubscribe button a wee bit further down 
under the heading unsubscribe
5. wait for the confirmation email to arrive
6. follow the link given in the confirmation email to 
*really* unsubscribe
7. hit the unsubscribe button on the site again to confirm
Yes, it is seven steps (and I just confirmed that it 
really works, as in step 8 you get a confirmation email).
But is that really *so* difficult for people wanting to be
 "data driven journalists", PLEASE!
/ Peter

So weit, so gut – das Thema schien durch, ich ging ins Bett. Und brauchte heute morgen beim Anblick dessen, was sich danach entwickelte, erst einmal einen Kaffee. Es begann ganz harmlos:

Date: Tue, 24 Sep 2013 22:33:19 +0100 (BST)
Subject: [ddj] confirmation on data-driven journalism
I confirm my subscription to data-driven journalism

Zwischendrin machte sich Michael Kreil ein Spaesschen:

Date: Wed, 25 Sep 2013 00:25:17 +0200
Subject: Re: [ddj] confirmation on data-driven journalism
I confirm my love to the data-driven journalism

…und auch Marco Maas mischte mit:

Date: Wed, 25 Sep 2013 11:48:06 +0200
Subject: Re: [ddj] confirmation on data-driven journalism

i confirm that i read all the mails about confirmations 
of subscriptions.

An der Mehrzahl der Abonnent*innen schien dieser Humor aber vorbeizugehen:

Date: Wed, 25 Sep 2013 10:12:54 -0300
Subject: Re: [ddj] data-driven-journalism Digest, Vol 30, Issue 23
Did the admin ask for people to confirm their allegiance 
to the list in this fashion? I don't quite get it, really.

Anyway, since I'm unvoluntarily contributing to this 
thread, count me in.

Der Bestaetigungsthread umfasst momentan ueber 40 Mails mit der expliziten und vollkommen unnoetigen Bitte, auf der Liste zu bleiben. Nur so als Erinnerung, dass das die fortschrittlicheren unter den Journalist*innen sind –  und selbst da scheint schon E-Mail manchmal eine grosse Huerde zu sein.

rp13: Breit, aber ohne Tiefe?

Irgendwann, ich glaube es war am zweiten Tag der re:publica, fiel mir auf, dass ich grantig war. Unzufrieden. Und als irgendwann danach der Beitrag von Till Westermayer durch meine Timeline kam, wurde mir auch ziemlich schnell bewusst, warum das so war: Die re:publica ist fuer mich irgendwie ausgelutscht.

 

Das klingt jetzt vermutlich viel haerter, als es eigentlich gemeint ist. Die re:publica ist und bleibt die Internetzkonferenz, zu der sich jaehrlich beinahe alle treffen und man demnach auch beinahe alle treffen kann; sie erreicht ein vermutlich beispiellos breit aufgestelltes Publikum (cave: vorwiegend weisser, sich den Besuch leisten koennender Menschen) und duerfte damit die Ergaenzung zum Congress sein, nicht nur die Nerds zu erreichen, um solche Dinge wie Netzpolitik in die Gesellschaft hinauszutragen.

Insofern ein riesiger Dank an Andreas, Johnny, Markus und Tanja, dass sie sich das zum mittlerweile siebten Mal antaten – auch da bin ich ganz bei Till.

Aber.

Der Fluch der re:publica ist ihr Programm, das angesichts seiner wirklich erstaunenswerten Breite kaum Platz fuer wirkliche Tiefe laesst. Wer in diese Welt hineinschnuppern moechte, einmal etwas von allem mitnehmen, ist da sicher richtig – wer zum wiederholten Mal dort ist (oder die einschlaegigen Blogs und Debatten liest, oder einfach keine Lust mehr auf die Diskussion Print-vs-Onlinejournalismus hat), muss beinahe schon aktiv suchen, um Neues zu finden. Selbstverstaendlich endet der Wissensaustausch nicht mit dem Sessionende, und dass man ja sowieso hauptsaechlich der Gespraeche und des Austauschs zwischen den Sessions wegen in die Station kommt, ist ja kein Geheimnis. Ich habe viele Impulse zu OpenData und OpenGovernment mitgenommen, mich noch stundenlang mit einigen der auf dem Feld Aktiven unterhalten und hatte insgesamt den Eindruck, dass diese ganz spezielle Subgruppe der Netzgemeinde fuer sich genommen etwas von diesem „Klassentreffen“ hatte – und ich gehe davon aus, dass es noch hunderte andere Subgruppen gab, die jeweils fuer sich zufrieden nach Hause gehen konnten.

Oberhalb dieser Grueppchen, in der Gesamtheit der sogenannten Netzgemeinde, scheint sich derweil so recht nichts zu tun. Letztes Jahr forderte Sascha Lobo, man moege mehr bloggen – gemerkt habe ich davon nichts. Gerade wurde die Netzgemeinde mit dem durchgeboxten Leistungsschutzrecht abgewatscht, nun kommt die „Drosselkom“ – und was passiert? So gut wie nichts. Lobo stellte in diesem Jahr reclaim.fm als meines Erachtens wirklich spannenden Versuch vor, sich mit einem WordPress-Plugin wieder ein wenig Publikationsherrschaft zurueckzuerobern, und das ist auch gut so – es scheint naemlich so, als wuerden seine Appelle, etwas zu tun, mittlerweile eben nur noch als ritualisierte Show verstanden, die man der Unterhaltung (und Publikumsbeschimpfung) wegen ansieht. Und dann eben doch nichts tut.

Ich mag mich nicht so recht der Praemisse anschliessen, die tante an den Beginn seiner lesenswerten Kritik stellt, naemlich dass „die Netzgemeinde“ unter den Machtlosigkeitswatschen nach LSR, Bestandsdatenauskunft und Co leidet – dazu unterstelle ich einem grossen Teil der rp13-Gaeste schlichtweg mangelndes Interesse am Thema. Vielmehr sehe ich genau dasselbe Problem, das er in der Anbetung Fixierung der Szene auf einige, wenige Gestalten sieht, die’s richten sollen:

Die Szene hatte schon immer das Problem sich zu sehr auf Autoritäten und Lichtgestalten zu verlassen, der Preis, den sie dafür zahlt, wurde dieses Jahr nur zu deutlich: Wenn die Leitfiguren eben nicht mehr alle anderen auf ihren Schultern tragen können, ist die Luft raus. (Wie unfair es ist, die Verantwortung für so tiefgreifende gesellschaftliche Änderungsprozesse wie die aktuell laufenden bei 3 oder 4 Einzelpersonen und 3 oder 4 Organisationen abzukippen, brauche ich hier hoffentlich niemandem zu erklären.)

Ich fuer meinen Teil frage mich, wie das weitergehen soll.

Stirb in einem Feuer, Fiducia!

Die Fiducia IT AG ist das ausgelagerte IT-Dienstleistungsunternehmen der genossenschaftlichen Banken — genauso, wie das T-Systems fuer die Telekom ist, oder LH Systems fuer die Lufthansa.

Ende der 1990er — lange vor Onlinebanking und Co. — hatte ich erstmalig bewussten Kontakt zur Fiducia. VR-Web war mein erster „richtiger“ Provider, heiligtumartig trug ich das Heftchen mit den Einwahlhinweisen fuer mein Dr. Neuhaus Smarty 14.4TI nach Hause und war fuerderhin zu fuer einen Unterstufenschueler ganz akzeptablen Preis online. Damit einher ging meine zweite E-Mail-Adresse (die erste war irgendwas @lycosmail.com und quasi binnen Monaten nicht mehr benutzt) und ein paar MB Webspace, die ich irgendwann mit einer „Homepage“ und spaeter mit irgendwelchen Fundstueckchen befuellte.

2001 gab es dann bei meinen Eltern DSL von der Telekom, die Mailadresse benutzte ich aber weiter fuer einige Dienste — rief man eben hin und wieder mal ab, machte ja nix. Ich bekam am Rande mit, dass der Dienst Ende 2012 eingestellt werden wuerde — mehr als genug Zeit, um das Zeug zu migrieren, dachte ich mir, und danach nicht weiter darueber nach.

Bis ich heute irgendein gesammeltes Fundstueck aus dem netdigest zeigen wollte, das ich Ende der 1990er bis etwa 2002 aus dem Usenet gefischt und auf dem VR-Webspace hinterlegt hatte.

Hoppala. Mal in den „persoenlichen Bereich“ einloggen. Dort gab’s gar keinen Erfolg (kein „falsches Passwort“, kein „Nutzer nicht bekannt“, gar nichts. Yay, UX…. Wenigstens eine 0800-Hotline fuer vergessene Passworter war angegeben. Und als ich dort anrief, fiel mir erst einmal das Essen aus dem Gesicht.

Ich kann nichts daran aendern, dass manche Leute selbstgefaellig sind. Und ich muss auch anstandslos anerkennen, dass die selbstgefaellige Person am anderen Ende der Leitung rechtlich gesehen vollkommen im Recht war. Aber die Art und Weise, wie der selbstgefaellige Herr am anderen Ende der Leitung mir erzaehlte, dass mein Account wegen Inaktivitaet geloescht worden sei, weckte in mir die Lust, ihn windelweich zu pruegeln.

Es stellte sich heraus, dass VR-Web seine Kundenaccounts nach einer laengeren Inaktivitaetsperiode loescht. Ich muss zugeben, dass ich keinen blanken Schimmer habe, wann ich mich zuletzt eingeloggt hatte — auf der Mailadresse liefen zwar noch diverse Dienste auf, solange die aber anstandslos funktionierten (und eben nichts zu meckern hatten), gab’s fuer mich auch keinen weiteren Anlass, regelmaessig das Postfach anzusehen. Und somit war mir auch nicht die E-Mail-Benachrichtigung aufgefallen, die VR-Web mir anscheinend geschickt habe.

Es folgte langsam eskalierendes Ragieren meinerseits am Telefon. Es geht mir nicht um die 13 Jahre alten Textdokumente, und auch nicht um das nostalgische Feeling rund um eine Uralt-Mailadresse. Auch die Ummeldung der verbliebenen Services auf eine neue Adresse nehme ich in Kauf. Es geht mir darum, dass meine Bank mir regelmaessig jede Menge verdammte Angebote zu Anlageformen per Post schickt, die mich selten interessieren, ich aber keine Zeile ueber den Account per Post bekam. Dass die verdammten paar Megabyte Speicherplatz und die paar SQL-Zeilen bei Fiducia jaehrlich Centbetraege verursachen, die bei einem Jahresueberschuss von 8 Millionen Euro dann doch eher untergehen duerften. Und dass meine Irritation dem Kundendienstler hoerbar scheissegal war.

Ein einziges Schreiben. Ich haette bezahlt dafuer. Kein Problem.

Gab’s aber nicht. Hauptanliegen der Fiducia (neben dem regelmaessigen Aendern der Direkt-URLs zum VR-Homebanking, so dass man alle paar Wochen die Bookmarks aendern muss) ist eben, alle Bestandsnutzer abzuwickeln, um sich aus dem offenkundig unprofitablen Endkundengeschaeft zurueckzuziehen. Und ob die nach wie vor Kunden bei ihrer lokalen Bank sind, ist ihnen egal.

Lustig nur, dass die Episode eben fuer mich auf meine oertliche Raiffeisenbank ein ebenso negatives Licht wirft wie auf die Fiducia — obwohl die gar nichts dafuer kann.

Lessons learned

Niemals auf andere Dienstleister verlassen. Moeglichst viel selber anbieten. Und: Das Internet vergisst mehr, als man denkt. Nach Anbieterkonkurs 2010 (inklusive Insolvenzverschleppung und aehnlichem Unsinn) und einem ueber Nacht verschwundenen Anbieter 2007 ist das jetzt der dritte groessere, ehemals von mir betriebene Brocken im Netz, der verschwunden ist.