Archiv für den Monat: September 2010

Matthias ist nicht der Lastactionseo

Hallo Matthias K. aus Berlin,

nett, dass du den Last-Action-SEO-Wettbewerb gewinnen willst. Nur: Lass dabei mein Blog in Ruhe. Dein Karl Kool ist ganz nett, ich habe aber persoenlich was gegen SEO, weil es im Endeffekt das Exploiten von Schwachstellen ist, und der eigentlich gewuenschten Nuetzlichkeit von Suchmaschinen diametral gegenuebersteht.

Deswegen verlinke ich unter Lastactionseo jetzt mal auf Netzpolitik. Das hast du davon.

(Und wer von den Lesern mal ein bisschen grinsen will, sucht einfach mal nach dem eingangs genannten Namen, plus „SEO“, und schaue sich die Kommentarspalten unter seinen eigenen Blogbeitraegen an. Das ist schon… hm.)

Edit: Namen gekuerzt, weil ich nicht boese bin. Und die einfallenden SEOler, die sich auf den Schlips getreten fuehlen, verweise ich auf die Folien von diplix, der auch mal einen Blogpost dazu geschrieben hatte, den ich aber nicht mehr finde. Wenn ihr mit SEO simple Dinge wie sprechende Domainnamen, accessability und usability meint, finde ich euch voll toll. Speziell bei dem aktuellen Wettbewerb duerfte es aber nicht wirklich darum gehen. Oder wollt ihr mir da widersprechen?

Edit2: Mit euren Kommentaren unterstuetzt ihr LastactionSEOler ab sofort Netzpolitik 😉

A Uni lecture I never got but really wanted

Manchmal versucht man anderen vergeblich klarzumachen, was man eigentlich gerne haette, und dann kommt ein Paradebeispiel daher. Das aktuelle ist „A Digital Media Primer for Geeks“ von xiph.org, und es ist das, was ich mir von einer Uni wuensche: Ein schneller, packender Vortrag, mit hochkondensierter Information, anschaulich, greifbar und bildhaft vermittelt.

Parallel dazu gibt es den ganzen Vortrag auch als Skriptum — und zwar nicht die Art Faulpelz-Prof-Skript, die nur aus zusammengefassten Powerpoint-Folien besteht, sondern ein komplettes Transcript, mit ergaenzenden Links zu jedem Abschnitt. Gehostet als Wiki, das heisst es ist fuer den Autoren leicht aktualisierbar und bietet die Moeglichkeit fuer Diskussionen (auf einer Kommentarseite pro Abschnitt)

So etwas wuerde ich mir fuer die Uni wuenschen. Natuerlich cc-lizenziert.

(screenshot aus dem Video, cc-by-sa, mal mit erlehmanns Attribution Script als Test tut wohl noch nicht)

Die beste Pruefungsprotokolleinleitung aller Zeiten

Als ich am Buero ankam, wurde mir gleich mitgeteilt, dass waehrend meiner Pruefung ein Feueralarm stattfinden sollte. Professor XXX liess mich dann entscheiden, ob ich lieber warte, bis alles vorbei ist, oder ob ich meine Pruefung draussen vor [Gebaeude] mache. Wir gingen dann raus, und es war fuer uns alle (Prof, Beisitzer und mich) die erste Pruefung im Freien.

Beim betreffenden Prof kann ich mir das hervorragend vorstellen :->

German Angst, Kommunalausgabe

Ich kann mein schlechtes Gewissen ein klein wenig beruhigen: Es war wohl eine gute Entscheidung, gestern zu „Einsatz von sozialen Medien in Kommunen“ der MFG-Akademie gegangen zu sein, anstatt endlich einmal weiter fuer meine Pruefung zu lernen. Nicht nur wegen des riesigen Brezel- und Kuchen-Buffets, das aus irgendeinem Grund das einzige Fotomotiv blieb, sondern weil ich neben alten Aengsten auch echtes Interesse gefunden habe.

Leider nicht bei allen.

Grundsaetzlich konnte man die Referenten grob in drei Gruppen unterteilen: Begeisterte Experimentatoren, Berater und Angstbremser.

Der erste Buergermeister Ulms, Gunter Czisch, gehoert zweifelsfrei zu den Experimentatoren, was mich angenehm ueberrascht hatte. Er sei derjenige, der fuer das Ausprobieren neuer Ideen zustaendig sei, besitzt — natuerlich — ein iPad, und ist wie so viele Kommunalpolitiker gesetzteren Alters ueber seine Kinder auf soziale Netzwerke, namentlich den regionalen Platzhirschen, gestossen. Ebenfalls angenehm ueberrascht war ich ueber den gegruendeten Strategiezirkel der Stadt, der offenkundig sehr praezise analysiert hat, welche Chancen sich bieten. Im Gespraech war auch eine „Breitbandgarantie“ als Standortfaktor: Zusammen mit den Stadtwerken solle jedem Buerger breitbandiges Internet garantiert zur Verfuegung stehen. Respekt.

Inhaltlich positiv, wenngleich stellenweise etwas droege vermittelt, der Vortrag von Joern von Lucke, der auch als Sachverstaendiger dem OpenData-Network zuarbeitet, und der mit seinem Beispiel von geokartierten Gesundheitskontrollen in Restaurants der Bestschen Energieverbrauchskartierung schon recht nahe kam: Das sei „gut fuer die Volksgesundheit“ und motiviere zu besserer Hygiene.

Personal Attack Cow
Personal Attack Cow, Repoort, cc-by

Bei den anderen beiden Beratern, Bernhard Jodeleit von fischerAppelt und Carsten Ulbricht, habe ich mich mental ein klein wenig ausgeklinkt. Ulbricht versuchte, in 30 Minuten den kompletten Bogen vom Marken- ueber das Domain- zum Urheberrecht zu schlagen, was ich dann doch eher sportlich fand.

Jodeleit versuchte dagegen, mittels „Open-Source-Bildern“ (ohne cc-by-Namensnennung) den rund 120 Gaesten die soziale Dynamik in sozialen Netzwerken zu vermitteln und glaenzte dabei mit Erklaerungen wie „Web-2.0-Menschen drehen durch, wenn man sie abmahnt“, erklaert anhand Jako vs. Trainer Baade. Interessanter Einblick, wie so etwas aus „dieser“ Perspektive aussieht. Nunja.

Richtig schlimm fand ich dagegen den Vortrag von Joerg Blumenthal, der als Pressesprecher der Stadt Mannheim zunaechst eigentlich ganz passabel die Zusammenfuehrung der verschiedenen „Netzidentitaeten“ seiner Stadt beschrieb, dann aber zunehmend haarig wurde. Angefangen vom von mir subjektiv wahrgenommenen Unverstaendnis, warum die Klage um @mannheim zu einem Scheissesturm fuehrte, muendete der Vortrag abschliessend in einen gut fuenfminuetigen Rant ueber Google, insbesondere natuerlich Streetview, und Facebook. Die Stadt Mannheim habe auf Google reagiert, indem sie auch die oeffentlich zugaenglichen Luftbilder der Stadt wieder geloescht habe (sic!), und angesichts des potenziell unsicheren Umgangs von Facebook mit personenbezogenen Daten koenne er nicht ruhigen Gewissens empfehlen, dass eine Stadt ein Profil bei Facebook habe — schliesslich wuerde man so Unwissende in den „Datensumpf“ ziehen.

Ich habe dann bei der Diskussion noch einmal nachzuhaken versucht, warum man nicht die Nutzer mitnehmen moechte, die ohnehin in einem Datensumpfnetzwerk angemeldet sind, das konnte aber nicht wirklich zufriedenstellend beantwortet werden.

Nach der Veranstaltung wurde ich daraufhin von Georg Schaefer vom Innenministerium angesprochen, der vorher noch behauptet hatte, dass die „Gigantisch vielen Informationen“ den „Buerger ueberfordert“ und mich nun fragte, was ich denn persoenlich gegen die Datensammlerei tun wuerde und ob das nicht schlimm waere, wenn ich auf einer No-Fly-Liste landen wuerde. Meine Erklaerung mittels der Klotuerenanalogie, dass ich gerne bereit sei, gewisse persoenliche Daten freiwillig zu teilen, aber entschieden etwas dagegen habe, diese unter Zwang gegen meinen Willen preiszugeben zu muessen, stiess leider nicht auf fruchtbare Ohren, weswegen ich das Gespraech nach einem bedeutungsschwangeren „You have been warned!“ seinerseits beendet habe.

Belustigt zugesehen hatte dabei Uli Sailer, der als letztes vortrug und den ich nach anfaenglicher Skepsis sehr schnell zu den begeisterten Experimentatoren einordnen konnte. Keine Facebook-Schulung, dementsprechend ein etwas naiv eingerichteter Stadt-Account, aber spuerbarer Enthusiasmus, und vor allem viel Authentizitaet.

Artikel anderswo:

Social Media in Kommunen – Da kommt noch viel Arbeit!

Komparsen

…und dann haben wir Juliane einfach in einen HuPF-Schutzanzug verpackt, ihr den Diretto-Rucksack aufgesetzt und sind mit Blaulicht durch den Wald gebraust.

Sobald der Videoschnittplatz fertig ist, geht’s dann ans eingemachte. Jetzt erstmal vielen(!) herzlichen Dank an Kay fuer die 5D Mark II, und Basti, Benjamin, Cookie, Juliane, Matthias, Richard und das Kommando der Feuerwehr Altenstadt fuer die Unterstuetzung!

(Das Sequel „Ghost Tractor“ folgt dann vielleicht auch irgendwann.)

Ergaenzungen

Eins.

Im Originalartikel zur Netzpolitik-Soiree war Jens Bests Fragenueberfall nur eine Randnotiz, die Kommentarspalte ist jetzt aber die vermutlich laengste, die es jemals hier geben wird, und ich moechte ganz ausdruecklich noch einmal auf sie hinweisen. Jetzt ist mir ein wenig klarer, worauf Jens eigentlich hinaus wollte — letztlich duerfte das Ziel sein, Aengste und Vorurteile abzubauen.

Zwei.

Das Problem scheint mir, dass man allzuleicht versucht ist, diese — auf Un- und Halbwissen basierenden — Aengste mit „Nicht-Netz-Menschen“ zu verbinden. Vergessen werden dabei all diejenigen, die zwar im Netz unterwegs sind, aber keine wesentliche Ahnung von der Materie haben. „Internetausdrucker“ ist da auch wieder so ein furchtbarer Begriff, damals im Usenet waren es die AOL-Nutzer, und morgen gibt’s den naechsten abwertenden Begriff. Wir brauchen eine Integrationsdebatte, heisst es dagegen bei Torsten Kleinz, und er hat voll und ganz Recht. Vom Gros der Lehrer kann die vielbeschworene Medienkompetenz nicht kommen — warum kuemmern wir uns aber nicht selber darueber, anstatt nur herablassend zu laestern? Leseempfehlung, und bitte mitdiskutieren. Aehnliches gab es vor einer Weile schon bei Enno Park.

Drei.

Bei der Diskussion mit Jens hatte ich einen Flashback. Eine aehnliche Diskussion nach dem Motto „wozu ueberhaupt noch Datenschutz“ gab es schon im Fruehjahr bei qrios im Blog — leider mit meines Erachtens viel zu wenig Diskussionsbeteiligung. Sollte man eigentlich noch einmal aufgreifen, finde ich.

Vier (zuerst vergessen, also Ergaenzungs-Ergaenzung).

Nach Inspektion meines Buchregals war Wlada der Ansicht, ich habe einen aehnlichen Literaturgeschmack wie ihr Chef und hat sich Free Culture ausgeliehen, was ich gleichermassen unerwartet wie verdammt cool fand. Womit die maximal nonchalant-prahlerische Ueberleitung zu Dirk von Gehlen geschafft waere, der auch noch etwas zur Lobo./.Weiss-Debatte schrieb, was ich zuerst uebersehen hatte.

„Huebsch, deutsch, integriert“

Langsam komme ich dazu, die wegen der auf der A9 eher droegen UMTS-Verbindung liegen gebliebenen Feeds durchzulesen, und das hier ist einfach ein Juwel, das geteilt werden muss. Zitat:

Michael Stürzenberger alias byzanz, publizistisch irrelevanter (PI) Mikrofonhalter, wurde beim Versuch eines Straßeninterviews von zwei Teenagern kürzlich nach allen Regeln der Kunst am Nasenring durch die Mangege gezerrt. Und er hat es noch nicht einmal gemerkt:

Direktbyzanz

Via kruppzeuch und politblogger

Das war die FSA10

Wo soll man anfangen. Ich habe lange ueberlegt, ob ich auf der Demo den Prototypen des diretto-Uebertragungsrucksacks ausprobieren soll. Bloederweise hatte ich aber vergessen, den GPS-Empfaenger einzupacken, und nachdem unsere Einsatzzeit von 1200 bis 1730 Uhr ging, haette der Akku ohnehin nicht so lange durchgehalten.

Trotzdem sind mir einige Dinge aufgefallen, die auch fuer den diretto-Einsatz passen koennten. Es gab wieder das Problem, dass die „diskreten Sprechgarnituren“ fuer die Funkgeraete alles andere als diskret waren, und immer wieder Leute auf uns zeigten und tuschelten. Beim „Sorgenkind“ Antikapitalistischer Block gabs dann auch mehrere Ansprachen, warum wir einen Knopf im Ohr haetten, ob wir Zivilbullen seien oder ein paar aufs Maul wollten. Wir bekamen dann zum Glueck aber keine auf die Birne, wie das einem der AK-Vorrat-Beobachter ging.

Auch die Sache mit GPS-Daten und Dateiupload hat noch ein paar Feinschliffprobleme, wie mir auffiel, als wir mehrmals die Bundespolizei im S-Bahnhof Potsdamer Platz unter die Lupe nahmen. Da muss ich mir noch eine bessere Strategie fuer den Umgang mit GPS-Fix-Verlusten ausdenken.

Interessant fand ich den subjektiv empfundenen anderen Umgang der Polizei mit den Kameras der Demonstranten. Nach wie vor erlebt man tief ins Gesicht gezogene Muetzen und hochgezogene Kraegen, sobald Polizisten jemanden mit „gezogener“ Kamera bemerken. Erst einmal seltsam fand ich es aber die Situation, als eine EHu an mir vorbeizog, als ich die Kamera auf dem linken Arm aufgelegt hatte, mit der rechten Hand demonstrativ nicht am Ausloeser: Trotzdem hielten einige Polizisten ihren Helm vors Objektiv, und einer der letzten beugte sich vor die Kamera und quatschte irgendwas „in die Kamera“. Es dauerte eine Weile, bis bei mir der Groschen fiel: HDSLR-Kameras mit Videofunktion. Klar. So wie die von Alvar, den ich gefuehlte 20 Mal beim Filmen sah 😉

Und nicht zuletzt: Ja, mit der Moeglichkeit, die Bilder sofort „sicher“ zu uebertragen und dem KoZe gleichzeitig meinen Standpunkt zu zeigen, haette ich mich subjektiv ein wenig „sicherer“ gefuehlt. Nun gut.

Insgesamt: Die Polizei kam mir nach dem Terz des letzten Jahres sensibilisiert vor — was aber nicht viel heissen muss: Personalienfeststellungen und offenbar auch Festnahmen gab’s trotzdem, dieses Mal eben bei Leuten, die auf dem Nachhauseweg waren. Schau‘ mer mal.

Ein Abend in der Boell-Stiftung

Die Haeppchen und das Freibier nach der Soiree konnten das ein wenig retten, aber trotzdem: Ich war nicht zufrieden nach dieser Podiumsdiskussion.

Einmal zu Jarvis: Ja, er ist mitreissend, in seiner Vortragsart gleichermassen wie mit seinen Vergleichen. Aber auch bei der zehnten Wiederholung werden seine ungueltigen Parabeln nicht wahrer. Das „German Paradox“ existiert schlichtweg nicht. Ganz im Gegenteil spiegelt der scheinbare Widerspruch zwischen den gemischten Nacktsaunas und der Paranoia vor StreetView genau die Angst vor Kontrollverlust wider, um die es geht. In der Sauna sitzen zehn andere Nackedeis, die ueberschaubar sind und von denen keiner eine Kamera dabei hat, um den Anblick mit der ganzen Welt zu teilen (Von einzelnen Ausnahmen abgesehen).

Genauso duerfte es Google so ziemlich zuletzt um die armen Chinesen gehen, wenn sie ihre Suchmaschine in China entgegen staatlicher Zensurbestrebungen betreiben. Google ist immer noch von wirtschaftlichen Interessen getrieben, genauso natuerlich wie quasi alle Staaten, die im Interesse ihrer heimischen Firmen abgesehen vom erhobenen Zeigefinger einen Teufel gegen die chinesische Zensur tun. Hier schenkt sich keiner etwas.

Und nicht zuletzt halte ich Positionen wie die, dass derjenige, der die Privatheit hochhaelt, die Oeffentlichkeit „bestiehlt“, der Diskussion fuer nicht zutraeglich. Aber gut.

Der eigentliche Kracher des Abends war Thilo Weichert. Ich weiss nicht, wie man dazu kommt, muendigen Buergern die Entscheidungsfaehigkeit absprechen zu wollen, unter Kenntnis und Abwaegung aller Risiken einen Dienst wie Google Mail zu waehlen. Nils meinte spaeter, das Publikum habe ihm gar keine Fragen mehr gestellt, weil die Antworten vermutlich schmerzverursachender gewesen waeren als ihn zu ignorieren.

Die Weichertsche Argumentation geht in etwa so: Wem man seine Daten anvertraut, der muss vorher en Detail offenlegen, wie er mit den Daten verfaehrt und was damit passiert. Wer das tut, erhaelt eine staatliche Zertifizierung (und jeder weiss ja, dass solche Siegel total toll sind!) und ist damit offiziell vertrauenswuerdig.

Jetzt kann man sich fragen, ob Weichert jemals per Anhalter unterwegs war, und wenn ja, ob er sich jedesmal vorher das polizeiliche Fuehrungszeugnis zeigen liess. Abseits technokratischer Automatenvorstellungen duerfte die reale Welt eher so funktionieren: Ein Gegenueber bekommt erst einmal einen Vertrauensvorschuss, den es erfuellen oder verspielen kann. Baut ein Unternehmen Mist, spricht sich das herum; der Markt reguliert sich also selbst. Wo in diesem Prozess ein staatliches Siegel notwendig oder sinnvoll ist, hat sich mir nicht erschlossen. In den Sphaeren, in denen Weichert schwebt, scheint das aber dringend erforderlich zu sein (wo diese Sphaeren sind und wie man da hinkommt, will ich besser gar nicht wissen).

Was mich noch viel mehr gewurmt hat, war die Frage, die ich nicht gestellt habe (und auch niemand sonst). Die Diskussion wurde wieder einmal ganz um Unternehmen, namentlich Google gewickelt. Wie passt es aber in Weicherts Offenlegungs- und Zertifizierungsweltbild, dass der Staat — wo der Opt-Out dann doch ungleich schwieriger ausfaellt — in vollkommener Abgeschottetheit geheime Vertraege wie ACTA und INDECT aushandelt, die zweifelsfrei in die Privatsphaere der Buerger eingreifen?

Wahrscheinlich werden die beteiligten Behoerden dann im Umgang mit den Daten zertifiziert und bekommen ein Siegel. Oder sie sind von vorneherein vertrauenswuerdig. Das wuerde sicher in Weicherts technokratisches Weltbild passen.

//addendum: Ganz vergessen: Jens Bests Fragen sowohl in Inhalt als auch in Form fand ich furchtbar. Was sollte das denn eigentlich?

(Titelbild von Pascal geklaut. Unten: @presseschauer uebt sozialen Druck auf @nullsummenspiel aus, um Spenden fuer die FSA zu sammeln.)

Was nicht gesagt wird

the city should pay street musicians to prevent riots
M. Jeremy Goldman, cc-by-nc

In den letzten Tagen und Wochen gab es zwei Diskussionen, die ich besonders interessant fand, weil in beiden Faellen vordergruendig ueber Sachfragen gestritten wurde, waehrend es im Kern um Ideologiefragen ging. Einmal war das die Debatte um Jens Bests „Digitale Armee Fraktion“, und einmal ging es um das Streitgespraech zwischen Lobo und Weiss in Sachen Urheberrecht.

Und nachdem ich im Vorbeigehen an meinem Buecherregal bei „Wie man mit Fundamentalisten diskutiert, ohne den Verstand zu verlieren“ von Schleichert haengengeblieben bin, fand ich den Gedanken faszinierend: Beide Debatten einmal so anzugehen, als handle es sich um Fundamentaldebatten. Als vertrete eine beliebige Seite eine Religion mit abstruser Weltanschauung — besser noch, als vertraeten sie beide irgendwelche abstrusen Anschauungen.

Was in beiden Faellen sofort auffaellt, ist die Verkuerzung der Argumentationsketten unter Einbeziehung moralischer Aspekte. Lobo versuchte sein Gegenueber durch die (wiederholte) Frage, ob er Gegenueber Filesharing gegen den erklaerten Willen des Kuenstlers okay finde, in eine moralische Zwickmuehle zu bringen. Die Argumentation wuerde dann in etwa lauten

Filesharing geschieht in vielen Faellen gegen den erklaerten Willen des Anbieters. Deswegen ist Filesharing abzulehnen.

Diese Argumentation ist stark enthymematisch, weil hier mehrere Praemissen als bekannt angenommen werden. Interessant wird es tatsaechlich jedoch erst, wenn diese Praemissen konkret benannt und ihre Gueltigkeit beziehungsweise Akzeptanz bewertet werden. Die Frage muss also lauten, warum ein Kuenstler dagegen ist, dass seine Werke verbreitet werden, ohne dass er fuer diese Verbreitung entlohnt wird (genau darum handelt es sich ja bei „illegalem Filesharing“).

Hierfuer lassen sich mehrere Praemissen einsetzen, die teilweise gegeneinander austauschbar sind, und in manchen Argumentationen auch in Konjunktion verwendet werden.

Ein Argument ist, dass der Kuenstler ein Mitbestimmungsrecht ueber sein Werk haben soll. Auch diese Praemisse ist an sich eigentlich eine These, die genauer Begruendung bedarf, und nicht als allgemein anerkannter Grundsatz geltend gemacht werden kann. Ohne weiter auf diese Begruendung eingehen zu wollen, kann hier sogleich eine Gegenthese anhand Kafkas Nachlass aufgestellt werden. Kafka hatte seinen Freund Max Brod kurz vor seinem Tod gebeten, all seine Werke ungelesen zu verbrennen — sie also nicht der Nachwelt zu erhalten. Brod kam diesem Wunsch nicht nach.

Die Gegenthese liegt also zumindest in einer Rechtsgueterabwaegung zwischen dem Interesse der Gesellschaft an kulturellen Werken und dem (postulierten) Verfuegungsrecht des Kuenstlers ueber seine Werke begruendet. Fuer den Fall, dass der Kuenstler tatsaechlich ein Eigentum an seinen Werken besitzt, leitet Daniel Schultz diese Abwaegung auch aus Artikel 14 GG („Eigentum verpflichtet“) her und spielt postwendend Lobo den moralischen Schwarzen Peter zurueck.

Ein weiteres oft angefuehrtes Argument ist, dass der Kuenstler von seinen Werken leben koennen soll. Dieses Argument halte ich an sich fuer grundfalsch. Es postuliert, dass jeder einen beliebigen Beruf ergreifen koennen sollte, und ihm dann vom freien Markt ausreichend Geld fuer den Lebensunterhalt zugespielt werden soll.

Die richtige Fassung dieses Arguments ist, dass viele Kuenstler von ihren Werken leben muessen, und das stellt die Diskussion meines Erachtens in ein ganz anderes Licht. Es bedeutet, dass Kuenstler abseits von Maezenaten (oder oeffentlichen Foerdergeldern) zwingend darauf angewiesen sind, ihre Werke auf irgendeine Weise zu Geld zu machen. Auch dieses Argument koennte man nun noch einmal aufdroeseln und in die Tiefe gehen.

Eine „korrekte“ Fassung der Loboschen Argumentation muesste also deutlich laenger und umfangreicher sein als die blosse Frage nach dem Willen des Kuenstlers. Und wenn man noch einen Schritt zurueck geht, sollte man unbedingt auch die Gesellschaft als Ganzes in diese Argumentation aufnehmen. Und allerspaetestens hier finden sich einige Teilargumente, die sich ordentlich zerpfluecken lassen. Und allerspaetestens hier sind wir auch endlich auf der Ebene angekommen, um die es eigentlich geht: Um Ideologiefragen.

(Streetview folgt. Demnaechst irgendwann.)