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Ich bin Terrorist

Ich wurde gestern auf der WG-Party bei Raimar wieder einmal angesprochen, ob ich Terrorist sei. Ich habe ja schliesslich einen Bart (einen wilden, buschigen, mittlerweile), und Terroristen, wissenschon. Das ist nicht das erste Mal, und es ist halt ein Icebreaker, Konversationsstarter, sicher nicht boese gemeint. Und anfangs hat mich das auch noch amuesiert. Eine schoene Antwort war fuer mich vor einigen Monaten die stetige entsetzte Entgegnung, dass Terroristen doch gross, blond, blauaeugig und antiislamisch eingestellt seien — und die erschiessen dann wehrlose Kinder. An der Reaktion der Leute darauf war auch sehr leicht zu erkennen, ob sich die weitere Unterhaltung ueberhaupt lohnen wuerde.

Mittlerweile ist mir das Lachen vergangen. Jedes Mal, wenn der Spruch kommt, wird aufs Neue schmerzhaft klar, dass seit zehn Jahren in der Gesellschaft fest verankert ist, dass Terroristen eben baertige Islamisten sind. Dass ueber Jahre hinweg Opfern einer rechtsterroristischen Gruppe von Ermittlerseite von vorneherein unterstellt wurde, irgendwie dem kriminellen Milieu zuzuordnen zu sein — weil sie Auslaender waren. Dass brennende Autos in die Naehe von Linksterrorismus gerueckt werden, waehrend bei rechtsradikal motivierten Exekutionen womoeglich sogar der Verfassungsschutz eine Rolle gespielt haben koennte.

(Man kann sich als Experiment einmal darin ueben, abwechselnd „Linksterrorismus“ und „Rechtsterrorismus“ zu sagen und dabei zu ueberlegen, welcher Begriff leichter von der Zunge rollt.)

Vielleicht sollten viel mehr Leute mal einen Bart tragen und sich ueber einen laengeren Zeitraum „scherzhaft“ vorwerfen lassen, Terrorist zu sein. Das ist augenoeffnend.

Paranoia-Erzeugung fuer Einsteiger

Ungenehmigtes Mailzitat:

Ich habe soeben eine mittlschwere Massenpanik im RE Kempten-Ulm durch die Information, der herrenlose Rucksack im letzten Abteil gehöre mir, gerade noch abwenden können.

Und habe auch prompt eine Standpauke vom Schaffner kassiert, die mit den bedeutungsschwangeren Worten abschloss: „Sie wissen ja warum…!“

[…]

Also an alle, die es sich noch überlegen: Beim Bombenkoffer abstellen einfach dem Schaffner Bescheid sagen, dann muss er sich keine Gedanken mehr darum machen 🙂

Verwandt: BKA warnt vor Hysterie und Panikmache.

Der Koenig ist los

Edit, 2015-01-7: Das Netz vergisst. Die Koenig-Tiraden sind nicht mehr auffindbar, das am Ende angefuegte Video depubliziert, und zwei der drei Buecher bei der bpb vergriffen. Bei Louise Richardson kann Amazon oder der oertliche Buchhandel weiterhelfen.

Sarrazin poltert mal wieder, und es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis Aaron Koenig ihm beipflichten wuerde.

Hier deswegen mal drei Buchempfehlungen aus dem Sortiment der bpb, mit deren Hilfe man einerseits Wissen ueber diverse Tellerraender hinweg aufbauen, und andererseits sowohl Sarrazin als auch Koenig ein wenig besser verorten kann.

Zuerst einmal ist das „Der islamische Weg in den Westen“ von Olivier Roy, der relativ ausfuehrlich darlegt, woher die von manchem wahrgenommene Fundamentalisierung islamischer Zuwanderer kommt. Menschen, die in ein fremdes Land kommen, und mit ihrer Kultur recht alleine dastehen, finden als gemeinsamen Nenner zur umma, zusammen mit Muslimen ganz anderer Kulturkreise. Kultur und Religion werden entkoppelt, und der Islam zum gemeinsamen, identitaets- und gemeinschaftsstiftenden Merkmal.

Zusammengehoerigkeitsgefuehl anhand einzelner gemeinsamer Merkmale ist an sich nichts neues. Aus Bayern, Friesen, Berliner und vielleicht sogar Oesterreichern werden irgendwie „Deutsche“ (oder zumindest „Deutsch sprechende“), wenn sie fern der Heimat aufeinandertreffen. Ein Kamerad (dieses Wort schon!) des Cave City Fire Department hat mir damals einen blumigen Kommentar ueber die „Brotherhood of firemen all over the world“ ins Reiseblog geschrieben.

Die Frage ist also, warum gerade islamische Einwanderer Parolen wie die Sarrazins und Koenigs hervorrufen. Koenig wird nicht muede, den Islam als politische Bewegung mit Allmachtsanspruch darzustellen, und auch die Keule vom islamistischen Terroristen, der gegen den Westen ankaempft, wird oft geschwungen.

Einen Realitaetscheck vermittelt „Was Terroristen wollen“ von Louise Richardson, die Punkt fuer Punkt aufschluesselt, welche Faktoren dazu fuehren, dass selbst Kinder reicher Familien zu Bombenattentaetern werden. Spoiler: Gesellschaftliche bzw. kulturelle Entwurzelung, eine klare Abgrenzung zum Gegner, eine charismatische Fuehrungspersoenlichkeit und eine rechtfertigende Ideologie sind wichtige Eckpfeiler. Das kann man nun zwar ganz klar auf Religionen ummuenzen (und das geschieht ja tatsaechlich), Religionen sind jedoch immer nur Rechtfertigungsgrund, nicht ursaechliche Ausloeser. Oder, wie Franz Radermacher einmal in einem Vortrag sagte, wenn sich in Nordirland Katholiken und Protestanten die Koepfe einschlagen, hier an der Bayerisch-Wuerttembergischen Grenze aber nicht, muss die Ursache woanders liegen.

Das Buch schien mir stellenweise etwas holprig uebersetzt, das englische Original kostet aber auch mehr als doppelt so viel.

Der Tuerkei hat sich Koenig auch gewidmet. Naja. An der Oberflaeche gekratzt. Tiefergreifend und trotzdem leicht verstaendlich gibt es das fuer wenig Geld auf 128 Seiten von der bpb.

Last, but not least, hat sich die tagesschau-Redaktion ein Lob fuer dieses kleine Dossier verdient, das inhaltlich auf Sarazzins Behauptungen eingeht.

Wir schliessen mit Pispers. Weil’s passt.