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Refugium

„Die Politik ist die Unterhaltungsindustrie der Wirtschaft“ – konsequent also, dass im neuen Stück von Michael Sommer die Protagonist_innen Roth und Mahler das Fluechtlingsproblem auf die ihnen naechstliegende Weise loesen wollen: Als Firma „Refugium” naemlich, die die sichere und garantierte Einreise in die EU verkauft, an Frontex, Zaunanlagen mit NATO-Draht und Beschuss vorbei.

Der Clou: Jeder bezahlte Passagier ermoeglicht einer weiteren Person die kostenlose Schleppung nach Europa. Illegale Einreise mit menschlichem Antlitz, quasi – oder zumindest der Versuch, die Unmenschlichkeit der Festung Europa und der hinter ihr stehenden Regierungen ein wenig auszugleichen. Ein Kapitalismus mit menschlichem Antlitz muss dagegen wohl erst noch erfunden werden – und so ueberschlagen sich die Ereignisse, als nacheinander mehr Rendite fordernde Investoren, Nebengeschaefte der Schlepper vor Ort und Nebeninteressen von Mahler ueber „Refugium“ hereinbrechen.

Foto: Hermann Posch

Foto: Hermann Posch

Das Buehnenbild mit leeren, weissen Kanistern funktioniert erstaunlich gut, um im Podium des Theaters Firmen-Bueroraeume gleichermassen entstehen zu lassen wie Skype-Konferenzen zwischen Schleppern und Geschleppten, Firma und „Aussenstellen“. Ohne grosse Ablenkung entsteht so ein Stueck, in dem die Handlung wirken kann – und das tut sie.

Immer wieder wird die Schauspielhandlung durch Passagen unterbrochen, in denen die vier Darsteller_innen nebeneinander stehend, ins Publikum starrend, monologisieren – und dabei mehrfach zwischen Erzaehlstraengen wechseln. Dem ist nicht immer leicht zu folgen, und Freunde klassischer Brokat-und-Gold-Theaterinszenierungen haben daran nicht unbedingt viel Freude – sorgt aber fuer beklemmende Gefuehle, wenn sich die Geschichten der europaeischen und der aussereuropaeischen Welt immer wieder verflechten. Meist bei Konsumgut: Den Waren, die wir hier in der EU tagtaeglich konsumieren, ohne darueber nachzudenken – und den Bedingungen, unter denen Gemuese und Fruechte angebaut und handelsreif gemacht werden. Oder bei dem Paar Turnschuhe, dessen mehrfaches Recycling es zuerst aus der EU und dann entlang der Fluechtlingsroute wieder in Richtung EU fuehrt. Aber eben nicht wieder hinein.

Diese Textstellen sind unter Anderem in Interviews mit tatsaechlich Gefluechteten entstanden, vermittelt durch die Ulmer Amnesty-Gruppe und den Fluechtlingsrat. Mir wurde spaetestens bei der Schilderung eines Fluchtversuchs von Marokko auf eine der spanischen Exklaven gleich zu Eingang ein massiver Kloss in den Hals verpflanzt, der die ganze Vorfuehrung ueber nicht wieder weg ging. Und die rasiermesserscharfen Stacheldrahtverhaue an den EU-Aussengrenzen sind weder die erste noch die letzte lebensgefaehrliche Huerde auf der Flucht in die europaeische Festung.

Ich bin gespannt, wie dieses Stueck auf Menschen wirkt, die nicht selbst im Thema sind. Bitte schaut es euch an, und schickt vor allem eure Eltern hin.

Offenlegung: Ich wurde zur Urauffuehrung eingeladen. Meine Begleitung hat brav bezahlt 😉

Und auf einmal waren drei Jahre vorbei

Anfangs war das eigentlich nur eine Kulturfoerder- und Werbeidee als Gefallen fuer Michael Sommer, den Poetry Slam in der Podium.bar des Theater Ulm aufzuzeichnen und ins Netz zu stellen. Damals noch zusammen mit der Medienoperative, mit drei Bandkameras im SD-Format, und einer wahren Band-Ueberspielorgie nach dem Slam. Und auf einmal gehoerte das einfach dazu, dass Micha und ich — gelegentlich von anderen unterstuetzt — Monat fuer Monat ins Theater kamen, mit verschiedenen Aufzeichnungsvarianten spielten, irgendwann vollstaendig auf HD umstellten und einfach vor uns hindillettierten und dazulernten.

4. April 2009: Der erste Versuch

Und auf einmal drehst du den allerallerletzten Slam in der Podium.bar, und dir wird klar, dass das jetzt 23 Slams (plus zwei „Dead or Alive“ im Großen Haus) waren und drei Jahre vergangen sind. Drei Jahre! Ich habe beim Zuschnitt des gestrigen letzten Slams gerade ein wenig in den 1,07 Terabyte Archivdaten herumgewuehlt und ein wenig die Erinnerungen aufgefrischt:

Die Tapete

…hat in Slammerkreisen offenbar in den drei Jahren so etwas wie Kultstatus erlangt, war eigentlich der Hintergrund fuer „Ein Herz und eine Seele“ und hing tatsaechlich nur die ersten vier Slams lang (bis zum Oktober 2009) im Hintergrund. Erst im Maerz 2011 kam sie wieder — und sorgte dafuer, dass ab dann wieder alle unsere Slamvideos gleich beim ersten Blick als „Ulmer“ Videos zu erkennen waren 😉

Ueberspielorgien

…haben wir uns relativ lange angetan. Wir hatten zwar von Anfang an eine HD-Kamera benutzt, die zweite Kamera war aber lange Zeit eine Bandkamera des Theaters, was bedeutete, dass Michael Sommer und ich nach jedem Slam eine tragbare Festplatte mit den ueberspielten DV-Aufnahmen austauschten. An der Stelle danke ich Michael noch einmal ganz ausdruecklich dafuer, dass er diese nervtoetende Nudelei selbst im Haus uebernommen hat 😀

Endgueltig verabschiedet hatten wir uns erst im April 2010 (wo wir schlichtweg nur eine Kamera verwendeten) — es folgten Versuche mit Tapeless-Camcordern, wackelige Konstrukte mit Kompaktkameras und Magic Arms und dann ab November erstmals Aufzeichnungen mit zwei HDSLR-Kameras. Ab da blieb das Setup eigentlich immer ziemlich dasselbe — manchmal mit zwei Kameras, manchmal mit einer.

Das ueberraschte mich am meisten: Die Podium.bar war mindestens die ersten vier Slams ganz regulaer mit Tischen bestuhlt. In meiner Erinnerung war das "schon immer" dicht mit Stuhlreihen befuellt

Die Videos

Falscher Weissabgleich. Zu hoher Aufnahmepegel. Kein Kompressor. Verwackeltes Bild. Volle Speicherkarten, weil’s ein Dreierfinale gab und man zu knapp kalkuliert hatte. Irgendwas war immer. Geschnitten wurde lange auf einer uralten Kiste mit einer geschenkten Pinnacle-Studio-Lizenz, spaeter dann auf einer hochgezuechteten Maschine und immernoch der schrottigen Studio-Version, die nur zwei Videospuren unterstuetzte. Fuer den Dead or Alive reichte das nicht, also musste ich mir eine Maschine suchen, fuer die eine Premiere-Lizenz vorhanden war und dort um Arbeitszeit bitten. Teilweise habe ich den Grobschnitt im PC-Pool an der Uni gemacht, mit externer Festplatte und hinterher jedes Mal 6 GB temporaerer Dateien auf dem Netzlaufwerk, die ich wieder loeschen musste, weil sonst der Pool-Account gesperrt worden waere.

Weiters habe ich mir darueber nie gedanken gemacht — bis auf einmal Bybercaps „Heads up, seven up“ ein Jahr nach seiner Veroeffentlichung auf dem Blog von JochenEnglish erwaehnt wurde und offenbar einen Nerv bei Lehrer*innen und Schueler*innen traf. Ueber die naechsten zwei Monate sah ich den Link zu „meinem“ Video alle paar Tage auf Twitter und Facebook, und zwar bei Leuten, die das garantiert nicht ueber mich selbst, sondern ueber irgendwelchen irren Wege empfohlen bekommen hatten. Mittlerweile steht der Youtube-Zaehler allein fuer dieses Video deutlich jenseits der 600.000 Abrufe und duerfte wohl eins der meistgesehenen deutschsprachigen Slamvideos sein.

Das freut mich auch deswegen, weil Bybercap mit dem Text nicht einmal ins Finale kam: Er bekam bei der Vorauswahl zwar mit den meisten Applaus, entschieden wurde aber fuer den Finaleinzug nur zwischen Daniel Wagner und Bjoern Hoegsdal. Das kam auch immer wieder mal vor: Dass der Applaus im Publikum anders wirkte (und auch auf der Aufnahme anders gemessen wurde *hust*) als die letztliche Entscheidung von Ko und Rayl. Einerseits fuer mich ein Grund mehr fuer die Bewertung mit dem Jurysystem, in dem zufaellige Gaeste jeweils eine Note von 1 bis 10 geben und die beiden Extrema gestrichen werden, um aus dem Rest einen Mittelwert zu bilden — andererseits fuer mich ein Symptom der Slammeistertitelmanie: Wer nicht als deutschsprachiger Vizepoetrychampion angekuendigt wird, steht gleich einmal seltsam da. Bybercap hat sich in seinem zweiten Auftritt im Maerz 2011 subtil, zynisch und treffend ueber Kommerzialisierung und Titelsammlerei lustig gemacht. Ins Finale kam er damit wieder nicht.

Was mich sehr ueberrascht hat, war die Entwicklung der Aufrufzahlen. Bis zur „Entdeckung“ des Bybercap-Videos waren in gut zwei Jahren knapp 100.000 Aufrufe zusammengekommen. Mittlerweile sind ueber 60 Videos im Youtube-Kanal, die seither noch einmal 1.250.000 Mal(!) angesehen wurden. Klar: Man entdeckt ein Video, mit der Zeit wurde dann auch die Wahrscheinlichkeit hoch, danach andere unserer Slamvideos von Youtube empfohlen zu bekommen, und so setzte sich das fort… und macht schon irgendwie stolz. Genauso auch, dass die Videos laut Ko in der Slamwelt „einen gewissen Ruf“ haben — mir war das lange nicht bewusst, und mir ost erst vor einem guten halben Jahr aufgefallen, dass wir uns in Ulm mit unserer Aufzeichnung so weit entwickelt hatten, dass wir qualitativ in dieser Sparte ziemlich weit vorne rangierten. Schoenes Gefuehl, irgendwie.

Der letzte Sieger, der letzte Slam.

Epilog

Es waren schoene drei Jahre mit dem Ulmer Slam. Ab dem Maerz zieht die Reihe mit Ko Bylanzki in das Roxy um, Rayl Patzak wird aus gesundheitlichen Gründen offenbar nicht mehr moderieren, und der Slam wird damit noch groesser als er das ohnehin schon war. Eine Aufzeichnung wird’s von uns noch einmal geben, am 5.2. das „Dead or alive?“ im Grossen Haus, danach ist Schluss: Im Roxy filmt meines Wissens die SWP (jedenfalls tut sie das beim Science Slam). Einige Schaetze habe ich von den Slams der letzten drei Jahre noch in der Kiste, vielleicht kommt da noch das eine oder andere — mal schauen. Wir geniessen dann erst einmal die gut 12 Personenarbeitsstunden, die wir zukuenftig pro Monat in andere Projekte stecken koennen.

Falls aber jemand einen anderen schoenen Slam (oder eine andere Veranstaltung) hat, den er oder sie qualitativ hochwertig dokumentiert haben moechte: Micha und ich waeren dann ab dem 5.2. frei. Bessere Slamvideos gibts nirgendwo anders, Honorarvorstellungen auf Anfrage 😉


(Der letzte Podium-bar-Slamgewinner. Seufz. Ich hab mich hinterher mit der Barbesatzung ordentlich abgeschossen. Danke fuers Freibier, Martina ;))

Lichtkunst heute abend

Wieder was dazugelernt: Die Projektion am Theater war nicht selbstgemacht, sondern ein Werk von Andreas Hauslaib, der in Ulm und Umgebung schon einige andere Dinge bestrahlt hat. (Mit Licht. Muss man ja aufpassen mit der Wortbedeutung dieser Tage.)

Und: Das Ganze ist auch nicht dauerhaft. Gestern abend gabs zum letzten Mal das Theater-Bildprogramm, heute abend dann eine eigene Installation Hauslaibs. Das Wetter koennte kaum besser sein — man darf auf eine Runde Open-Air-Kultur gespannt sein.

Architekturprojektionen

…gestern Mittag wunderte ich mich noch ueber den riesigen Videoprojektor hinter der Glasfront des Cafe Wintergarten, abends war dann klar, wofuer der gut ist: Das Theater Ulm hat jetzt nicht nur eine Projektion „hinten“ am Aufbau, sondern auch eine deutlich lichtstaerkere an der Front zur Neutorstrasse hin.

Da fragt man sich schon, was da noch so alles moeglich waere — Beispiele richtig abgefahrener Architekturprojektionen gibts ja genug. Hat einer der Mitlesenden Erfahrung mit sowas?

Neues vom Poetry Slam

In den letzten Wochen konnte ich allen Widrigkeiten zum Trotz endlich die neue Videoschnittmaschine bei team-ulm in Betrieb nehmen — erst hatten wir vier Wochen lang auf die fehlenden Platten, Gehaeuse und Grafikkarte warten muessen, weil letztere nicht lieferbar war, und dann fehlte beim Gehaeuse der komplette Schraubensatz und die Plattenrahmen.

Nun werkelt die Kiste fleissig vor sich hin, und nachdem sie nach Vorlage des DIY7-Systems bei den Videoguys entstanden ist, steckt da auch ordentlich Dampf dahinter: Im Inneren steckt ein Intel Core i7 in einem Asus P6T V2 Deluxe, und 2*3 GB RAM und ein eigenes RAID-0 mit 2*1 TB nur fuer die Videodaten sorgen fuer den richtigen Durchsatz. Auf so einer Kiste kann man nun auch muehelos HD in voller Aufloesung schneiden, das macht richtig Spass 🙂

Nachdem nun auch die Speicherplatzprobleme endlich behoben sind, konnte ich mich auch endlich der Videos vom Dezember-Slam annehmen, die bis dato nur auf externer Platte lagen. Und weil mir der Text von Bibercap sogar noch besser gefallen hat als die der jeweiligen Rundensieger, habe ich einfach mal beschlossen, ihn zuerst fertig zu machen und hochzuladen. Viel Spass damit 😉

PS: Alle anderen Videos der Ulmer Slams gibts am besten in meinem Vimeo-Stream.

Und nochmal Poetry Slam

Der passende Artikel bei TU duerfte auch in Kuerze online gehen, hier aber nochmal vorab exklusiv die drei Sieger des letzten Poetry Slams im Theater Ulm.

Der Zweitplatzierte kam dieses Mal aus Ulm: Peter Heimlichmueller mit… ja, schwer zu sagen eigentlich 😀

Poetry Slam in der PODIUM.bar Ulm: Peter Heimlichmüller from stk on Vimeo.

Erstplatzierte Nummer Eins: Pauline Fueg mit einer ganz besonderen Liebeserklaerung an einen ganz besonderen Jungen. Hrhrhr.

Poetry Slam in der PODIUM.bar Ulm: Pauline Füg from stk on Vimeo.

Und Erstplatzierte Nummer Zwei: Franziska Holzheimer mit einem Text, der mir persoenlich ganz besonders gut gefallen hat — ueber Freundschaften, die zu Ende gehen.

Poetry Slam in der PODIUM.bar Ulm: Franziska Holzheimer from stk on Vimeo.

Embedding, Weiterverbreitung und Herunterladung[tm] der Videos, die einem gefallen, ist ausdruecklich erlaubt und erwuenscht (Herunterladen geht glaub ich nur, wenn man bei vimeo eingeloggt ist).

Dichterkrieg

poetry_slamsIch freue mich schon darauf: Letzte Woche hatte ich Michael Sommer vom Theater Ulm im Team-Ulm-Buero, und wir haben uns eine Stunde lang ueber das kommende Projekt in der Podium.bar unterhalten.

Sommer hat naemlich angeleiert, dass Ko Bylanzky und Rayl Patzak ab dem 04.04. an jedem ersten Samstag im Monat einen Poetry Slam im Theater veranstalten — mehr dazu gibts nebenan bei TU im Redaktionsteil.

High-Tech und Cutting-Edge und experimentierfreudig wie wir ja im Team sind, werden wir uns auch daran beteiligen. Naeheres in Kuerze 😉