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Ich sitze gerade im Zug zurueck nach Ulm, nach 20 spannenden Tagen in Berlin und Leipzig. Der 35. Chaos Communication Congress ist – wieder mal viel zu schnell – zu Ende gegangen, und im zweiten Jahr Leipzig konnte unser Cluster Orbit gemeinsames Habitat von Jugend hackt, Wikimedia Deutschland, Open Knowledge Foundation Deutschland, mediale pfade, Verschwoerhaus und Verstehbahnhof nochmal eine ordentliche Schippe mehr drauflegen.

So haben wir mal eben die Flaeche unserer WG auf ueber 800 m² etwa verdoppelt, den Technikaufwand fuer unsere Buehne im Esszimmer ordentlich hochgefahren, einen Dome als Kinderzimmer fuer die U18-Teilnehmis aufgebaut bekommen, und konnten uns den gesamten Congress lang (und auch schon waehrend der Aufbauphase) mit einer ganz soliden Kueche selber versorgen. Irgendwie eine absurde Vorstellung, wenn ich mir vor Augen halte, dass ich mich erst vier Jahre zuvor das erste Mal ueberhaupt erst nach viel Zoegern und Zuspruch auf einen Congress getraut hatte.

Diese Professionalisierung trifft irgendwie auch das diffuse Gefuehl, das seit gestern in diversen Twitterthreads herumwabert. Nein, es ist nicht mehr alles Chaos und unordentlich. Nein, man kann beim besten Willen nicht alles auf dem Congress sehen, erleben, mitmachen. Aber die (von manchen bemaengelte) Professionalisierung ruehrt auch daher, dass mittlerweile richtig gute Werkzeuge entstanden sind, die das alles moeglich machen, und dass notwendiges Wissen und notwendige Fertigkeiten mittlerweile in einer viel groesseren Breite anzutreffen sind. Maxi konnte mal eben ein Pretalx aufsetzen, um die Planung der 37,5 Stunden(!) eigenen Programms bei uns nicht mehr ueber Spreadsheets machen zu muessen. Was dort herausfaellt, kann dann relativ schmerzfrei vor der Tuere auf einem Info-Beamer gezeigt werden, und die aufgezeichneten Vortraege laufen ruck zuck in das CDN auf media.ccc.de.

Denn, das ist ja vollkommen klar: Moeglichst alles was an Input bei uns laeuft, soll ja auch gestreamt und fuer die Nachwelt erhalten werden. Nicht weil man’s muss, oder weil man’s soll – sondern weil es geht. Und weil das Verschwoerhaus die Ausstattung dafuer hat und Maxi sich in die Technik dahinter hineingefuchst hatte, plus krasser Zusatzhardware von mediale pfade fuer das Hebocon-Finale beim Junghackertag.

Selbstverstaendlich werden Wissen und Fertigkeiten auch weitergegeben – es gab mehrere Technikschulungen fuer alle Engel, die fuer Streaming und Aufzeichnung die Kamera fuehrten, oder Bild und Ton mischten. Damit eben nicht alles z.B. an Maxi haengen muss, und damit wir eine Experimentierwiese fuer alle werden koennen, die sich noch nicht trauen, an den „grossen“ Buehnen zu heralden, Videoengeln und dergleichen mehr.

Eskalationspotenzial ist derweil natuerlich immer noch vorhanden: Vortragsraum und Meeting-Flaeche waren haufig mehr nachgefragt als wir Platz hatten, und spaetabends bei der Getraenkeprobe kam ploetzlich der Vorschlag auf, ob das Uebersetzungs-Team nicht im kommenden Jahr die Vortraege nicht auch ins Englische uebersetzen solle – quasi als Einsteigerprogramm fuer die UebersetzerInnen aus dem c3lingo-Team. Warum nicht. Weil’s geht.

Und das ist auch der Punkt, der mir am sympathischsten an dieser Entwicklung ist. Wissen, wie man so etwas gut machen kann, verteilt sich ueber die klassische Congress-Orga hinaus in die Breite. Es gibt immer noch unheimlich viele Dinge (vor allem beim Aufbau), die nur funktionieren, wenn man weiss welche Einzelperson aus „der Orga™“ eventuell als einzige im Kopf (und nur da) haben koennte, wie man eine bestimmte Sache loest. Aber vieles laeuft einfach, und erlaubt es, waehrend der Veranstaltung eine Abstraktionsschicht hoeher zu gehen und sich um ganz andere Dinge zu kuemmern.

Beispielsweise, die Medienpraesenz zu nutzen, um politische Botschaften zu platzieren. Wikimedia hatte dieses Jahr die Datenpumpe als anfassbare Metapher dabei – denn nachdem manche Deppen Daten als „das neue Oel“ bezeichnet haben, muss die Botschaft natuerlich lauten, dass Daten vielmehr so etwas wie Wasser sind. Insbesondere gehoeren sie nicht monopolisiert und privatwirtschaftlichen Interessen untergeordnet, anstatt dem Gemeinwohl zu dienen. Anscheinend funktionierte das auch ganz gut – einzelne Pressemenschen waren ganz erleichtert, mal einen anderen visuellen Aufhaenger festhalten zu koennen als „schon wieder diese Rakete“.

Vielleicht ist das meiner etwas seltsamen Doppelrolle zwischen Datenaktivist und Verwaltungsmitarbeiter geschuldet, aber ich mag auch die damit verbunde Aufforderung, dass die Menschen auf dem Congress sich nicht nur als Zaungaeste der Gesellschaft sehen sollen, die sich – wie man das bei Nerds bisweilen gerne macht – vorrangig ueber die vollkommene Ahnungslosigkeit von Verwaltung und natuerlich Den Politikern™ bei dem ganzen Digitalisierungsgeloet lustig machen. Wer Aenderungen des Status Quo mitgestalten und nicht nur vom Spielfeldrand beobachten moechte, handelt selbstverstaendlich politisch und kann sich nicht hinter der absurden Fiktion verstecken, dass Hacken irgendwie unpolitisch sein koenne. Das anzuerkennen ist der erste Schritt, und das hat dieses Jahr glaube ich recht gut bei vielen Menschen auf dem Congress funktioniert. Jetzt geht’s drum, das in die Breite und in die Linie nach draussen zu tragen. Ich glaube, das koennte was werden.


Vier Wochenenden voller Open Data

Es gibt ja so Veranstaltungen, nach denen geht man voller Motivation nach Hause. Bei mir sind es gerade fuenf Open-Data-Veranstaltungen in fuenf verschiedenen Staedten an den letzten vier Wochenenden gewesen, und sollte jetzt noch irgendwas kommen fallen mir vermutlich vor lauter Grinsen die Ohren ab.

Aber der Reihe nach.

Berlin: Bahn, die erste

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Beste Aussichten hatte am ersten Märzwochenende der Workshop, den die OKF fuer die DB Station&Service in Berlin ausrichtete – buchstaeblich wie metaphorisch. Die Station&Service moechte naemlich sich und ihre Daten oeffnen, wie das die SNCF in Frankreich bereits getan hatte. Die Personenzusammensetzung war genau richtig, und ich am Ende ganz schoen geschlaucht vom Brainstormen und reden. Ich bin sehr gespannt, wie es hier weitergeht, und hatte mir den gesamten Abend danach und die Heimfahrt noch ueberlegt, welche Community-Teile zum Beispiel aus der OpenStreetMap sich hier noch verknuepfen lassen.

Freiburg: Hackathon unterm Sternenbanner

Ganz ohne Getoese hat sich auch Freiburg einen festen Platz auf der Landkarte der innovationsbereiten Staedte verschafft. Das liegt auch an Ivan Acimovic, der in seiner Stadtverwaltung auf ueberraschend viele Open-Data-Vorantreiber_innen bauen kann – und gleich mit einer halben Armee von Mitstreiter_innen einen Open-Data-Hackathon im Carl-Schurz-Haus aus dem Boden stampfte.

Mit der Stadt alleine war es naemlich nicht getan – bwcon Suedwest, das Carl-Schurz-Haus und Profs der Hochschulen Offenburg und Furtwangen warfen sich mit ins Zeug, um diese Veranstaltung durchzufuehren. Dass alle Ergebnisse im Rathaus ausgestellt werden, ist da nur konsequent.

Neben den zu erwartenden Wiederkehrern auf allen Open-Data-Hackathons (natuerlich gab es eine neu erfundene Issue-Tracking-App, die nicht bestehende Loesungen wie Mark-A-Spot verwendet :D) stach fuer mich „Frieda“ besonders hervor: Eine benutzerfreundlichere Neuinterpretation des Freiburger Datenportals FR.ITZ, das bei der Usability noch… Potenzial hat.

Ein wenig schade, dass dieses Projekt bei der Preisvergabe nicht mehr gewuerdigt wurde – zusammen mit dem Projekt „Data Canvas“, das Datenangebot und Bedarfe anhand von Problemstellungen analysieren wollte, haette ich „Frieda“ deutlich hoeher gerankt. Ich bin gespannt, wie viele der Projekte noch weiter entwickelt werden – und wie viele der enthusiastischen Teilnehmer_innen beim kommenden OK Lab Freiburg zu sehen sein werden, das ich leider ganz alleine vertreten musste 🙂

Frankfurt: Die Bahn bewegt (sich) doch!

Und eine Woche spaeter verstummten die Voegel, und der Mond verdunkelte die Sonne, und das scheinbar undenkbare geschah: Die Deutsche Bahn lud zu einem Datenhackathon!

Gerade mal zwei Wochen vorher hatte ich ueberhaupt davon erfahren – ironischerweise auf dem Rueckweg vom DB-Workshop in Berlin, auf dem wir uns fragten, wann sich denn die DB Fernverkehr endlich bewegen wuerde. Der Hackathon war wohl binnen weniger Wochen auf die Beine gestellt worden und war fuer mich eine ausgezeichnete Gelegenheit, einmal mit den Leuten im Konzern zu sprechen, die gerne viel mehr Daten freigeben wuerden – die aber nicht einfach machen duerfen, wie sie gerne wuerden.

In gigantischer 1970er-Jahre-James-BondSuperschurken-Hauptquartier-Atmosphaere hackten immerhin rund 50 Teilnehmer_innen an den noch-nicht-wirklich-offenen Daten der Bahn – Daten, an die in einigen Faellen wohl bislang selbst die Bahn-Leute konzernintern noch nie herangekommen waren, und die es nur durch diesen Hackathon erstmals aus ihrem jeweiligen Silo herausgeschafft haben. Ausgangszustand: Dass die Teilnehmer_innen „nur“ ein einseitiges NDA-Dokument unterzeichnen mussten, ist bereits ein grosser Fortschritt.

Ich musste leider noch am selben Abend weiter, um rechtzeitig nach Moers zu kommen, aber Falco aus der Ulmer Arbeitsgruppe hatte sich spontan mit drei anderen zusammengetan und mit seiner Gruppe mal eben eine bessererere™ Reiseauskunft gestrickt, die historische Verspaetungen beruecksichtigt und die Wahrscheinlichkeit angibt, einen bestimmten Anschluss zu erreichen. Hut ab! Mehr Eindruecke gibt es in einem Youtube-Video der Veranstalter.

Ich warte jetzt jedenfalls ganz gespannt, dass die Ergebnisse des Hackathons konzernintern durch die Entscheiderpositionen sickern – und hoffe instaendig, dass wir demnaechst einmal ein Transit-Camp auf die Beine stellen koennen, bei dem Vortraege, Austausch und Coding Hand in Hand gehen. Idealerweise mit einem Augenmerk auf moeglichst hohe Diversitaet – Fahrtkostenbezuschussungen und eine inklusivere Ansprache koennten viel dazu beitragen, nicht nur die ueblichen Verdaechtigen bzw. die Leute aus dem direkten Umland anzulocken 😉

Moers: Die heimliche Open-Data-Hauptstadt im Nirgendwo

Solcherlei Inklusivitaetsfoerderung war fuer Moers dagegen gar kein Problem – Dank Reisekostenbezuschussung waren „die Ulmer_innen“ gleich zu zweit beim dortigen Hackday, und auch aus Berlin kamen Abordnungen an den Niederrhein.


Claus Arndt
tut sich schon seit einiger Zeit damit hervor, am Rande der Einoede zwischen Pott und den Niederlanden in seiner Kommune das Thema voranzubringen — und kann in seiner Position hierzu auch einiges bewegen. Zum Beispiel diesen Hackday zu veranstalten, bei dem sich auch gleich Interessierte aus dem gesamten Umland fanden, um auch gleich ueber eine Gruendung von „Code for Niederrhein“ nachzudenken.

Moers zeigt fuer mich vor allem, dass Erfolg bei Open Data momentan weniger das Ergebnis grossangelegter Strategiepapiere ist, sondern vom Aufeinandertreffen einer aktiven Community auf engagierte Einzelpersonen mit Gestaltungsspielraum in der Verwaltung lebt. Die besten Absichtserklaerungen, die tollsten Forschungsprojekte nuetzen nichts, wenn die Verwaltung nicht dafuer sorgen kann, dass die freiwilligen Datenveredler ihren Spass nicht verlieren. Indem sie zum Beispiel die Rahmenbedingungen schafft, dass 1.) Daten reibungsarm beschafft werden und 2.) Ergebnisse reibungsarm den Weg zurueck in die Verwaltung finden koennen. In Moers klappt das.

Mehr nachzulesen gibt es auf Wegweiser-Kommune [2], im Government-2.0-Netzwerk, bei Habbel, und in einem Flickr-Fotoset von @mrtopf. Und im Blog von Anke Knopp wird auch erklaert, was es mit der Feuerwehr auf sich hatte 😉

Im Video klingt es auch ein wenig an: Neben Redeployment-Auslotung hatten Juka und ich auch inhaltlich was gemacht, Verkehrszaehlungsdatenauswertung naemlich. Dazu kommt aber noch spaeter mehr 🙂

Leipzig: Code for Germany meets again

Etwas ueber ein Jahr nach dem Auftakt von Code for Germany waren Rens und ich zum gemeinsamen Workshop in Leipzig — um eine grossartig gewachsene Familie von OK Labs zu treffen, die sich mittlerweile auf verschiedenste Themengebiete verteilt hat, von Spielplatzkarten bis zu Feinstaubsensoren fuer jede_n zum Selbst-aufstellen.

Dementsprechend werden mittlerweile auch die Herausforderungen umfangreicher. Ging es anfangs um die Vernetzung an sich, Sichtbarkeit und Austausch, geraten wir als Gemeinschaft nun an die etwas knackigeren Probleme — offenbar genauso, wie das schon beim Vorbild Code for America der Fall war. Redeploying, also das Ausrollen bereits anderswo erprobter Loesungen mit den Daten der eigenen Kommune, scheitert allzu haeufig an der Vielfalt der Datenformate, die aus den Fachverfahren fallen, Standardisierung ist weit weit weg, und akademische Ideen wie die Semantifizierung aller Daten sind momentan leider noch wenig praxistauglich. Zudem sind vielfach Interessierte zu einem Thema bei sich eher alleine, und andere Interessierte anderswo muessen erst einmal gefunden werden.

Umso dankbarer bin ich mittlerweile fuer die verbindende Klammer, die CfG mittlerweile bildet, und bin gespannt auf das, was da noch kommt. Ich bin unglaublich froh darueber, dass schon sehr frueh Diskussionen ueber einen Code of Conduct begonnen hatten — aus Fehlern anderer lernen, ganz angewandt. Und ich moechte mal ganz ausdruecklich ein Dankeschoen an Fiona und Julia aussprechen, die sich nun ueber ein Jahr lang um Vernetzung, Bereitstellung passender Werkzeuge, und das Ruehren der Werbetrommel gekuemmert haben.

Auf das naechste Jahr! Und noch viele kommende Open-Data-Wochenenden 😉