Interessant, dass vor allem weiße Mitteleuropäer Debatten über Rassismus immer total übertrieben finden.
— Lars Reineke (@larsreineke) December 15, 2013
Als ich heute morgen aufwachte, steckte Twitter gerade wieder einmal in einer Diskussion rund um Blackface. Bei „Wetten Dass“ sollten fuer die Saalwette Menschen als Jim Knopf und Lukas der Lokomotivfuehrer auftauchen – und die Jims sich ausdruecklich mit Schuhcreme oder Kohle das Gesicht schwaerzen, was Spiegel Online folgendermassen kommentiert:
Gruseligerweise ist es eine Marionette, die verfügt: „Jim Knopf muss natürlich geschminkt sein, schwarze Farbe oder Schuhcreme, ganz egal!“ Warum das nun? Weil es womöglich nicht genug Schwarze in Augsburg gibt? Weil echte Augsburger unmöglich eine schwarze Hautfarbe haben können?
Auf die Beschwerden, warum man sich beim ZDF nach den juengeren Debatten immer noch auf sowas einlaesst (weitergehende Literatur siehe dort), kamen – wie immer – gleich wieder die Apologeten, fuer die die Kritik an Blackface dasselbe wie Rassismus sei, genau wie die Genderdebatte Sexismus und die Sache mit dem Paprikaschnitzel… ach lassen wir das.
Ja, die Figur „Jim Knopf“ hat dunkle Haut. Ja, in einer idealen Welt ist die Hautfarbe eines Menschen egal. In dieser idealen Welt leben wir aber nicht. Das ist der Punkt.
Wie sich das aeussert, ist in einem sehr empfehlenswerten Longread auf Nachtkritik dargelegt – zwar hauptsachlich auf die Situation an deutschen Theatern hin ausgerichtet, aber hoffentlich dem Verstaendnis der aktuellen Situation hilfreich, weil er sehr ausfuehrlich darauf eingeht, was Rassismus eigentlich bedeutet:
Der humanistisch gebildete, Menschen verschiedenster Herkunft zu seinem Freundeskreis zählende und in Political Correctness ebenso wie in Fremdsprachen bewanderte deutsche Durchschnittsbürger unterliegt immer wieder dem grausamen Irrtum, Rassismus sei ein Phänomen, das sich ausschließlich im Denken und Handeln Keulen schwingender Neonazis und rechtsextremer NPD-Volksverhetzer offenbart. Dieser Glaube ist genauso falsch wie fatal; da sich kein zivilisierter Mensch den oben genannten Gruppen zuordnen würde, schon gar nicht als Kunstschaffender mit bildungspolitischem Auftrag, können alle folgerichtig niemals Rassisten sein. Dem zugrunde liegt der unerschütterliche Glaube, um rassistisch zu denken und zu handeln bedürfe es eines bösartigen und vor allem bewusst gefassten Entschlusses. Dem ist nicht so.
Tatsächlich sind rassistisch motivierte, verbale und handgreifliche Gewalttaten, im Vergleich zum tagtäglich praktizierten, ihre Wirkung auf allen Ebenen unserer Gesellschaft entfaltenden, strukturellen und institutionellen Rassismus, die Ausnahme. Man muss kein Neonazi sein, um rassistisch zu handeln, genauso wie man kein Frauenhasser sein muss, um Frauen zu diskriminieren. Rassistische Strukturen werden von denen, die sie geschaffen haben, als normal empfunden, genauso wie die ungleiche Behandlung von Frauen lange Zeit gesellschaftlich sanktioniert war. Das, und nur das, ist der Grund, warum struktureller und institutioneller Rassismus in diesem Land nicht auch konsequent als solcher benannt wird: weil er Normalität ist. Für Schwarze und Weiße gleichermaßen. Dieses kann bewusst oder unbewusst, in bester Absichten oder aus bösartigen Motiven heraus geschehen – im Ergebnis und in der Konsequenz ist und bleibt es für die Betroffenen: Rassismus.
Es hilft eben nicht allein die Einsicht, dass man fast ueberall Auslaender ist, oder die Behauptung, dass man selbst Hautfarbe ja „nicht sehen“ und stattdessen alle gleich behandeln wuerde. Das ist ein hehres Anliegen, und ich kaufe den Menschen, die so etwas von sich behaupten auch durchaus ab, dass sie davon tatsaechlich ueberzeugt sind.
Wie weit wir von der Wunschvorstellung entfernt sind, dass Hautfarbe wirklich keine Rolle spielt, zeigt naemlich genau wieder die Wetten-Dass-Situation. In der fuer die Lukas-Verkleidung die passende Muetze, ein Blaumann und ein Halstuch reicht – waehrend Jim Knopf zwar eigentlich auch ganz spezifische Kleidung traegt, hier aber vor allem die „andere“ Hautfarbe wichtig ist, wie in Alis Afrika-Blog beschrieben:
Wenn man sich die Bedingungen durchliest, dann fällt als erstes auf, dass Jim Knopf gleich zu Beginn über seine Hautfarbe markiert wird, und zwar ausschließlich. Damit Jim Jim sein kann, muss er geschminkt sein. Damit Lukas Lukas sein darf, reicht es vollkommen aus, wenn er entsprechende Kleidung anzieht. Einmal mehr wird deutlich, dass weiße Haut in Deutschland als Normalzustand angesehen und dadurch unsichtbar wird. Wäre dem nicht so, hätte es auch bei Jim gereicht, eine blaue Hose, ein rotes Oberteil und eine Mütze zu verlagen; Requisiten übrigens, die die meisten Menschen mitgebracht haben, obwohl davon überhaupt nicht die Rede war.