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Wer richtet bitte was an?

Die Geschichte ist an sich tragisch, und ausserdem wie geschaffen fuer eine Schlagzeile: Waschmaschine reisst vierjaehrigem Buben den Arm ab. Dramatisch. Raetselhaft. Und dadurch auch nachvollziehbar, dass die Behoerden erst einmal ermitteln wollen, bevor sie genauere Informationen zum Tathergang veroeffentlichen.

Das ist natuerlich Gift fuer eine Nachrichtenwelt, in der jede Information so schnell wie moeglich verbreitet, jedes Thema intensiv ausgeschlachtet werden muss.  Man moechte recherchieren, befragt Unfallchirurgen, wie der Bub so lange ueberleben konnte, will mehr Informationen — die haben aber momentan nur die Polizei und die Klinik. Und die schweigen.

Hans-Uli Thierer von der SWP bemaengelt deshalb:

Wenn aber die Bilanz amtlicher Nachrichten so ausfällt, dass mehr Fragen stehen als Antworten gegeben werden, dann liegt rechnerisch eine Nullinformation vor. Sie führt uns in journalistische Grenzbereiche, die den Nährboden bilden für Spekulation, Phantasie, Verdächtigung. Die Ermittler sollten sich im Klaren sein, was sie damit unter Umständen anrichten können.

Ist es nicht seltsam, moegliche Spekulationen angesichts der duerren Informationslage ausgerechnet den Behoerden zuzuschreiben, die keine dieser Spekulationen in die Welt gesetzt haben? Was erwartet Thierer? Oder ist das ein duenn kaschierter Erpressungs- (oder besser Trotzigkeits-)Versuch nach dem Motto “entweder ihr gebt uns die Informationen oder wir erfinden einfach irgendeinen Scheiss”? Diejenigen, die auf Basis von Nullinformation gemeinhin Spekulation, Phantasie und Verdaechtigung verbreiten, sind meistens Journalisten, nicht amtliche Ermittler. Und dass sie sich ueber die Folgen in der Regel im Klaren sind, hindert sie selten an ihrem tun.

Anders als Ärzte unterliegen Polizei und Staatsanwaltschaft keiner Schweigepflicht. Eine stereotype Antwort, warum keine habhaften Auskünfte zu erhalten sind, lautet: ermittlungstaktische Gründe. Welche ermittlungstaktischen Hinderungsgründe anfangs vorlagen, Aussagen zu verweigern, in welchem Milieu und unter welchen familiären Bedingungen sich der tragische Fall ereignete, bleibt das Geheimnis der Ermittler.

Natuerlich unterliegen Polizei und Staatsanwaltschaft keiner Schweigepflicht. Sie sollten aber sorgfaeltig abwaegen, welche Informationen wann an die Oeffentlichkeit gelangen, gerade um Vorverurteilungen, Fehlinterpretationen und Spekulationen zu vermeiden. Und manchmal kann es sinnvoller sein, erst einmal gar nichts zu sagen.

Welche Bedeutung das “Milieu” (allein das Wort schon!) und die familiaeren Bedingungen der Betroffenen fuer die oeffentliche Berichterstattung spielen, bleibt indes das Geheimnis des Hans-Uli Thierer.

Lustiges Fehlerzaehlen mit der Illertisser Zeitung

Die deutschen Feuerwehren (und vermutlich nicht nur die) stehen vor einem Problem. Frueher durfte man mit der alten Fahrerlaubnisklasse III Fahrzeuge bis 7,5 Tonnen zulaessiger Gesamtmasse (zGm) und zusaetzlich bis zu zwei Anhaenger mit zusammen maximal 11 to Anhaengemasse fahren. Heutzutage gilt die „normale“ PKW-Fahrerlaubnisklasse B gerade mal fuer Fahrzeuge bis 3,5 to zGm plus einen Anhaenger mit maximal 750 kg zGm.

Gleichzeitig wurden aber viele Feuerwehrfahrzeuge taktisch aufgewertet. So wurde das Tragkraftspritzenfahrzeug (TSF), quasi die eierlegende Wollmilchsau fuer die kleinsten Feuerwehren, vielerorts durch ein TSF-W mit eingebautem Wassertank ersetzt, hinzu kamen Atemschutz und Sondergeraete fuer technische Hilfeleistungen. Die 3,5-Tonnen-Grenze war dabei natuerlich nicht zu halten, viele TSF-W werden heute auf leichten LKW-Fahrgestellen mit bis zu 7,5 to zGm aufgebaut. Fazit: Einerseits werden die Fahrzeuge immer schwerer, andererseits gibt es immer weniger FwDl mit der alten Fahrerlaubnisklasse III oder der neuen Klasse C1, die die Fahrzeuge auch bewegen duerfen.

Auch die IZ hat sich angesichts der geplanten Einfuehrung von Sonderfahrerlaubnissen fuer Feuerwehrdienstleistende mit dem Thema befasst. In der Online-Version des Artikels wurden mittlerweile einige Schnitzer korrigiert, die urspruengliche Printfassung hat aber schon einige Knaller zu bieten:

Und jetzt wird’s ernst: Junge Einsatzkräfte mit dem neuen Klasse C-Führerschein dürfen nicht mehr ans Steuer.

Natuerlich duerfen die. Klasse-C-Fahrer duerfen sogar Fahrzeuge ueber 7,5 to zGm bewegen, nur keine Last- und Sattelzuege (deswegen macht man in der Regel gleich die Klasse CE)

Daher hat der Landesfeuerwehrverband eine Ausnahmeregelung beantragt: 3,5 Tonnen plus 0,75 Tonnen-Anhänger.

Das waere ja eine tolle Ausnahmegenehmigung: Alles bleibt, wie es in der Klasse B ist. Oehmja.

[…] eine Ausbildung mit Prüfung für den erforderlichen Führerschein C1 — bis 3,5 Tonnen mit Anhänger […]

Moep. C1 sind KFZ bis 7,5 to zGm plus Anhaenger. Online steht nun, dass das frueher der (PKW-)Fuehrerschein der Klasse III gewesen sei, was auch nicht stimmt.

Der Führerschein C 1-Feuerwehr soll nach zwei Jahren zum vollwertigen Führerschein bis 7,5 Tonnen Gesamtgewicht — also wie beim alten Klasse 3-Schein, umgeschrieben werden können

Nein. Umgeschrieben werden soll zum ganz normalen C1-Schein. Klasse III ist eine andere Baustelle mit viel mehr Moeglichkeiten gewesen — viele C1-Fahrer duerften sich wuenschen, tatsaechlich FS-Klasse III zu besitzen.

Vielleicht habe ich den ganzen Fahrerlaubnisklassenkack einfach schon zu oft gehoert, um das so zu sehen, aber wie zur Hoelle kann man eigentlich bei fuenf Nennungen der Erlaubnisklassen und zGm viermal totalen Bockmist schreiben und alles wild durcheinanderwerfen? Zumal man das mit zwei Klicks auf Wikipedia oder im Zweifelsfall beim Verkehrsministerium recherchieren kann?

Das ist halt die Besonderheit von Qualitaetsmedien 😉

Also doch Staatshilfen fuer Zeitungen?

Heutzutage muss man als Unternehmer nicht einmal mehr ein attraktives Produkt anbieten, um Umsatz zu machen — im Zweifelsfall faehrt man den Laden einfach gegen die Wand und laesst sich auf Kosten des Steuerzahlers gesundfinanzieren. Staatshilfen fuer Opel, ein Katalog fuer Offlineversandhaendler, alles scheint moeglich heutzutage, solange nur das Geschaeftsmodell antiquiert genug ist, um im Wettbewerb mit neuen Ideen langsam aber Sicher ausser Puste zu geraten. Nun ist unabhaengiger und guter Journalismus weder antiquiert noch verstaubt, sondern in der Tat unglaublich wichtig fuer eine funktionierende Demokratie. Ob dieser Journalismus aber zwingend auf bedrucktem Papier ausgeliefert werden muss, ja das ist natuerlich so eine Frage.

Um es anders zu sagen, den Verlagen laufen die jungen Leser ins Netz weg, und anstatt ihnen dorthin zu folgen, will man sich mit Gratiszeitungen anbiedern. Natuerlich mit staatlicher Unterstuetzung. „Staatshilfe fuer NRW-Verleger“ titelte Thomas Knuewer am Dienstag ueber die Plaene in Nordrhein-Westfalen und erklaert auch ganz anschaulich, warum das, mit Verlaub, bescheuert ist. Man muss sich das einmal vor Augen halten: Entweder kommt die Zeitung in die Schule und treibt die Lehrer in den Wahnsinn (*raschelraschel*). Oder sie wird nach Hause geliefert — was die Eltern freuen wird, die ihr regulaeres Abo dann abbestellen koennen.

Nun will man diese Idee auch in Baden-Wuerttemberg durchziehen. Natuerlich auch mit staatlichen Mitteln kofinanziert. Interessantestes Zitat:

„Leider ist es nicht hip, Zeitung zu lesen“, sagt Bourauel, „das muss sich ändern.“

Zeitung lesen ist nicht mehr „hip“, und es wird sich so schnell wohl auch nicht mehr aendern. Ich selbst bin Newsjunkie. Ich habe mit unserer Tageszeitung das Lesen gelernt, und ohne taeglichen Zeitungskonsum ging frueher gar nichts. Das hat sich geaendert, seitdem ich Zugriff auf Onlinenachrichten habe, die ich selbst verifizieren kann, bei denen ich gegebenenfalls mit wenigen Klicks die Quellen lesen und mein Wissen vertiefen kann, und bei denen auch Feedback moeglich und erwuenscht — und vor allem auch von den Autoren gelesen und beantwortet wird. Das ist nicht hip, das ist Alltag. Nur eben nicht immer in allen Printredaktionen. Das muss sich aendern.

Jede Stimme zaehlt

Ich war ja schon etwas irritiert, als ich die Wahlergebnisliste in der Illertisser Zeitung gesehen habe. Schriftlich aufgefuehrt sind dort beispielsweise „Die Frauen“ mit 0,18%, AUF mit 0,17% oder EDE mit 0,04%(!).

Die Piraten haben 0,8% eingefahren. Sieht aber keiner. Weil’s im Diagramm nicht auftaucht.

iz_wahlergebnis

Nach Prozentpunkten sortiert kommen die Piraten im Wahlkreis NU immerhin auf Rang 9 — einen Platz hinter den Republikanern. Oh Mann.

ergebnisse_nu_@Notesoflife hat sich auch ueber aehnliches Vorgehen in der Schwäbischen Zeitung beschwert. Dort tauchen zwar die Republikaner und die Freien Waehler auf — die Piraten, die mehr Stimmen als die beiden eingefahren haben, fallen aber unter den Tisch. Nach Stimmen sortiert landen die eigentlich auf Platz 6, zwischen Linkspartei und Freien Waehlern.

wahlergebnisse_ulIch war uebrigens der einzige, der in meinem Wahllokal orange gestimmt hat, und auch in den anderen Altenstadter Wahllokalen waren es meist nur 1-2 Stimmen — trotzdem ausreichend, um oertlich auf 0,7% zu kommen. Ein Beweis mehr, dass wirklich jede Stimme zaehlt…

Frei interpretiert

Noe, ne Antwort habe ich vom SWP-Politikressort noch nicht bekommen. Folgebrief liegt seit eben bei denen im Briefkasten. Ich habe aber die Tage einen SWP-Artikel gelesen und sehr gelacht. Ersetzt man naemlich „Parteien“ durch Zeitungen… kindisch wie ich bin, habe ich das mal umgesetzt 😉

Zeitungen suchen Anschluss im Internet

Mit Blick auf schwindende Printauflagen verstärken die Zeitungen ihre Aktivitäten im Internet. Vor allem junge Menschen wollen sie damit für sich gewinnen. Ob das Konzept allerdings aufgeht, ist fraglich.

Online first – so heißt die Losung der Printmogule in der Bundesrepublik, wenn es um andere und neue Kommunikation mit dem Leser geht, vor allem mit der jüngeren Generation.

Kein Wunder, dass sich die Journalisten schon zu Hunderten bei YouTube oder Twitter tummeln. „Jeder halbwegs motivierte Journalist“, glaubt Claus Näveke, Betreiber und Autor des Webblogs „Der tägliche Wahnsinn“, „wird in diesem Jahr einen Facebook- oder Twitter-Account haben.“ RoD und mmap sind dort natürlich vertreten.

Der pseudoprominente Internet-Aktivist Stefan Kaufmann, der sich seit 2002 wirre Projekte für Team-Ulm ausdenkt, hält die Netz-Offensive der Blätter für vernünftig: „Journalisten müssen dahin, wo die Menschen sind, und sie dann mit den richtigen Inhalten abholen.“ Der Durchschnittsdeutsche verbringt mehr und mehr Zeit im Internet, den Wettbewerbern bleibt gar keine andere Wahl, als ihren elektronischen Auftritt zu verstärken. Andererseits, warnt Kaufmann, dürften sich Journalisten in diesem Medium nicht in ihrem Elfenbeinturm verstecken. „Es ist ihre Pflicht, die Sprache der jungen Menschen zu sprechen und sich auf deren Ebene zu bewegen — und vor allem auch zur Kommunikation vom Leser zum Journalisten bereit sein.“

Das allerdings ist ein Problem — authentisch sein und dennoch Zugang zur vernetzten Welt der Surfer und Infojunkies zu finden. Spricht man die Zielgruppe unprofessionell oder falsch an, sagt meine Waschmaschine, kann man im Dialog mit dem Leser mehr verlieren als gewinnen.

Die Adressaten, so meint auch meine kleine Schwester, hätten ein gutes Gespür dafür, ob sich ein Journalist tatsächlich mit dem gegebenen Feedback inhaltlich befasst, oder einfach nur mit standardisierten Phrasen antwortet.

So sind sich die erfahrenen Strategen in den Verlagszentralen längst nicht sicher, ob und wie viele Leser auf diese Tour am Ende gebunden werden. „Es geht mehr ums Prinzip: Dabei sein ist alles“, verrät ein Insider. Dass der rasante Erfolg von Spiegel Online nicht eins zu eins auf die Verhältnisse regionaler Blätter übertragbar ist, scheint klar.

Überhaupt taugt das Internet als journalistisches Medium wohl nur, wenn man es als Instrument sinnvoll und planmäßig einsetzt, nicht aber als Ziel an sich betrachtet.

Vorsicht lassen die Journalisten walten, wenn sie das Internet ausnahmsweise nicht nur als Einbahnstraße zur Verbreitung von Informationen oder Ansichten nutzen, sondern als Dialogforum. Da werden kritische Kommentare oder flapsige Äußerungen von Besuchern schon mal vor dem Portal gestoppt oder gelangen erst durch einen Filter an die virtuelle Pinnwand. Das sei die „Angst vor Kontrollverlust im Internet“, urteilt Frank B., Kommunikationsexperte von der Universität Hohenheim. Den Blättern schreibt der Professor ins Stammbuch: „Wer sich ins Netz traut, muss auch Kontroversen aushalten.“ Gerade das mache das Twittern doch glaubwürdiger als klassischen „Gatekeeperjournalismus von oben“.

PS: Das hier ist mein erstes Posting, das vom Zug aus per UMTS abgesetzt wurde. Hurra!

Seconded.

Author’s note: This article is referring to Thomas Knuewer’s yesterday post about how to save newspapers. Knuewer chose to write in English in order to join a larger, global discussion, despite him having a largely German audience —  I will follow suit.

Thomas Knuewer, of Handelsblatt fame, yesterday published his musings about on how to save newspapers, and makes some claims I can wholeheartedly agree to. One of his key arguments is the demise of the daily newspaper as the sole source of information, and the necessary shift away from „reporting on everything“ towards „reporting on the stuff you probably won’t find on the net“. Shovelling wire news into the front section is not a viable option anymore, since an exponentially growing part of the population has already heard, seen or read about those news the day before on the radio, tv, and, of course, the internet. In other words, these news aren’t news anymore — so why bother writing about it anyway?

Stick to the original content. To insightful, meaningful and well written features. To the occasional look behind the scenes. To good journalism. To all the factors that make „Die Zeit“ the only newspaper I would subscribe to. If you’re a local newspaper, concentrate on good local journalism. I know quite a lot of people whose only reason to continue buying their local paper is the local journalism. Should someone come up with an idea how to do all that local reporting on the web, for free, those papers would most likely be screwed.

Think about your journalistic focus. And do it fast:

[you] have to change in a pace that makes a the speed of a space shuttle look like plate tectonics.

Digitale Vermaechtnisse

Alles ist vergaenglich, und jedes Leben kommt an ein Ende. Auch der eine oder andere Blogger wird irgendwann einmal das zeitliche segnen, und es stellt sich die Frage, was danach mit den von ihm veroeffentlichten Inhalten passiert.

Ganz besonders aufmerksam verfolgt man das natuerlich, wenn der Blogger keines ganz natuerlichen Todes stirbt. Und wenn es sich dabei um ein Gewaltverbrechen handelt, interessiert sich sogar die Springer-Presse dafuer, welche persoenlichen Einblicke der Taeter vor dem gewaltsamen Ableben seiner Opfer und seiner selbst ins Netz gestellt hat.

Warum im Hamburger Abendblatt in diesem Zusammenhang idiotisches veroeffentlicht wird, wird von Thomas Knuewer und Thomas Mrazek erklaert. Letzterer stellt aber eine Behauptung in den Raum, die ich nicht nachvollziehen kann:

Im vorliegenden Fall muss sich auch der Anbieter des Blog-Services, Google, fragen lassen, warum die Daten weiterhin öffentlich zugänglich sind. Eine entsprechende Anfrage habe ich eben an Google Deutschland gerichtet.

Ja, Google muss sich das natuerlich fragen lassen. Aber der Fragesteller muss sich seinerseits fragen lassen, welche Antwort er denn erwartet.

Wir wurden bei TU in den vergangenen Jahren haeufiger als uns lieb war mit Profilen von Nutzern konfrontiert, die verstorben waren — tragischerweise waren das in der Mehrzahl junge Leute, die durch Unfaelle, ploetzliche Krankheit oder Suizid viel zu frueh einfach nicht mehr da waren. Auch im Team selbst blieben wir nicht verschont. Es ist nichts schoenes, zur Beerdigung eines (damals) 19jaehrigen Kollegen und Freundes gehen zu muessen, weil eben die Strasse glatt war.

Die Frage ist nun, wie man mit den natuerlich noch verbleibenden Profilen umgehen soll. Man zeigt ja gerne mit dem Finger auf den Betreiber, aber schon im „ueberschaubaren“ Rahmen von weniger als 500.000 Benutzerprofilen bekommen wir seltenst unmittelbar mit, wenn einer unserer User verstirbt — wie auch, sollte man etwa alle Nutzerdaten taeglich mit Todesanzeigen oder Schlagzeilen spektakulaerer Verbrechen vergleichen? Oft kommen dann Anfragen von Freunden, ob man nicht das Profil loeschen koenne, und bringen uns in eine arge Zwickmuehle, denn eigentlich sollten das nur die Angehoerigen entscheiden, und die haben im ersten Moment meistens andere Dinge im Kopf, als bei irgendwelchen Hostern, Providern und Social Networks eine Datensperrung zu beauftragen.

gb

Gaestebucheintrag, zweieinhalb Jahre "danach"

Die Frage des „digitalen Vermaechtnisses“, das man nach seinem Tod hinterlaesst, ist in jedem Fall eine schwierige. Teilweise werden aus den persoenlichen Profilen richtiggehende „Gedenkstaetten“ gemacht[1], teilweise moechte man die Inhalte vielleicht doch lieber nicht mehr der Oeffentlichkeit zugaenglich machen. Den schwarzen Peter hier den Anbietern in die Schuhe zu schieben, halte ich fuer vermessen.

juanpablo

[1] Gaensehauteffekt: Es gibt mehrere „RIP“-Gruppen bei TU, in denen einzelner Verstorbener gedacht wird — bei der Recherche bin ich eben auf eine Gruppe gestossen, die sich auf einen Bahnunfall bezieht, bei dem ich an der Bergung beteiligt war. Ich bin mir sicher, dass die Gruppengruender und -Mitglieder einen anderen Bezug zu diesem Ereignis haben als ich. Soviel zu subjektiver Wahrnehmung.

Danke, FH Mainz

…dafuer, dass ihr euch die Muehe gemacht habt, ganz viele Leute zu befragen und tatsaechlich wissenschaftlich vorzugehen, um meine am Wochenende nach nem Bier in den Raum geworfene These zu stuetzen.

Na gut, die Jungs und Maedels kannten meine These wohl vorher nicht. Trotzdem bin ich nun offiziell S-M-R-T 😀

(via Claus sein Google sein Feed)

Die Print-Wette

So. Ich bin am Freitag eine massive Wette eingegangen. Wlada und ich haben uns mal wieder ueber Printjournalismus gestritten. Sie hat ueber die selbstherrlichen Blogger und Online-Fanatiker abgekotzt, die das Internet fuer die letzte Bastion der Demokratie halten. Ich habe gleichermassen ueber die selbstherrlichen Elfenbeinturm-Printjournalisten und -Publizisten abgekotzt, die das gedruckte Wort fuer die Voraussetzung der Kultur des Abendlandes halten.

Irgendwann wurde daraus eine Diskussion ueber die Zukunft der Tageszeitungen: Ich bin der Ansicht, dass gedruckte Zeitungen langfristig nur mehr im Wochenzeitungsegment wirtschaftlich tragbar (und fuer den Leser sinnvoll) sind, Wlada haelt dagegen und argumentiert mit den Anzeigenpreisen in Print und Online (die momentan noch sehr krass auseinanderliegen).

Deswegen haben wir nun gewettet. Ich habe in den Raum geworfen, dass in zehn Jahren bestimmt ein Drittel der heute erscheinenden Tageszeitungen nicht mehr taeglich in Druckform erscheinen wird. Wlada haelt dagegen. Wetteinsatz: 500 Euro.

Ich haette ja nicht gedacht, dass sie drauf eingeht — ist sie aber. Stichtag ist der 01.01.2019. Und nun muss ich recherchieren.

Anzahl der Tageszeitungen

Die ist tatsaechlich schon in den vergangenen Jahren gesunken — um eher magere 10 Prozent. Nimmt man die Zahlen von 2005, muessten binnen zehn Jahren rund 125 Tageszeitungen ihren Printvertrieb einstellen, damit ich keine 500 Euro nach Berlin abdruecken muss. Das ist eine ganz schoen grosse Anzahl, und ehrlich gesagt wird mir gerade ein wenig mulmig. Aber vergleichen wir doch mal die Werbeausgaben.

Anzeigenumsaetze: Online vs. Print

Bis auf einige Branchenriesen wie SpOn kann kaum jemand mal eben 36.000 EUR pro Tag fuer Bannerwerbung verlangen — und selbst dort verblasst der Preis im Vergleich zu Preisen von bis zu 151.991 EUR fuer eine Doppelseite im gedruckten Spiegel (Ja, Aepfel und Birnen). Andererseits erreicht man in der Tageszeitung zwar eine grosse Zahl an Lesern — aber erreicht man so auch die Zielgruppe? Oder verpufft die Werbewirkung im Nichts? Im Internet fallen viele Anzeigen zwar der Banner Blindness zum Opfer, andererseits kann man nirgendwo anders so gezielt seine Zielgruppe erreichen, wie auch der Netzoekonom aufzeigt. Zudem muessen sich die Onlineangebote nicht zwangslaeufig rein mit Werbung finanzieren. Freemium-Modelle funktionieren schon jetzt — der Knackpunkt ist nur, einen ansprechenden Dienst zu entwickeln, der einen bezahlenswerten Mehrwert fuer den Nutzer mit sich bringt.

Die Anzeigenerloese der holzverarbeitenden Industrie sacken indes ebenfalls durch, wie medienlese ausfuehrlich darlegt:

Mit einem Wort: Amerika ist gar nicht ‘gaaanz anders’, das substanzlose Getute und Geröhre vom ‘Qualitätsjournalismus’ hat Deutschlands Verlegern nichts genutzt, die große Zeitungskrise ist zu uns über den Ozean geschwappt, sie ist in fast allen Redaktionen angekommen. ‘Print’ – so wie wir ihn in den letzten Jahren erlebten – wird flächendeckend in der heutigen Masse und Breite zu einem Auslaufmodell des Journalismus werden.

Was das heisst, duerfte klar sein: Stellenkuerzungen. Oft auf Kosten der Qualitaet. Dadurch sinkende Auflagen. Und irgendwann Einstellung der gedruckten Tagespresse.

Es duerfte zwar noch ein Stueck Arbeit sein, bis sich diese Erkenntnis ueberall durchsetzt, aber langfristig gesehen sollte sich selbst der Metzger an der Ecke ueberlegen, ob er nun nicht doch langsam im Netz gefunden werden moechte, sowohl ueber Werbung als auch mit einer Website. Alles eine Kostenfrage.

A propos.

Kostenpunkt Skalierbarkeit

Eigentlich eine Milchmaedchenrechnung. Moechte ich als Hintertupfener Tagblatt nun auch die umliegenden drei Landkreise mit abdecken und so die Auflage verdoppeln, werde ich mir schwertun. Ich brauche doppelt so viel Papier und Druckfarbe und muss meine Druckmaschinen laenger laufen lassen. Zusaetzlich muss ich aber auch noch eine Vertriebsstruktur in den neuen Vertriebsgebieten schaffen — schliesslich kann ich die gedruckte Zeitung nicht durch die Telefonleitung schicken. Das ist auch mit ein Grund, warum es so wenige ueberregionale Tageszeitungen gibt und warum die Sueddeutsche ihren NRW-Ableger wieder sterben lassen musste, trotz hohen Zuspruchs.

Uebrigens habe ich als Hintertupfener Tagblatt in obigem Beispiel noch keinen einzigen Redakteur fuer die neuen Gebiete. Aber in den heutigen Zeitungen sollen ja weniger Mitarbeiter mehr Inhalte liefern — selbstverstaendlich bei gleich bleibender Qualitaet. Hahaha.

Internet skaliert in diesem Vergleich verdammt gut: Um meine Nutzerzahlen zu verdoppeln, muss ich die Betriebskosten fuer die Infrastruktur nur moderat erhoehen. Und weder muss der treue Leser im Urlaub Mehrkosten fuer die Urlaubszustellung auf sich nehmen, noch einen zusaetzlichen Tag warten. Vorausgesetzt, das Webangebot nimmt den Nutzer ernst und setzt ihm nicht nur Klickstrecken vor — und vorausgesetzt, der Nutzer laesst sich auf das Internet als Nachrichtenquelle ein. Aber auch das ist nur eine Frage der Zeit.

Der technische Fortschritt

Vorbei sind die Zeiten, in denen man nur vom Heimrechner oder dem suendhaft teuren und gleichzeitig furchtbar schweren Laptop ueber Modem oder ISDN quaelend langsam ins Internet konnte. Mein ueber zwei Jahre altes Telefon kann per WLAN ins Netz, moderne Netbooks halten bis zu sechs Stunden Zugfahrt durch, waehrend der man sich durch die vorab auf den RSS-Reader geladenen Nachrichten und Artikel durchlesen kann — und wenn es einen furchtbar interessant klingenden Backlink gibt, kann man dem sogleich via WLAN oder UMTS folgen. Die New York Times macht das schon, in Deutschland sucht man danach vergebens.

Das kann die gedruckte Zeitung ebensowenig, wie eine Kommentarfunktion anzubieten oder gar die Leser derart wertzuschaetzen, auf diese Kommentare einzugehen. Aber das machen ja meist nicht einmal die Onlineableger der Zeitungen.

Der demographische Wandel

Nein, zur Abwechslung mal kein Traktat ueber die Rente, sondern ueber netzaffine Nutzer. Wer nach 1990 geboren ist, ist gerade zur Dotcom-Blase in die Pubertaet gekommen, mit Social Networks und WLAN-Routern gross geworden. Nach der Allensbach-Studie „Die junge Generation als Vorhut gesellschaftlicher Veraenderungen“ (PDF) haben nur 41,1% der befragten 14-29jaehrigen am Tag zuvor eine Tageszeitung gelesen, 1990 waren es noch ueber 65% (siehe obiges PDF, Seite 20)

Dieselbe Studie legt auch den Schluss nahe, dass sich dieses Verhalten spaeter fortsetzen wird: Wer schon als junger Mensch nicht taeglich eine Tageszeitung liest, wird das auch spaeter nicht mehr anfangen (obiges PDF, Seite 21). Extrapoliert man die Daten, kommt man zu folgender groben Abschaetzung:


Bevölkerung ab 14 Jahre 14-19 20-29 30-39 40-49 50-59 60+
1980 68,9 53,4 61,4 72,1 72,8 74,8 73,6
1989 65,8 49,1 56,5 67,4 72,4 72,3 71
2000 61,8 35,1 45,1 55,8 65,7 70,1 73,3
2008 54,7 26,3 29,4 45,5 53,7 65,6 73
Projektion 2018 (stk)
18 25 29 45 53 70

Die orange markierten wurden in der Allensbach-Studie als Indikator verwendet, die Prognose 2018 habe ich Pi mal Daumen aus den bisherigen Werten abgeschaetzt (einfach die Diagonalen fortgesetzt und die bisherige Entwicklung einfliessen lassen), wobei ich dabei meines Erachtens sehr konservativ zugunsten der Zeitung war.

Natuerlich sind hier sehr viele Unwaegbarkeiten mit im Spiel, da momentan nicht abzusehen ist, wie die 14-19jaehrigen in Zukunft die Tageszeitung als Informationsquelle betrachten werden, ausserdem wird die Altersgruppe 60+ in Zukunft einen groesseren Anteil an der Gesamtbevoelkerung ausmachen als bisher.

Man moechte sich aber einmal vor Augen halten, dass dieser (zugegeben sehr kruden) Abschaetzung zufolge 2018 nur mehr rund ein Viertel aller 14-39jaehrigen taeglich oder fast taeglich eine Tageszeitung lesen wird — insgesamt wohl weniger als die Haelfte der Gesamtbevoelkerung. Das wohlgemerkt nur, wenn sich die bisherigen Trends wie bisher fortsetzen werden und der aeltere Teil der Bevoelkerung weitestgehend an seinen Gewohnheiten festhaelt, eine gedruckte Tageszeitung zu lesen. Was ich sehr stark bezweifle.

Leapfrogging, oder „The Rise of the Silver Surfers“

Mein Vater hat einen bayerischen Volksschulabschluss, danach eine Lehre abgeschlossen und ist nun seit ueber 35 Jahren Kundendiensttechniker bei einem Haushaltsgeraetehersteller. Zu seinem 60. Geburtstag vor ein paar Wochen hat er von der Familie ein Netbook geschenkt bekommen — das er sich selbst ausgesucht hat, weil er genaue Vorstellungen und Anforderungen hatte. Auf dem Klassentreffen seiner damaligen Volksschulklasse haben er und seine Schulkameraden sich stundenlang unterhalten, wer wo seine Musik herunterlaedt, wie man ueber Coladeckel an iTunes-Gutscheine kommt, und welche Features die naechsten Netbooks und Smartphones haben muessen, damit sie sich auch ein neues kaufen.

Ich verarsche euch nicht, ich bin genauso mit offenem Mund dagesessen, als er mir das erzaehlt hat.

Eigentlich gibt es ja fuer fast alles im Netz einen tollen Web-2.0-Namen, fuer dieses Phaenomen habe ich aber noch nichts gefunden. Ich nenne sie die „Silver Surfers“ — Bastler, Technikverliebte und Gadgetnerds (im positivsten Sinne des Wortes) kurz vor dem Ruhestand, die mit dem technischen Fortschritt mitkommen und zwar nicht alles ausprobieren, die Sache aber beobachten und diejenigen Entwicklungen mitnehmen, die ihnen gefallen. Mal schauen, welches Potenzial Wikipedia und Openstreetmap noch aus diesen Damen und (vorwiegend) Herren ziehen koennen, sobald sie sich im Unruhestand befinden (Man beachte den Altersdurchschnitt auf dem Foto im verlinkten SWP-Artikel ;))

Fazit

Fassen wir einmal zusammen:

  • Online laesst sich mit Anzeigen nicht so viel Geld machen wie in Print. Dort fallen die Anzeigenpreise aber gerade auch schon, fast ueberall muss eingespart werden, teilweise leider zu Lasten der Qualitaet, was den Kreislauf noch beschleunigen duerfte
  • Internet ist schneller. Punkt. Ein grosser Teil der ueberregionalen Meldungen der heutigen Tageszeitungen standen gestern schon im Netz. Nicht zuletzt deswegen, weil das sowieso oft nur Agenturmeldungen sind. Gleichzeitig wird das Internet durch ultramobile Rechner und UMTS quasi allgegenwaertig und praktisch nutzbar.
  • Junge Leute sind bei tagesaktuellen Meldungen eher dem Internet als der Zeitung zugetan. Junge Leser laufen den Zeitungen nicht mehr in dem Masse zu wie frueher — das laesst sich statistisch belegen. Diese jungen Leute werden nicht irgendwann auf einmal anfangen, eine Tageszeitung zu lesen
  • Auf der anderen Seite wenden sich auch einige der aelteren Leser dem Internet zu oder — krass gesagt — sterben weg. Fuer die verbleibenden Leser den Vertrieb aufrechtzuerhalten, wird sich irgendwann nicht mehr lohnen

Damit kein Missverstaendnis aufkommt: Guter Journalismus ist noetig, und ich sehe hier nicht die Abloesung des klassischen Journalisten durch Blogger oder Buergerjournalisten — das sind in meinen Augen nicht zwei verschiedene Lager, sondern verfolgen im Endeffekt idealerweise dasselbe Ziel und arbeiten auch zusammen.

Ebensowenig wird die gedruckte Zeitung so schnell vollkommen aussterben. Gerade als Wochenzeitung sehe ich weiter grosses Potenzial fuer gut recherchierten Printjournalismus abseits der Sofortmeldung. Das letzte Stuendchen der Tageszeitung hat aber ueber kurz oder lang geschlagen. Vielleicht habe ich mich mit meiner Prognose vielleicht ein wenig arg zu weit aus dem Fenster gelehnt — ich weiss es nicht.

Spaetestens am 1.1.2019 wissen wir mehr. Auch, wer die 500 Euro bekommt.