Schlagwort-Archive: Wetter

Bezugssystem

Sommer 2005, Cave City, Kentucky.

„That’s a chilly night tonite“ — Bedeutung: Wenn man nachts im T-Shirt herumlaeuft, muss man nicht arg schwitzen.


Sommer 2010, Ulm, Deutschland

„Hm, ganz schoen warm heute nacht“ — Bedeutung: Wenn man nachts im T-Shirt herumlaeuft, muss man nicht arg frieren.

Manchmal vermisse ich die Suedstaaten.

Es ist 2010 hier, oder: Ueber Daisy, Wetterkatastrophen und warum frueher halt doch nicht alles besser war

In den Diskussionen zur ausgebliebenen Daisy-Beinaheueberhauptnichtkatastrophe und den jetzigen Schneeverwehungen hoert man oft immer, dass es frueher ja auch schon viel mehr Schnee gegeben habe, und das auch immer irgendwie ging. „Frueher ging das auch“ ist aber noch nie ein Argument gewesen. Frueher haben die Kinder auch unter Tage gearbeitet, und damals ging’s auch ohne Krankenversicherung.

Heute haben wir einfach einen anderen Lebensstandard, die erhoehte Mobilitaet hat unseren (vielfach zum Lebensunterhalt notwendigen!) Aktionsradius weit erhoeht und wir sind von den neuen Errungenschaften weitgehend abhaengig geworden. Frueher konnte man eben auch sein Haus noch wochenlang mit Holz oder Kohle heizen. Die heute vorwiegend genutzten Heizungen ueberstehen hingegen nicht einmal einen Stromausfall — der gefuellte Oelkeller nuetzt einem nichts, wenn der Brenner nicht anspringt, und ob bei laengeren Stromausfaellen das Gasnetz noch funktionieren wuerde, weiss ich auch nicht. Dieser Umstand ist auch nicht mal etwas typisch menschliches, sondern das ist — wenn man die mitwachsende Technik vor einem evolutionaeren Hintergrund sieht — sowas wie Koevolution, die es in der Natur ueberall gibt. Die Technik hat sich den geaenderten Beduerfnissen des Menschen angepasst, und der Mensch wiederum der Technik. Dafuer funktioniert die heutige Heizung eben auch energieeffizienter als der alte Kohleofen.

Die Schuld fuer liegen gebliebene Autos und unbefahrbare Strassen nun den sparenden — und sowieso chronisch klammen — Kommunen in die Schuhe zu schieben, ist natuerlich billig. Die Kommunen sind ohnehin diejenigen Behoerden, die zuerst gepruegelt und zuletzt irgendwelche Gelder bekommen, und der gestiegene Lebensstandard hat auch in anderen Belangen (kommunaler Brandschutz, Schulumlagen, etc.) zu hoeheren Kosten gefuehrt. Da ging es frueher auch anders, aber da hatte man auch noch keine Pressluftatmer und keine Werkzeuge zur patientenschonenden Rettung mit notfallmedizinischer Betreuung von Anfang an — und dahin moechte man eigentlich auch nicht wieder zurueck.

Als Fazit bleibt eigentlich nur, dass es eigentlich keinen Einzelverantwortlichen fuer die zeitweisen wetterbedingten Einschnitte in unser gewohntes Leben gibt. Durch unseren gewandelten Lebensstil sind wir ganz schlicht und einfach anfaelliger fuer Stoerungen — z.B. durch das Wetter — geworden. Oder anders gesagt, wir haben uns als Gesellschaft so angepasst, dass wir in einem engeren Toleranzbereich umso effizienter funktionieren.

Nein, „frueher ging das auch“ ist wirklich kein Argument.