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Der Untergang von Nokia

Ich habe leider den Linkgeber vergessen, weil der Tab einige Tage offen wartete, von mir gelesen zu werden. Dieser Artikel mit dem passenden Namen „The Titanic Deck Chairs Moment“ ist lang, aber ultimativ lesenswert. Er beschreibt, wie Nokia in Person von CEO Stephen Elop in den letzten Jahren quasi alles falsch machte, was man falsch machen kann.

Before the Elop Effect there was no ’strength‘ that Android or Apple had in retail. You walked into any telecoms retail store on the five continents where Nokia did well […] and there were stacks of Nokias and the retail staff ran at you to sell you.. a Nokia! Nokia was famous for dominating the retail environment. Not just competitive, dominating it. This was regularly listed as one of Nokia’s biggest strengths, when analysts wondered, how could Nokia, with clearly older technology smartphones on Symbian, outsell Apple by 2 to 1, and Samsung by 3 to 1 globally? Yes, that is true. As recently as 18 months ago, Nokia was outselling Apple iPhones – I mean yes, Nokia smartphones, Nokia Symbian based smartphones – were outselling all iPhones by 2 to 1. More than 2 to 1 in fact. And all Samsungs by 3 to 1.

Seltsame strategische Entscheidungen und Personalumbesetzungen. Windows-Phones und die oeffentliche Ankuendigung, Skype toll zu finden (was die Netzbetreiber voellig vorhersehbar nicht toll fanden). Und nun dazu: Massive Entlassungen. Der Artikel bemaengelt explizit die Schliessung des Standorts Ulm, und damit den Abschied von alternativen Handset-Betriebssystemen.

The layoffs in some offices including closing Ulm in Germany means the end of the Meltemi project and the end of the Linux and open source dream at Nokia. Meltemi was the sister OS platform to MeeGo, as a Linux based smarpthone operating system, but designed for ultra low cost handsets, to help Nokia migrate from S40 and S30 based ‚featurephones‘ to smartphones, in the under 40 Euro/50 US dollar price range. This is a price point where Windows Phone cannot reach.

Lange Lektuere, aber lesenswert.

OpenCityCamp, eine Woche danach

Muede

Eine Woche nach dem OpenCityCamp sind wir nun hinreichend ausgeschlafen, um nicht nur fuer Tag 1, sondern fuer das gesamte OCC ein Resuemee ziehen zu koennen.
Letzten Sonntag wie Montag ging das nicht mehr, weil Schlafmangel und Abbau ihren Tribut forderten, Dienstag und Mittwoch waren Termine — und nicht zuletzt stehen seit dem OCC wieder einige Teilprojekte mehr auf dem Plan. Spaeter mehr hierzu.

Nach Durchzaehlen der zurueckgelaufenen Namensschilder koennen wir auch stolz verkuenden, dass Samstag und Sonntag knapp 50 verschiedene TeilnehmerInnen im O28 waren — und das ohne die spontanen HelferInnen aus dem BECI, die einfach so immer wieder mal ausgeholfen haben (danke hierfuer!). Die Bandbreite reichte von — natuerlich — Studierenden ueber Doktoranden und ProfessorInnen aus Koblenz, Friedrichshafen und Ulm; es waren MitarbeiterInnen der Stadt, des Innenministeriums Baden-Wuerttemberg, der MFG, der TSU und des Buergernetzes zugegen; und bevor ich „Pirat^w Jehova“ schreibe, lassen wir es bei einem allgemeinen „politisch Interessierte“. Aus mehr als einer Partei uebrigens.

Wuenschewand

Wuenschewand

Der Wunsch, die Haushaltsdaten der Stadt noch auf dem Camp aufzubereiten, um es bei OpenSpending eintragen zu koennen, blieb vorerst unerfuellt. Erst war das Opendata-Landesportal bis Sonntag abend down, und dann durften wir uns mit bislang unbekannten Welten herumschlagen. Wie ist das denn bei der doppischen Buchfuehrung (auf die Ulm, frueher als die meisten anderen Kommunen in BaWue, bereits 2011 umgestellt hat)? Als Anhaltspunkt diente der Haushalt der Stadt Frankfurt samt der Beschreibungsseite des Frankfurt Open Data Day, und damit war schon einmal klar, dass mindestens ein Drilldown nach Produktgruppe und Produktbereich gemaess Anlage 8 des umfangreichen PDF-Haushaltsdokuments moeglich sein sollte. Teilhaushalte waeren auch schoen. Schauen wir mal.

Anekdotisch: Auf Bundesebene ist es immer noch ein Kampf, ueberhaupt an maschinenlesbare Daten zu kommen. Wir haben dagegen das Problem, zwar die Daten zu haben, dafuer aber die VwV Doppik nicht gut genug zu kennen, um mehr als educated guesses abzugeben. Ein rudimentaeres Perl-Script zur Aufarbeitung der Rohdaten aus dem OpenData-Portal gibt es bei github. Wir warten derweil auf Feedback der Zentralen Steuerung Finanzen der Stadt, mit dem wir uns am Freitag zum kurzen Austausch treffen. Um sie im naechsten Durchlauf mit der UN-COFOG-Schluesselliste zu schocken 😀

Zweiter Tag: Kleinere Runden

Datenethik

Generell war der zweite Tag von vielen kleinen Sessions gepraegt, immer parallel zu Hackereien im H21. Es ging um Informationsfreiheitsgesetze und -ordnungen als rechtliche Grundlage fuer offene Daten und transparentes Regierungshandeln, Exkurse in den Datenschutz und ethische Fragestellungen, aber auch Hands-on-Sessions rund um Ideensammlung, Einfuehrungen in die UlmAPI-Schnittstelle, Hackspaces in Ulm &c.

Twittert meer

Das Problem dieser Vielfalt: Wir haben nicht einmal die Projekte, die als „interessant“ markiert auf Halde lagen, abgearbeitet, sondern vielmehr noch viel mehr Projektideen in alle Richtungen gefunden. Was einerseits prima ist, andererseits aber einfach noch mehr Arbeit bedeutet 😉 Am Haushalt sind wir dran, die EBU-Entsorgungskarte wartet noch auf HackerInnen, die sie implementieren, gestern haben wir uns stundenlang mit Plots der StuVe-Verkehrsumfrage beschaeftigt…

…und nicht zuletzt Freifunk. Jede Menge Freifunk. Das schien fuer viele das faszinierendste Hack-Thema zu sein. Vorschueb duerfte vermutlich auch die inhaltlich eher ruehrige „Im Namen des Volkes“-Aktion des SpaZz geleistet haben, die „kostenloses WLAN in Ulm“ forderte. Auf dem Camp ging es dann eher um freies WLAN, und vor allem auch mit technischer Expertise 😉
Abends wurde noch das IPv6-basierende Mesh-Netz durch die Uni gespannt und getestet — der aktuelle Status wird in diesem Pad festgehalten.

Freifunk-Test

Was bleibt: Viel Inspiration. Viel Arbeit. Ein wenigBedauern, dass keine(!) GemeinderaetInnen anwesend waren. Lust auf mehr.

Hoersaalhacking

Und vor allem: Sehr viel Dankbarkeit. Der Stadt Ulm in Person von Buergermeister Czisch, die grosszuegig die Mittagsverpflegung uebernahm. Der MFG Innovationsagentur fuer das Hauptsponsoring von Fruehstueck ueber Getraenke bis Apfelkuchenmaterial und Konferenzbedarf. Dem kiz fuer die WLAN-Bereitstellung und den Propagandadruck. Und allen Beteiligten bei Aufbau, Durchfuehrung und Abbau:

Danke 🙂

Linkschau

Wir OpenCityCampen mal.

Im Sueden dauert ja alles ein wenig laenger, was das Netz angeht — moechte man meinen. Alles findet nur in Berlin statt — moechte man meinen. Dieses Wochenende haben wir einmal beschlossen, einfach mal dagegenzuhalten. Und das im beschaulichen Ulm. Sportlich, aber es scheint aufzugehen 😉

Zugegeben, die Runde war ueberschaubar. Und eigentlich mit weniger TeilnehmerInnen, als ich mir erhofft und erwuenscht hatte, was nicht zuletzt wegen der wirklich grandiosen Fruehstuecks- und Mittagsbuffets (Danke an die MFG und die Stadt fuer das Sponsoring!) und des spontan parallel gebackenen Apple Crumble schade war. Impulse gab es jedoch nicht zu knapp.

Erst einmal kam jedoch der Treppenwitz jeder Netzveranstaltung: Das WLAN ging nicht. Nach Telefoniererei mit dem kiz-Helpdesk stellte sich das als Copy&Paste-Problem heraus und es gab kurzerhand einen neuen Gastzugang. Danke an die uulm, bei der sowas auch wochenends funktioniert 😉

Ich bin nach dem ersten Tag auch ganz gluecklich ueber die Sessions. Meine persoenlich groesste Befuerchtung (noch vor der Teilnehmerzahl) als Barcamp-erst-Mitveranstalter war, dass am Ende nur langweilige Sessions auf dem Plan stehen wuerden. Dem war nicht so, und Barcamp-typisch ergaben sich auch abends noch viele Randdiskussionen.

T-City Friedrichshafen

Vorher kamen jedoch die eigentlichen Sessions, die von Einfuehrungen in Linked Open Data ueber das Apps4De-Gewinnerprojekt LISA, Praxisbeispielen aus Friedrichshafen, Verkehrsumfragen und freie Funknetze bis zum Austausch ueber den OpenData-Portal-Prototypen des Landes und Anwendungen im OPNV reichten. Alle Sessions mit mehr oder weniger vollstaendigen Mitschrieben finden sich in unserem EduPad (aktuell noch mit Zertifikatswarnung, sorry hierfuer)

Offene Türen

Creative Commons

Präsentationspause

Eines kann man auch nicht ohne Stolz sagen: Ulm und die Region sind am Ball. Genauer gesagt sind wir in der etwas absurden Situation, jeder Menge Offenheit und Bereitschaft zu Datenoeffnung zu begegnen, aber gar nicht genuegend EntwicklerInnen und AnwenderInnen zu haben, um auch praktisch aus allen Quellen machen zu koennen. Nicht zuletzt deswegen wollten wir hier auch die Keimzelle zu etwas weiterem Wachstum der datalove-Arbeitsgruppe (oder Daten-EinzelkaempferInnen) saeen.

Apple Crumble

Abendausklang

Und wie immer ist ein Barcamp erst endgueltig vorbei, wenn keineR mehr Lust hat, noch dazubleiben. Momentan ist kurz nach 2300 Uhr, und hier sitzen nach dem Sofa-Abendausklang bei Apple Crumble immer noch Leute vor ihren Laptops und hacken Dinge.

Das Camp endet, wenn keiner mehr Lust hat

An offenen Daten der Region koennen wir derweil momentan nicht allzuviel machen: Wenn schon das WLAN funktioniert, muss natuerlich tatsaechlich das OpenData-Portal des Landes ausfallen — in dem auch die Haushaltsdaten liegen, die ich gerne weiter aufbereitet haette. Mal sehen, ob wir die bis morgen irgendwie aufgetrieben bekommen.

Wer Lust hat, morgen noch dabeizusein: Einfach vorbeikommen; Fruehstueck ist ab 0900 Uhr in O28/H21, Sessionplanung ab 1000 Uhr ebenda.

Opas Krieg

Der Großvater sagt: »Goebbels hatte ja einen Klumpfuß und hinkte. Und da haben wir immer gesagt: Lügen haben kurze Beine.« Der Enkel liest die Briefe der Großeltern. 1943, Wollt ihr den totalen Krieg? »Ich bin auch so froh und glücklich über die Reaktion, die diese Rede bei Dir hatte«, schreibt die Großmutter. »Genau wie Du, Lieber, habe ich gefühlt, dass diese große Rede […] für unser Schicksal von weittragender Bedeutung ist!«

Der Großvater sagt: »Da habe ich nichts von mitgekriegt.« Gemeint sind die verbrecherischen Wehrmachtbefehle, Juni 1941, Überfall auf die Sowjetunion. Der Enkel geht ins Archiv, 79. Infanteriedivision. Er kommt zu dem Schluss: »Offenbar hat mein Großvater erheblich mehr gesehen und gewusst, als er [später] einzugestehen bereit war.« Eine Zeit lang sei er sogar selber derjenige gewesen, der zu entscheiden hatte, ob gefangene Rotarmisten sofort erschossen werden oder nicht.

 

Zeit Online beleuchtet den Weg des Historikers Moritz Pfeiffer, der die muendlichen Aussagen seines 2006 verstorbenen Grossvaters mit den historischen Fakten abglich und ein Buch darueber schrieb (Amazon-Partnerlink; ISBN 3943425029). Fazit: Opa mag nicht der einzige gewesen sein. Aber er war ein Nazi. Lesenswert.

Es gab noch andere, die entschieden, wer erschossen werden sollte. Vierer Ulmer Opfer der NS-Militärjustiz wird morgen an den alten Schiessstaenden gedacht:

  • Reinhold Bürkle (erschossen am 18.2.1942)
  • Jakob Eckstein (erschossen am 17.3.1945)
  • Kurt Henne (erschossen am 17.3.1945)
  • Richard Stemmle (erschossen am 21.3.1945)

Zitat aus dem begleitenden Flyer:

Zeichen setzen im 21. Jahrhundert… für jene Soldaten, die sich zwischen 1939 und 1945 dem nationalsozialistischen Angriffskrieg verweigerten – und die hierfür in Ulm von der NS-Militärjustiz verfolgt
und inhaftiert, zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden.
Jahrzehntelang fanden die Deserteure und „Wehrkraftzersetzer“ kein ehrendes Gedenken. Auch in Ulm blieb ihnen eine öffentliche Anerkennung verwehrt.
Nach heftigen Auseinandersetzungen um ein Deserteur-Denkmal in den späten 1980er/frühen 1990er Jahren sollte dies erst ein Gedenkbuch aus dem Jahr 2011 ändern.
Auf seiner Grundlage wurden – auf Initiative Ulmer Bürgerinnen und Bürger und mit Unterstützung der Stadt Ulm und des Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg Ulm
e.V. – 2012 Informations- und Gedenktafeln an den historischen Tatorten angebracht

Die Tafeln werden am morgigen 8. Mai 2012 im Rahmen der Gedenkfeier ab 1800 Uhr eingeweiht. Treffpunkt ist die Bushaltestelle „Schiessstaende“ beim Eingang zum Botanischen Garten im Lehrer Tal.

Ulmer Bordellkultur… vor 40 Jahren

Ein schoener Einblick in die Ulmer Welt der kaeuflichen Zuneigung anno 1972 aus dem Spiegel-Archiv via Achim:

Dr. h. c. Theodor Pfizer, 68, scheidender Oberbürgermeister von Ulm und Präsident der Hölderlin-Gesellschaft, nahm bei seiner Abschiedsrede am 24. Juli nach dem Zeugnis seiner Mitarbeiter das Wort „Bordell“ zum erstenmal in den Mund.

Was den feinsinnigen Stadtvater gerade am Ende seiner Amtszeit zu solch verbalem Kraftakt zwang, formulierte eine Mitbürgerin Pfizers zwanglos mit der Frage: „Wo, zum Teufel, sollen wir denn noch bumsen?“ Denn sie darf es nicht mehr im Freudenhaus, weil die Stadtverwaltung es nicht will, und sie darf es nicht per Straßenstrich — weil die Konkurrenz es nicht duldet.

Schauplatz war die heute vergleichsweise honorig wirkende Schuelinstrasse 12 im Viertel Oststadt-Wielandstraße, die zuerst 310 Immigranten und danach 50 Prostituierte beherbergte — was der nachkriegsdeutschen Ulmer Stadtfuehrung unter dem vermeintlichen Saubermann Pfizer nicht so recht gefallen wollte. Das Haus wurde geschlossen, die Dirnen auf den Strassenstrich getrieben.

Der verlief, die Vorstellung ist heute ebenfalls ungewohnt, entlang der Schillerstrasse an der Grenze zur Weststadt. Und war bereits besetzt:

Eugen Kalchschmidt, Organisator und Boß der Freiluftliebe in der Schillerstraße, setzte am vorletzten Wochenende eine Männerriege ein. um die erwerbslosen Damen „freundlich, aber unmißverständlich“ fortzuschicken.

Die Vertriebenen aus der Schülinstraße erhielten von dem Stoßtrupp einen Stadtplan. in den neue Sperrbezirke eingezeichnet waren — diesmal freilich nicht von der Stadtverwaltung, sondern von der Selbstverwaltung des Schillerstraßen-Strichs.

 

 

DER SPIEGEL 34/1972 – Gelegentlich Schreie.

Dichterkrieg im Roxy

Ich hatte ja vorab so leichte Zweifel, ob man mit dem Ulmer Poetry Slam, der bislang die Podium.bar des Theaters mit ihren 180 Plaetzen maximal ausfuellte, auch das Roxy fuellen koennen wuerde. Zumindest waren selbst eine halbe Stunde vor Beginn noch ganz regulaer ermaessigte Karten zu haben — im Theater waere das praktisch unmoeglich gewesen, dort war schon drei Wochen vor jedem Slam alles ausverkauft (und man bekam an der Theaterkasse auch vorab ermaessigte Karten, was im Roxy wieder nur mit der fuer Studierende nur leidlich interessanten Abomax-Karte funktioniert)

Die Zweifel verflogen aber, je naeher der Beginn rueckte: In Ulm kann man also erwiesenermassen rund 600 Gaeste zu einem Poetry Slam bewegen, und wie fast immer waeen die meisten von ihnen Slamneulinge, die erst einmal einer anfaenglichen Unterweisung bedurften.

Die kam dieses Mal von einem ganz anderen Moderatorenduo. Rayl Patzak wird aus gesundheitlichen Gruenden nach seiner nun beinahe ein Jahr waehrenden Abstinenz anscheinend gar keine Slams mehr moderieren, und so fuehrte Ko Bylanzky im Roxy mit Science-Slam-Moderatorin Dana Hoffmann durch den Abend. Das war stellenweise ein wenig holprig anzuhoeren — Ko und Rayl hatte ich ueber zwei Jahre lang mit ihrem Monat fuer Monat quasi text-identischen Einfuehrungsvortrag erlebt, und vor dem Hintergrund „hakte“ es jedes Mal merkbar, wenn Ko Baelle spielte, die Dana dann in ganz andere Richtungen weiterpasste oder Ansagen machte, die so gar nicht ins Poetry-Slam-Schema passen wollten. Vielleicht haette es geholfen, vorab ein paar Mal als Gast auf einem Slam gewesen zu sein.

Den Einstand der SlammerInnen fand indes nicht nur ich sehr gelungen: Clara Nielsen kann sich ruehmen, nicht nur beim allerersten Slam im Theater, sondern nun auch im Roxy brilliert zu haben; Max Steiner ist als einer der wenigen lokalen Slammer in Text und Vortrag ganz gewaltig gewachsen; und eine mir bis gestern gaenzlich unbekannte Almuth Nitsch von Kerry (die laut Internetz seit Jahren slamt, unter anderem mit Tilman Doering) waere so meine Lieblingsslammerin fuer eine Videoveroeffentlichung abseits des Finales. Und wenn der Local aus Babenhausen den Vortrag seiner in ihrer politischen Unsubtilitaet hervorstechenden Texte noch weiter uebt, kann vielleicht irgendwann auch er im Finale stehen, vielleicht dann zusammen mit Max Kennel, der ebenfalls ungewohnt politisch unterwegs war.

Und weil das der Ueberraschungen nicht genug war: Franziska Holzheimer vollzog nicht nur optisch durch einen Stilwechsel, sondern sprach einen Text ganz (fuer sie) anderer Art, den man sich vermutlich noch mindestens drei Mal anhoeren muesste, um ihn ganz erfassen zu koennen. Wobei sie mit ihrer Stimme vermutlich auch durch das Vorlesen von Packungsbeilagen ein Publikum fesseln koennte. Das waer mal ein Podcastformat: Franziska Holzheimer und Patrick Salmen lesen den Bundesanzeiger vor. Ich wuerd’s abonnieren.

Abschließend: Um 2200 Uhr einen Slam hinter anstatt vor sich zu haben, ist dann doch ungewohnt, aber auf angenehme Weise. Ich hatte noch Zeit, ausgiebig mit Michael Sommer, Martin Wegen und Ko zu quatschen und vor allem mit Ersterem „endlich“ einmal rein als Zuschauer einen Slam zu erleben, nachdem der SWP als Medienpartner des Slams das Aufzeichnungsangebot von Micha und mir zu teuer war. Abgesehen vom Dead or Alive und einigen noch herumliegenden Perlen wird es auf unserem Kanal also erst einmal keine Slamvideos mehr geben — dafuer im Laufe des Jahres voraussichtlich ein paar ganz andere Sachen. Wenn ihr darauf genauso gespannt seid wie ich darauf, was die SWP aus den Slamvideos macht, freu ich mich schon 🙂

Ich hab 1000 Freunde im Internet, und wir treffen uns jetzt alle zwei Wochen auf dem Muensterplatz

Jetzt, mit sechs Tagen Abstand, kann ich sagen: Die letzte Woche war ein gewaltiger Ritt. Irgendwann war die Bitte zur Unterstuetzung einer kleinen Anti-ACTA-Demonstration auf dem Muensterplatz ueber diverse Ulmer Mailingslisten getrudelt, und ohne grossartig nachzudenken, hatte ich zugesagt, mich um ein wenig Sprachverstaerkung fuer die erwarteten 100 Personen zu kuemmern.

Bis die aufgetrieben war, stand der Zaehler bei 500 Teilnehmern. Also umdisponieren, Anlage fuer 400 Personen auftreiben — und bis die organisiert war, hatten ueber 1000 Leute auf „teilnehmen“ geklickt. Ich bin immer noch sehr sehr geflasht von diesem Samstag, an dem insgesamt wohl 50 bis 100 Leute spontan Hilfe als Ordner und in der Teekueche zugesagt hatten, oder im Fall von Greencore Events mal eben eine HK Icon fuer lau auffuhren, um auch sicher mehr als 500 Leute beschallen zu koennen.

Ob nun 1000 Leute dort waren, die die Polizei gezaehlt haben will, oder 400, wie die Suedwest Presse behauptet, ist mir eigentlich bums. Vielleicht mag ja jemand mal mittels der Videos und Bilder eine Abschaetzung machen.

Viel wichtiger sind mir zwei Dinge:

1.: Ich kam mir auf dieser Demo mehr oder weniger alt vor. Das Publikum war zwar bunt durchmischt und ich habe gefuehlt alle Altersklassen gesehen. Im Vergleich zur Freiheit statt Angst oder den regelmaessigen Bildern aus Stuttgart haette ich in Ulm den Altersdurchschnitt aber deutlich niedriger angesetzt. 23 vielleicht, ich weiss es nicht. Erzaehle mir nochmal einer etwas von apolitischen Jugendlichen. Und ausserdem: Wer etwas von einer „Netzgemeinde“ erzaehlt, darf sich von mir fuerderhin als Deppen bezeichnen lassen. Diese Gruppe wirkte deutlich heterogen.

2.: Das Thema ist schwer vermittelbar. Und das ist eine der Hauptproblematiken. Das urspruengliche ACTA-Mobilisierungsvideo von Anonymous polemisiert vollkommen unnoetigerweise, und auch die Diskussionen und Behauptungen auf den Facebook-Gruppen- und -Einladungsseiten wirken vielfach von Verschwoerungstheorien und Wir-Sie-Denken gepraegt. Das ist nicht notwendig. Das schadet sogar.

Es ist dringend notwendig, dass sich diese aktuelle Bewegung ueber die Hintergruende von Urheber- bzw. Verwerterrechten und das von ihnen aufgeworfene Spannungsfeld informieren. Im DLF gab es eine Sendung hierzu, Techdirt hat die Copyright-Verschaerfungen der letzten Jahre zusammengefasst (nb: Copyright ist etwas anderes als Urheberrecht) und Everything is a Remix geht auf die grundsaetzliche Bedeutung von Verwerterrechten auf unser digitales Zeitalter ein.

Everything is a Remix Part 4 from Kirby Ferguson on Vimeo.

Ueberhaupt: Das Zauberwort duerfte „erklaeren“ sein. Netzpolitik bzw. digiges wollen „das Netz, nicht den Krieg erklaeren“, und genau dies ist auch noetig, falls der Ruf nach einem reformierten, fuer alle Beteiligten fairen Urheberrecht ein Ruf aus der breiten Gesellschaft werden soll.

An erster Stelle hierfuer steht Information.

PS: Der Klischeepunk erklaert auf acht9.de, warum kommenden Samstag erneut eine Demo auf dem Muensterplatz sein wird.

Geht doch mit der Mobilisierung

Wer demonstrieren moechte, hat’s in der Regel eher schwer. 2007 konnte ich immerhin so um die 80 Personen im Soundslide dokumentieren, die gegen die Vorratsdatenspeicherung demonstrierten, vor einigen Wochen standen dann nur mehr fuenf Leute bei der VDS-Mahnwache, und die SWP titelte zur letzten Ulmer Bildungsstreik-Demo, dass man sich das Demonstrieren bei gerade mal 100 Schueler*innen und Studierenden doch glatt sparen koennte.

Ich kann mir deswegen eine gewisse klammheimliche Freude nicht verkneifen, wenn es um die Anti-ACTA-Demonstrationen am kommenden Samstag geht, die europaweit stattfinden sollen. Anonymous hatte vorab ein fuer meine Begriffe leicht ueberzogenes Informationsvideo veroeffentlicht, das ich in den letzten Wochen erstaunlich oft auf Facebook verbreitet sah — auch von Leuten, die mir bislang selten im netzpolitischen Kontext aufgefallen waren. Und dieses Video wirkte offenbar als eine Art Katalysator.

Die Piraten aus Ulm und Ehingen hatten ja anfangs mit 50 Demonstrationsteilnehmern gerechnet und die Kundgebung fuer Samstag entsprechend beim Ordnungsamt Ulm angemeldet. Zeitgleich hatten einige Anons ein Facebook-Event fuer die Demonstration am Samstag und zwei vorangehende Paperstorms zur Mobilisierung angelegt: Jeweils Freitags sollte die Stadt mit Plakaten und Flyern zum Thema bestueckt werden.

Und dann gings rund.

Freitag nachmittag hatten sich 264 Menschen als Demoteilnehmer*innen auf Facebook eingetragen. Aktuell, zwei Tage spaeter, zaehlt die Seite 472 Zusagen und 349 „vielleicht“ Kommende. Selbst wenn nur ein Teil der Angemeldeten am Samstag auch teilnimmt, duerften dort je nach Witterung 250+ Personen aufkreuzen. Gar nicht schlecht.

Bis dahin sollte man sich die Einschaetzung von RA Thomas Stadler zu ACTA durchlesen, die deutlich weniger drastisch ausfaellt als das Anon-Video. Das ist jedoch kein Grund, nicht gegen die Art und Weise des Zustandekommens dieses Vertrags zu demonstrieren — und gegen die zugrunde liegenden Dogmen. Ein oeffentlicher Aufschrei ist ganz im Gegenteil sogar ueberfaellig.

//Nachtrag: qrios hat auch noch einige Argumente zusammengefasst.

Alles anders

Da lauf ich heute die Olgastrasse entlang und sehe „zu vermieten“-Schilder in einem Fenster haengen. „Lustig“, denk ich mir, „da was reinzubauen, das haette was, so direkt in ehemaliger Pufferbarnaehe“.

Und dann ist mir aufgefallen: Das war die Puffer. Jetzt neu gestrichen, und mit dem bis unlaengst immer noch haengenden Schild ist fast alles verschwunden, was jemals Pufferbar war.

Derweil wollt ich das doch abschrauben und mir ins Zimmer haengen.