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Menschen, die auf Rankings starren

Seit letztem Herbst schwanke ich zwischen „ich sollte unbedingt endlich mal was zum Bitkom-Smart-City-Index schreiben“ und „das ist doch eigentlich offensichtlich und macht gar keinen Spass“. Jetzt gab es aber ein Update des Rankings, das herumgereicht wird, und das nehme ich jetzt einfach mal zum Anlass, auszusprechen:

  1. Der Bitkom-Smart-City-Index ist methodisch schwach
  2. die Rangfolge der Staedte darin hat kaum Aussagekraft
  3. als Indikator taugt er eigentlich nur, um vor den Leuten zu warnen, die ihn fuer bare Muenze halten.

Im besten Fall kann man ihn verwenden, um (bei einem genuegend schlechten Abschneiden) mehr Umsetzung vor Ort zu fordern – im schlimmsten Fall lenkt er (wie so vieles in dem Bereich) von den eigentlichen Baustellen ab. Dazu leidet er unter dem (typischen) Dashboard-Problem, dass er dazu verleitet, rein auf die Indikatoren hin zu optimieren, damit das Ranking besser wird. Da Ranking und tatsaechliche Problemloesung aber wenig miteinander zu tun haben, ist das im besten Fall nur schaedlich.

Was ist das ueberhaupt

Der sogenannte „Index“ wird seit 2019 vom Branchenverband Bitkom herausgegeben und soll nach eigenen Angaben „alle deutschen Großstädte in Punkto Digitalisierung“ vermessen. Im Bericht von 2019 wird einleitend ein Kapitel „Methodik“ vorgestellt, das die Bewertungskriterien etwas genauer erklaert als der Bericht von 2020.
Auffallend ist dabei:

  1. wie oberflaechlich die gewaehlten Kriterien sind
  2. dass sich die Kriterien teilweise ueber die Erhebungsjahre hinweg aendern und nicht direkt nachvollziehbar ist, ob sich eine veraenderte Einstufung in einer Kategorie auf eine tatsaechliche Veraenderung vor Ort zurueckfuehren laesst oder die Kriterienaenderung selbst
  3. dass die Zusammenhaenge einer strategischen, strukturellen Integration von Digitalisierungsmassnahmen sich kaum im Index wiederfinden

So ist die Bezahlung per Karte oder e-Payment bei Behoerdengaengen eine eigene Kategorie, nicht aber die Integration in Online-Verfahren. Generell scheint das gesamte Thema OZG und vor allem die dafuer notwendige Tiefenintegration der erforderlichen Massnahmen keinerlei relevante Rolle zu spielen: Nicht nur die Bezahldienste stehen komplett losgeloest von moeglichen Onlinedienstleistungen da, auch die Online-Terminvergabe fuer notwendige Amtstermine luemmelt im Methodenkapitel unmotiviert zwischen den Stuehlen. Weniger als 10 der 575 OZG-Leistungen spielen eine Rolle fuer den Index. Es wird dabei nicht erklaert, warum es gerade diese sind. Theoretisch koennte eine Kommune hunderte OZG-Dienstleistungen im hoechsten Reifegrad anbieten und trotzdem schlecht abschneiden, wenn es eben nicht gerade die ausgewaehlten sind.

Gleichzeitig ist eine ganze Reihe der Indikatoren Hype-getrieben. Wer Chatbots zum gaehnen findet, nicht der Show wegen automatisierte Fahrzeuge im ÖV (de facto wohl eher auf abgesperrten Teststrecken) testet, oder den Nutzen eines „Smart City Dashboard“ in Frage stellt (was zur Hoelle auch immer das konkret sein soll), bekommt im Ranking weniger Punkte. Ob das ein Indiz fuer Nicht-Smart-heit ist, oder ob es einfach eine solide Einschaetzung ist, welche Sau man nicht durchs Dorf mitreiten will, kann man sich dabei selber ueberlegen. Nur wer auf der Sau sitzt, kann aber auf eine Spitzenposition hoffen – und die pauschale Zusammenfassung der Bereichspunktzahlen macht es fuer Dritte praktisch unmoeglich, nachzuvollziehen, welche fehlenden Punkte jetzt dem Verzicht auf den Hype geschuldet sind.

Wirklich seltsam wird es aber, wenn man sich die Bewertungen einzelner Staedte in den Kategorien genauer betrachtet, die man selber zu bewerten in der Lage ist. Im Bereich „City-App“ bekommt die Stadt Ulm beispielsweise 66,67 von 100 moeglichen Punkten, und ich habe keine Ahnung, warum – die App ist nun bald 10 Jahre alt, was man recht deutlich sieht. Viel spannender faende ich ja an der Stelle als Indikatoren fuer eine „smarte“ Stadt, wie viele der dort gesammelten Informationen auch als Open Data ueber standardisierte Schnittstellen verfuegbar sind, aber naja. Wie viel die 66,67% fuer die City-App jetzt fuer die Gesamtwertung des Bereichs Verwaltung ausmachen, konnte ich indes nicht nachvollziehen – die Gesamtwertung scheint noch irgendwie gewichtet zu sein und ist nicht der Durchschnitt der Einzelwerte. Auch die Gewichtung selbst und die Begruendung dafuer sind nicht transparent nachvollziehbar. Ich hatte mir beispielhaft die bewerteten Teile hoch gerankter Staedte angesehen um die Bewertung nachvollziehen zu koennen, und habe z.B. bei der Stadt Aachen eine, hm, witzige Website gefunden, die kein TLS macht und OSM-Kartentiles von Wikimedia einbindet. Welche Rolle das fuer das Abschneiden hat, ist nicht klar.

Ich haette im Bereich Verwaltung auch gerne im Detail gesehen, wie die Maengelmelder bewertet werden, und wie ueberhaupt dieser Bereich bewertet werden soll. Geht es um bruchfreie Prozesse bis zu den ausfuehrenden Stellen? Sollen moeglichst alle gemeldeten Maengel schnell auf gruen/erledigt geschaltet werden (selbst wenn die zugrunde liegenden gemeldeten Maengel gar nicht erledigt sind)? Allein an diesem Beispiel zeigt sich schnell, wie tief man eigentlich in die Thematik eintauchen muesste, um ueberhaupt ein halbwegs realitaetsnahes Bild des tatsaechlichen notwendigen strukturellen Unterbaus als auch nur annaehernden Indikator fuer „Smartness“ zeichnen zu koennen. Ich habe ernsthafte Zweifel, dass der hierfuer notwendige Aufwand in die Erstellung des Index fliesst. Vielfach scheint hier auf ein freiwilliges Selbst-Reporting der Staedte gesetzt worden zu sein, was eher ein Indiz fuer gute Oeffentlichkeitsarbeit waere.

Im Bereich „IT und Kommunikation“ kommen wir zu einem immer wiederkehrenden Thema der Erhebung: Arbitraere Bewertungsschwellen, und nichtssagende Faktoren. „Public WLAN“ wird in die drei Bereiche Abdeckung, Verfuegbarkeit (hier ist unklar, ob in Abgrenzung zur Abdeckung z.B. ein Servicelevel gemeint ist) und „Begrenzung“ eingeteilt, wobei bei letzterem nicht aus dem Bericht hervorgeht, was genau damit gemeint ist. Vermutlich scheint aber eine Datenraten- oder Zeitlimitierung gemeint zu sein, denn wenn man sich die erhobenen Staedte betrachtet, bekommen reihenweise Staedte Top-Scores, die auch 2020 immer noch ohne Not vorgeschaltete Captive Portals fuer ihr Public WLAN betreiben. Meines Erachtens ist ein CaPo (bzw. wann es endlich abgeschafft wurde) derweil ein hervorragender Negativindikator fuer Leistungs- und Modernisierungsfaehigkeit. Witziges Kriterium waere z.B. auch, in welcher Frist man wenn man wollte einen Dienst wie eduroam ausgerollt bekaeme. Oder wie gut die dahinterliegende Infrastruktur skaliert. Aber auch hierfuer ist die gewaehlte Erhebung viel zu oberflaechlich.

Bei IoT-Netzwerken sieht die Bewertung aehnlich ausgewuerfelt aus. Hier haben sich 2019 zu 2020 offenbar auch die Kriterien geaendert: 2019 waren es die Anzahl der LoRaWAN-Gateways pro km² und ob es eine offizielle TTN-Community gibt. 2020 stehen „LoRaWAN (Gateways, offizielle Community)“ und „Narrowband IoT“ als Kriterien in der Liste. Fuer 2019 habe ich nicht einmal eine detaillierte Auflistung der gewerteten Punkte gefunden, hier gibt es im offiziellen Bericht nur eine Sammel-Punktzahl pro Bereich. Allein die Existenz einer oertlichen TTN-Community heisst aber nicht, dass es vor Ort einen intensiven Austausch mit z.B. der Stadt oder der Wirtschaft gibt. Es soll oertliche TTN-Communities geben, die sich intensiv ueberregional vernetzen, und wo man dennoch die oertliche Wirtschaft regelmaessig zum Jagen tragen muss, wenn es um die praktische Umsetzung von IoT jenseits von Buzzwords geht. Und dafuer, ob es vor Ort NB-IoT gibt, kann eine Stadt herzlich wenig – und wieso sollte sie auch, wenn es ein gutes freies LoRaWAN vor Ort gibt, das allen Menschen zur Verfuegung steht?

Damit sind wir dann auch bei der Reihe weiterer Faktoren, fuer die eine Stadt wenig kann und die noch absurder wirken. So wird die reine Existenz privatwirtschaftlicher Bike- oder Scooter-Sharing-Dienste in der Stadt bepunktet. Viel viel spannender waere hier, ob und wie die Staedte hier die Integration der Dienste in intermodale Auskuenfte als Open Data sicherstellen (wird nicht bepunktet, es gibt nur den Abschnitt „intermodale App“, auch wenn das die 181. Closed-Source-Wollmilchsau-App ohne jegliche Interoperabilitaet sein soll) oder ob sie die Statistikdaten gemaess MDS bekommen und auswerten (nirgendwo als Kriterium zu finden). Das waeren wirkliche Indikatoren fuer die Apdation datengetriebener Methodik. Aber nein, es reicht offenbar, einen Smart-Parking-Dienst irgendwo zu kaufen, um „Smart“ zu sein.
Dieser Tenor setzt sich auch im Abschnitt „Gesellschaft“ fort. Allein die Existenz eines CCC-Erfa, Code-for-Germany-Labs oder einer GI-Ortsgruppe(?) werden bepunktet. Es ist dabei egal, ob und wie Stadt und diese Zivilorganisationen miteinander interagieren – wer einen Erfa hat, bekommt Punkte. Ich fuehle mich auch hin- und hergerissen, ob ich mich ueber das Indikator-Kriterium „Existenz eines CfG-Labs“ freuen soll. Einerseits ist es schoen, dass dieses Engagement hier als wichtig hervorgehoben werden soll. Andererseits gilt genauso der Punkt dass die Interaktion zwischen Verwaltung und CfG der ausschlaggebende Punkt ist; und zudem gibt es auch Organisationsformen ausserhalb von CfG, die aequivalent wirken koennen. Die wesentlichen Grundsteine im Austausch zwischen Stadt und unserer Open-Data-Truppe wurden zwischen 2010 und 2014 gelegt – also noch bevor es CfG gab. Aus genau dieser Zeit stammt denn auch noch das Open-Data-Portal der Stadt Ulm, auf dem auch seit Jahren kaum viel mehr an Daten gelandet ist, und das muehsam haendisch gefuettert wird, anstatt automatisch – dem Bitkom reicht das fuer 90 von 100 Punkten, und wer mir erklaeren kann, warum, bekommt ein Eis von mir.

Es ist eigentlich muessig, weiter ueber dieses „Ranking“ zu schreiben, und es macht mir auch maessig Spass, weil die komplette Methodik intransparent und praktisch ueberhaupt nicht nachvollziehbar ist.

Die wirkliche Aussagekraft des Rankings erschliesst sich mir ueberhaupt nicht. Es handelt sich praktisch durchgehend allenfalls um Indizien, die Grundlage einer genaueren Beschaeftigung der tatsaechlichen Umsetzung in den jeweiligen Staedten sein koennten. Diese zu „Indikatoren“ hochzustilisieren halte ich fuer unlauter, und Staedte auf Basis solch einer kruden und teilweise ausgewuerfelt wirkenden Bewertung in eine Rangliste einzugruppieren macht die Liste faktisch wertlos. Wir sollten ihr eigentlich keine Bedeutung beimessen. Insofern liefert sie aber letztlich dann doch fatale Indikatoren: Wie viele Entscheider:innen und auch Journalist:innen solch einen „Index“ gar nicht fachlich zu bewerten in der Lage zu sein scheinen und ihn fuer bare Muenze nehmen. Schade drum.

Bits und Baeume 2018

Ich fahre gerade (wegen koerperlicher Angeschlagenheit und des weiten Weges etwas verfrueht) von der Bits-und-Baeume-Konferenz aus Berlin zurueck nach Ulm, und wollte noch ein paar der Gespraeche und Gedanken festhalten, die wir in den letzten 48h hatten.

Die Idee der Konferenz war, die jeweiligen Bubbles aus $irgendwas_mit_Digitalisierung und $Nachhaltigkeit zusammenzuwerfen – um die Ueberschneidungen beider Themenfelder aufzuzeigen und die Menschen zusammenzubringen. Ich war offen gestanden anfangs etwas skeptisch, ob es das jetzt wirklich braucht. Nach dem Wochenende kann ich aber ganz im Gegenteil sagen: Das braucht es.

Die Veranstaltung besetzt eine Luecke, die von anderen Konferenzen und Congressen bislang eher maessig ausgefuellt wird. Ich fand es immer wieder schoen, eben nicht zum zehnten Mal dasselbe zu hoeren, sondern deutlich andere Stimmen, die den eigenen Horizont erweitern und zum Nachdenken anregen. Kam ich mir in den letzten Monaten auf anderen Veranstaltungen haeufig wie so ein Mini-Moechtegern-Extremist vor, der den Technozentrismus in der Smart-City-Diskussion infrage stellt und nach der gesellschaftlichen Rolle der technischen Loesungen fragt, fuehlte ich mich dort wie ein Digitale-Werkzeuge-Apologet, der immer wieder ins Achtung gestellt wurde. Weil die grundsaetzlichen Fragen noch viel weiter draussen sind, und ich in letzter Zeit auf ganz anderen Diskussionsebenen unterwegs war.

Das tat enorm gut.

Wir sprachen heute mittag auch ueber die Atmosphaere in den schick umdekorierten Hallen der TU: Die war ruhig, entspannt, unpraetentioes – und vor allem offenbar vollkommen trollfrei. Das tat auch gut. Vielleicht liegt’s am ausschliesslich veganen Essen, wer weiss :>

Ich konnte nur einen Bruchteil der Sessions live oder durch Erzaehlungen miterleben, das VOC hat aber wieder einmal grossartige Arbeit geleistet und die Vortraege Minuten nach Abschluss der Zeitslots ins Netz gestellt. Bislang kann ich Bits und Raeume hervorheben, und die Podiumsdiskussion „mit Digitalisierung zur Verkehrswende“, in der mal eben die Zerschlagung von VW gefordert wurde. Leon Kaiser brachte ausserdem in seinem Beitrag im Pecha-Kucha-Format Sporangium einen soliden Achtminueter ueber die De-Bullshitifizierung der Blockchain (Direktlink). Den Rest muss ich erst alles noch selber erst einmal nachsehen 😀

(Exkurs: Am Ende des Sporangium ertoente auf einmal naeherkommender Gesang aus den Hallen, was das Publikum immer ratloser machte – das stellte sich als das Berliner Heimatjodelduo Esels Albtraum heraus, die spaeter auch noch Stuecke wie den Bullenjodler im Lichthof auffuehrten :D)

Ich war selber auch eingeladen worden, zusammen mit Eva Blum-Dumontet (Privacy International) und Sybille Bauriedl (Europa-Universitaet Flensburg) „Reclaim the Smart City“ zu fordern und anschliessend auf dem Panel zu diskutieren. Ich sag mal so: Das hat geerdet. Ich habe die ganze Geschichte, was wir da in Ulm eigentlich mit der gar-nicht-so-smarten-City machen (und die ich jetzt seit zweieinhalb Jahren immer noch nicht hier niedergeschrieben habe), in den letzten Monaten fast immer nur anderen Kommunalmenschen oder gar Geschaeftsleuten erzaehlt, die selber gerne irgendwas mit Smart City machen wuerden. Das hat meine Koordinaten offenbar ganz ordentlich verschoben, und beim auszugsweisen Nachschauen dessen, was ich da gesagt habe, ist mir dieser offensichtliche engstirnige Verwaltungswicht ganz schoen peinlich.
Insofern danke v.A. an Sybille Bauriedl fuer die deutliche Zielrejustierung, worum’s eigentlich geht, und die kritischen Nachfragen aus dem Publikum. Und danke auch fuer das sehr direkte und offene Feedback nach dem Vortrag, dass sich mein Part im Vortrag sehr nach Selbstbeweihraeucherung angehoert habe. Ich muss diese Geschichte umbauen, die groesseren Ziele und auch viel mehr die vielen tollen Menschen in unserer lokalen Community in den Vordergrund stellen. Und ich muss wohl auch wieder haeufiger auf solche Veranstaltungen gehen, um mich vom Stadt-Alltag nicht allzusehr glattschleifen zu lassen.

Andersherum wuerde mich echt interessieren, ob die Rejustage auch bei anderen stattgefunden hat. Die „Facebook-Zerschlagen-Kampagne“ fuehlte sich ein wenig arg nach Hackerfolklore an. Datenschutz ist fuer die uebergeordneten Ziele halt ebensowenig Selbstzweck wie die Digitalisierung fuer die lebenswerte Stadt. Naja.

Es bleiben Dank und Glueckwunsch fuer ein gelungenes Konferenzformat, das fuer mich Anstoss zu viel Nach- und Weiterdenken war. Und ich bin gespannt, was aus den teilweise absurden Vernetzungsgelegenheitem am Rande noch wird 😉

PS: Es gab Baumkletterkurse! Mit Robin Wood! Wie geil ist das!

(hab mich nicht getraut. naja und ich hab den termin verschlafen)

Dystopien bauen

Ich durfte heute an einem Workshop zur Stadtentwicklung bei uns im Verschwoerhaus teilnehmen, und habe dabei eine fuer mich neue Methode kennengelernt, die ich unbedingt festhalten moechte – weil ich sie erfrischend anders fand und sie mir nach anfaenglicher Verwirrung geradezu diebische Freude bereitet hat.

Es ging – natuerlich – mal wieder um die Stadt der Zukunft, und die vom BBSR beauftragten Agenturen hatten vorher schon sogenannte Trendmolekuele entwickelt. Wenn ich das richtig verstanden habe, sind das Verkettungen einzelner Elemente, beispielsweise das Zusammenspiel von Civic Tech/„Open-Bewegung“, Kooperation von Verwaltung und BuergerInnen, Digitalem Ehrenamt, aber auch von Misstrauen gegenueber Eliten im Gesamtbild „Autoritaetsverlust der Eliten“. Klang ganz stimmig, teilweise ein wenig Buzzwordig, aber gut.

Wir sollten uns also Gedanken ueber eine Zukunftsstadt machen, z.B. eine wie Ulm, im Jahr 2050. Und das hier bekamen wir vorgesetzt (stichwortartiger Auszug):

Public Private Campus

  • Unistadt mit High-Tech-Unternehmen
  • Unternehmen investieren in Infrastruktur, erwarten dafuer ein unternehmensfreundliches Umfeld
  • oeffentliche Dienste sind quasi durchgehend obsolet oder privatisiert
  • Grenzen zwischen Verwaltung und Wirtschaft sind praktisch aufgeloest
  • Eigene Kryptowaehrung (natuerlich :D)
  • Viel Automatisierung, aber weniger qualifizierte Menschen bekommen auch ab und zu mal Jobs ab

Ich fragte mich ja erst, ob wir hier eigentlich verarscht werden sollen. Company Towns als Zielvision eines Gruppenprozesses? Inklusive Scrip als Kryptowaehrungsbullshit? Vor dem Hintergrund der aktuell laufenden Debatten? Wer hat denn da Lack gesoffen?!

Je mehr wir aber die Ideen umherwarfen, wie das Stadtquartier 2050 aussehen koennte (wir hatten den real existierenden Neuen Eselsberg als Beispiel), desto mehr kam ich in die Rolle hinein – und habe mit der Gruppe nach und nach quasi alles eingeworfen, was man so von Omni Consumer Products oder sonstiger dystopischer 1980er-Jahre-SciFi kennt. Die Quartiersbetriebsgesellschaft weist den fleissigen hochqualifizierten Beschaeftigten Wohnraum zu, haelt alles wunderbar sauber, organisiert sogar das verbliebene Ehrenamt mit (Wohlfuehlen durch soziales Engagement as a Service!), belohnt erwuenschtes Verhalten mit kostenlosem Netflix, etc. pp.

Im Nachgespraech waren wir Teilnehmende uns uneins, wie wir uns mit dem Format fuehlen sollten. Manche fanden das Szenario beklemmend und fragten nach dem Zweck, das so auszurichten. Ich hatte waehrend des Workshops immer wieder die ModeratorInnen deswegen geloechert, und an den richtigen Stellen ein Zwinkern als Antwort bekommen – und fand die Idee grandios. Denn: Der Hochglanz-Zukunftsvisionen gibt es ja nun wirklich schon genug. Egal ob das Le Corbusier war, oder die autogerechte Stadt, oder Grosswohnsiedlungen: Auf dem Papier sah das ja immer alles erstmal gut aus. Und bei den vorgestellten Szenarien konnte ich mir ganz problemlos vorstellen, dass die mal im Jahr 2000 mit einer Hochglanzbroschuere und grossen Erwartungen ihren Anfang gemacht haben koennten. Bevor sie eben nach und nach in so ein Huxley-Bilderbuchszenario abgedriftet sind.

Im Laufe des Nachgespraechs wurde dann auch allen klargemacht: Ja, genau das ist das Prinzip. Dinge so ueberspitzen, dass auch wirklich allen klar wird, dass diese Idee unerwuenschte Seiteneffekte haben wird – und welche Strukturen ursaechlich dafuer verantwortlich sein koennten. Eine Sensibilisierung fuer die Macht- und Strukturdynamiken, die man sonst bei der tollen Planstadt-Vision einfach ignoriert und 30 Jahre spaeter beissen sie einen in den Arsch. Ich fuehlte mich immer wieder auch an Towards a new Hacker Ethic erinnert, speziell die von Parrish postulierten neuen Leitfragen darin.

Ich wuerde das Konzept gerne mal im Kontext Smart City spielen. Und bin auch gespannt auf die Idee, diese Szenarien auch tatsaechlich in die Form eines Spiels zu giessen: StadtplanerInnen und IT-Buzzword-Ninjas sitzen im Pen-and-Paper-Rollenspielmodus zusammen und bekommen Quests nach dem Strickmuster „Der Lizenzvertrag fuer deine Cisco-Sensorinfrastruktur laeuft aus. Wuerfle fuer den Weiterfuehrungspreis“ gestellt 😉

 

PS: In unserer OCP-Stadt war nicht alle Hoffnung verloren. Ein moegliches Themenfeld war „Jugendhaus“, und ich habe einfach mal postuliert, dass das OCP-Jugendhaus von den nonkonformistischen Jugendlichen einfach links liegen gelassen wird – die sind naemlich auch 2050 so, wie Jugendliche schon immer waren: Sie finden scheisse, was ihre Eltern machen, schaffen sich ihre eigenen Freiraeume. Und eine kleine, aber wichtige Gruppe davon zieht nachts durch die Strassen, sabotiert mit umgebauten Mikrowellen die Quartiers-Sicherheitsinfrastruktur, laesst der Campuspolizei die Luft aus den Golfwagen und konsumiert illegalisierte Substanzen.

The kids will be alright.

Lieber Clever als Smart: Civic Tech fuer Menschen

Drei (plus x) Lese- und Ansehempfehlungen, die mir gestern nach und nach in den Twitterfeed gepurzelt sind und ebenfalls zur Frage passen, wie Civic Tech weitergesponnen werden kann.

Erstens das Boston Smart City Playbook, das schon gleich mit einem Kracher anfaengt:

The age of the “Smart City” is upon us!

It’s just that, we don’t really know what that means. Or, at least, not yet.

So far, every “Smart City” pilot project that we’ve undertaken here in Boston has ended with a glossy presentation, and a collective shrug. Nobody’s really known what to do next, or how the technology and data might lead to new or improved services.

Es folgt ein Rant ueber Vertriebsdrohnen von „Smart City“-Verkaufsbueros, eine Rueckbesinnung auf die Menschen, um die’s gehen soll, dass es nicht noch eine Plattform braucht (!!! zefix!!!), und dass im Zweifel eine „Clevere“ Stadt besser ist als eine „Smarte“: Mit einem Prototypen, einer intelligenten Strassenlaterne. Kleinen Spielplaetzen, die spaeter vielleicht hochskaliert werden, wenn sie sich bewaehren. Anstelle von Alles-oder-nichts-Megaprojekten.

Zweitens The Engine Room’s Advent Calendar mit einem Lesetipp fuer jeden Tag. Beispielsweise, dass „Startup-Kultur“ eine denkbar depperte Denkweise und Rahmenbedingung fuer gesellschaftsveraendernde Projekte ist. Dass „Innovation“ vollkommen ueberbewertet ist und „Wartung und Unterhalt“ eigentlich die wichtigeren Buzzwords sein sollten. Oder dass im Westen nach wie vor nicht-wohlhabende nicht-weisse Nicht-Akademikerinnen (hier: spezifisches Femininum) vergleichsweise wenig von Civic Tech haben.

Um Ausschluesse geht es – drittens – auch in Programming is Forgetting: Towards a New Hacker Ethic. Der etwas mehr als 20minuetige Vortrag (siehe oben) ist hier komplett transkribiert und lohnt sich zu lesen, gerne auch haeppchenweise. Am Beispiel einer Anekdote um die juengst mit der Presidential Medal of Freedom ausgezeichneten Margaret Hamilton zerlegt Allison Parrish Stueck fuer Stueck die „Hackerethik“, wie sie Steven Levy 1984 in seinem Buch “Hackers” dargestellt hatte. Nach einem Exkurs ueber soziale Kontexte stellt sie den urspruenglichen Lemmas jeweils eine Frage gegenueber. Und ich finde sie grossartig:

allison-parrish-programming-forgetting-26

(danke @lorz und @mjays fuer die Links. Ich weiss leider nicht mehr, von wem ich den Vortrag retweeted bekam.)