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Geklaut, kopiert und eingefuegt

Am Albert-Schweizer-Gymnasium Crailsheim hat’s einen schoenen Schulcampus, der offenbar auch ganz rege von den SchuelerInnen mitgestaltet wird. Abidenkmaeler und -murals sind da nicht nur irgendwo verschaemt hingebaut, sondern verzieren so ziemlich jede freie Flaeche.

Ob die raeumliche Naehe des Aushang fuer die Juratage der Uni Bayreuth zum „Abipedia“-Wanddenkmal Zufall oder Absicht war, konnte ich aber leider nicht herausfinden.

Die Karrierestudenten

Das Interessante am Ausseneinsatz auf Bildungs- und Abiturmessen ist ja, irgendwie seinem juengeren Selbst zu begegnen: Gerade in den letzten Zuegen der Schul(aus)bildung und in der Regel vollkommen planlos, was sie eigentlich spaeter machen sollen. Und die Antwort, dass man mit einem Unistudium hinterher „eigentlich alles, was man will“ machen kann, stellt nur wenige zufrieden — auch wenn es eigentlich die einzig richtige Antwort ist.

Manche wollen aber moeglichst gleich eine Vollorientierung haben: Fuenf Semester dieses, dann ein wenig davon, und hinterher ist man $definierte_Berufsbezeichnung mit einem jaehrlichen Gehalt $x. Das klappt halt nicht. Uni ist Selbstfindung, und was man nach fuenf Jahren Studium kennen gelernt und fuer sich entdeckt hat, kann man als Abiturient ganz einfach nicht abschaetzen. Klingt vielleicht hochspurig, ist aber nicht so gemeint. Und es haelt nicht alle davon ab, sich tatsaechlich erst einmal einen Karriereplan zurechtzuzimmern, um am Ende $x nach oben hin zu maximieren:

„Ich ziehe durch, was ich mir vorgenommen habe, ich will mein Leben nicht verbummeln“ – Anna-Lena ist eine Vertreterin der Generation Lebenslauf, die kühlen Blicks das Drauflosstudieren entsorgt hat und allzeit bereit ist zu harter Arbeit, sofern es reinpasst ins Karrieredesign. Nüchtern bis zur Selbstaufgabe planen sie das eigene Fortkommen. Als ideologiefreie „Ego-Taktiker“, die ihr Leben als Managementaufgabe begreifen, beschreibt sie Klaus Hurrelmann, Leiter der Shell-Studie. „Zielorientiert“ nennt die Studie das – und untertreibt noch. Es sind Ultra-Pragmatiker, die knallharte Kosten-Nutzen-Rechnungen aufstellen auf dem Weg nach oben.

(„Studenten im Optimierungswahn“, Spiegel Online)

Der Artikel geht dann noch ein wenig weiter, um natuerlich irgendwann versoehnlich damit zu enden, dass die krummen Wege manchmal die besseren seien, und die durchgestylten Studierenden ein wenig bloed dastehen zu lassen. Vielleicht ist das ja auch von so einem ehemaligen Langzeitstudenten geschrieben wollen.

Das aendert aber nichts daran, dass mich manche der Karriereabiturienten auf den Messen schon ein wenig schaudern lassen.

Was gute Schulen mit Amoklaeufen zu tun haben koennten

Der Bund plant ein “Fruehwarnsystem gegen Amoklaeufer”, wurde gestern verkuendet. Kernthese ist, dass sich ein Amoklauf jahrelang im Vorfeld ankuendige, und man Schueler identifizieren wolle, die beispielsweise Gewaltphantasien erkennen lassen. Mein Lieblingsjournalist Gunter Hartwig hat dazu natuerlich auch eine Meinung:

In allen diesen Fällen braute sich das Unheil über Wochen, wenn nicht gar Jahre zusammen, und es gab im sozialen Umfeld der jungen Täter durchaus Hinweise auf eine fehlgeleitete Gewaltbereitschaft oder den Rückzug in eine Welt voller Hass und Selbsthass.

[…]

Und es wird – sieben Jahre nach Erfurt – höchste Zeit, an unseren Schulen ein wirksames Frühwarnsystem einzurichten, das bei realistischer Betrachtung keinen absoluten Schutz vor Gewaltexzessen bieten kann, aber mit Hilfe wissenschaftlicher Erkenntnisse ein Höchstmaß an Prävention.

Voll gut. Man verschliesst nun also Schultueren, schickt Lehrer in Anti-Amok-Schulungen, screent Schueler auf ihre Gewaltbereitschaft und stiftet womoeglich die Mitschueler dazu an, sich gegenseitig zu denunzieren, wenn der Banknachbar seltsame Zeichnungen auf seinen Heftrand kritzelt.

Aus muffigen Schulen mit wahlweise in uringelb, kotzgruen oder kackbraun gestrichenen Waenden, in denen es immer ein wenig nach Kohl und Angstschweiss riecht, werden nun also nicht minder muffige Schulen, in denen eine konstante Angst vor ploetzlich durchdrehenden Schuelern herrscht.

Warum ein unscheinbarer Schueler — ja, die ueberwiegende Zahl ist maennlich — auf einmal in gewaltigen Blutorgien seine Schulkameraden und meistens am Ende sich selbst umzubringen versucht, das will offenbar keiner so recht analysieren. Dass Persoenlichkeitsdefizite aus Nichtbeachtung und Vernachlaessigung entstehen, aus diesen Persoenlichkeitsdefiziten soziale Defizite, dank derer man Kraenkungen nicht verarbeiten kann und sich lieber in Nebenrealitaeten verzieht, aus denen erst Gewalt- und Toetungsphantasien entstehen, ist in der Kausalitaetskette offenbar unwichtig. Dass Deutschland offenbar eine Sonderrolle bei blutigen Gewalttaten an Schulen einnimmt, auch.

Wer tiefer in das Thema einsteigen mag, dem sei ein passender umfangreicher Artikel von Pavel Mayer (Aggregat7) ans Herz gelegt, gegen den mein Ethikunterrichtsdiskurs von neulich wie ein Erstklaessleraufsatz wirkt, und den auch Gunter Hartwig vielleicht einmal lesen sollte.

Aggregat7 empfehle ich jetzt auch mal allgemein ganz heftig. Enno bezeichnet ihn als One-Man-Thinktank, und ich bin geneigt, ihm Recht zu geben.

Jesus oder Locke?

Wenn ich mich recht erinnere, hatten wir in der Grundschule ab der ersten Klasse Religionsunterricht, und zwar fuer alle. Spaeter wurde dann zwischen Religion und Ethik aufgeteilt, und waehrend die anderen im Religionsunterricht auswendig lernten, wer wann wen zeugte oder erschlug, wem einen Brief schrieb oder weswegen zum Maertyrer wurde, lernten wir in Ethik den kategorischen Imperativ kennen. Und in unserer beinahe grenzenlosen Oberstufennaivitaet und -arroganz glaubten wir sogar, ihn vollstaendig zu verstehen.

Auch wenn dem eher nicht so war, fand ich das interessant, weil man zu philosophieren anfangen konnte, wie das beispielsweise mit Eigentum ist, und warum mit einem Eigentumserwerb nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten verbunden sind. Irgendwie machte das auch die dazugehoerigen Artikel im GG greifbarer und verstaendlicher.

Ansonsten war alles, was sich irgendwie um Recht dreht, auf unzaehlige Unterrichtsfaecher verteilt. Angefangen von Heimat- und Sachkunde ueber Geschichte, Erdkunde, Wirtschaftslehre bis hin zu Gemeinschaftskunde gab’s mal hier ein wenig Grundgesetz lesen, mal da ein bisschen KG versus GmbH — einen roten Faden habe ich dahinter aber nie entdecken koennen. Und irgendwie finde ich das seltsam, dass man einerseits fuer ein Abitur Jahre lang intensiv mathematische Grundprinzipien lernt, aber nie so richtig umfassend seine staatsbuergerlichen Rechte und Pflichten begreifbar gemacht bekommt. Man muss sich das einmal vorstellen: Ein Abiturient soll sich 13 (bzw. 12) Jahre lang mit dem Christentum beschaeftigen, sich aber nie darueber Gedanken machen, wie Recht und — daraus folgend — Gesetze entstehen. Dass jedem Recht und jeder Pflicht eine Abwaegung zwischen Einzel- und Gemeinschaftsinteressen zugrunde liegt. Dass Freiheiten nicht vom Himmel fallen, sondern begruendbar sind. Dass Moralvorstellungen in der Gesetzgebung keine Rolle spielen sollten.

Warum setzen wir uns in der Schule die komplette Schulzeit lang mit dem Leben und Wirken eines religioesen Propheten auseinander, anstatt verstehen zu lernen, wie unser Gemeinschaftsvertrag funktioniert — denn nichts anderes sind unsere Gesetze — dessen Rechtssubjekt wir im taeglichen Leben sind, und dessen Rechte und Pflichten wir taeglich wahrnehmen und auch manchmal an ihre Grenzen stossen? Warum lernen wir nur broeckchenweise, was eine freiheitliche Demokratie ausmacht, und was Anzeichen fuer Einschraenkungen der von ihr gewaehrten Freiheiten sind?

Je mehr ich darueber nachdenke, desto weniger verstehe ich das.