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Leseempfehlung (4)

So ist das mit der Zerfaserung der digitalen Identitaet auf Twitter und Google-Reader-Share und Facebook und was weiss ich: Wer nicht allem folgt, bekommt nur einen Teil mit. Hier deswegen der Versuch, die vielen Linkempfehlungen der letzten Tage nochmal zusammenzufassen und kurz zu verstichworten.

(Wer meinen Reader-Share und bei Twitter mitliest, kann an dieser Stelle abschalten.)

Stichwort Wikileaks. Die dazu passende Suchmaschine duerfte ja bekannt sein, interessant waren fuer mich in den vergangenen Tagen vor allem die Reaktionen in der digitalen Medienwelt. Zum einen auf die Deutung von Wikileaks an sich: Was Julian Assange ueberhaupt will und wie man ihn interpretieren sollte, bemueht sich die SZ darzulegen, waehrend die grundsaetzliche Bedeutung von Transparenz und die Abwehrreaktionen der eigentlich doch so auf selbige bedachten Politiker unter anderem beim Freitag, beim Guardian, bei Picki und bei Steingrau eroertert werden.

Zwei weitere Punkte finde ich besonders spannend an der ganzen Affaere. Zum einen, dass sich auf einmal Politiker als Datenschuetzer gerieren und nach staerkerer Regulierung des Internets rufen — zum anderen, dass bei Wikileaks binnen kuerzester Zeit die Originalseite nicht mehr erreichbar war, was doch eigentlich bei Missbrauchsdarstellungen, gegen die normalerweise die Zensurbestrebungen gerichtet sind, ohne Sperrinfrastruktur nicht moeglich sei. Der Streisand-Effekt liess natuerlich auch nicht lange auf sich warten, und sowohl Amazon als auch Paypal sehen sich mittlerweile einem mittelschweren Scheissesturm ausgesetzt, inklusive Linksammlungen, wo man denn abseits von Amazon seine Weihnachtseinkaeufe im Netz taetigen kann. Die Idee, dass letztendlich nicht einmal Sperrgesetze notwendig sind, um uns von Informationen abzusaegen, sondern Konzerne darueber entscheiden koennen, irritiert offensichtlich nicht nur mich.

Irritierend finde ich auch, dass die Depeschen #07BERLIN242, #06MADRID3104 und #07MADRID173 in Bezug auf die Entfuehrung von Khaled El-Masri nur einer der oertlichen Zeitungen einen halbwegs ausfuehrlichen Artikel Wert war, die andere das Thema nur als Randnotiz abheftet. Wenn ein deutscher Staatsbuerger illegal verschleppt und daraufhin die Strafverfolgung der Verschlepper aktiv behindert wird, scheint das wohl nicht immer auch relevant zu sein. Oder aber es fehlen die Ressourcen, das Thema noch einmal aufzubereiten. Beides faende ich… schade.

Aehnlich sieht das auch Robert Basic (dass ich den nochmal verlinken wuerde!) in einem anderen Zusammenhang. Die Berichterstattung der klassischen Medien ueber den JMStV ist mehr als duerftig, und nicht nur er duerfte darueber enttaeuscht sein.

Und weil man nicht immer meckern soll, noch ein wenig Positivismus zum Schluss (mainly for Mediennerds):

Faszination

Eigentlich wollte ich gestern den ganzen Tag lang auf meine Pruefung lernen.

Als gegen Mittag die ersten Twittermeldungen ueber verpruegelte Schueler aus Stuttgart eintrafen, fiel es verdammt schwer, bei der Sache zu bleiben, und nicht sofort noch eben mal diretto unter heissen Bedingungen livezutesten.

Und als ich abends eigentlich noch Texte einsprechen wollte, sass ich stattdessen fast bis 0300 Uhr wie gebannt vor den Video-Livestreams aus dem Schlosspark, waehrend auf Twitter neue Bilder nachgeschoben wurden und ich dem Ulmer K21-Buendnis beim Live-Verfassen einer Pressemitteilung zusah.

Es faellt mir schwer, so richtig auszudruecken, was dieses Gefuehl ist. „Faszination“ klingt irgendwie viel zu schwach, es scheint nicht zu reichen fuer dieses seltsame Gefuehl, eigentlich zu traeumen, wenn man so mal eben mit wenigen Sekunden Verzoegerung sieht, was andere so mal eben mit ihrem Telefon aufgenommen haben. Mit einem Telefon! Absurd! Waren das nicht vorgestern noch so gruene Dinger mit Nummernschalter? Heute uebertragen die, wie andere gruene Dinger ganz ohne Nummer mit Reizgas spritzen. Live. Wahnsinn.

In bierseliger Runde im Swobster’s letzte Woche kam irgendwann die philosophische Frage auf, in welcher Zeit man denn gerne gelebt haette, wenn man sich’s aussuchen koennte. Kennt ihr bestimmt alle, die Frage kommt immer mal wieder. Letzte Woche habe ich zum ersten Mal ohne zu zoegern „genau jetzt“ gesagt. Ich glaube, diese Antwort ist die beste, die es auf die Frage gibt.

Links:

Ergaenzungen

Eins.

Im Originalartikel zur Netzpolitik-Soiree war Jens Bests Fragenueberfall nur eine Randnotiz, die Kommentarspalte ist jetzt aber die vermutlich laengste, die es jemals hier geben wird, und ich moechte ganz ausdruecklich noch einmal auf sie hinweisen. Jetzt ist mir ein wenig klarer, worauf Jens eigentlich hinaus wollte — letztlich duerfte das Ziel sein, Aengste und Vorurteile abzubauen.

Zwei.

Das Problem scheint mir, dass man allzuleicht versucht ist, diese — auf Un- und Halbwissen basierenden — Aengste mit „Nicht-Netz-Menschen“ zu verbinden. Vergessen werden dabei all diejenigen, die zwar im Netz unterwegs sind, aber keine wesentliche Ahnung von der Materie haben. „Internetausdrucker“ ist da auch wieder so ein furchtbarer Begriff, damals im Usenet waren es die AOL-Nutzer, und morgen gibt’s den naechsten abwertenden Begriff. Wir brauchen eine Integrationsdebatte, heisst es dagegen bei Torsten Kleinz, und er hat voll und ganz Recht. Vom Gros der Lehrer kann die vielbeschworene Medienkompetenz nicht kommen — warum kuemmern wir uns aber nicht selber darueber, anstatt nur herablassend zu laestern? Leseempfehlung, und bitte mitdiskutieren. Aehnliches gab es vor einer Weile schon bei Enno Park.

Drei.

Bei der Diskussion mit Jens hatte ich einen Flashback. Eine aehnliche Diskussion nach dem Motto „wozu ueberhaupt noch Datenschutz“ gab es schon im Fruehjahr bei qrios im Blog — leider mit meines Erachtens viel zu wenig Diskussionsbeteiligung. Sollte man eigentlich noch einmal aufgreifen, finde ich.

Vier (zuerst vergessen, also Ergaenzungs-Ergaenzung).

Nach Inspektion meines Buchregals war Wlada der Ansicht, ich habe einen aehnlichen Literaturgeschmack wie ihr Chef und hat sich Free Culture ausgeliehen, was ich gleichermassen unerwartet wie verdammt cool fand. Womit die maximal nonchalant-prahlerische Ueberleitung zu Dirk von Gehlen geschafft waere, der auch noch etwas zur Lobo./.Weiss-Debatte schrieb, was ich zuerst uebersehen hatte.

Zeit fuer die Unabhaengigkeitserklaerung

Ich bin nun endlich dazu gekommen, Jeff Jarvis‘ Vortrag ueber das deutsche Privatsphaeren-Paradoxon anzuhoeren, und es lag sicher nicht am parallel konsumierten Bier (plus Farbausduenstungen), dass er mir gefallen hat.

Mehrere Stellen haben es mir angetan. Ich gebe Jarvis voll und ganz Recht, was unsere aktuelle Auffassung des Internets als „Stream“ angeht, und besonders die Erwaehnung des auch im Jahr 11 seines Bestehens vollkommen zu Unrecht immer noch viel zu wenig beachteten Cluetrain Manifesto tat gut. Ganz besonders hat mich aber die Stelle zum Nachdenken gebracht, an der Jarvis in Anlehnung an die Unabhaengigkeitserklaerung des Cyberspace von Barlow die Regierungen anspricht, die niemand eingeladen hat, und die dennoch (schaedlichen) Einfluss ausueben wollen.

Ich musste sofort an einen Artikel von mspr0 denken, den ich gut fand, und den ich trotz seiner Qualitaet zu meinem Erschrecken offenbar noch gar nicht mit euch geteilt hatte. Vielleicht hat er sich von diesem Zitat inspirieren lassen, jedenfalls vergleicht er — in Replik auf Tauss‘ Indianeranalogie — die Regierungen der Welt mit der britischen Krone in Bezug auf die amerikanischen Kolonien.

Der Vergleich passt unheimlich gut. Und wann kommt endlich die Revolution? 😉

Warum es nicht vergebens war

Zugegeben. Anfangs ging es mir wie @mspro. Da ist das Sperrgesetz im eigenen Land noch nicht mal aufgehoben, und schon geht es auf EU-Ebene weiter — wie Don Quijote mit den Windmuehlen. Als haetten die Petition, die Demonstrationen, der Versuch, Medien und Politik wachzuruetteln, nie stattgefunden.

All das hat aber stattgefunden. Und demnach ist einiges anders als im vergangenen Jahr. Auf B5 aktuell habe ich alle 15 Minuten die Stellungnahme des voll namentlich genannten Arbeitskreises gegen Internet-Sperren und Zensur verlesen bekommen, was im Radio einen geradezu pathetischen Klang bekommt. Waehrend bei der SWP vor einem Jahr noch Gunther Hartwig und Thomas Veitinger pro Netzsperren schrieben, war der Censilia-Vorstoss dieses Mal einen Seite-1-Kommentar wert, in dem Christoph Faisst die Sperrphantasien als die, Zitat, „sinnlose Symbolpolitik“ anprangert, die sie tatsaechlich sind. Und selbst Bild.de ergeht sich nicht in Ad-hominem-Angriffen gegen Sperrgegner, sondern berichtet ueberraschend ausgewogen.

Ich bin natuerlich zu sehr Zyniker, um den Unterschied zwischen der gedruckten Bild und bild.de nicht zu erkennen. Und ich werde mich von den Anti-Zensur-Beteuerungen der schwarz-gelben Regierung nicht einlullen lassen. Aber trotzdem zeigen mir solche einzelnen Punkte, dass die Bemuehungen des vergangenen Jahres alles andere als vergebens waren.

Wie in Deutschland Entscheidungen gefaellt werden

Ich habe leider nur ein paar Mal in den Stream des pc10 reinsehen und -hoeren koennen, aber neben des Umstandes, dass in erster Linie ueber den Status Quo und kaum ueber Zukunftsvisionen diskutiert wurde, fiel mir ein Grundtenor immer wieder auf: Entscheidungen werden hinter verschlossenen Tueren gefaellt und „leaken“ erst dann, wenn die Sache quasi schon gegessen ist.

Jetzt koennte man das allein auf Netzthemen beschraenkt vermuten, und tatsaechlich findet man diese intransparente Entscheidungsfindung beispielsweise bei ACTA oder dem JMStV. Dem ist aber  nicht so.

Ich sass vergangenen Montag in einem Interview mit Prof. Michael Hoffmann und habe ihn zu seiner Sicht des Europaeischen Qualifikationsrahmen befragt. Wir sind dabei aber mehrmals zu Bologna und den Entscheidungsfindungsprozessen abgeschweift.

Jetzt muss ich sagen, dass ich seit einigen sehr interessanten und ausfuehrlichen Gespraechen mit Politikern und Ex-Politikern vieler Parteien im letzten Wahlkampf einiges gehoert habe, was mich Hoffmanns Story fuer 100% plausibel und alltaeglich halten laesst. Wenn  man solche Themen einmal bei einem Politcamp o.ae. ansprechen wuerde, koennte man vielleicht der vielbeklagten Politikverdrossenheit eher auf die Spur kommen.

Money Quotes folgen:

Da ist [..] eine Arbeitsgruppe eingesetzt worden zur Umsetzung. Die werden durch einige wenige Leute geleitet — und da kommt jetzt etwas zum Tragen, was eigentlich für die Bildungspolitik in Deutschland typisch ist, und was uns auch die ganzen Probleme beim Bologna-Prozess beschert hat: Darüber entscheiden einige wenige Leute, die weder parlamentarisch kontrolliert, noch durch irgendwelche Interessensverbände legitimiert sind . Das wird einfach von denjenigen entschieden, und wie die Information jetzt weitergegeben wird, ist ganz in deren Entscheidungskraft.

[…] Ich habe das eigentlich erst so richtig wahrgenommen im vorigen Jahr bei einer Feier „10 Jahre Bologna“. Da hat einer der beiden, die für Deutschland das Bologna-Dokument unterschrieben haben, das war ein damaliger Staatssekretär namens Catenhusen, eine Tischrede gehalten und hat uns dann erklärt, wie das funktioniert hat. Der hat gesagt, er war beauftragt, zusammen mit einem Kollegen der Länder das zu unterschreiben, und dann hat er gesagt, damit mir niemand reinredet, hab ich die ganzen Unterlagen bei mir zu Hause im Schreibtisch eingesperrt, bis unterschrieben war.

[…] Das sind ganz wenige Leute, die darüber entscheiden. Jetzt bei der Umsetzung des DQR sind das andere als bei Bologna, aber wenn ich „die“ sage, dann meine ich ein paar fast anonyme Menschen, von denen man kaum herausbekommt, wer jetzt wirklich das Sagen hat.

Und Teil 2:

Die Macher in dem Prozess schicken am Tag vor der Kultusministerkonferenz die Entscheidungsvorlagen als PDF-Dateien in die Ministerien,  in der Größenordnung von mehreren 100 Seiten, und sagen dann, Änderungswünsche bis morgen neun Uhr. Und ansonsten wird das so als Entscheidungsgrundlage zur Abstimmung in die KMK gebracht.

Die meisten Minister wissen davon gar nichts. […]

Ich war mit einem Gespräch mit Minister Pinkwart in NRW, und wir hatten die ganze Problematik angesprochen. Vier oder fünf Tage später sollte eine Vorbereitungskonferenz sein […] Dann  fragte Pinkwart, wer geht denn von uns zu dieser Vorbereitungskonferenz? Betretenes Schweigen. Niemand. Sagt er, wieso nicht? Haben die gesagt, da ist sowieso schon alles entschieden, da haben wir keinen Einfluss mehr. Dann ist der explodiert. Der hat seinen Staatssekretär so klein mit Hut gemacht während der Besprechung. Weil er damals erstmalig erfahren hat, wie Entscheidungen für die KMK vorbereitet werden. Mit anderen Worten, ich habe miterlebt, dass ein zuständiger Minister erst im Gespräch mit uns erfahren hat, wie die ganzen Entscheidungen zustande kommen, und die Entscheidungsvorlagen. Der Minister kennt die Vorlagen nicht. der geht davon aus, dass seine hochgestellten Sachbearbeiter das schon richtig gemacht haben.

Ein vollstaendiges Interview wird voraussichtlich in der Geruechtekueche 1/ss2010 erscheinen.

//edit: Das war versehentlich Kopierpastete aus dem ungeschliffenen Transcript. Korrigiert und einzelne Passagen hervorgehoben.

Nervt eure Abgeordneten wegen der VDS

Ich kann gar nicht oft genug betonen, wie wichtig konstruktives trollen ist. Aktuell ruft der AK Vorrat am Rande seiner Stellungnahme zur Vorratsdatenspeicherung dazu auf, mal die verantwortlichen Abgeordneten zu fragen, warum sie da fuer ein verfassungswidriges Gesetz gestimmt haben, obwohl doch davor gewarnt worden ist.

Fuer die Region hier sind das:

  • Dr. Georg Nuesslein (CSU, NU): Telefon 030-227 77026, Fax 030-227 76269
  • Hilde Mattheis (SPD, UL): Telefon 030-227 75142, Fax 030-227 76713

Ich weiss, das Thema haengt einem mittlerweile fast schon wieder zum Hals raus. Aber keine falsche Scheu, einfach mal Buergernaehe auch ausserhalb des Wahlkampfs betreiben und die Watschen des BVerfG ruhig nochmal ordentlich reinreiben. Bei Frau Mattheis habe ich den Eindruck, dass die Argumente ankommen und mittlerweile auch gehoert und verstanden werden, bei Herrn Nuesslein… ruft an.

Correct in substance

Ich bin gerade ein wenig irritiert. Auf Facebook und auch in diversen Blogs wird gerade haemisch ueber ein Video eines englischsprechenden Guenther Oettinger hergezogen.

Und ich frage mich, warum.

Okay, man kann gerne und auch zu Recht ueber den Unsympathen Oettinger herziehen. Aber jetzt nicht unbedingt wegen dieses Videos. Sein Akzent mag naemlich noch so schlimm sein, aber inhaltlich ist das, was er spricht, vollkommen korrekt. Zugegeben, das extreme Kraut-Radebrechen tut mir in den Ohren weh, aber so etwas hoert man auch auf Konferenzen und Workshops, und zwar manchmal oft auch von international renommierten Wissenschaftlern. Inhaltlich muss ich mich also voll und ganz dem Kommentar von erz bei Thomas Knuewer anschliessen.

Man darf natuerlich auch nicht vergessen, dass ein schwaebisch sprechender Oettinger auch nicht viel besser klingt.

Welcome to Baden-Wuerttemberg, dry state.

Mein Kuehlschrank ist kaputt. Besser gesagt, er funktioniert zu gut. So gut, dass das Eisfach ein Fach voll Eis ist, und der Rest des Kuehlschranks bei etwa +1°C liegt.

Wuerde ich jetzt beispielsweise in Koeln oder Berlin wohnen, waere das alles kein Problem. Dort gibt’s naemlich an jeder Strassenecke ein Buedchen oder einen Spaeti, der einem auch nachts um 2300 Uhr noch zwei Tiefkuehlpizze und ein Biertraegerchen verkauft, wenn zum Beispiel im Hauff-Wohnheim der Strom ausgefallen ist und Raimar und Erre zum Kochen und DVD-schauen vorbeikommen. (Nur dass die beiden normalerweise dafuer nicht extra nach Berlin oder Koeln kommen).

Ich fand das schon immer toll. In Ulm-Mitte gibt’s nach 2100 Uhr nur noch die Tamoil an der Ecke, an der man spontan irgendetwas kaufen kann, und auch die hat nicht die ganze Nacht offen. Bloed, wenn man beispielsweise den ganzen Tag an der Uni war und einem abends erst einfaellt, dass man nichts mehr zum Essen im Haus hat. Da wuenscht man sich manchmal schon die Zustaende zurueck, die ich damals in Kentucky erlebt hatte: Morgens um 0400 nach der Arbeit noch schnell nach Glasgow in den WalMart fahren und fuer 50 Dollar Lebensmittel einkaufen koennen, oder wenn’s sein muss ein Fahrrad oder einen Aufsitzrasenmaeher. Einziges Problem an der Sache: Wenn man auch nur eine Dose Bier wollte, musste man 30 Meilen nach Bowling Green fahren, weil sonst nirgendwo im weiten Umkreis Alkohol verkauft werden durfte. Einzelne Bierdosen oder Schnapsflaschen durften nicht oeffentlich gezeigt werden (daher die bekannte braune Papiertuete), und nach 2200 Uhr gab’s auch keinen Alkohol mehr — weil man sonst ja womoeglich nicht in der Lage waere, am naechsten Tag zum Gottesdienst zu gehen. Kein Witz, so wurde mir das erklaert.

Das hat natuerlich keinen von uns daran gehindert, schon morgens den ganzen Kofferraum voll Coors zu laden und abends nach der Arbeit zu zechen, bis irgendjemand mit dem Golfkart in Nachbars Tabakfeld gebraust ist. Oder den polnischen Arbeitskollegen davon abgehalten, sich mit einem knappen Liter Early Times so abzuschiessen, dass er zwei Tage lang nicht mehr arbeitsfaehig war. Und weder die 30 Meilen bis zum naechsten Wet County, noch das abendliche Alkoholverkaufsverbot, noch braune Papiertueten oder der Umstand, dass ich damals mit 20 gar keinen Alkohol trinken durfte, haben uns davon gehindert, am Independence Day ein feuchtfroehliches Grillfest zu veranstalten. Sogar nach 2200 Uhr. Und keiner von uns waere am naechsten Morgen von der Idee begeistert gewesen, einen Gottesdienst zu besuchen. Gut, dass ich Spaetschicht hatte.

Sowas faellt mir halt ein, wenn ich sehe, dass Herr Rech jetzt mit naechtlichen Alkoholverkaufsverboten irgendetwas wild aus der Luft gezogenes erreichen moechte. Und da dachte ich immer, die Amis haetten einen Regulierungshau.