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Digitale Souveraenitaet, oder: Welche der Bedeutungen soll’s denn sein?

Gerrit, Border stone, CC BY-SA 3.0

Nach den Aha-Momenten zu Logomachie und einer zunehmenden Grantigkeit ueber die inflationaere Verwendung des immer sinnentleerter wirkenden Begriffs der „Digitalen Souveraenitaet“ hatte ich ueber den Sommer einige Paper zum Begriff gelesen, die mir durch die Timeline flatterten. Den Aufschlag machte IIRC dieses Papier von Julia Pohle, und ich habe dann wie so oft eine groessere Menge offener Browsertabs angesammelt, die ich ueber ein halbes Jahr mit mir herumschleppte.

Wesentlicher Antreiber der Debatte sind Vorhaben der Europaeischen Union, irgendwie „digital souveraener“ zu werden – man koennte meinen, im klassischen Sinn der Staatssouveraenitaet, der auf einem definierten territorialen Gebiet basiert, das es gegen ein Aussen abzugrenzen und offenbar auch abzuschotten gilt. Theodore Christakis geht in einem halben Buch auf die verschiedensten Auspraegungen ein, was das alles bedeuten soll: Wird das so etwas wie das bisher immer scharf kritisierte Modell der chinesischen Internetregulierung? Geht es um strategische Autonomie in Bereichen der Tech-Branche? Quasi eine europaeische Digital-Juche-Ideologie?

Auch irgendwie souveraen, aber halt anders

Gleichzeitig wird der Begriff bereits seit einiger Zeit in eher aktivistischen Kreisen verwendet, die ihn mit einem Begriff individueller oder kollektivistischer Autonomie besetzen. Im Herbst 2019 hatten Stephan Couture und Sophie Toupin (DOI 10.1177/1461444819865984, SciHub *hust) die Verwendung des Begriffs in englischen und (wenigen) franzoesischen Texten ausgewertet, und sie zu klassifizieren versucht. Angefangen von der altbekannten Declaration of Independence of Cyberspace (1996) reicht ihr Spektrum ebenfalls ueber das der Staatssouveraenitaet, aber auch Souveraenitaetsbestreben indigener Voelker in der digitalen Domaene, bis zur aktivistischen Verwendung. Der aktivistische Begriffsgebrauch ist dabei ein voellig anderer als der, den sich die EU beispielsweise bei GAIA-X vorstellt – vielmehr sollten mit Freier/Open-Source-Software und -Hardware Mittel zur Selbstermaechtigung geschaffen werden, ohne auf kommerzielle Angebote angewiesen zu sein. Wir kennen die Slogans: „Program or be Programmed“, oder „ein Geraet gehoert nur dir, wenn du es unter Kontrolle hast“, etc.

Zuletzt gehen die AutorInnen auf Persoenliche Digitale Souveraenitaet ein, als Eigenschaft oder Faehigkeit eines Individuums, Kontrolle ueber eigene Geraete, Daten, Hardware etc auszuueben – oder aber als Parallele zur koerperlichen Autonomie, wie sie auch in feministischen Diskursen verstanden werden kann.

Was jetzt, Staat oder Individuum?

Wir haben es also mit konkurrierenden Definitionen desselben Begriffs zu tun, der aber im politischen Raum von Gruppen verwendet wird, denen ich hoechst unterschiedliche Zielsetzungen unterstellen wuerde. Das ist ja schon einmal ein guter Einstieg.

Auf der Suche, genauer herauszufinden, was denn die moeglichst genaue staatliche Definition ist, gaebe es einmal die eher sachliche Variante:

1) it possesses authority;
2) this authority is derived “from some mutually acknowledged source of legitimacy”—which can be God, a constitution, or a hereditary law;
3) this authority is supreme; and
4) this authority is over a territory

Stanford Encyclopedia of Philosophy

Wegen des durchgehend leicht sarkastischen Tons empfehle ich aber aufs Waermste den Aufsatz “The Treachery of Images in the Digital Sovereignty Debate” von Jukka Ruohonen. Bei dieser Stelle musste ich einfach laut lachen:

The year 1648 haunts everyone participating in the current Internet governance and digital sovereignty debate. But why is something that happened 373 years ago relevant for the debate? In 1648 the Peace of Westphalia was signed.

Waehrend das Westfaelische System naemlich durchaus fuer eine Definition staatlicher Souveraenitaet ausreicht, ist darin auch schon gleich das Kernproblem des Uebertrags ins Digitale umrissen. Man kann die Declaration of Independence of Cyberspace als 90er-Jahre-Cyberpunk-Romantik abtun, aber andersherum stoesst die Souveraenitaet von Staaten bei einem grenzueberschreitenden Konstrukt wie dem Internet ebenfalls an ihre (haha) Grenzen: Wenn die Autoritaet an ein Staatsterritorium gebunden ist, und mangels einer uebergeordneten Autoritaet das Zusammenspiel von Staaten an Freiwilligkeit gebunden ist: Ja wie soll denn das gehen mit der Souveraenitaet im Netz? Auch: Stimmt es ueberhaupt, dass ein Staat einem anderen innerhalb dessen Grenzen keine Vorgaben machen kann – weil er ist ja souveraen? Und falls das stimmt: Dann sind nicht wenige ebenfalls als irgendwas mit Souveraenitaet geframete Gesetze ja fuer die Katz, oder?

Ruohonen beschreibt beispielhaft die Schlagabtausche zwischen der EU und den USA als ein nicht endendes Ping-Pong-Spiel:

The game played is also good drama. Particularly jolly are the frequent episodes depicting the players swinging in slow motion even though the ball has been taken away from them; namely, by Schrems (I) in 2015 and Schrems (II) in 2020.
[…]
With respect to ping, extraterritorial power—the ability of a sovereign to exert governmental actions in another sovereign’s realm without its consent—has long been a part of ping’s data protection legislation. […] That said, the same year the GDPR came into force, pong passed its Clarifying Lawful Overseas Use of Data Act (CLOUD Act). It provides pong’s authorities access to data stored in cloud services without the cumbersome mutual assistance treaty, effectively deprecating ping’s people constitutional protections provided by a jurisdiction where the data is stored

Aber selbst innerhalb des Framings der EU scheinen sich die TreiberInnen nicht auf eine der beiden Perspektiven (Staatlichkeit vs. Individuum) einigen zu koennen. In Foreign Policy kommentiert Tyson Barker: Europe Can’t Win the Tech War It Just Started. Geradezu beliebig werde der Begriff einmal mit persoenlicher Autonomie und Freiheitsrechten motiviert, und im naechsten Atemzug mit der uneingeschraenkten Herrschaft auf einem territorialen Gebiet. Und selbst das Territorialkonzept laesst sich willkuerlich in seiner Bedeutung ausdehnen: Sei es Standortfoerderung unter dem Deckmantel einer angeblich noetigen Autarkie; der Wunsch, auch irgendetwas wie DARPA zu haben; oder ein dumpf-nationalistisch klingendes “Taking back control” – bei dem man sich dann fragen kann, von wem man die denn zurueckhaben will und wie die da ueberhaupt erst gelandet ist.

Was man mit einkauft

Plutowiki, Zoll Gailingen Corona, CC0 1.0

Es mag sein, dass sich mit Begriffen wie der „Digitalen Souveraenitaet“ Opportunitaetsfenster auftun, „etwas gutes“ zu tun. Den Begriff staerker auf die individuelle Autonomie framen, und so weiter. Ich persoenlich moechte nicht so recht daran glauben und halte mich mittlerweile von dem Begriff fern.

Erstens, weil er in seiner Verwendung mehrfach in sich widerspruechlich ist und sich unter derselben Flagge komplett inkompatible Zielvorstellung versammeln, mit gegenlaeufigen Absichten.

Zweitens aber: Jede Verwendung eines aktuellen Hype-Begriffs zahlt letztlich darauf ein, dass das jeweilige Meme am Leben bleibt und weiter befeuert wird. Und selbst wenn man beste Absichten unterstellt, muss doch klar sein, dass man damit gleichzeitig auch eine Denkweise am Leben haelt, fuer die streng gesicherte territoriale Grenzen nicht nur im Netz eine Selbstverstaendlichkeit sind. Die Unterscheidung in ein „innen“ und „aussen”, in ein „wir” und ein „die“ ist fester Bestandteil des Konzepts. Und so sehr man ueber die Vorstellung laecheln kann, dass „unsere“ Daten irgendwie sicherer oder besser dran seien, wenn sie in den Grenzen „unseres“ Staatskonstrukts geparkt sind. So sehr man ueber Protektionismus und die Foerderung heimischer Firmen fuer unsinnige Projekte die Augen rollen mag. Man sollte sich darueber im Klaren sein, welches Meme man da mit ganz realen Konsequenzen fuer reale Menschen am Leben haelt.

Innovationslabore und welche Paradoxe sie an der Arbeit hindern (Eine Podcastzusammenfassung)

Auf der Zeitreise durch noch offene Tabs bin ich ueber die Folge „Innovationsmanagement“ aus dem Podcast „Innovationstheater“ von Dennis Horn gestolpert. Den Tab hatte ich auf Empfehlung von @saerdnaer seit Mai 2021 offen, und ich wuenschte, ich haette die Folge schon viel frueher anhoeren sollen, denn eigentlich steckt darin quasi alles, was ich schon ewig mal ueber „Experimentierraeume“ aufschreiben wollte 😀 Da die Episode aber nur spaerliche Shownotes hat, dachte ich, ich schlage einmal zwei Fliegen mit einer Klappe und fasse das etwas zusammen. Es gilt das gesprochene Wort 😉

Horn betrachtet in der Podcastserie vor allem, wie Medienhaeuser mal erfolgreich, mal hilflos mit diesem ganzen Digitalisierungs- und Innovationskram umgehen. In dieser besonderen Episode tauscht er sich mit Sascha Friesike zum Thema Innovation Labs aus – von denen zumindest in der Wirtschaft 9 von 10 mehr oder weniger bald wieder geschlossen werden.

Levke Wilkens hatte bei Friesike in ihrer Masterarbeit „Ungewissheit führen – Herausforderungen, Strategien und Anpassungen in ergebnisoffenen Projekten“ mittels Grounded Theory das Selbstverstaendnis solcher Labore theoretisch beschrieben, und Friesike schildert, dass dort staendig das Bild von Paradoxen aufgetaucht sei – man wolle quasi das grosse Auto, das aber in kleine Parkluecken passen solle.

In der Arbeit selber (leider ist sie derzeit nicht online oeffentlich verfuegbar) trennt Wilkens das Paradoxon vom Dilemma ab: Beim Dilemma stehen zwei Handlungsoptionen zur Wahl und man muss (und kann!) sich fuer eine entscheiden, nachdem man die Konsequenzen abgewogen hat. Dem Paradox dagegen wohnt ein unaufloeslicher Widerspruch inne – selbst wenn an einem Punkt eine Entscheidung getroffen wurde, passierte das jedoch schon auf einer hoeheren Ebene, die ausserhalb der Handlungsoptionen der Innovations-Labor-Aktiven lag. Man kommt bei den folgenden vier Paradoxen also vielleicht zur Erkenntnis, dass eine andere Handlung/Entscheidung sinnvoll (gewesen) waere – hat aber gar keinen Handlungsspielraum, das zu beeinflussen.

Innovationseinheiten sind zu oft mit sich selbst beschaeftigt (Paradox der entfremdeten Identitaet)

Paradox 1: Innovationseinheiten sind viel damit beschaeftigt, ueberhaupt herauszufinden, wer man eigentlich ist. Der Grund, warum man existiert, liegt ja darin begruendet, dass in der Mutterorganisation etwas nicht funktioniert – weil sonst haette man ja nicht gegruendet werden muessen. Gleichzeitig ist man Teil der Mutterorganisation und muss ihr daher ja irgendwie verbunden sein.

Die Reflexion, was man eigentlich sei und tun soll, nimmt dabei viel Zeit der Entwicklung ein. Selbst die dort Eingesetzten kommen haeufig mit einer anderen Vorstellung an, was sie eigentlich tun (sollen) als dem, was sie dann tatsaechlich tun. Eine grosse Frage ist vor allem, wie man denn die geschaffenen Erkenntnisse wieder ins Mutterschiff ueberfuehren soll.

Verbunden damit ist die staendige Suche nach „verrueckten Ideen“. Die Einheit denkt sich also etwas aus, das wird dann dem Management vorgestellt, und das zuckt mit den Schultern, weiss nicht so recht was damit anzufangen und fragt nach der naechsten verrueckten Idee. Langfristig wird also irgendwann die Frage aufkommen: Wozu die verrueckten Ideen finden, wenn das Feedback ist, dass so etwas in der Muttereinheit ja gar nicht funktionieren koenne?

Die Metapher vom Schnellboot und dem Tanker

Hier geht es um die (ueber)bemuehten Metaphern wie z.B. der Innovationseinheit als Schnellboot und dem Mutterschiff als traegem Tanker. Nur: Wie soll eigentlich ein Schnellboot einen Tanker manoevrieren? Das Schnellboot kann schnell wegfahren, aber wie soll aus der Umgebungserkundung des Schnellboots eine wirksame Kurskorrektur folgen? In der Metaphernlogik braucht es dann einfach weitere Einheiten, die „Schlepper“ oder „Leuchttuerme“ sind. Offen bleibt aber die Kernfrage der Wirkung: Woher kommt die Kurskorrektur beim Kommando auf der Bruecke des Tankers?

In der Masterarbeit wird dies das „Paradox der kontrollierten Flexibilitaet“ genannt: Die neue Einheit soll jetzt Loesungen erarbeiten, die vom Mutterschiff angenommen werden. Der Prozess, wie das dann passiert, ist aber nur selten vorausgedacht. Meist handelt es sich bei den betroffenen Organisationen um solche mit stark durchformalisierten Prozessen und starken Pfadabhaengigkeiten, die nun wahrgenommen haben, dass da draussen in der Digitalisierung viel schnellere Aenderungsprozesse erforderlich werden. Hierfuer wird also eine neue Unterorganisation geschaffen, die das mal erledigen soll.

In der Folge fallen zwei Arbeitsfelder auf: Zum Einen kann es um konkrete Produktentwicklung gehen – beispielsweise bei einem klassischen Automobilhersteller, der nun feststellt, dass man sich vielleicht um Elektromobilitaet kuemmern sollte. Die Einheit arbeitet also an konkreten Produkten, die sich diesem Problem stellen. Zum Anderen waere aber fuer den Vollzug in der Linie eigentlich breit angelegte Organisationsentwicklung notwendig. Letzteres ist aber meistens gar nicht im Scope der Einheit, die sich dadurch sofort wieder in der Identitaetskrise befindet und/oder gar keine Mechanismen vorfindet, auf die Organisationsentwicklung der klassischen Struktur Einfluss nehme zu koennen.

Unabhaengigkeit ist wichtig, dadurch geht aber die Wirksamkeit verloren

Das Paradox der wirksamen Distanz: Einerseits muesste die Innovationseinheit weit genug von der starren Struktur der Muttereinheit entfernt sein, um auch tatsaechlich Dinge umsetzen zu koennen. Sobald sie aber hierfuer weit genug vom Mutterschiff entfernt ist, ist sie aufgrund der Durchformalisierung gleichzeitig gar nicht mehr in der Lage, die geschaffenen Innovationen und Erkenntnisse in die Linie zurueck zu integrieren. Folglicherweise bedarf es einer mindestens genau so grossen Gruppe von LobbyistInnen, die die Formalismen und Ablaeufe des Mutterschiffs verstehen, um die Erkenntnisse zu uebersetzen und fuer die urspruengliche Organisation auch verdaulich und anschlussfaehig machen. Denn die „InnovatorInnen“, die man fuer den eigentlichen Erkenntnisgewinn oder die Schaffung neuer Dinge herangezogen hat, haben auf solche Arbeit – verstaendlicherweise – ueberhaupt keinen Bock.

Innovationseinheiten haben einen Auftraggeber, der die Umsetzung gleichzeitig verhindert

Letztlich bleibt das Paradox der folgenlose Mission: Gleichzeitig soll radikale Innovation geschaffen werden, der Auftraggeber wird aber am Ende sagen, dass diese Forderungen viel zu radikal sind und in der Organisation gar nicht oder nur mit einem sehr sehr langen zeitlichen Horizont umsetzbar ist. Im Podcast ist hier von Firmen oder Medienkonzernen die Rede, dieselbe Argumentation duerfte aber auch verwaltungsnahen Menschen bekannt sein: Die Pfadabhaengigkeiten der Kultur und Hierarchie sind so stark, dass die vorgeschlagenen Wege an Aussagen wie „das haben wir aber schon immer so gemacht“ oder „[Einheit] ist aber so, das laesst sich nicht aendern, das muss man hinnehmen“ ausgebremst werden. Es fehlt also an der Verankerung in den Machtstrukturen, den Impulsen auch eine konkrete Umsetzung folgen zu lassen.

Friesike erzaehlt hier eine Anekdote, ueber die ich laut lachen musste: Eine Innovationseinheit habe von Anfang an viele Leute aus der etablierten Struktur fuer Lobbyarbeit eingestellt, um die Ideen in diese Struktur zurueckzutragen. Das Resultat war, dass gerade aus dieser Lobbygruppe enorm viele Angestellte die Einheit verlassen haben – und zwar nicht wieder zurueck in die Hauptorganisation, sondern ganz raus aus dem Konzern, in spannendere andere Anstellungen. Sie hatten in der Innovationseinheit gelernt und vorgelebt bekommen, was eigentlich alles moeglich waere, wenn nur die Arbeitskultur und die notwendige Infrastruktur vorhanden waere. Und als Resultat hatten sie Lust daran gewonnen, das mit der Situation im Mutterkonzern verglichen, und ihre Konsequenzen daraus gezogen. Hier wuerde ich mir einmal eine Analyse solcher Mechanismen im Verwaltungskontext interessieren.

Keine Wirksamkeit? Flucht in Preise!

Das Grinsen liess bei der folgenden Frage nicht nach: Was tun, wenn man feststellt, dass man mit seiner Arbeit keine Wirksamkeit in der (angeblich) zu aendernden Mutterorganisation erfaehrt? Runter vom Schnellboot? Friesike entgegnet trocken, dass man in der Medienlandschaft wohl die Flucht in Preise antrete, und z.B. nach einem Grimme-Award schiele. Wenn die Anerkennung schon nicht aus Wirksamkeit oder erfuellender Arbeit in einem spanennden Team komme, schaffe man eben abgrenzbare Produkte, fuer die es einen Preis gibt. Auch hier sind Parallelen zur Verwaltungs-Digitalisierungswelt schnell gefunden.

Ich kann die Folge nur waermstens allen empfehlen, die in dem Feld unterwegs sind. Einige Highlights des dritten Drittels, sinngemaess zitiert:

  • Wenn man irgendwo hingeht und dort ein Schnitzel isst und das ist nicht gut – das kann mal passieren. Aber wenn man Jahre spaeter wieder hingeht und das Schnitzel ist immer noch nicht gut, muss man die Frage stellen, was die in der Zwischenzeit (nicht) gelernt haben und warum
  • Es scheint teilweise der Wille zu fehlen, herauszufinden, was muss man eigentlich verbessern. Das ist eine Aufgabe fuer die Organisation selber, sich zu verbessern.
  • Innovation auslagern heisst auch, dem Rest zu sagen: das ist gar nicht eure Aufgabe. Dafuer haben wir ein Team gebaut. Wird dann das Team gestrichen, ist auch das Thema abgeschafft.
  • Wenn es eine Loesung gaebe, haetten wir das Problem nicht. Das haengt immer an der Organisation, ihren Parametern etc. Das ist ein Prozess, den die Organisation selbst durchlaufen muss, und die Innovationsorganisation unterstuetzt bei diesem Wandel nur. Nur ist der Disconnect meist viel zu gross.
  • Eigentlich muesste sich die Organisation ueber die Zeit hinweg entwickeln, sich diese Themen selber aufzuschaffen und sie selber zu uebernehmen.
  • Zudem das Problem der Innovation delusion: Es geht immer nur um das „Neue“, aber nicht um das Reparieren bestehender Dinge, vor allem der Infrastruktur. Dinge sind einfach da, fallen nicht auf, bis sie kaputt sind, aber das ist nichts, womit man Preise gewinnt.
  • Den Beteiligten von Innovationslaboren werde haeufig Arroganz vorgeworfen. Die liegt vielleicht schlicht im Uebermut der Akteure begruendet, die glauben, dass sie das alles jetzt mit [hier Methode einfuellen] geloest bekommen. Im Gegenmodell: Wenn deine Innovationsleute wirklich realistisch einschaetzen koennten, wie hoch eigentlich die Chancen sind, wirklich etwas zu veraendern, wuerden sie sich den Schuh gar nicht anziehen.
  • Womit man bei einem der Grundprobleme waere: Man stellt Leute an, gibt ihnen die Erwartung, wirklich etwas aendern zu koennen, und dann werden sie frustriert.
  • Und zum Schluss die Gretchenfrage: Ist die Erwartung denn wirklich, dass im Innovationslabor wirklich Aenderung geschieht? Oder dient das vielmehr als Ort zum stolz vorzeigen, als Utensil mit dem man vorweisen kann, etwas zu tun?

Logomachie: Theologisch-korrekte Powerworte und neoliberale Digitalisierungstrategien

Wer schon eine Weile in der Digitalisierungswelt unterwegs ist, stolpert irgendwann ueber die wellenfoermige Mem-artigkeit von Begriffen, die neu im Diskurs verwendet werden und dann eine gewisse Beliebtheit erreichen, bevor sie – eventuell – im Gebrauch wieder abflachen. „Smart“ scheint beispielsweise kaum totzubekommen sein, ist aber lange nicht mehr so hochmodisch, wie es mal war. Aktuell begegne ich immer wieder Begriffen wie „Resilienz“ oder auch der „Digitalen Souveraenitaet“, und ich muss zugeben, dass es mir mittlerweile zunehmend Freude bereitet, zu fragen, wie der gerade gefallene Satz denn formuliert werden koennte, ohne diesen Begriff zu verwenden.

An ein paar Stellen hatte ich vorher bereits Auseinandersetzungen mit dem Mode- bzw. Mem-Aspekt dieses Hypecycle mitbekommen. Klumpp drueckt das einleitend in „Digitalisierte urbane Mobilitaet“ (2016) – genauso snarky wie in weiten Teile des kompletten Dokuments – aus:

Keine lang laufende Diskussion verträgt aber Konstanten bei den verwendeten Begriffen und Begrifflichkeiten, weshalb in einer Zeit der Beschleunigung eben neue Termini erforderlich sind.

Klumpp, Dieter. „DIVSI Studie-digitalisierte urbane Mobilität: datengelenkter Verkehr zwischen Erwartung und Realität.“

Ein fehlendes Puzzlestueck war fuer mich aber die weitgehende Sinn- oder zumindest Definitionsbefreitheit vieler der verwendeten Begriffe: Was heisst denn „Souveraenitaet“ ueberhaupt? Wer ist gegen was „resilient“? Obwohl die Begriffe sehr haeufig und sehr selbstsicher eingesetzt werden, bringen solche Rueckfragen – oder die oben erwaehnte Bitte, den Satz doch mal inhaltsgleich aber ohne dieses Wort zu verwenden – das Gegenueber sehr schnell ins Schwimmen.

Einen ersten Aufhaenger fuer die Einordnung solcher inhaltslosen Begriffe hatte ich vor einigen Monaten in einem Thread von Simon Wardley zum Begriff der „Digitalen Souveraenitaet“ gelesen, der daraus mittlerweile einen lesenswerten Blogpost gemacht hat. Anders als ich – und das ist ja eben typisch fuer diese Interpretationsoffenheit – definiert Wardley den Begriff in einer raeumlichen Abgrenzung des nationalen (oder EU-zentrischen) Protektionismus, die gerade beim weltweiten Internet einfach keinen Sinn ergibt. Im Thread lieferte er aber einen grossen Aha-Moment fuer mich, diese Projektionsflaechenbegriffe einzuordnen:

Replying to @swardley X : How good is the gameplay of digital sovereignty in the West?
Me : Mostly crap. We don’t use maps, we use stories and have endless blah blah sessions of consultants trying to define digital sovereignty. It’s like generals trying to win a war by giving it the right name.

Ein spannendes Faedchen, an dem ich dann sehr lange weiter ziehen und Dinge aufzuppeln konnte, lieferte nun vergangene Woche ein Tweet von Basanta Thapa:

pic.x.com/ujjiijsnpz

Ich habe daraufhin gleich mal das zitierte Paper gesucht und wo es zitiert wird, und bin dabei ueber „Talking about government: The role of magic concepts“ (DOI 10.1080/14719037.2010.532963, ich rate natuerlich dringend davon ab, das z.B. auf SciHub zu suchen) gestolpert. Und das ist einfach wunderbar, weil Pollitt und Hupe darin sehr sueffisant die Rolle und auch die Charakteristika solcher „magischer Worte“ erklaeren. Waehrend man fuer viele Standpunkte oder Thesen einen gegenteiligen Standpunkt formulieren kann, der erstens Sinn ergibt und auch zustimmungsfaehig ist, sind die „magischen Konzepte“ so breit und universell ausgelegt, dass ihre Negation praktisch keinen Sinn ergibt. Sie machen das an den drei Beispielen „Governance“, „Accountability“ und „Network“ fest, auf die das gut zutrifft: „Keine Governance“ mag niemand so recht haben und ist schlecht vorstellbar – aber bei genauerem Hindenken faellt auf, dass auch „Governance“ selbst gar nicht so gut vorstellbar ist, weil es irgendwie alles und nichts ist. Pollitt und Hupe schlagen folgende Charakteristiken fuer solche magischen Worte vor:

1 Broadness. They cover huge domains, have multiple, overlapping, sometimes conflicting definitions, and connect with many other concepts. They have large scope and high valency.

2 Normative attractiveness. They have an overwhelmingly positive connotation; it is hard to be ‘against’ them. Part of this is usually a sense of being ‘modern’ and ‘progressive’ – often replacing something which is now alleged to be out-of-date (e.g. networks replace bureaucracy and/or hierarchy).

3 Implication of consensus. They dilute, obscure or even deny the traditional social science concerns with conflicting interests and logics (such as democracy versus efficiency, or the profit motive versus the public interest).

4 Global marketability. They are known by and used by many practitioners and academics – that is, they are fashionable. They feature frequently in official policy documents, the titles of reform projects and new units in both governmental and university departments. The concepts provide themes for academic conferences, subjects for seminars and titles for journal articles

Pollitt, Christopher, and Peter Hupe. „Talking about government: The role of magic concepts.“ Public Management Review 13.5 (2011): 641-658.

Ich halte es fuer wichtig, diese Begriffe vor allem in der Digitalisierungsdebatte zu dekonstruieren, wo immer wir ihnen begegnen. Erstens – und offensichtlich – weil sie interpretationsoffene Projektionsflaechen sind. In einem Diskurs ueber politische Ziele hilft es ungemein, sich der Bedeutung der gemeinsamen Sprache einig zu sein und eben nicht Schlumpfwoerter wie „smart“ zu verwenden, die lediglich die orthodoxe Rechtglaeubigkeit der aussprechenden Person bekraeftigen sollen.

Wie soll beispielsweise ein Datenethikkonzept dazu fuehren, ethisch mit Daten umzugehen? Welche Definition unethischen Datenumgangs faellt einem ueberhaupt ein, und woraus leitet sich die Ethik denn nun her und in welcher Utopievorstellung von Gesellschaft ist sie begruendet und warum kommt irgendwer auf die Idee, dass es hier eine universelle Vorstellung davon geben koennte? Kann es „ethischen“ Umgang mit Daten durch lokale Definitionen ueberhaupt geben, solange es nebenan Polizeiaufgabengesetze gibt, die sich um diese Ethik wenig scheren, sondern (wie im Fall der Corona-Registrierungszettel) einen konkurrierenden, rechtlich verbrieften Zugriffsanspruch haben, egal wie man selber das dagegen gerne absichern wuerde, fuer eine „ethische“ und vertrauensvolle Handhabung z.B. pseudonymisierter Mobilitaetsdaten? Wenn schon Governance undefinierbar ist, was ist dann Datengovernance? Wer governt denn ueber was, und wo gibt es wieder konkurrierende Akteure (z.B. wieder die Polizei)? Und was bringt mir eine Reflexion ueber Ausschluesse und strukturelle Benachteiligungen, wenn andere da mit reinfunken, die notorisch unreflektiert mit diesen Machtverhaeltnissen umgehen (again)?

Zweitens aber taeuschen viele dieser magical words zwar Universalitaet und auch Neutralitaet vor (“One might say that magic concepts are typical of what social theorists term ‘late modernism’, in the sense that they are of high abstraction and wide generality, and are usually presented as neutral (Scott 1998).”, aus Pollitt&Hupe 2011). Gerade in der Digitalisierungsdebatte kommt jedoch eine Vielzahl der Begriffe aus dem kleinen Woerterbuch des Neoliberalismus (vgl. z.B. Eagleton-Pierce, Matthew. Neoliberalism: The key concepts. Routledge, 2016) und werden ganz nebenbei in Diskursbeitraege eingeflochten – weswegen sich staendige kritische Nachfragen umso mehr lohnen:

Warum sprechen Akteure beispielsweise von Challenges, die es zu loesen gilt? Was waere ein alternativer Begriff und was das Gegenteil? Wie grenzt sich eine Challenge von einer Analyse systemischer Maengel ab, und warum macht man stattdessen lieber die Challenge? Wer oder was ist die Community, wovon waere sie abzugrenzen, wer definiert die Grenzen, und warum ist sie eine eigene Gruppe unter den Stakeholdern? Stellt Partizipation wirklich bestehende Machtverhaeltnisse in Frage und ermaechtigt die Buergerschaft (wer auch immer das sein soll), oder wird der Prozess aus der Machtstruktur heraus gesteuert und legt selber fest, wer eine Stimme hat und wer nicht? Aehnlich auch bei Co-Creation, geht es um “fundamentally changing the relationships, positions and rules between the involved stakeholders” (Voorberg, Bekkers & Tummers, 2015), oder soll eine Checkliste in einem Foerderantrag abgehakt werden? Was heisst es, wenn Verstetigung beispielsweise von Community(sic, klar)-Projekten angestrebt werden soll? Was zum Teufel waere das Gegenteil? Und was genau wird denn verstetigt? Foerdermittel, auf dass die Community (natuerlich nachhaltig) das Projekt auf alle Zeit weiterfuehrt? Quasi die zeitlich unbegrenzte Verstetigung einer Arbeit, die man nie dauerhaft machen wollte, weil man dachte, dass die oeffentliche Hand selber aus dem Quark kommt, das kuenftig besser zu machen? Oder soll das Ziel sein, diese oeffentlichen Aufgaben (am besten noch der Daseinsvorsorge) mit Entrepreneurship in privater Hand durchzufuehren?

Und so weiter.

Vielleicht waere hier mal ein Woerterbuch gut. Oder eben doch ein illustriertes Bilderbuch mit schoenen Metaphern, die diese Begriffsunklarheiten anschaulich aufdroeseln (Danke Julia Barthel fuer die Idee). Und es braucht auch dringend gut verstaendliche Gegenerzaehlungen, die die komplexeren aber eben auch zielfuehrenderen nachhaltigen Ansaetze mindestens ebenso attraktiv machen wie die neoliberalen Gegenstuecke, die gerade durch windelweiche und schoene Worte so leicht verdaulich fuer Entscheidungstraeger:innen sind.

Bis dahin: Bitte kritisch weiterfragen!

//edit: verwirrenden Satz klargestellt, Paper verlinkt. Siehe ausserdem auch anderen Beitrag zu User Centered Design.

Verantwortung internalisieren: Als Verwaltung Software verstehen

Weil ich gerade einen Vortrag über #opensource-Software höre: Die öffentliche Verwaltung mag es Verantwortung zu externalisieren, gerade bei IT-Themen. Diese Denkweise, also dass Verantwortung externalisieren am Ende überhaupt klappt, muss leider erst mal durchbrochen werden.

Unter diesem Tweet sammelten sich einige Antworten, die mir Anlass sein sollen, einmal unsortierte Gedanken der letzten Monate ein wenig zu ordnen. Die meisten Mitlesenden duerften wissen, dass seit ueber 5 Jahren bei Code for Germany (und vielerorts schon viel laenger, und natuerlich nicht nur in Deutschland) ehrenamtliche oertliche Gruppen der oeffentlichen Verwaltung zeigen, was Open Data bringt. Wie man Daten strukturiert. Worin die Vorteile des Ganzen liegen.

Man koennte also sagen: Dass Open Data nuetzlich ist, das daraus tolle Dinge entstehen, dass das ein anstrebenswerter Zielzustand ist und dass 100% Open Data eigentlich spaetestens seit 4 Jahren Status Quo sein sollte, darueber muss man eigentlich nicht mehr diskutieren.

Und dennoch tut sich die oeffentliche Hand offenkundig an sehr vielen Orten immer noch enorm schwer, dies alles in eine Praxis automatisiert bereitgestellter Offener Daten, passender Beschlussgrundlagen und weitsichtiger Beschaffungspolitik zu giessen. Es beschaemt mich, wenn 2020 immer noch Hackathons als neue Massnahme vorgeschlagen werden. Dazu dachte ich sei auch schon das meiste gesagt, aber ergaenzend sei nochmal auf die vielen vielen Beispiele von Jugend hackt verwiesen, die wirklich nun ueber Jahre und hervorragend zeigen, was sich mit Open Data und einer engagierten Zivilgesellschaft machen laesst. Die Frage ist jetzt doch vielmehr, was die naechsten Schritte sind, um die Ideen der Hackathons in der Verwaltung zu verfestigen.

Witzigerweise zeigte gerade ein eher schiefes Beispiel im weiteren Verlauf der Twitterdiskussion worum es eigentlich geht und wo es hakt:

Replying to @knigotnik @ingo_keck @didumdida Ich halte das für ein Quatsch-Argument. Der Staat baut auch nicht selber Autos, auch wenn er sie dringend für die Sicherheit braucht (Polizei, Feuerwehr, Bundeswehr, Rettungsdienst, …). Kein Beamter muss Vergaser bauen können.

Der Punkt ist natuerlich, dass Kraftfahrzeuge und Vergaser fertig zu kaufende Produkte sind, die selbst fuer den Einsatz im oeffentlichen Dienst passgenau von der Stange gekauft werden koennen. Fuer Spezialanfertigungen – sagen wir mal, Loeschgruppenfahrzeuge – gibt es jahrzehntelang entwickelte Prozesse, Schirrmeistereien und Fachmenschen, die tatsaechlich wissen, welche Ausruestung und Beladung auf das neue Einsatzfahrzeug kommen soll. Und es gibt in der Tat nicht wenige oeffentliche Einrichtungen (ja, ich spreche hier wieder mit der Feuerwehrbrille), die ihre Fahrzeuge selber warten und pflegen. Warum auch nicht.

Auf einer Wardley-Map fuer Datenfluesse, Prozesse und Entwicklungsketten innerhalb der oeffentlichen Verwaltung stuenden aber neben den vielen Bruechen im System jede Menge Komponenten, die entweder aktuell “Custom built” sind oder sich ueberhaupt erst noch in der “Genesis” befinden. Daten werden vielfach noch haendisch per Excel-Export aus Fachverfahren gekratzt und dann mehr oder weniger bereinigt in irgendein Datenportal geschaufelt.

Ueberhaupt: Datenportale. Oder nein, Datenplattformen. Meine Guete. Das ist das Gegenstueck zur Silver Bullet: Wenn man erstmal die Datenplattform hat, dann… ja was dann? Dann ist der Rauskratzprozess der Daten immer noch haendisch. Und was bringt es, wenn das neue Supersystem theoretisch Zeitreihen abbilden kann, wenn innerhalb der Verwaltung niemand da ist, um im Zweifelsfall mittels eines sehr kleinen Shellscripts eine Echtzeit-Datenquelle auch mit der passenden Senke in der Plattform™ zu verbinden? Oder wenn es – noch schlimmer – immer noch keine Ansaetze von Ratsbeschluessen und Grundsaetzen gibt, dass z.B. auf Grundlage von Vergaben entstehende geeignete Daten auch mittels passender Klauseln zu Open Data gemacht werden? Lucy Chambers nennt sowas Upside-Down-Projects: Es soll eine der oberen Schichten im Stack gebaut werden (vielleicht weil das irgendwo in einem Grant Proposal stand), also wird erstmal die Fassade vor dem Fundament gebaut. Oder die uebermaechtige Wasser-Echtzeit-Verbrauchsanzeige, waehrend das metaphorische Wasser noch haendisch im Eimer ins Haus getragen wird. Im schlimmsten Fall hat man nicht mal nen verdammten Eimer.

Und dann sind wir doch relativ schnell wieder bei der Frage, ob die oeffentliche Hand Code anfassen koennen soll. Meine Ueberzeugung: Ja, das sollte sie unbedingt.

Denn, und da sind wir bei einem Knackpunkt fuer mich: Diese Vermittlerrolle, diese Adapterfunktion – Daten aufbereiten, Dinge scrapen, Prozesse bauen – wird bislang viel zu viel vom Digitalen Ehrenamt in Deutschland aufgefangen. Also von all den Menschen, die jetzt immer wieder und immer noch auf Hackathons eingeladen werden, als haetten sie nicht mittlerweile genug damit zu tun, die Proofs-of-Concept aufrechtzuerhalten, was alles moeglich waere, wenn die oeffentliche Hand zumindest in Grundzuegen selber wuesste, wie Code, Datenstandards und IT-Architekturen aussehen.

Paradebeispiele gibt es genug: kleineanfragen.de als Ein-Personen-Projekt, um zu zeigen, wie man solche Dokumente richtig bereitstellt. Einfach nur ein Proof of Concept, seit September 2014(!) bereit zur schluesselfertigen Uebernahme durch die oeffentliche Hand – und nichts dergleichen ist passiert. Im Gegenteil verlassen sich zunehmend JournalistInnen und ParlamentarierInnen auf ein ehrenamtliches Projekt, dem nun seit ueber fuenf Jahren das „offizielle“ Produkt nicht annaehernd gleichziehen konnte (siehe, siehe, siehe). Oder die ganze Geschichte rund um OParl: Ein Datenstandard fuer Parlamentsinformationssysteme, der nur durch massiven persoenlichen Zeitaufwand Ehrenamtlicher entstehen konnte, und fuer den ich bis heute bei keinem Dienstleister eine schicke Auswertung als Ersatz fuer die meist grottigen Ratsinformationssystem-Oberflaechen buchen kann, selbst wenn ich als Kommune Geld darauf werfen wollen wuerde.

Also nein, Software ist kein Auto. (Manche Vergleiche sind aber absurd. Okay.) Aber wenn dieses Digitalisierungszeug endlich mal gelingen soll – und wenn wir die vielen Ehrenamtlichen, die jahrelang gezeigt haben, wo die Reise hingehen kann, endlich aus der nie gewollten Garantenposition herausloesen wollen – gehoert nach dem Pioneer/Settler/Town-Planner-Muster auch passende Kompetenz in der Verwaltung aufgebaut. Muessen zumindest manche VerwaltungsbeamtInnen auch irgendwann mal Cronjobs und Shellscripts einrichten koennen. Muessen dafuer schnell passende VMs fuer die Verwaltung klickbar sein. Muss statt Innovationstheater mit (natuerlich nicht transferierbaren) Leuchttuermen die marode IT-Basisinfrastruktur in einen brauchbaren Zustand versetzt und kontinuierlich weiter gewartet werden koennen. Nicht unbedingt, weil die oeffentliche Hand alles selber machen koennen sollte. Im Gegenteil, moeglichst viel sollte als Commodity klickbar sein. Dafuer muesste man aber wissen, was es alles gibt, und Technikfolgen abschaetzen koennen. Und dafuer hilft es ungemein, mal ellenbogentief in APIs gewuehlt zu haben.

Davon hoere ich auf den ganzen Schlipstraeger-Digitalisierungsgipfeln aber erstaunlicherweise immer noch erstaunlich wenig.

Innovationstheater-Linksammlung

In Fortsetzung zum Februar, zwei lesenswerte Artikel:

It’s not all lightbulbsIf we abandon the cult of the Great White Innovator, we will understand the history of technology in a much deeper way

Der Untertitel lautet, “most of the time, innovators don’t move fast and break things”, und im Wesentlichen raeumt der Text mit der Idee auf, einzelne Erfinder wie Edison, Jobs oder (Himmel bewahre) Musk seien irgendwie fuer Fortschritt verantwortlich. Inklusive der Grundidee, dass Innovation ein Selbstzweck sei, der notwendigerweise gut ist, am besten noch mit Silicon-Valley-Entrepreneurship unterfuettert:

One cause of this confusion, I believe, stems from our decades-long fascination with Silicon Valley: once a romance, it now has all the hallmarks of a dysfunctional relationship. Just as ‘computer’ is a synecdoche for ‘technology’, Silicon Valley has come to reflect a certain monoculture of thought and expression about technology. One must tread carefully here, of course. Just as the medieval Catholic Church or the Cold War Kremlin were not monolithic entities, there is not one single Silicon Valley. Rather, it’s a complex assemblage of workers, managers, investors, engineers, et al. Unfortunately, some technology pundits ignore this diversity and reduce Silicon Valley to a caricature landscape of disruptive startups.

Anhand (westlicher) Beispiele gestaffelten Fortschritts macht Autor McCray deutlich: Haeufig ist es ueberhaupt nicht die naechste, tolle Generation einer Technologie, die aktuell wertvoll sein kann – sondern die vergleichsweise langweilige, bestehende (oder gar altbacken wirkende) Technologiegeneration, die nur vernuenftig eingesetzt und gepflegt werden sollte. Oeffentlicher Nahverkehr statt Robo- oder Flugtaxis, zum Beispiel.

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Ueberleitend auf den zweiten Artikel:

The self-driving car that will never arriveSelf-driving cars are delusional tech optimism rooted in greed, sorry

Casey Johnston zieht einmal rundum vom Leder: So schnell werden wir selbstfahrende Autos nicht auf der Strasse erleben. Das dafuer notwendige weitere Hypethema KI sei noch lange nicht so weit, wie es dafuer sein muesste. Lesenswert.

Niemand braucht Blockchains

Seit ich Stadtbediensteter bin, begegnen mir staendig Berater von namhaften Buden, die z.B. alle Akten Suedtirols „in die Blockchain“ bringen wollen. Rueckfragen, was das denn bringen soll und wofuer es eine Blockchain hier wirklich braucht, blieben stets unbefriedigend beantwortet.