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Prosit Neujahr

Ich muss ja zugeben, dass langsam sowas wie Reisemuedigkeit einsetzt — dieses Mal schon zu Beginn der vierten (und letzten) Reisewoche, vermutlich deswegen, weil ich im Gegensatz zu vor drei Jahren quasi alles zusammen mit Raimar selbst organisieren muss. Abgesehen von Newport und eventuell noch New Haven/Yale werden wir es deswegen in den letzten drei verbleibenden Tagen recht gemuetlich angehen lassen, denke ich mal.

Wie dem auch sei, zu Silvester waren wir ja wie schon angekuendigt in Boston, um dort an der „First Night“ teilzunehmen — so war das jedenfalls geplant. Bloed nur, dass es wieder einmal einen Wetterumschwung gab und in der Silvesternacht gefuehlte 10 Grad ueber dem absoluten Nullpunkt hatte, noch verstaerkt durch einen furchtbaren Wind. Aus irgendeinem Grund haben wir es abgelehnt, an der Silvesterparade teilzunehmen — schade eigentlich, denn das war so ziemlich die skurrilste Parade, die ich jemals gesehen habe. Vorneweg drei Streifenwagen des Boston Police Department (selbstverstaendlich mit allen verfuegbaren Kennleuchten blitzend), danach eine Staffel berittener Polizisten und einige berittene Boston Park Rangers. Pause. „WTF?“

Anscheinend hat das BPD zwei Klassen berittener Polizisten. Wer zu bloed ist, seinen Gaul zu striegeln, bekommt nur ein Fahrrad und darf in der Kaelte auf dem Mountainbike die Parade entlang radeln. In Formation mit seinen Kollegen. Dahinter kommt eine Jazzband auf einer alten Seagrave-Engine, ueberlebensgrosse Puppen ohne erkennbare Bedeutung, Tanzgrueppchen, ein chinesischer Drache, aufgeblasene Dinosaurier, ein FedEx-Lieferwagen mit lila Kennleuchten (nochmal: WTF?), diverse andere Grueppchen, in Formation fahrende Rettungswagen des Bostoner EMS (natuerlich mit blitzenden Kennleuchten) und zum Abschluss Einsatzfahrzeuge der Bostoner Feuerwehr (muss ich die Kennleuchten erwaehnen?) und noch einmal die Polizei. Was das ganze sollte? Fragt mich nicht. War aber offenbar ein Familienspektakel.

Da Raimar mit den Hostel-Heizungs-sabotierenden Zimmergenossinen aus dem Osten der Republik urspruenglich bereits weit vor Mitternacht in einem sehr kapitalistischen Club feiern wollte, hatte ich geplant, erst einmal ein paar Shows der First Night mitzunehmen und spaeter zu den anderen zu stossen. Den Eintrittsbutton fuer 18 USD haette ich mir dabei eigentlich vollkommen sparen koennen, denn weder beim Poetry Slam, noch bei der Improv-Comedy oder dem Konzert wurde ich jemals nach dem Button gefragt. Allein die Improv war das Geld dabei aber fast schon wert, qualitativ spielen die Jungs und Maedels fast in der Liga der Gruppe, die ich 2005 in NYC gesehen habe.

Aus irgendeinem Grund, den ich nicht mehr nachvollziehen kann, habe ich dann um 2300 Uhr nicht Raimar angerufen und nach seinem Standort gefragt, sondern bin auf die fixe Idee gekommen, vom Boston Common aus zum Hafen zu laufen, dort das Feuerwerk anzusehen und erst danach zu den anderen zu stossen. Der Wind hatte zu dem Zeitpunkt extrem aufgefrischt, und auf dem Weg zum Hafen (der so kurz gar nicht ist) habe ich mir so ziemlich alles abgefroren, was man sich abfrieren kann — nur um dann unten zu erfahren, dass aufgrund des starken Windes das Feuerwerk abgesagt wurde.

So war das dann doch wieder einmal ein eher chaotischer Jahreswechsel fuer mich — ohne dass ich wie Raimar unversehens in einem beruehmten Club gelandet bin, [hier wurde Jahre spaeter eine Formulierung entfernt, die ich schon lange nicht mehr so schreiben wuerde]

First Night Boston

Wieder geht ein Jahr zu Ende. Eigentlich halte ich es mit Silvester etwa so wie mit meinem Geburtstag, Weihnachten oder Fasching: An sich ist das ein Tag wie jeder andere, nur erwartet jeder, dass das etwas ganz besonderes sein muss, mit furchtbar tollen Festivitaeten etcetera. Und wenn’s dann doch nicht so spektakulaer war, ist das etwas schlimmes. Nonsens.

Im besten Fall treffen wir heute abend bei der First Night in Boston wieder irgendwelche interessanten, skurrilen und/oder verrueckten Leute und erleben seltsame Geschichten. Und im schlimmsten Fall haben wir eben an der Bostoner Version der Kulturnacht teilgenommen und ein oder zwei Feuerwerke gesehen. Das wuerde mir vollkommen reichen 😉

Allen Leserinnen und Lesern ein zufriedenes und glueckliches neues Jahr!