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Wie in Deutschland Entscheidungen gefaellt werden

Ich habe leider nur ein paar Mal in den Stream des pc10 reinsehen und -hoeren koennen, aber neben des Umstandes, dass in erster Linie ueber den Status Quo und kaum ueber Zukunftsvisionen diskutiert wurde, fiel mir ein Grundtenor immer wieder auf: Entscheidungen werden hinter verschlossenen Tueren gefaellt und „leaken“ erst dann, wenn die Sache quasi schon gegessen ist.

Jetzt koennte man das allein auf Netzthemen beschraenkt vermuten, und tatsaechlich findet man diese intransparente Entscheidungsfindung beispielsweise bei ACTA oder dem JMStV. Dem ist aber  nicht so.

Ich sass vergangenen Montag in einem Interview mit Prof. Michael Hoffmann und habe ihn zu seiner Sicht des Europaeischen Qualifikationsrahmen befragt. Wir sind dabei aber mehrmals zu Bologna und den Entscheidungsfindungsprozessen abgeschweift.

Jetzt muss ich sagen, dass ich seit einigen sehr interessanten und ausfuehrlichen Gespraechen mit Politikern und Ex-Politikern vieler Parteien im letzten Wahlkampf einiges gehoert habe, was mich Hoffmanns Story fuer 100% plausibel und alltaeglich halten laesst. Wenn  man solche Themen einmal bei einem Politcamp o.ae. ansprechen wuerde, koennte man vielleicht der vielbeklagten Politikverdrossenheit eher auf die Spur kommen.

Money Quotes folgen:

Da ist [..] eine Arbeitsgruppe eingesetzt worden zur Umsetzung. Die werden durch einige wenige Leute geleitet — und da kommt jetzt etwas zum Tragen, was eigentlich für die Bildungspolitik in Deutschland typisch ist, und was uns auch die ganzen Probleme beim Bologna-Prozess beschert hat: Darüber entscheiden einige wenige Leute, die weder parlamentarisch kontrolliert, noch durch irgendwelche Interessensverbände legitimiert sind . Das wird einfach von denjenigen entschieden, und wie die Information jetzt weitergegeben wird, ist ganz in deren Entscheidungskraft.

[…] Ich habe das eigentlich erst so richtig wahrgenommen im vorigen Jahr bei einer Feier „10 Jahre Bologna“. Da hat einer der beiden, die für Deutschland das Bologna-Dokument unterschrieben haben, das war ein damaliger Staatssekretär namens Catenhusen, eine Tischrede gehalten und hat uns dann erklärt, wie das funktioniert hat. Der hat gesagt, er war beauftragt, zusammen mit einem Kollegen der Länder das zu unterschreiben, und dann hat er gesagt, damit mir niemand reinredet, hab ich die ganzen Unterlagen bei mir zu Hause im Schreibtisch eingesperrt, bis unterschrieben war.

[…] Das sind ganz wenige Leute, die darüber entscheiden. Jetzt bei der Umsetzung des DQR sind das andere als bei Bologna, aber wenn ich „die“ sage, dann meine ich ein paar fast anonyme Menschen, von denen man kaum herausbekommt, wer jetzt wirklich das Sagen hat.

Und Teil 2:

Die Macher in dem Prozess schicken am Tag vor der Kultusministerkonferenz die Entscheidungsvorlagen als PDF-Dateien in die Ministerien,  in der Größenordnung von mehreren 100 Seiten, und sagen dann, Änderungswünsche bis morgen neun Uhr. Und ansonsten wird das so als Entscheidungsgrundlage zur Abstimmung in die KMK gebracht.

Die meisten Minister wissen davon gar nichts. […]

Ich war mit einem Gespräch mit Minister Pinkwart in NRW, und wir hatten die ganze Problematik angesprochen. Vier oder fünf Tage später sollte eine Vorbereitungskonferenz sein […] Dann  fragte Pinkwart, wer geht denn von uns zu dieser Vorbereitungskonferenz? Betretenes Schweigen. Niemand. Sagt er, wieso nicht? Haben die gesagt, da ist sowieso schon alles entschieden, da haben wir keinen Einfluss mehr. Dann ist der explodiert. Der hat seinen Staatssekretär so klein mit Hut gemacht während der Besprechung. Weil er damals erstmalig erfahren hat, wie Entscheidungen für die KMK vorbereitet werden. Mit anderen Worten, ich habe miterlebt, dass ein zuständiger Minister erst im Gespräch mit uns erfahren hat, wie die ganzen Entscheidungen zustande kommen, und die Entscheidungsvorlagen. Der Minister kennt die Vorlagen nicht. der geht davon aus, dass seine hochgestellten Sachbearbeiter das schon richtig gemacht haben.

Ein vollstaendiges Interview wird voraussichtlich in der Geruechtekueche 1/ss2010 erscheinen.

//edit: Das war versehentlich Kopierpastete aus dem ungeschliffenen Transcript. Korrigiert und einzelne Passagen hervorgehoben.