Schlagwort-Archive: Blogosphere und Kram

Usability und freie Social Networks

Diaspora ist tot. Der vermeintliche „Facebook-Killer“ mit Privatsphaerenoptionen war vor zwei Jahren hoch gehypt und mit 200.000 USD an Crowdfunding-Mitteln ueberschuettet worden (siehe auch). Was bislang zu sehen war, blieb immer hinter den Erwartungen zurueck; und nun redeten die Entwickler ihren Rueckzug als „Uebergabe an die Community“ schoen — und beschaeftigen sich kuenftig mit Mem-Plattformen samt Facebook-Login (sic)

Es ist ja jetzt nicht so, als waere kein Bedarf an alternativen Veroeffentlichungsmoeglichkeiten abseits von Facebook und Twitter vorhanden, ganz im Gegenteil. Ganz abgesehen von der Prinzipfrage, ob man seine Publikationen ueberhaupt einer unberechenbaren dritten Partei ueberlassen moechte, verhalten sich beide Plattformen schon gefuelt immer arrogant sowohl EntwicklerInnen als auch NutzerInnen gegenueber. Diaspora beschaeftigte sich jedoch weniger mit der Unabhaengigkeitsfrage als vielmehr zentral mit dem Anspruch, ein Netzwerk mit Datenschutz zu sein — ein Ansatz, der von vorneherein zum Scheitern verurteilt ist, da die Schmerzen Huerden bei der Interaktion damit fuer die Masse der Benutzer prohibitiv hoch werden, man keine Kontakte findet und gar nicht erst „sozial“ interagieren kann. Schoenes Zitat aus dem Artikel bei ccm:

p.s.: Neben Versuchen, Diaspora auf öffentlichen Pods zu verwenden, habe ich als Experiment für die mittlerweile um die 500 Mitglieder starke c-base einen eigenen Diaspora-Server aufgesetzt. Nach einigen Wochen haben sich ca. 40 Mitglieder angemeldet, die Gesamtzahl der Posts blieb im unteren zweistelligen Bereich. Selbst im Technik- und Datenschutz-affinen Umfeld stößt der Dienst auf kein Interesse. »Wie finde ich denn jetzt Kontakte?« war häufiger zu lesen. Q. e. d.

In den Kommentaren bei netzpolitik schlug erlehmann WordPress als offenes, dezentrales soziales Netzwerk vor, und die Idee klingt auch erst einmal gut: Jedes Blog unter eigener Kontrolle, keine Datenschutzaugenwischerei, Vernetzung durch Verlinkung. In der Praxis scheitert das fuer mich aber immer wieder an der Usability. Ich selbst erwische mich immer wieder dabei, wie ich eigentlich gerne was bloggen wuerde, es dann aber doch nur nach Facebook kuebele. Und ich bin damit wohl nicht alleine.

Mir fallen auf Anhieb zwei Gruende ein, warum ich Dinge lieber auf Facebook, Twitter, G+ und Co teile als im eigenen Blog. Da ist einmal die sofortige Gratifikation durch Favs, Likes und Kommentare, die auf Leserseite mit trivialstem Aufwand zu verteilen sind.

Viel gewichtiger ist aber das Problem, das mir quasi immer begegnet, wenn eine Technologie eigentlich theoretisch super waere: Die Usability ist unter aller Sau. Auf Facebook habe ich mit zwei Klicks einen Link in die Timeline geworfen, zu dem es automatisch ein Exzerpt und ein Bild zur Illustration gibt. Bilder sind in ebensovielen Klicks geteilt. Auf WordPress muss ich ins Backend, einen Artikel erstellen, eine Ueberschrift ausdenken, ein Bild hochladen, das Bild einbinden, Tags aussuchen, Veroeffentlichen. Und ich habe immer noch keine sinnvolle Alternative gefunden, wie das besser geht. Sascha Lobo beschrieb vor einer Weile ein WP-Plugin, mit dem man Blogposts von der „Blogvorderseite“ aus verfassen kann, unter dem Link findet sich aber nichts mehr, das einzige mir bekannte Plugin ist (mittlerweile?) kostenpflichtig, und ich habe keine Ahnung, was die kostenlose Variante kann. Weitere Plugins zum Beispiel zum schnellen Bildupload sehen dagegen dann auch wieder aus wie Arsch und Friedrich.

Naja.

Falls jemand Tipps fuer schnelleres, schoeneres Verfassen von Posts hat, ich bin ueber Hinweise dankbar.

(Was dann noch fehlt: Die zwangslaeufig auf allen moeglichen sozialen Netzwerken zerfasernden Diskussionen zu einem Artikel wieder zurueck aus diesen Drecks-Datensilos zum Artikel zurueckportieren. Was in etwa dann seitens Zuckerberg und Co zugelassen werden duerfte, wenn Schweine fliegen.)

 

Addendum // mir fiel eben auf, dass ich einen aehnlichen Rant schon vor beinahe genau einem Jahr vom Stapel liess und schon damals den Usability-Hinweis von Stephan Urbach zitierte. Hat sich offenbar nix getan in der Zeit.

Von Zukunftsvisionen und verbindenden Highways

Die mit viel Leidenschaft innerhalb des Netzes gefuehrte und ausserhalb quasi vollkommen ignorierte Debatte ueber Schirrmachers juengstes Buch habe ich eigentlich nur irritiert-amuesiert vom Spielfeldrand aus beobachtet. Erstens, weil ich „Payback“ noch gar nicht gelesen hatte (und mich wundert bis heute, wie schnell das die Kritiker schafften), hauptsaechlich aber deswegen, weil das argumentative Widerlegen eines deutschlandweit bekannten Feuilletonisten zwar definitiv auf meiner Bucket-List, auf der Prioritaetenliste aber erstmal hinter ein paar anderen Sachen steht. Ihr wisst schon, Studium und so. Und als ich dann endlich Zeit hatte, war ohnehin schon alles gesagt, nur eben noch nicht von allen, und da muss ich mich eigentlich auch nicht mehr einmischen.

Seinen Artikel ueber das „Schwellenjahr 2010“ in der FAZ habe ich hingegen gelesen, und zwar mit Freude. Erstens, weil in dem Text keine Donnerpfeile gegen die generell boesen Entwicklungen der Moderne aus einem mit Haekeldeckchen versehenen Elfenbeinturm geschleudert werden, sondern Schirrmacher durchaus tiefgehende Ahnung von dem zu haben scheint, ueber das er schreibt. Ob die zu 100% von ihm selbst stammt, oder ihm bei manchen Passagen jemand beistand, ist dabei eigentlich nebensaechlich.

Zweitens, weil er mich zum Nachdenken ueber Zukunftsvisionen gebracht hat. Die zeichnen sich ja in der Regel dadurch aus, dass wir alle schon im Jahr 2000 mit fliegenden Atomraketenautos durch die Welt haetten fliegen muessen und fuer uns moderne Leute des Atomraketenautozeitalters immer ein wenig laecherlich wirken. Sie liegen aber im Kern selten verkehrt, wenngleich sie einfach auf ganz andere Art und Weise Realitaet wurden, wie man sich das damals vorgestellt hatte.

Bei Star Trek begibt man sich in ein Holodeck, um an alten Autos herumzuschrauben oder Sherlock Holmes zu spielenVirtual Reality also, das, an dem seit Jahren herumgeforscht wird, ohne dass man der Zukunftsvision des ganz normalen Holodecks naeher gekommen waere. Zu Recht bezeichnet Schirrmacher das als „Uebergangsbegriff“:

Das Jahr 2010 könnte das Jahr sein, in dem der immer blasser gewordene Begriff „virtual reality“, der Übergangsbegriff des letzten Jahrzehnts, endgültig verlöschen wird. Die Brücke zwischen virtueller und wirklicher Wirklichkeit bricht gerade hinter uns zusammen, kaum dass wir den ersten Fußtritt ins neue Jahr gesetzt haben. Es ist ganz anders gekommen als gedacht. Die Menschen treten nicht mit Cyberhelmen und digitalen Handschuhen bewaffnet in ein Paralleluniversum des zweiten Lebens ein. Wir sind, wo wir auch sind, im Netz.

Stattdessen also Augmented Reality? Alternate Reality Games gibt es bereits, und das allgegenwaertige Netz koennte sogar das bislang doch eher arg nerdige LARP einer breiten Masse zugaenglich machen. Aber E-Mail war schliesslich auch mal nur etwas fuer Nerds.

Abschliessend: Nochmal eine ausdrueckliche Leseempfehlung fuer den FAZ-Artikel, und das Video einer ganz anderen Zukunftsvision, erdacht vor ueber 51 Jahren in den Disney-Studios, ueber die Highways der Zukunft:

Okay okay, das mit den Turbinenautos hat ebensowenig stattgefunden wie die Erfindung des Massen-Atomautos, und die Idee einer vollkommen zersiedelten Landschaft ist im ersten Moment fuer uns eher erschreckend.

Mich erstaunt aber doch, wie viele der aufgezeigten Ideen heutzutage tatsaechlich Alltag sind, wenngleich eben in ganz anderer Form, als man sich das damals vorstellen konnte. Und wer den Schluss uebermaessig pathetisch findet, der substituiere gedanklich einfach mal „Highway“ durch „Information Highway“ und schaue sich das nochmal an. Aha-Moment garantiert.

PS: Bin ich der einzige, dem das Gesamtdesign des Films so ueberragend gut gefaellt? Allein schon die Architektur des Einkaufszentrums… ich liebe diesen Stil!

National Socialism is the new Communism

Frueher waren’s die boesen Kommunisten, und in den USA funktioniert das heute noch gut. Da stattet man sogar einen schwarzen Praesidenten mit Hitlerbart aus, um ihn im naechsten Atemzug als Kommunisten diskreditieren zu wollen.

Hierzulande geht das nicht mehr, spaetestens seit Die Linke zwar immer noch von allen anderen Parteien wie aussaetzig ignoriert, aber zumindest in immer mehr Landesparlamente gewaehlt wird. Also muss die altbewaehrte Nazikeule her.

Telepolis nennt das den neuen McCarthyismus, und die Art und Weise, wie zuerst wild und laut geschrien wird, ohne ueberhaupt Inhalte anzusehen, scheint dem Autoren Recht zu geben. Fixmbr reagiert jedenfalls in den letzten Wochen gewohnt erwartungsgemaess.

Ich bin ja gespannt, welche Sau nach der Wahl durch die Blogosphaere getrieben wird. Wenn’s mit derselben Steigerungsrate weitergeht, dann gute Nacht.

Liebe Piratenbasher

Ich werde die Piratenpartei am 27. September nicht nur waehlen, ich habe sie in den letzten Wochen auch nach Kraeften im Wahlkampf unterstuetzt und werde das die restliche Woche auch weiterhin tun. Weil ich es wichtig finde, dass das Thema in der Politik erstens auf die Tagesordnung kommt und zweitens mit Sachverstand behandelt wird. Und weil ich bislang zwar nie irgendetwas mit Parteien zu tun haben und stattdessen meine Unabhaengigkeit bewahren wollte, ich aber im Austausch mit den anderen Politikern immer den Eindruck hatte, genausogut mit meinem Wohnzimmertisch reden zu koennen. Mein Engagement, so klein es auch ausfaellt, ist fuer mich nichts anderes als ein verzweifelter Notwehrversuch, bevor es zu spaet ist.

Ich habe trotzdem versucht, meine Distanz zur Partei zu bewahren, und jedes Mal wenn ich von jemandem #piraten+ in Twitter lese, bin ich mittlerweile geneigt, den Unfollow-Button anzuklicken. Ich sehe die Gefahr, dass die eigentlichen Ziele im Parteigeschwurbel aus den Augen verloren werden, und dass man sich vor lauter Parteisolidaritaetstrullala nicht mehr kritische Fragen stellt. Ansaetze hierfuer gibt es nicht erst seit gestern, und der Beissreflex gegen alles, was sich kritisch mit den Piraten beschaeftigt, ist nur eine Auspraegung davon.

Aus diesen Gruenden, und weil ich der Ansicht bin, dass die “Piratenbewegung” mehr sein sollte als nur eine Partei gewordene Nerdinteressensvereinigung, werde ich nach der Wahl die Distanz zur Partei noch ein wenig weiter vergroessern. Bei Bedarf werden sie weiter meine Unterstuetzung bekommen, aber ich spiele lieber den Advocatus Diaboli als den Parteisoldaten. Nicht, weil ich das eine besser koennte als das andere, sondern weil mir die Rolle besser steht und gefaellt. Und, weil das offenbar noetig ist. Beispiele muss ich hier glaube ich nicht nennen.

Wenn ich mich ueber allzu engagierte Parteimitglieder und -sympathisanten beschwere, dann aber nicht, weil ich Parteien bloed finde (tu ich), manches Vorstandsmitglied manchmal des Groessenwahns verdaechtige (tu ich), Gruppenkulte mit hochgehaltenen Fahnen bedenklich finde (tu ich) oder einen kleinen Pipi habe (tu ich nicht). Sondern weil ich ein bisschen Angst habe, dass die Scheisse, die die Piratenpartei bestimmt noch bauen wird, ja, notwendigerweise bauen muss, negativ auf die ganze Bewegung [die keine sein will] zurueckfaellt. Und das waere fatal. Ich will eine Diskussion ueber eine Urheberrechtsreform, ueber Netzneutralitaet, ueber staatliche Transparenz und ein Aufbrechen der alten politischen Verkrustungen, verdammt nochmal, ich werde mich weiter dafuer einsetzen, und selbst wenn die CDU das einfuehren wuerde, waere mir das Recht.

Und gerade deswegen kotzt mich ein Grossteil der sogenannten deutschen A-Blogger derzeit so gewaltig an, die an jeder Stelle die Piraten bashen und mit dem Praedikat “unwaehlbar!11″ versehen. Weil ich keinen von denen sich jemals fuer all diese Punkte engagieren sehen habe. Weil mir keiner von denen bislang eine Alternative abseits der Piraten genannt hat, wie wir das Thema schnellstmoeglich nachhaltig in alle Parteien bringen koennen. Und weil mir bislang noch keiner sagen konnte, wer denn ueberhaupt noch waehlbar sein soll, wo doch alle offenbar unwaehlbar sind.

So.

mspr0 schafft es trotz staendiger Besaeufnisse, das ganze Thema mit weniger Kraftausdruecken und mehr Verstand niederzuschreiben. Sein Blog fuettert er ja nicht oft, aber wenn er schreibt, gefaellt mir das. Auch wenn er nicht wie angedroht nackich zur rp09 gekommen ist und auf dem Klo darauf angesprochen nur Ausfluechte parat hatte.

Und beim mir bis dato noch gar nicht bekannten qrious gibt es einen weiteren Erklaerungsversuch, warum so viele A-Blogger gerade staendig querschiessen. Sehr bissig, hat mir gefallen.

Abschliessend. Bevor mir nun wieder jemand unterstellt, ich wuerde irgendjemanden diskreditieren oder kleine Kinder fressen wollen. Ich bin an einer sachlichen, unaufgeregten Diskussion interessiert. Piratenheiligsprechungsfanatiker auf der einen und staendig unkonstruktive Querschiessalphablogger auf der anderen Seite tragen dazu offenbar nichts bei. Die heute schon empfohlenen @plomlompom und @NotPeeSee tun das dagegen, wie mir scheint. Und bekommen schon deshalb einen Sympathiebonus, weil es ihnen scheissegal ist, wenn @sixtus sie deswegen entfollowt.