Du sollst keine charakterlosen Schriften benutzen

Ich habe mir lange ueberlegt, ob ich eine Diskussion vom Zaun brechen will, und habe mich dagegen entschieden. Weil ich das aber loswerden moechte, landet das Thema eben hier. Dafuer hat man ja so ein Blog.

bkMan stelle sich einmal jemanden aus der Kreativbranche vor. Ihr wisst schon welche Ecke. Das taeglich‘ Brot besteht daraus, sich Ideen aus dem Hirn zu saugen, handwerklich solide umzusetzen und dabei den Anspruch zu bewahren, letztlich qualitativ hoechstwertige und aesthetische Produkte zu liefern. Richtig gute Arbeit also. Natuerlich spezialisiert man sich in irgendeine Richtung, schliesslich kann nicht jeder alles gleich gut. Muss ja auch keiner.

Was ich nun nicht verstehe: Ein Fotograf wuerde angesichts eines Grafikers oder Typographen, der zur Illustration seiner Arbeit einfach nur miese Bilder macht, die Stirn runzeln. Sich vielleicht fragen, warum der Kerl nicht einfach einen Deal mit nem befreundeten Fotografen macht — der eine macht dem anderen die Bilder, dafuer gibts im Gegenzug eine Corporate Identity. Eine Hand waescht die andere, jeder hat ein hochwertiges Gesamtkonzept.

lhUmgekehrt scheint das aber kaum einen Fotografen zu jucken (Vorweg: Ich bin keiner. Ich bin Hobbyknipser, und das ist gut so.)

Was ich da schon gesehen habe, rollt mir regelmaessig die Fussnaegel auf. Richtig gute Fotos werden von dahingerotzten Wortmarken schlicht versaut. Richtig gern scheint man unter Fotografen zwei ganz und gar nicht zueinander passende Schriftschnitte aufeinanderzuklatschen, und generell scheint man sich auch wenig Gedanken darueber zu machen, welchen Charakter die Schrift der Marke denn ueberhaupt ausdruecken soll.

nikeJetzt ist klar, dass man als brotloser Kuenstler in der Regel nicht die Kohle locker hat, um mal eben in der Bergmannstrasse vorbeizuspazieren und den Fontshop leerzukaufen. Das ist aber kein Grund, abgedroschene und ausgelutschte Schriftarten zu verwenden oder zwei nicht zueinander passenden Schriften zu kombinieren. Quasi alle Windows-Standardschriften sollten (fast) prinzipiell ein No-Go sein.

Nicht einmal unbedingt, weil sie alle schlecht waeren — das sind sie naemlich nicht (alle). Die meisten sind aber einfach furchtbar ausgelutscht. Sie finden sich auf dem Briefkopf des Baeckers um die Ecke (der sich keinen Designer leisten moechte) gleichermassen wie beim kleinen Selbstaendigen gegenueber (der sich keinen Designer leisten kann) und den kostenlosen Vistaprint-Visitenkarten mit den haesslichen Verzierungen des Nachbarn (der nicht mal weiss, wie Design geschrieben wird).

Verdana zum Beispiel, als Bildschirmschrift konzipiert und in tausenden seltsamen Drucksachen missbraucht. Am besten per WordArt. Oder mein persoenlicher Hasskandidat Arial, ein schlechter Abklatsch der (meines Erachtens ihrerseits abgelutschten) Helvetica, und durch die Erhebung Erniedrigung zur Windows-Standardschrift seither in hunderttausenden schlecht gesetzten Eigendrucksachen quasi die Ikone des schlechten Geschmacks und des Billig-Looks. Mark Simonson beschreibt das so:

Arial is looked down on as a not-very-faithful imitation of a typeface that is no longer fashionable. It has what you might call a “low-end stigma.”

Um mal in der Fotografendenkweise zu bleiben: Arial ist das typographische Gegenstueck zum ausgelutschten Akt. Ihr wisst schon, der, in dem das Modell den String mit dem Absatz der High Heels anlupft, und am Absatz nachtraeglich in Photoshop ein Lensflare eingefuegt wurde. Und im Hintergrund ist ne Taurolle. Oder ein durchbrennender Gluehlampenfaden. Einfach das, was an sich gar nicht mal so schlimm waere — dadurch, dass es aber tausend begabte wie unbegabte Leute nachgemacht haben, tut es einfach mittlerweile in den Augen weh. Es gibt also einen Grund, warum keine vernuenftige Firma ihr Logo in Arial setzt. Deswegen sollte das auch niemand anders tun. Besonders nicht, wenn man selbst aus der kreativen Ecke kommt.

Gratis-Tipps fuer Gratis-Fonts, die etwas gleichsehen:

  • Museo Sans als moderne Futura-artige fuer die Sans-Serif-Fanatiker
  • Tallys als eigenwillige Serifenantiqua
  • Cardo — edel edel, an die Bembo angelehnt, furchtbar gut ausgebaut, aber „nur“ ein Schnitt.
  • Day Roman — wuerde ich vermutlich selbst waehlen, wenn ich einen freien Font fuer ein derartiges Logo verwenden muesste.

Es lohnt sich auch, immer mal wieder beim Fontblog bzw. Fontshop reinzusehen, wenn einzelne Schnitte verschiedener Schriften fuer lau verklopft werden. Und ja, es ist glaube ich schon gut, dass die abgebildeten Marken in Wirklichkeit nicht in Arial gesetzt werden.

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