Wetterstation im Rathauspark Wien: Turmfoermig mit einem umlaufenden Dach, unter dem Dach drei runde Messinstrumente fuer Temperatur, Luftdruck und Luftfeuchtigkeit

Smart-City-Bullshit: Messen, dass es heiss ist, ohne Aussicht auf Besserung

Titelbild: Gugerell, Wien 01 Rathauspark db, CC0 1.0

Es ist Mittwoch Abend, ich sitze nach einem wahren Backofentag am offenen Fenster, und draussen hat es immer noch ueber 30 Grad. Parallel titelt der Standard, dass die Revitalisierungs- und Begruenungsmassnahmen in Paris einen fuehl- und auch messbaren Unterschied ausmachen: In den Quartieren, wo aus Parkplaetzen Baumpflanzungen gemacht wurden, „Gartenstrassen“ entstanden, Fassaden und Daecher begruent wurden, liegt die Temperatur um 1 bis 4 Grad unter den Temperaturen in den Quartieren, wo das noch nicht geschehen ist.

Waehrenddessen glueht draussen (metaphorisch!) der Asphalt. Was noch mehr glueht ist meine Abneigung und Verachtung gegen Smart-City-Bullshit, und die Situation heute ist wieder mal ein Anlass, zu erzaehlen, warum.

Ich bin immer noch der Ueberzeugung, dass kaum ein Foerderprojekt mehr langfristigen Flurschaden fuer Digitalisierung, aber auch fuer Beteiligung angerichtet hat als die „Modellprojekte Smart Cities“. Das kann man an vielen Beobachtungen festmachen, aber geradezu frappierend ist der Umgang der „Smart Cities“ mit Klimawandel und städtischer Hitze.

Irgendetwas mit Hitze und Hitzeplan und Hitzeinseln zu machen ist tatsaechlich so etwas wie ein Pattern in Smart-City-Vorhaben, mit eigenem Artikel beim „Smart City Dialog“. Muenster, Dortmund, Dresden, Solingen, (natuerlich auch) Ulm und viele weitere Staedte haben irgendwelche Klimasensorik ausgebracht. Dagegen waere eigentlich auch gar nichts einzuwenden, wenn das ganz klassisch ein Vorhaben einer BuergerInnen-Bewegung waere, die mit solider Datenbasis dem nicht-handelnden Staat in den Hintern treten und ihn dazu bewegen wollte, endlich einmal das Richtige und Gebotene zu tun.

Aber, das ist ja der Punkt: Wer hier misst ist die Verwaltung, ist der Staat selbst. Und wozu? Die Bevoelkerung und vulnerable Gruppen sollen fruehzeitig vor zu erwartender starker Hitze gewarnt werden koennen. Man wolle Hitzeinseln identifizieren. Die Messungen sollen irgendwie analysiert werden, hier und dort wird (natuerlich) „KI“ erwaehnt, irgendwas soll dann in einen „Hitzeplan“ einfliessen, und natuerlich gibts Dashboards und Apps. Am Ende soll dann irgendwie evidenzbasiert entschieden werden, wie mit Hitze weiter verfahren werden soll.

Was dann natuerlich sofort die Frage aufwirft, warum man denn nicht laengst bekannter Evidenz folgt und, sagen wir mal, verdammt nochmal grossraeumig Flaechen entsiegelt und die Stadt begruent, ihr verdammten Smart-Shity-Powerpoint-Kackbratzen. Die geforderte Evidenz faende man z.B. in Santamouris (2004), dass man Daecher begruenen koennte, oder Bernatzky (1982!), dass ein kleiner staedtischer Park die Temperatur um 3–3,5°C senkt.

Wo sind also nun die Ergebnisse? Was ist in der Zwischenzeit „evidenzbasiert“ passiert? Sind denn mehr Baeume gepflanzt, Fassaden und Daecher begruent worden durch die „smarte“ Messung? Oder wenigstens gezielter? Oder sind die ganzen Sensornetzwerke nur das moderne Gegenstueck zur klassischen Outdoor-Wetterstation beim Optiker an der Wand oder an irgendeiner oeffentlichen Saeule, wo man nun nicht mehr nur draufschauen und sagen kann „tatsaechlich, es ist echt heiss!“, sondern das geht auch vom Smartphone aus? Und „vulnerable Gruppen“ bekommen dann eine Push-Notification „servus, du kannst draussen fei grad nicht ueberleben, bleib lieber drin“ und das war’s?

Ich mag den Begriff „un-formation gathering“ fuer dieses Muster – in dem Artikel auf „KI“ gemuenzt, aber 1:1 passend fuer Smart-City-Uebersprungshandlungen:

Many […] applications promise to generate new insights, may it be regarding forest health, biodiversity indicators or crop quality. Yet, in most cases of possible protective climate or biodiversity action we as humanity already have sufficient scientific actionable insight. Getting more information is never bad, but the grave implications of AI use might not justify mere theoretical curiosity. Such research could even have a delaying effect, if decision-makers use it to wait for more detailed but practically meaningless results. I call these kinds of results, i.e. the information produced by an obsessive focus on getting more data – without taking action on the sufficient knowledge already available – unformation, which must be called out and prevented, especially when used as pretext for inaction.

Es ist natuerlich einfacher, Mehrheiten fuer den Rollout irgendwelcher „smarter“ Sensorik zu gewinnen als fuer harte Fragen, z.B. welche Parkplaetze wegfallen sollen. Und perfiderweise nimmt man gleichzeitig einer widerstaendigen Zivilgesellschaft den Wind aus den Segeln: Anstatt dass diese selbstbestimmt(!) Zahlen, Daten und Fakten zu den Auswirkungen ueberhitzender Staedte sammelt und endlich Taten einfordert, wird sie durch „Beteiligung“ zu Tode umarmt, denn sie macht ja beim staatlichen Projekt mit und gibt ihm den Anschein zivilgesellschaftlicher Legitimation.

Und andersherum wird auch nicht eine konkrete Massnahme durch Messungen begleitet, um spaeter nachweisen zu koennen: Wir haben Dinge getan, und jetzt koennen wir auch durch Messungen nachweisen, wie die Wirkung aussieht. Das waere ja auch fein. Aber es wird gemessen, anstatt die konkreten wirksamen Massnahmen anzugehen. Auch nicht spaeter, nach einer initialen Messung der Ausgangslage. Es gibt nur ein diffuses Versprechen, dass irgendwann, irgendwas passieren koennte.

Wie im Artikel zu „un-formation gathering“ beschrieben: Es wird Zeit, solche Uebersprungshandlungen zu benennen und stets nachzubohren, welche der laengst als wirksam bekannten Massnahmen denn nun in Folge stattgefunden haben. Es nicht durchgehen zu lassen, dass die Smart-Shitty-Abteilung die Haende in Unschuld waescht, weil „sie sammelt ja nur Daten“ und fuer die Umsetzung seien andere zustaendig.

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