Logomachie: Theologisch-korrekte Powerworte und neoliberale Digitalisierungstrategien

Wer schon eine Weile in der Digitalisierungswelt unterwegs ist, stolpert irgendwann ueber die wellenfoermige Mem-artigkeit von Begriffen, die neu im Diskurs verwendet werden und dann eine gewisse Beliebtheit erreichen, bevor sie – eventuell – im Gebrauch wieder abflachen. „Smart“ scheint beispielsweise kaum totzubekommen sein, ist aber lange nicht mehr so hochmodisch, wie es mal war. Aktuell begegne ich immer wieder Begriffen wie „Resilienz“ oder auch der „Digitalen Souveraenitaet“, und ich muss zugeben, dass es mir mittlerweile zunehmend Freude bereitet, zu fragen, wie der gerade gefallene Satz denn formuliert werden koennte, ohne diesen Begriff zu verwenden.

An ein paar Stellen hatte ich vorher bereits Auseinandersetzungen mit dem Mode- bzw. Mem-Aspekt dieses Hypecycle mitbekommen. Klumpp drueckt das einleitend in „Digitalisierte urbane Mobilitaet“ (2016) – genauso snarky wie in weiten Teile des kompletten Dokuments – aus:

Keine lang laufende Diskussion verträgt aber Konstanten bei den verwendeten Begriffen und Begrifflichkeiten, weshalb in einer Zeit der Beschleunigung eben neue Termini erforderlich sind.

Klumpp, Dieter. „DIVSI Studie-digitalisierte urbane Mobilität: datengelenkter Verkehr zwischen Erwartung und Realität.“

Ein fehlendes Puzzlestueck war fuer mich aber die weitgehende Sinn- oder zumindest Definitionsbefreitheit vieler der verwendeten Begriffe: Was heisst denn „Souveraenitaet“ ueberhaupt? Wer ist gegen was „resilient“? Obwohl die Begriffe sehr haeufig und sehr selbstsicher eingesetzt werden, bringen solche Rueckfragen – oder die oben erwaehnte Bitte, den Satz doch mal inhaltsgleich aber ohne dieses Wort zu verwenden – das Gegenueber sehr schnell ins Schwimmen.

Einen ersten Aufhaenger fuer die Einordnung solcher inhaltslosen Begriffe hatte ich vor einigen Monaten in einem Thread von Simon Wardley zum Begriff der „Digitalen Souveraenitaet“ gelesen, der daraus mittlerweile einen lesenswerten Blogpost gemacht hat. Anders als ich – und das ist ja eben typisch fuer diese Interpretationsoffenheit – definiert Wardley den Begriff in einer raeumlichen Abgrenzung des nationalen (oder EU-zentrischen) Protektionismus, die gerade beim weltweiten Internet einfach keinen Sinn ergibt. Im Thread lieferte er aber einen grossen Aha-Moment fuer mich, diese Projektionsflaechenbegriffe einzuordnen:

Ein spannendes Faedchen, an dem ich dann sehr lange weiter ziehen und Dinge aufzuppeln konnte, lieferte nun vergangene Woche ein Tweet von Basanta Thapa:

Ich habe daraufhin gleich mal das zitierte Paper gesucht und wo es zitiert wird, und bin dabei ueber „Talking about government: The role of magic concepts“ (DOI 10.1080/14719037.2010.532963, ich rate natuerlich dringend davon ab, das z.B. auf SciHub zu suchen) gestolpert. Und das ist einfach wunderbar, weil Pollitt und Hupe darin sehr sueffisant die Rolle und auch die Charakteristika solcher „magischer Worte“ erklaeren. Waehrend man fuer viele Standpunkte oder Thesen einen gegenteiligen Standpunkt formulieren kann, der erstens Sinn ergibt und auch zustimmungsfaehig ist, sind die „magischen Konzepte“ so breit und universell ausgelegt, dass ihre Negation praktisch keinen Sinn ergibt. Sie machen das an den drei Beispielen „Governance“, „Accountability“ und „Network“ fest, auf die das gut zutrifft: „Keine Governance“ mag niemand so recht haben und ist schlecht vorstellbar – aber bei genauerem Hindenken faellt auf, dass auch „Governance“ selbst gar nicht so gut vorstellbar ist, weil es irgendwie alles und nichts ist. Pollitt und Hupe schlagen folgende Charakteristiken fuer solche magischen Worte vor:

1 Broadness. They cover huge domains, have multiple, overlapping, sometimes conflicting definitions, and connect with many other concepts. They have large scope and high valency.

2 Normative attractiveness. They have an overwhelmingly positive connotation; it is hard to be ‘against’ them. Part of this is usually a sense of being ‘modern’ and ‘progressive’ – often replacing something which is now alleged to be out-of-date (e.g. networks replace bureaucracy and/or hierarchy).

3 Implication of consensus. They dilute, obscure or even deny the traditional social science concerns with conflicting interests and logics (such as democracy versus efficiency, or the profit motive versus the public interest).

4 Global marketability. They are known by and used by many practitioners and academics – that is, they are fashionable. They feature frequently in official policy documents, the titles of reform projects and new units in both governmental and university departments. The concepts provide themes for academic conferences, subjects for seminars and titles for journal articles

Pollitt, Christopher, and Peter Hupe. „Talking about government: The role of magic concepts.“ Public Management Review 13.5 (2011): 641-658.

Ich halte es fuer wichtig, diese Begriffe vor allem in der Digitalisierungsdebatte zu dekonstruieren, wo immer wir ihnen begegnen. Erstens – und offensichtlich – weil sie interpretationsoffene Projektionsflaechen sind. In einem Diskurs ueber politische Ziele hilft es ungemein, sich der Bedeutung der gemeinsamen Sprache einig zu sein und eben nicht Schlumpfwoerter wie „smart“ zu verwenden, die lediglich die orthodoxe Rechtglaeubigkeit der aussprechenden Person bekraeftigen sollen.

Wie soll beispielsweise ein Datenethikkonzept dazu fuehren, ethisch mit Daten umzugehen? Welche Definition unethischen Datenumgangs faellt einem ueberhaupt ein, und woraus leitet sich die Ethik denn nun her und in welcher Utopievorstellung von Gesellschaft ist sie begruendet und warum kommt irgendwer auf die Idee, dass es hier eine universelle Vorstellung davon geben koennte? Kann es „ethischen“ Umgang mit Daten durch lokale Definitionen ueberhaupt geben, solange es nebenan Polizeiaufgabengesetze gibt, die sich um diese Ethik wenig scheren, sondern (wie im Fall der Corona-Registrierungszettel) einen konkurrierenden, rechtlich verbrieften Zugriffsanspruch haben, egal wie man selber das dagegen gerne absichern wuerde, fuer eine „ethische“ und vertrauensvolle Handhabung z.B. pseudonymisierter Mobilitaetsdaten? Wenn schon Governance undefinierbar ist, was ist dann Datengovernance? Wer governt denn ueber was, und wo gibt es wieder konkurrierende Akteure (z.B. wieder die Polizei)? Und was bringt mir eine Reflexion ueber Ausschluesse und strukturelle Benachteiligungen, wenn andere da mit reinfunken, die notorisch unreflektiert mit diesen Machtverhaeltnissen umgehen (again)?

Zweitens aber taeuschen viele dieser magical words zwar Universalitaet und auch Neutralitaet vor (“One might say that magic concepts are typical of what social theorists term ‘late modernism’, in the sense that they are of high abstraction and wide generality, and are usually presented as neutral (Scott 1998).”, aus Pollitt&Hupe 2011). Gerade in der Digitalisierungsdebatte kommt jedoch eine Vielzahl der Begriffe aus dem kleinen Woerterbuch des Neoliberalismus (vgl. z.B. Eagleton-Pierce, Matthew. Neoliberalism: The key concepts. Routledge, 2016) und werden ganz nebenbei in Diskursbeitraege eingeflochten – weswegen sich staendige kritische Nachfragen umso mehr lohnen:

Warum sprechen Akteure beispielsweise von Challenges, die es zu loesen gilt? Was waere ein alternativer Begriff und was das Gegenteil? Wie grenzt sich eine Challenge von einer Analyse systemischer Maengel ab, und warum macht man stattdessen lieber die Challenge? Wer oder was ist die Community, wovon waere sie abzugrenzen, wer definiert die Grenzen, und warum ist sie eine eigene Gruppe unter den Stakeholdern? Stellt Partizipation wirklich bestehende Machtverhaeltnisse in Frage und ermaechtigt die Buergerschaft (wer auch immer das sein soll), oder wird der Prozess aus der Machtstruktur heraus gesteuert und legt selber fest, wer eine Stimme hat und wer nicht? Aehnlich auch bei Co-Creation, geht es um “fundamentally changing the relationships, positions and rules between the involved stakeholders” (Voorberg, Bekkers & Tummers, 2015), oder soll eine Checkliste in einem Foerderantrag abgehakt werden? Was heisst es, wenn Verstetigung beispielsweise von Community(sic, klar)-Projekten angestrebt werden soll? Was zum Teufel waere das Gegenteil? Und was genau wird denn verstetigt? Foerdermittel, auf dass die Community (natuerlich nachhaltig) das Projekt auf alle Zeit weiterfuehrt? Quasi die zeitlich unbegrenzte Verstetigung einer Arbeit, die man nie dauerhaft machen wollte, weil man dachte, dass die oeffentliche Hand selber aus dem Quark kommt, das kuenftig besser zu machen? Oder soll das Ziel sein, diese oeffentlichen Aufgaben (am besten noch der Daseinsvorsorge) mit Entrepreneurship in privater Hand durchzufuehren?

Und so weiter.

Vielleicht waere hier mal ein Woerterbuch gut. Oder eben doch ein illustriertes Bilderbuch mit schoenen Metaphern, die diese Begriffsunklarheiten anschaulich aufdroeseln (Danke Julia Barthel fuer die Idee). Und es braucht auch dringend gut verstaendliche Gegenerzaehlungen, die die komplexeren aber eben auch zielfuehrenderen nachhaltigen Ansaetze mindestens ebenso attraktiv machen wie die neoliberalen Gegenstuecke, die gerade durch windelweiche und schoene Worte so leicht verdaulich fuer Entscheidungstraeger:innen sind.

Bis dahin: Bitte kritisch weiterfragen!

//edit: verwirrenden Satz klargestellt, Paper verlinkt. Siehe ausserdem auch anderen Beitrag zu User Centered Design.

2 Gedanken zu „Logomachie: Theologisch-korrekte Powerworte und neoliberale Digitalisierungstrategien

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