Fahrplandaten, Zwischenstand 2020

Seit September 2006 gibt es das GTFS-Format fuer Soll-Fahrplandaten des oeffentlichen Verkehrs, entstanden mehr als Zufalls-Seitenprojekt aus einer Kooperation zwischen einem Google-Maps-Entwickler und dem Portlander Verkehrsverbund. Gedacht war es als Standard-Austauschformat, um Fahrplandaten in verschiedene beliebige Verkehrsauskuenfte zu integrieren – auch Google Maps, aber eben auch viele andere Anwendungen.

In Deutschland dauerte es sehr lange, bis GTFS oder das sehr viel umfangreichere NeTEx-Format halbwegs breit als Grundlage fuer Open-Data-Fahrplaene angeboten wurde. Deutsche Verkehrsverbuende sind vielfach bis heute der Ueberzeugung, dass nur sie selbst „richtige“ Auskuenfte geben koennen. Das wuerde ich generell sowieso in Frage stellen, aber das ist gaengige Policy, und auch in der VDV-Schrift 7030 „Open Service“ in eine wirklich haarstraeubende Sammlung zurschaugestellter Ahnungslosigkeit und Falschdarstellungen zusammengefasst. Teile der Geschichte dazu lassen sich in meiner Diplomarbeit von 2014 (sic) nachlesen.

Sehr sehr langsam tat sich aber etwas in Deutschland – auch weil Anfang Dezember 2019 die Delegierte Verordnung (EU) 1926/2017 die Auslieferung aller(!) Soll-Fahrplandaten ueber einen Nationalen Accesspoint zur Pflicht machte. Die Verbuende, die sich lange Zeit wehrten, mussten also nun ihre Fahrplaene offenlegen, auch zur Nachnutzung durch Dritte. Die Open-Data-Landkarte, auf der 2013 nur der VBB und die vergleichsweise winzigen Stadtwerke Ulm zu finden waren, faerbte sich nach und nach:

Wenn auch viel zu spaet und sehr schleppend und weit entfernt von den skandinavischen Best-Practise-Beispielen, die hier meilenweit voraus sind: Es tat sich was.

Das schien nun also der Anlass fuer diverse Diensteanbieter zu sein, nun auch die notorisch verspaeteten deutschen Verbuende in ihre Auskuenfte einzubinden. So auch Apple Maps, die offenbar nun einige Regionen mehr in ihre Auskunft aufnahmen – was zu diesem denkwuerdigen Artikel auf nordbayern.de fuehrte, der einem nochmal plakativ vor Augen fuehrt, auf welchem unterirdischen Niveau wir 2020 noch ueber intermodale Verkehrsauskuenfte reden. Beste Zitate:

Die Daten stammen, so behauptet es Apple in der App, von der Verkehrs-Aktiengesellschaft Nürnberg (VAG) und dem Verkehrsverbund Großraum Nürnberg (VGN). Dort allerdings wundert man sich. „Es gibt keine vertragliche Vereinbarung (…) zu einer Überlassung von Fahrplandaten“, sagt VGN-Sprecher Manfred Rupp. „Wir wissen auch nicht, woher Apple die Fahrplandaten zu den VGN-Linien hat.“ Man könne, sagt Rupp, nur spekulieren – und sei dabei, die technischen Vorgänge aufzuarbeiten.

Das ist wirklich bemerkenswert, denn auf der Website des VGN selber findet sich ein Punkt „Soll-Fahrplaene im GTFS-Format“, und ueber den Standardvertrag der Creative-Commons-Lizenz ist auch die vertragliche Ueberlassung von Fahrplandaten ganz klar geregelt (Ueberlegungen, ob es sich bei Fahrplandaten ueberhaupt um ein urheberrechtlich geschuetztes Werk handelt, auf das auf dem UrhG basierende Lizenzen anzuwenden sein koennen, seien mal aussen vor gelassen).

Im weiteren Text wird zunaechst behauptet, Apple erwecke den Eindruck, dass es sich um Echtzeitdaten (also unter Einberechnung von Verspaetungen) handle. „Das könne aber gar nicht sein […] Die liegen nicht einmal mehr auf unseren Servern“ wird der VGN zitiert. Einen Absatz weiter wird jedoch zurueckgerudert, dass es sich um „aeltere“ Soll-Fahrplandaten unklaren Alters handelt.

Diese Reaktion ist fuer mich wirklich erschreckend. Ziel des VGN muesste es sein, eine stabile Quelle tagesaktueller Soll-Fahrplaene bereitzustellen. Sollte Apple wirklich den GTFS-Feed des VGN vom Dezember 2019 benutzen und dieser nicht aktuell sein, liegt das Problem glasklar auf Seiten des Verbunds. Er hat dafuer zu sorgen, dass Dritte Daten in guter Qualitaet nutzen koennen – spaetestens seit der Delegierten Verordnung. Und die vielfach als Argument angefuehrten Echtzeit-Ist-Daten sind vielmehr ein gewichtiges Argument, spaetestens jetzt die Vorbereitungen zu treffen, auch diese Daten fuer Dritte nutzbar ausspielen zu koennen. Denn Echtzeit und Open Data schliessen sich nicht aus – wenn man denn wie die Skandinavier auf die richtigen Formate setzt, anstatt dem VDV-Unsinn rund um den sogenannten „Open Service“ nachzulaufen.

Die Uhr tickt indes. Spaetestens im Dezember 2023 ist die Ausspielung der dynamischen (Echtzeit) Daten gemaess DV 1926/2017 EU-weit gefordert und nicht mehr nur optional. Ich bin gespannt, ob die deutschen Verbuende das auch so grandios verkacken werden wie bei den Soll-Daten.

PS: Wer Lobbyarbeit machen moechte: Die Karte oben stammt aus dem 2017 als Spassprojekt gestarteten One-Click-Lobby-Projekt rettedeinennahverkehr.de – dort kannst du dich mit wenig Aufwand an deinE LandraetIn oder OberbuergermeisterIn wenden.

Ein Gedanke zu „Fahrplandaten, Zwischenstand 2020

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