Nachdem ich 2013 vollkommen ungeplant erstmals auf dem Chaos Communication Congress war, fuhr ich zum 31c3 etwas geplanter – was die Unterkunftssuche ironischerweise nicht viel einfacher machte. Herzlichen Dank nochmal an @gnomus, der mir sein Schlafsofa gewaehrte, waehrend er sich selber die Naechte als Engel um die Ohren schlug 🙂
Mit die spannendste Erkenntnis des Congress fuer mich war, dass ich mich mit vielen verschiedenen Menschen mit den unterschiedlichsten Backgrounds unterhielt – deren ganz verschiedene, ja zum Teil gegenlaeufigen Erwartungen durch die Bank mindestens erfuellt, oft uebertroffen wurden.
Beispielhaft war da Undine, die mich zum Spontan-Tramp-Trip zum 30c3 animiert hatte – und die als fast-fertige Aerztin Engelschichten beim CERT mit Vortraegen und Ausprobieren verschiedenster Geraete des wirklich fantastischen Maschinenparks abwechselte, den die vielen verschiedenen FabLabs mit in die grosse Maker-Halle gebracht hatten.
Oder Juka, die als erstmalige Teilnehmerin unter die Fittiche der Chaospatinnen genommen wurde und sich bei den Art&Culture-Tracks und -Assemblies austobte. Und nicht zuletzt tante, der nicht sonderlich gluecklich ueber die Umsetzung des Mottos “A New Dawn” schien, und in den Vortraegen, die er besuchte, nichts von dieser versprochenen Aufbruchstimmung zu hoeren bekam:
[I]in a building full of art and music and smart people no forward momentum for any form of structural change was emerging. Everything felt chained to the way things have always been done™.
Just as with the cycle of Snowden leaks the subculture is still caught in its old MO: Take something , look at technical details, break them, wait for them to be patched. Rinse and repeat. Rinse and repeat. Rinse and repeat.
Und alle haben sie recht. Denn, so mein Eindruck, das ist nicht ein Congress, das sind zehn Congresse gleichzeitig, die da stattfinden. Mindestens. Je nach Programmselektion konnte man den same old shit hoeren, oder in ein Kinderwunderland abtauchen, oder Vortraege wie den des Zentrum fuer politische Schoenheit anhoeren.
Der war ganz grosses Tennis, und wurde auch im Jahresbericht des CCC erwaehnt: Die Latschdemos wie die zur FoeBuD-Folklore verkommene „Freiheit statt Angst“ zuenden einfach nicht mehr – stattdessen bedarf es mutiger, subversiver Aktionen. Das auf dieser Buehne gesagt zu hoeren, fand ich prima. Genau wie die klare politische Selbstverortung z.B. durch “Refugees Welcome”-Wechselgeldspendenkassen auf den Bartresen.
Was ich mir ausgesucht hatte, hatte ein anderes Congresserlebnis zum Ergebnis als es das gewesen waere, haette ich die „Klassiker“ samt Fnord-News-Show, Security Nightmares und der quasi schon traditionellen „Was die NSA nun auch weiss und wir euch nun nach zwei Jahren endlich mal verraten“-MesseLesung von Jacob Appelbaum besucht. Same old shit. Hacker, n00b, everything is broken, yada yada. Rinse and repeat.
Es _gab_ solche Momente fuer mich, keine Frage. 2013, als ein dabeistehendes CCC-„Urmitglied“ in eine Unterhaltung einwarf, was das denn mit der Inklusivitaet solle, das habe es die letzten 30 Jahre nicht gebraucht, es sei immer jeder willkommen. Klar. Oder dieses Mal, als ich am letzten Abend entnervt aus dem Heaven floh, wo einige ueber Beschaeftigte in der oeffentlichen Verwaltung vom Leder zogen — die ja Outlook und Windows verwenden. (Ich war auch mal so. Der Kontakt mit der oeffentlichen Verwaltung im Rahmen von Open Data hat mich Bescheidenheit und Gelassenheit gelehrt. Das sollten vielleicht auch viel mehr Leute aus dem CCC-Umfeld tun.)
Aber dem gegenueber standen vermeintliche Kleinigkeiten wie zum Beispiel die Vortragseinleitung zu What Ever Happened to Nuclear Weapons, in der ganz explizit der kulturelle Background der vortragenden Person herausgearbeitet wurde, und was das fuer den Inhalt des Vortrags bedeutet. Oder P0wning stuff is not enough, dessen Inhalt zwar etwas unter dem Vortragsstil leidet, der aber mehr oder weniger genuesslich den Finger in die verschiedenen Wunden der Hackerszene legt (Danke an @natanji fuer die kritischen Nachfragen am Ende, BTW).
Insofern: Selbstverstaendlich gab es eine ganze Reihe von Vortraegen, die von einem “New Dawn” wenig erahnen liessen. Das waren aber, soweit ich das ueberblicken kann, vor allem die folkloreartigen Beitraege der „Helden“ der Szene, die quasi ohnehin schon traditionell gesetzt sind. Dem gegenueber stand aber eine Vielfalt, die vermutlich auf keiner anderen Tagung zu finden ist.
Das Motto des Chaos Communication Congress scheint indes — wie auch bei der re:publica oder auch diversen wissenschaftlichen Konferenzen </snide_remark> — tatsaechlich beliebig austauschbar zu sein. Die Veranstaltung dient als Reaktor, als Katalysator, als Geruest, das von den Teilnehmenden mit Leben gefuellt und gepraegt wird.
In Anlehnung an eine alte Baustoff-Werbekampagne schlage ich deshalb hier gleich mal ein Motto samt Logo fuer den 32c3 vor:
Ansehempfehlungen
Mit Kunst die Gesellschaft hacken
Wenn etwas nach Aufbruch klang, dann dieser Vortrag. Wow.
Correcting Copywrongs
Wunderbar positiv auch dieser Vortrag von Felix Reda, der sich qua seines Piratenmandats im Europaeischen Parlament um das eigentlich Piraten-ureigene Thema Urheberrecht kuemmert. Ich hoffe, dass die Reste des orangenen Haufens alles tun, um Felix und seine Arbeit zu unterstuetzen. Grandios.
IFG – mit freundlichen Gruessen
Ebenso Abstand vom typischen „Krypto wird uns alle retten“-Ansatz der IFG-Vortrag von Stefan Wehrmeyer – samt des wunderbar zitierfaehigen Satzes „Krypto ist Abwehr – IFG ist Angriff“
(Und ich fragte ihn bei unserer Assembly noch scherzhaft, ob er dann auch rappen wuerde. Little did I know.)
Jugend Hackt
Meines Wissens der einzige Vortrag mit Kindern und Jugendlichen auf der Buehne – und ein dermassen tolles Konzept, dass wir das gerne in Ulm umsetzen moechten!
Why is GPG „near damn unusable“?
Auch mal schoen, als Medieninformatiker mit dem entsprechenden HCI-Background mal Don Norman in solch einem Umfeld zitiert zu hoeren. Und andererseits ganz furchtbar schlimm, dass diese Grundstudiumsinhalte bei GPG und Konsorten immer noch Neuland sind, und Nutzbarkeitsstudien von vor zig Jahren immer noch aktuell sind.
P0wning stuff is not enough
“Failure modes of the hacker scene” – eine ganze Reihe der Dinge, die schieflaufen. Ich teile nicht alle Ansichten, die vertreten werden, halte den Denkanstoss aber fuer unglaublich wichtig.
Beyond PNR: Exploring Airline Systems
Ein Nischenthema, leider ebenfalls unter der Vortragstechnik leidend – aber fuer mich unglaublich spannend, wie die Fluggesellschaften in den 1960ern mal eben sowas wie ihr eigenes Internet gebaut hatten 😀
10 Jahre OpenStreetMap
Schoen motivierend: Wie die freie Weltkarte im Gegensatz zur Wikipedia weitgehend ohne Relevanz- oder Loeschdiskussionen auskommt. So motivierend, dass ich in den letzten Wochen zwischendurch mein Heimatkaff weiter gemappt und meinen Eltern einen Editor aufs Android-Smartphone installiert habe.
Weitere Lektuere
- Zara Rahman hat eine eigene Liste sehenswerter Vortraege, mit besonderem Fokus auf Sprecherinnen, und Beobachtungen zu Inklusivitaet und Bias.
- dasnuf mit einer Erst-Teilnehmerinnen-Perspektive
- Alberto Cottica hebt vor allem die Werbefreiheit und nichtexistente Kommerzialisierung des Congress hervor.
- Cloudette war mit Kind auf dem Congress