Vom Prozess gegen Lothar Koenig

Viele Menschen in meinem Bekanntenkreis haben offenbar nichts vom Prozess gegen Lothar Koenig mitbekommen. Koenig ist Stadtjugendpfarrer in Jena, zuvor war er (noch zu DDR-Zeiten) in Merseburg und war dort gegen die DDR-Staatsmacht aktiv, was ihm selbstverstaendlich eine umfangreiche Akte bei der Staatssicherheit einbrockte.

Spaetestens seit 2011 hat ihn nun auch die bundesdeutsche Staatsmacht im Visier. Im Februar 2011 fuhr er einen Lauti bei einer Gegendemonstration gegen den alljaehrlichen Naziaufmarsch in Dresden. Koenig wird schwerer aufwieglerischer Landfriedensbruch und Strafvereitelung vorgeworfen, weil von seinem Lauti aus zur Gewalt gegen die Polizei aufgerufen worden sei, er ein Polizeifahrzeug abzudraengen versucht und einen polizeilich Verfolgten in seinem Fahrzeug zur Flucht zu verhelfen versucht haben. Eine ganz schoene Latte an Vorwuerfen, fuer die die Staatsanwaltschaft Koenig vier Jahre ins Gefaengnis schicken mag.

Schon das Ermittlungsverfahren der beteiligten Landespolizeien war… umstritten, der aktuell laufende Prozess toppt das aber noch bei Weitem. Unterm Strich darf man sagen, es entsteht der Eindruck, die Polizei luege nach Strich und Faden, und das Gericht habe kein Problem damit, wenn diese Luegen systematisch durch Videos widerlegt werden – und auch nicht damit, dass hunderte Aktenseiten der Verteidigung vorenthalten wurden, oder Befragungsprotokolle verschwanden.

Weiterlesen kann man aktuell bei der taz [1] [2] oder beim Spiegel.

Die Jugendgemeinde Stadtmitte beobachtet derweil den Prozess und tickert in einem eigenen (sicher nicht wirklich neutralen) Blog dazu, und da mag ich gerne mal einige Zitate hier reinkuebeln, weil die wirklich… interessant sind.

Ticker zum vierten Prozesstag:

11:50 Der Zeuge Alexander E., der gerade befragt wird war am 19. Februar 2011 als Hundertschaftsführer in einer Kolonne von 9 Polizeifahrzeugen auf der Nossener Brücke unterwegs, als ihm der Lautsprecherwagen entgegen gekommen sei. […]

12:10 Es habe auf jeden Fall einen Aufruf auf der Nossener Brücke gegeben, die Polizeikolonne anzugreifen, das habe er bei geöffneten Fenster hören können, meint Alexander E.. Details zur Aussage oder von wem diese kam, könne er jedoch nicht benennen.

12:14 Verteidiger Eisenberg befragt den Zeugen nun detailliert nach der Situation, indem der Gewaltaufruf gekommen sei, ob vor während oder nach dem wenden, Alexander E. entscheidet sich für “Während des Wendevorgangs”. […]

12:45 Rechtsanwalt Eisenberg fragt nach, warum der Zeuge zu Protokoll gab, dass die Aufrufe aus dem Lautsprecherwagen und nicht aus einem Megafon kamen. Antwort: “Ich wusste es nicht besser.” Der Verteidiger wirft ein, dass sich der Zeuge bei späteren Vernehmungen genauer erinnern konnte und rätselt über das plötzliche Erinnerungsvermögen Alexander E.s.

12:49 RA Eisenberg konfrontiert den Polizisten nun damit, dass die Verteidigung über Videoaufnahmen verfügt, welche jenen Wendevorgang und die Vorbeifahrt des Lautsprecherwagens dokumentieren. Aus diesen ist er sichtlich, dass sich der Ablauf anders zugetragen hätte und das es keine Aufrufe zur Gewalt gab. RA Eisenberg will dieses Videomaterial dem Zeugen vorführen und beantragt dessen Vereidigung. […]

15:53 Die beiden vorgeführten Videos stehen in einem krassen Missverhältnis zu den Erinnerungen und der Sachverhaltsdarstellung des ersten Polizeizeugen des heutigen Tages, Hunderschaftsführer Alexander E. […]

16:43 Der Zeuge wird weiter zu seinen bereits getätigten Aussagen vernommen. Der Frage, ob der Spruch “Deckt die Bullen mit Stein ein” überhaupt vom Lautsprecherwagen oder ggf. von einem Megafon vorgetragen wurde hätte er nicht so viel Beachtung geschenkt. “Es war halt meine Wahrnehmung” äußert Alexander E. und bezieht sich damit auf seine eigene Zeugenangabe, wonach er dies aus dem Lautsprecherwagen gehört hatte. Am 23.2.[oder 23.3.] sei er unsicher gewesen, später hatte er jedoch die Situation mit Kollegen besprochen und auch Videos ausgewertet und daher gab er ab dem Moment an, dass die strittige Aussage aus dem Lautsprecherwagen schallte.

16:46 Rechtsanwalt Eisenberg vermutetet, dass der Zeuge Alexander E. seine eigene Erinnerung mit den Zeugenaussagen von Kollegen vermischt. Diese Vermutung lässt Alexander E. ins rudern kommen. Man hätte sich doch in der Einsatznachbereitung [1.9.] auf diese Ansicht geeinigt, äußert er. […]

16:51 RA Eisenberg hat genug davon und drängt ein weiteres mal darauf, den Zeugen zu vereidigen. Doch der Richter entlässt den Zeugen aus der Befragung! […]

16:59 Nach einer kurzen Unterbrechung geht es mit der Zeugin Hendrich weiter. Sie ist Polizeiobermeisterin der Bundespolizei Pirna und soll zur Tatziffer 3.2 der Anklage Aussagen machen.

17:04 Die Staatsanwaltschaft wirft Lothar König zum jetzigen Anklagepunkt vor, ein Polizeifahrzeug abgedrängt zu haben. […] Lothars Verteidiger merkte bereits nach der Eröffnung der Hauptverhandlung zu diesem Anklagepunkt an, dass Lothar nur einem Fußgänger ausweichen wollte.

17:06 Die Vernehmung der Zeugin Hendrich läuft an. Sie äußert, dass sie sich sicher sei, dass das Ziel des blauen Lautsprecherwagen darin bestand, die Polizeifahrzeuge abzudrängen. Sie ist sich dessen sehr sicher. […]

17:15 Verteidiger Eisenberg fragt die Zeugin detailierter nach dem Ablauf am 19. Februar und ob der Hergang auch anders gewesen sein könnte, ob es die Gesamtumstände für den Lautsprecherwagen notwendig machten abzubiegen oder ob es andere Gründe für den Fahrbahnwechsel gegeben haben könnte, außer dem unmittelbaren Ziel, die Polizisten abzudrängen, woraufhin die Zeugin plötzlich meint, dass dies natürlich auch sein könne, aber das wisse sie ja nicht. Da explodiert RA Eisenberg, war doch ihre bisherige Auffassung felsenfest, dass hier eine vorsätzliche Nötigung vorlag. Eisenberg erinnert noch einmal an die Zeugenwahrheit, zu der sie verpflichtet sei. […]

17:30 Es geht weiter nach einer kurzen Unterbrechnung. Eisenberg befragt die Zeugin detailliert weiter. Die kann sich aber nicht an die gefragten Details erinnern, z.B. ob sie noch weiß, ob das ihrer Aussage nach vor ihr fahrende Polizeifahrzeug welches abgedrängt werden sollte, einen Spurwechsel vollzog. Sie wusste aber genau, das der Lauti das Fahrzeug abdrängen wollte.

17:33 Auch der Zeugin Hendrich werden nun Polizeivideos und die heute von der Verteidigung eingebrachten Videos zur strittigen Situation vorgespielt.

17:40 Auf den Videos wird deutlich, dass die vermeintliche Abdrängsituation durch ein Ausweichmanöver der Polizeiautos vor einer Absperrung ensteht. […]

17:50 Die Zeugin kann sich nun nach der Sichtung der Videos auch nicht mehr erinnern ob, die vor den Wagen stehenden Gitter oder der Lautsprecherwagen der Ausweichgrund waren und in welche Richtung ausgewichen wurde. […]

17:55 Verteidiger Eisenberg stellt auch bei dieser Zeugin den Antrag auf Vereidigung. Das Kartenhaus der Anklage fällt allmählich zusammen. […]

18:05 Krass: Auch bei der Polizeizeugin H. lehnt der Richter eine Vereidigung ab. Obwohl wenige Minuten vorher offenkundig wurde, dass ihre Aussagen nicht mit den Videoaufnahmen übereinstimmen.

und zum fuenften Verhandlungstag:

09:43 Die erste Zeugenbefragung beginnt: Polizeiobermeister V. von der Bundespolizei Pirna. Er war am 19. Februar 2011 mit auf der Nossener Brücke.

9:48 POM V. berichtet darüber, wie er an jenem Februartag im Einsatz war. Er befand sich in der Gruppe der neun Polizeiahrzeuge und und erzählte von permanenten Stein- und Flaschenwürfen während des Wendevorgangs [siehe 4. Prozesstag, wo der Sachverhalt bereits Thema war].

9:52 Ähnlich wie eine gestrige Zeugin berichtet auch dieser Polizist, dass der Lautsprecherwagen versucht habe, die Polizeifahrzeuge abzudrängen. Er habe sich in dem allersten Fahrzeug befunden, dass unmittelbar betroffen gewesen sei.

9:54 Der Zeuge erzählt die gleiche Geschichte wie seine Kollegen bei der gestrigen Verhandlung. Es geht vor allem um die vorgeworfene Nötigung, das angebliche Schneiden eines Polizeifahrzeuges. Verteidiger Eisenberg fragt den Richter, welchen Sinn eine weitere Befragung noch hätte. Im Laufe des gestrigen Prozesstages konnten die belastenden Aussagen bereits durch Videoaufnahmen der Verteidigung widerlegt werden. […]

10:18 RA Eisenberg zum Zeugen: “Sie sprachen von einem Mob, was ist das?”, der Zeuge antwortet: “Eine große Ansammlung von Personen…”, von denen vielleicht auch Straftaten ausgehen… Eisenberg wirft ein: “…stellen sie sich doch mal eine Ansammlung von 1000 Amtsrichtern vor”, ehe es wieder zum Lachen im Publikum kommt. Der Richter ist kurzzeitig empört. Eisenberg fragt nach, wieso der Zeuge eine Personengruppe, die ihr Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit ausübt als Mob bezeichnet. […]

11:25 Aus dem strittigen Vernehmungsprotokoll, dass nun erstmalig der Verteidigung vorliegt geht hervor, dass der gerade auf dem Zeugenstuhl befindliche Polizeiobermeister V. in seiner zweiten Vernehmung schilderte, wie er den blauen T4-Bus, den so Lautsprecherwagen bremsen sah. Bislang spricht die Anklage davon, dass Lothar König gezielt Polizeifahrzeuge abdrängen wollte, die verschriftlichte Äußerung des Beamten steht demnach im Widerspruch zum Anklagepunkt der Tatziffer 3.2. […]

11:55 Es wird noch einmal deutlich, dass aus dem neuaufgetauchten Vernehmungsprotokoll des Zeugen V. hervorgeht, dass der Lautsprecherwagen gebremst hat, bevor das Polizeifahrzeug mit ihm als Insassen daran vorbei fuhr. RA Eisenberg fragt detaillierter nach, der Zeuge äußert widersprüchliches und bleibt weiterhin dabei, dass der Lautsprecherwagen das Polizeifahrzeug abdrängen wollte, auch trotz der Hinweise auf vorhandene Videos, die das Gegenteil bezeugen. […]

12:23 Der Zeuge Jörg A. (Polizeihauptmeister) wird zur Situation auf der Nossener Brücke angehört. […]

12:43 Der Zeuge A. fertigte ebenfalls eine dienstliche Erklärung zu dem Vorfall und den Schäden am Fahrzeug an, dies machte er am 19.04.2011 – also zwei Monate nach dem eigentlichen Ereignis. Auch andere Kollegen hatten dies erst zwei Monate später getan. Als Verteidiger Eisenberg wissen will, wer ihn veranlasst habe, diese Erklärung abzugeben weicht der Zeuge aus. Nach mehrmaligen Nachfragen nennt er dann doch einen Namen: Der Hundertschaftsführer E., der gestern bereits auf dem Zeugenstuhl saß, hätte ihm um die Abgabe der Erklärung gebeten.

12:48 Im Laufe der Befragung äußert der Polizeizeuge A., dass man damals [bei der Abgabe der Erklärung] schon wusste oder ahnte, dass der Vorfall ein größeres Verfahren nach sich ziehe. Auf die Nachfrage, wer ihm dies so mitgeteilt hat, wollte er keinen Namen nennen und wich aus, fügte dann hinzu, dass ihm keiner das gesagt habe. […]

[Es werden Videos gezeigt]

13:52 Zwischenstand bei der Suche nach dem 1000-Personen starken schwarzen vermummten Mob, den Lothar König angeführt haben soll: Es ist nun auf dem Video schon 300 Meter hinter dem Lautsprecherwagen keine vermummte Gruppe zu sehen oder eine solche, die auch Straftaten begangen haben soll. Auch das Video der Verteidigung wird dem Zeugen vorgeführt. […]

15:23 Es geht weiter. Nächster Zeuge. Bert E., Einsatzführer der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit der 1. Bereitschaftspolizeiabteilung Dresden. […]

16:00 Obwohl der Polizeizeuge selbst am Nürnberger Ei eingesetzt war, Tatziffer 4 der Anklage (Vorwurf: Mob attackiert Polizisten & zündet unter Lautsprecherdurchsagen Barrikaden an) und mit seinen Ausführungen dort begann, sind seine Angaben offensichtlich grade schon zur Tatziffer 5 relevant, der letzten Tatziffer der knapp 20-Seitigen Anklageschrift. Lothar König wird dabei vorgeworfen Strafvereitelung begangen zu haben. Ein vermeintlicher Steinewerfer hätte sich bei der Abfahrt von außen an den “Lauti” gehangen, die Anklage wirft Lothar König vor, er sei trotzdem weitergefahren, “wissend, das er ihm [dem Werfer] dadurch zur Flucht verhelfen kann”. Der gesondert Verfolgte soll zuvor aus knapp 30 Metern Entfernung einen Stein geworfen haben. […]

16:30 Verteidiger Eisenberg stellt den Antrag zur Einreichung eines neuen Beweismittels: Ein Video was den Zugriff zeigt.

[…]

17:08: Auf dem Video der Verteidigung ist zu sehen, wie sich der Lautsprecherwagen langsam über die Nürnbergerstraße Richtung Nossener Brücke bewegt. Aus Richtung Nürnberger Ei rennt eine Gruppe von mehreren Polizisten auf den Wagen zu, die je näher sie ran kommt noch weiter beschleunigt. Auf Höhe des Lautsprecherwagens prügeln diese mit Schlagstock auf die verfolgte Person ein, die außen am Fahrzeug hängt. Mehrfach schlagen diese dabei im Abstand von ca. einem halben Meter auf den Kopf der Person, bis diese ihren Halt am Wagen verliert, von den Beamten während der Fahrt runtergerissen wird und senkrecht am Rad vorbei vom Auto fällt, am Boden liegen bleibt und von weiteren anrückenden Polizisten umringt wird. Die beschriebene gewalttätige Menschenmenge um den Lautsprecherwagen ist nicht zu sehen. Eine Ansprache vor dem Zugriff ebenso wenig.

Prozess gegen Lothar König – Video der Verteidigung vom 29.05.2013 from JG-Stadtmitte on Vimeo.

17:10 Während der Ausstrahlung herrscht bei Teilen des Publikums entsetzen über die gewalttätigen Aufnahmen und den Anblick, wie der verfolgten Person aus nächster Nähe mit einem Schlagstock auf den Kopf eingeschlagen wird. Im Saal gab es erschrockene Aufschreie, der Zeuge grinste.

17:15 Verteidiger Eisenberg wird sauer. Er befragt den Zeugen ob er hier eben auch eine Straftat im Amt gesehen habe. Der Zeuge, Gruppenführer der schlagenden Polizisten, lacht. Der Richter lässt die Frage nicht zu.

Unterm Strich retten hier wieder einmal eigene Videoaufnahmen der Demonstrierenden den Leuten den Allerwertesten und ueberfuehren die Polizei – ebenfalls wieder einmal – der Luege, die augenscheinlich zwischen den beteiligten Einheiten so abgesprochen wurde. Passend dazu auch ein Kommentar Koenigs:

Was er persönlich empfinde, sei gar nicht so wichtig, sagt er. „Ich mache mir Sorgen um die, die demonstrieren und kein Videomaterial haben, das sie entlastet.“

3 Gedanken zu „Vom Prozess gegen Lothar Koenig

  1. Moritz

    „Viele Menschen in meinem Bekanntenkreis haben offenbar nichts vom Prozess gegen Lothar Koenig mitbekommen.“

    Ist ja auch kein Wunder: Die taz ist soweit ich das mitkriege die einzige überregionale Zeitung, die viel darüber berichtet. Auf sz.de findet sich jedenfalls nur ein einziger Artikel und der war zum Prozessauftakt. Wieder einmal ein sehr gutes Beispiel dafür, wie wichtig die taz ist, weil sie Themen auf dem Schirm hat, die sonst in der Presselandschaft nicht vorhanden wären.

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    1. stk Beitragsautor

      +1

      Es ist an solchen Stellen leicht, in Verschwoerungstheorien zu verfallen, und einige tun das sicher („Systempresse“ u.ae.) – aber ich finde immer wieder augenoeffnend, wie fremd JournalistInnen solche Vorgaenge bei Demonstrationen sind, und wie entsetzt sie (z.B. SWP am 1. Mai 2009) sind, wenn sie das tatsaechlich selbst einmal miterleben.

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  2. Pingback: Der Prozess des Lothar König (2) | Philipp Greifenstein

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