Depublizierung

Ich habe eine ganze Weile lang die Poetry Slams im Theater Ulm aufgezeichnet, geschnitten und veroeffentlicht, und langsam droht das zur Altlast zu werden. Alle Auftretenden wurden zwar vorab vom Theater gefragt, ob sie mit der Aufzeichnung und Veroeffentlichung einverstanden sind, schriftliche Einverstaendniserklaerungen wurden aber nie eingeholt. Und damit geht einher, dass manche KuenstlerInnen Jahre nach der Aufzeichnung kommen und moechten, dass das Internet ihren Auftritt wieder vergisst.

Das kann verschiedene Gruende haben: Der eigene Stil hat sich gewandelt, oder man moechte die Praesenz auf Internetvideoportalen zurueckfahren, oder man ist generell nicht mehr zufrieden mit dem, was man vor zwei, drei Jahren gemacht hat.

Und damit komme ich in eine Zwickmuehle.

Loesche ich das Youtube-Video, verschwindet damit alles, was mit dem Video zu tun hatte. Einbettungen dieses Videos auf anderen Websites zeigen „dieses Video wurde entfernt“, ohne weitere Angabe von Gruenden, und auch der Direktaufruf des urspruenglichen Links zeigt ins Leere. Das ist nicht cool.

Das Video online stehen lassen kann ich aber — leider — auch nicht ohne weiteres. Auch wenn mir das ideologisch besser taugen wuerde: Alle Vortragenden haben in die Aufzeichnung und Veroeffentlichung eingewilligt und das gezeigt, was zum Zeitpunkt ihres Auftritts ihr Buehnenprogramm war. Aktuell wuenschte ein Kuenstler die Entfernung eines Videos von 2011, weil das nicht mehr dem entspraeche, was er heute auf der Buehne zeige, und die Begruendung schmeckt mir nicht wirklich. Ein „Recht auf Vergessenwerden“ gibt es zum Glueck (noch) nicht, und ich finde es schade, Fans die Moeglichkeit zu nehmen, gerade die alten Auftritte nachzuvollziehen, die es heute nicht mehr live zu sehen gibt.

Ich habe das trotzdem bislang immer gemacht. Weil ich mir keinen Stress mit Abmahnungen antun wollte.

Im juengsten Fall habe ich mir deshalb ueberlegt, wie das anders gehen koennte. Wie man Bild und Ton entfernen, aber nachvollziehbar machen kann, wie es ueberhaupt dazu kam. Die einzige Loesung, die Youtube hier ermoeglicht, ist eine sehr krude: Ueber den eingebauten „Effekt-Editor“ laesst sich ein hochgeladenes Video nachtraeglich verpixeln. Am liebsten haette ich die Tonspur anschliessend einfach auf minus unendlich dB gepegelt, das geht aber nicht — es laesst sich nur Musik „ueberlagern“. Was ich auch gemacht habe. Mit einem Overlay-Hinweis, dass der Kuenstler das Video nicht mehr online haben moechte.

Der zeigte sich daraufhin ueberhaupt nicht begeistert:

11.03.13 · von [entfernt] an mich

Ganz im Ernst Diggi,

so ist das ja einfach nur peinlich.
Nimm das Video bitte komplett raus oder zeige es wenigstens ganz, bis meine Agentur mit dem Anwalt gesprochen hat.

Denn so lange es keine ausdrückliche Genehmigung meinerseits für dieses Video gibt, handelt es sich um mein geistiges Eigentum. Mag sein, dass du persönlich nichts vom Urheberrecht hältst aber das an mir auszulassen finde ich unfair und nicht gerechtfertigt.

Zur Klarstellung: Der Kuenstler ist seit der Bearbeitung seines Videos weder bildlich zu erkennen noch irgendwie zu hoeren. Seinem Wunsch, seinen Auftritt nicht mehr zu zeigen habe ich — ohne Anerkennung einer Rechtspflicht — entsprochen. Ich habe in der Zwischenzeit selbst seinen Namen unkenntlich gemacht und damit mein eigentliches Vorhaben gebrochen, nachvollziehbar zu machen, dass er urspruenglich einmal an der Stelle zu sehen war. Das scheint aber offenbar immer noch nicht zu genuegen.

Wie koennte man so ein Problem sinnvoll loesen?

//Nachtrag, 12.3.: Ich hatte nicht bedacht, dass das Video bei der Suche nach dem Namen auf Youtube ziemlich weit oben rangiert und dort ein verpixeltes Video mit seltsamer Musik drueber nicht so gut wirkt. Die Sichtbarkeit des Videos so zu aendern, dass Links zwar nicht gebrochen werden, es aber nicht mehr in der Suche auftaucht, loeste das Problem fuer das Gegenueber.

6 Gedanken zu „Depublizierung

    1. stk Beitragsautor

      Das ist keine Loesung fuer das genannte Problem, das aus „Archiv alter Videos, die auf Youtube sind, und deren Links ich nicht brechen will“ besteht.

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  1. Klischeepunk

    Einmal ist natürlich eine mündliche Zustimmung so gut wie irgendein unterschriebener Zettel. Die E-Mail/den Kommentar ordne ich dahingehend als ziemliche Unverschämtheit ein.
    Das lustige ist, dass du, durch die Genehmigung einen ganzen Haufen rechte gewonnen hast. Im nachhinein auf die Art zu reagieren dürfte ein Ding der Unmöglichkeit sein.
    Das Problem ist natürlich die Nachvollziehbarkeit – du wirst Schwierigkeiten haben nachzuweisen, das er Werbung für sich mal voll toll fand.

    Grundsätzlich kannst du deinen Weg natürlich gehen, Video verpixeln, Ton überblenden. Wenn mich nicht alles täuscht kannst du Bei Youtube auch Kommentare überblenden „Nach ursprünglicher Genehmigung entspreche ich dem Wunsch des Künstlers, blablabla“. Dabei spricht imho nichts dagegen seinen Namen dick und fett zu erwähnen. Mir fällt auch spontan nichts ein, das es verhindert. Problem ist natürlich auch hier du stellst Tatsachenbehauptungen auf und musst die ggf. durchkämpfen.

    Dafür gibts keine pragmatische Lösung als tun was $irgendwer will.

    Das UrhG gibt natürlich dir recht. Recht am eigenen Bild ist über den Jordan, Einverständnis wurde gegeben, auch weiter gibt’s quasi keine rechtliche Grundlage für die Forderung. Lizenzänderungen im nachhinein sind nicht ohne weiteres möglich, da unter bestimmten Bedingungen ausgehandelt wurde.

    Auch das läuft auf Rechtsstreit raus.

    Pragmatische Lösungen? Tja.
    Zukünftig: Unterschrift holen. Bis dahin: Entweder streiten, oder damit leben, das du als Fußabtreter genutzt wirst.
    Oder ohne Formalfoo – Identitäten der Uploader soweit verschleiern, das sie nicht erreichbar und angreifbar sind.

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  2. Melchior Blausand

    Vielen Dank, Stefan,
    dass Du nicht nur versucht hast, das Problem pragmatisch zu lösen, sondern das Dilemma gerade jenseits der juristischen Frage stellvertretend hier zu auszuführen. Ich denke, das ist für viele interessant und/oder wird es noch viele Jahre lang immer wieder werden.

    Depublikation = Selbsterniedrigung
    Indem Du dem Wunsch nachkommst und depublizierst, reduzierst Du Dich tendenziell auf den technischen Assistenten der Autoren, obwohl Du vorher Urheber warst. Damit tust Du dem Anderen einen Gefallen, aber Dir selbst keinen.
    Da die Einverständnisse nicht nur mündlich, sondern in einer für genau diese Frage schwierigen Dekade eingeholt hast, wäre es m.E. am elegantesten, wenn Du die Rechteübertragung nachträglich en bloc verschriftlichst.

    Geistiges Eigentum
    Da der bLog-Eintrag also das Zeug zum Evergreen hat, sei jeder Mitdiskutant an der Stelle aufgerufen, schon den Begriff des geistigen Eigentums nie ohne Widerworte hinzunehmen.
    (In diesem bLogeintrag wird die Ablehnung des Begriffs durch einen Finnen namens Kimppa einmal auf eine erstaunlich klare Formel runtergebrochen.)

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    1. stk Beitragsautor

      Selbsterniedrigung, naja. Tatsaechlich koennte man argumentieren, dass ich mich zum teilweise sehr willkommenen Werbevehikel machte (ich bekam erzaehlt, dass manche auch deswegen gerne nach Ulm kamen, weil’s hinterher ein HD-Video ihres Auftritts vor der beruehmten Tapete gab), aber das ist mir weniger wichtig.

      Die Rechte nachtraeglich schriftlich zu fixieren halte ich fuer schwierig, und ich will mir den Terz auch gar nicht unbedingt antun.
      Wichtige Lektion fuer mich war vor allem, dass wir teilweise aneinander vorbei kommunizierten (mir war nicht bewusst, dass das Video nach der Verpixelung weit oben in den Suchergebnissen auftauchte), und dass selbst meine subjektiv als eher gemaessigt eingestufte Position vom Gegenueber als ziemlich radikal wahrgenommen wurde.

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