Archiv für den Monat: Februar 2012

Ich hab 1000 Freunde im Internet, und wir treffen uns jetzt alle zwei Wochen auf dem Muensterplatz

Jetzt, mit sechs Tagen Abstand, kann ich sagen: Die letzte Woche war ein gewaltiger Ritt. Irgendwann war die Bitte zur Unterstuetzung einer kleinen Anti-ACTA-Demonstration auf dem Muensterplatz ueber diverse Ulmer Mailingslisten getrudelt, und ohne grossartig nachzudenken, hatte ich zugesagt, mich um ein wenig Sprachverstaerkung fuer die erwarteten 100 Personen zu kuemmern.

Bis die aufgetrieben war, stand der Zaehler bei 500 Teilnehmern. Also umdisponieren, Anlage fuer 400 Personen auftreiben — und bis die organisiert war, hatten ueber 1000 Leute auf „teilnehmen“ geklickt. Ich bin immer noch sehr sehr geflasht von diesem Samstag, an dem insgesamt wohl 50 bis 100 Leute spontan Hilfe als Ordner und in der Teekueche zugesagt hatten, oder im Fall von Greencore Events mal eben eine HK Icon fuer lau auffuhren, um auch sicher mehr als 500 Leute beschallen zu koennen.

Ob nun 1000 Leute dort waren, die die Polizei gezaehlt haben will, oder 400, wie die Suedwest Presse behauptet, ist mir eigentlich bums. Vielleicht mag ja jemand mal mittels der Videos und Bilder eine Abschaetzung machen.

Viel wichtiger sind mir zwei Dinge:

1.: Ich kam mir auf dieser Demo mehr oder weniger alt vor. Das Publikum war zwar bunt durchmischt und ich habe gefuehlt alle Altersklassen gesehen. Im Vergleich zur Freiheit statt Angst oder den regelmaessigen Bildern aus Stuttgart haette ich in Ulm den Altersdurchschnitt aber deutlich niedriger angesetzt. 23 vielleicht, ich weiss es nicht. Erzaehle mir nochmal einer etwas von apolitischen Jugendlichen. Und ausserdem: Wer etwas von einer „Netzgemeinde“ erzaehlt, darf sich von mir fuerderhin als Deppen bezeichnen lassen. Diese Gruppe wirkte deutlich heterogen.

2.: Das Thema ist schwer vermittelbar. Und das ist eine der Hauptproblematiken. Das urspruengliche ACTA-Mobilisierungsvideo von Anonymous polemisiert vollkommen unnoetigerweise, und auch die Diskussionen und Behauptungen auf den Facebook-Gruppen- und -Einladungsseiten wirken vielfach von Verschwoerungstheorien und Wir-Sie-Denken gepraegt. Das ist nicht notwendig. Das schadet sogar.

Es ist dringend notwendig, dass sich diese aktuelle Bewegung ueber die Hintergruende von Urheber- bzw. Verwerterrechten und das von ihnen aufgeworfene Spannungsfeld informieren. Im DLF gab es eine Sendung hierzu, Techdirt hat die Copyright-Verschaerfungen der letzten Jahre zusammengefasst (nb: Copyright ist etwas anderes als Urheberrecht) und Everything is a Remix geht auf die grundsaetzliche Bedeutung von Verwerterrechten auf unser digitales Zeitalter ein.

Everything is a Remix Part 4 from Kirby Ferguson on Vimeo.

Ueberhaupt: Das Zauberwort duerfte „erklaeren“ sein. Netzpolitik bzw. digiges wollen „das Netz, nicht den Krieg erklaeren“, und genau dies ist auch noetig, falls der Ruf nach einem reformierten, fuer alle Beteiligten fairen Urheberrecht ein Ruf aus der breiten Gesellschaft werden soll.

An erster Stelle hierfuer steht Information.

PS: Der Klischeepunk erklaert auf acht9.de, warum kommenden Samstag erneut eine Demo auf dem Muensterplatz sein wird.

Sinnvolles fuer die Hosentasche

Irgendwann beginnt man ja, bei den taeglich mitgefuehrten Gegenstaenden vollkommen verrueckt zu werden. Seit ich eine separate Tasche dafuer habe, tummeln sich darin Zahnbuerste, Gaffa, Bahnvierkant/Bauschluessel, Handyladekabel und sonstiges Geraffel, das auch erstaunlich haeufig benutzt wird. Bevor dieses Anhaengsel an meine Umhaengetasche kam, gab es nur zwei Gegenstaende, die ich immer bei mir hatte: Ein Taschenmesser in der Uhrentasche der Hose. Und in jeder Jacke eine Rettungsdecke.

rettungsdecke

„Rettungsdecke“, mag man fragen, „das braucht man doch im Normalfall nie!“

Richtig. Aber gerade im Nicht-Normalfall. Da hilft die. Wenn jemandem mal eben der Kreislauf wegkippt, man irgendwo in der Pampa steht, und der Rettungsdienst dann halt doch mal 10 Minuten braucht. Oder man auf irgendeine Weise unvermittelt zum Ersthelfer wird.

Im Normalfall stoert so ein Teil nicht (ich benutze die Decken auch nicht als psychologische Kruecke, um mir ein gesteigertes Sicherheitsgefuehl zu verschaffen), die Kosten sind bei quasi Null, weil die Teile beim Verbandkastenwechsel staendig anfallen, und im Benutzungsfall bekommt man von der Rettung mit einmal lieb fragen problemlos eine Neue.

Gestern hatten ein Kollege und ich beim Sicherungsdienst des Faschingsumzugs einen 21jaehrigen gerade noch am Kragen packen und aus dem Wasser ziehen koennen, als der orientierungslos in den Bach gefallen war. Zurueck ins Feuerwehrhaus zur weiteren Versorgung war es zum Glueck nicht furchtbar weit, aber als ich den armen Kerl vom Bach in Richtung Feuerwehr schleifte, war der schnelle Griff nach der Rettungsdecke was furchtbar beruhigendes.

Schafft euch so ein Teil an. Wenn ihr’s nie braucht, umso besser.

Bild: Rettungsdecke von eworm, cc-by-nc-sa. Dieser Text steht unter ebendieser Lizenz.

Geht doch mit der Mobilisierung

Wer demonstrieren moechte, hat’s in der Regel eher schwer. 2007 konnte ich immerhin so um die 80 Personen im Soundslide dokumentieren, die gegen die Vorratsdatenspeicherung demonstrierten, vor einigen Wochen standen dann nur mehr fuenf Leute bei der VDS-Mahnwache, und die SWP titelte zur letzten Ulmer Bildungsstreik-Demo, dass man sich das Demonstrieren bei gerade mal 100 Schueler*innen und Studierenden doch glatt sparen koennte.

Ich kann mir deswegen eine gewisse klammheimliche Freude nicht verkneifen, wenn es um die Anti-ACTA-Demonstrationen am kommenden Samstag geht, die europaweit stattfinden sollen. Anonymous hatte vorab ein fuer meine Begriffe leicht ueberzogenes Informationsvideo veroeffentlicht, das ich in den letzten Wochen erstaunlich oft auf Facebook verbreitet sah — auch von Leuten, die mir bislang selten im netzpolitischen Kontext aufgefallen waren. Und dieses Video wirkte offenbar als eine Art Katalysator.

Die Piraten aus Ulm und Ehingen hatten ja anfangs mit 50 Demonstrationsteilnehmern gerechnet und die Kundgebung fuer Samstag entsprechend beim Ordnungsamt Ulm angemeldet. Zeitgleich hatten einige Anons ein Facebook-Event fuer die Demonstration am Samstag und zwei vorangehende Paperstorms zur Mobilisierung angelegt: Jeweils Freitags sollte die Stadt mit Plakaten und Flyern zum Thema bestueckt werden.

Und dann gings rund.

Freitag nachmittag hatten sich 264 Menschen als Demoteilnehmer*innen auf Facebook eingetragen. Aktuell, zwei Tage spaeter, zaehlt die Seite 472 Zusagen und 349 „vielleicht“ Kommende. Selbst wenn nur ein Teil der Angemeldeten am Samstag auch teilnimmt, duerften dort je nach Witterung 250+ Personen aufkreuzen. Gar nicht schlecht.

Bis dahin sollte man sich die Einschaetzung von RA Thomas Stadler zu ACTA durchlesen, die deutlich weniger drastisch ausfaellt als das Anon-Video. Das ist jedoch kein Grund, nicht gegen die Art und Weise des Zustandekommens dieses Vertrags zu demonstrieren — und gegen die zugrunde liegenden Dogmen. Ein oeffentlicher Aufschrei ist ganz im Gegenteil sogar ueberfaellig.

//Nachtrag: qrios hat auch noch einige Argumente zusammengefasst.

Stirb in einem Feuer, Fiducia!

Die Fiducia IT AG ist das ausgelagerte IT-Dienstleistungsunternehmen der genossenschaftlichen Banken — genauso, wie das T-Systems fuer die Telekom ist, oder LH Systems fuer die Lufthansa.

Ende der 1990er — lange vor Onlinebanking und Co. — hatte ich erstmalig bewussten Kontakt zur Fiducia. VR-Web war mein erster „richtiger“ Provider, heiligtumartig trug ich das Heftchen mit den Einwahlhinweisen fuer mein Dr. Neuhaus Smarty 14.4TI nach Hause und war fuerderhin zu fuer einen Unterstufenschueler ganz akzeptablen Preis online. Damit einher ging meine zweite E-Mail-Adresse (die erste war irgendwas @lycosmail.com und quasi binnen Monaten nicht mehr benutzt) und ein paar MB Webspace, die ich irgendwann mit einer „Homepage“ und spaeter mit irgendwelchen Fundstueckchen befuellte.

2001 gab es dann bei meinen Eltern DSL von der Telekom, die Mailadresse benutzte ich aber weiter fuer einige Dienste — rief man eben hin und wieder mal ab, machte ja nix. Ich bekam am Rande mit, dass der Dienst Ende 2012 eingestellt werden wuerde — mehr als genug Zeit, um das Zeug zu migrieren, dachte ich mir, und danach nicht weiter darueber nach.

Bis ich heute irgendein gesammeltes Fundstueck aus dem netdigest zeigen wollte, das ich Ende der 1990er bis etwa 2002 aus dem Usenet gefischt und auf dem VR-Webspace hinterlegt hatte.

Hoppala. Mal in den „persoenlichen Bereich“ einloggen. Dort gab’s gar keinen Erfolg (kein „falsches Passwort“, kein „Nutzer nicht bekannt“, gar nichts. Yay, UX…. Wenigstens eine 0800-Hotline fuer vergessene Passworter war angegeben. Und als ich dort anrief, fiel mir erst einmal das Essen aus dem Gesicht.

Ich kann nichts daran aendern, dass manche Leute selbstgefaellig sind. Und ich muss auch anstandslos anerkennen, dass die selbstgefaellige Person am anderen Ende der Leitung rechtlich gesehen vollkommen im Recht war. Aber die Art und Weise, wie der selbstgefaellige Herr am anderen Ende der Leitung mir erzaehlte, dass mein Account wegen Inaktivitaet geloescht worden sei, weckte in mir die Lust, ihn windelweich zu pruegeln.

Es stellte sich heraus, dass VR-Web seine Kundenaccounts nach einer laengeren Inaktivitaetsperiode loescht. Ich muss zugeben, dass ich keinen blanken Schimmer habe, wann ich mich zuletzt eingeloggt hatte — auf der Mailadresse liefen zwar noch diverse Dienste auf, solange die aber anstandslos funktionierten (und eben nichts zu meckern hatten), gab’s fuer mich auch keinen weiteren Anlass, regelmaessig das Postfach anzusehen. Und somit war mir auch nicht die E-Mail-Benachrichtigung aufgefallen, die VR-Web mir anscheinend geschickt habe.

Es folgte langsam eskalierendes Ragieren meinerseits am Telefon. Es geht mir nicht um die 13 Jahre alten Textdokumente, und auch nicht um das nostalgische Feeling rund um eine Uralt-Mailadresse. Auch die Ummeldung der verbliebenen Services auf eine neue Adresse nehme ich in Kauf. Es geht mir darum, dass meine Bank mir regelmaessig jede Menge verdammte Angebote zu Anlageformen per Post schickt, die mich selten interessieren, ich aber keine Zeile ueber den Account per Post bekam. Dass die verdammten paar Megabyte Speicherplatz und die paar SQL-Zeilen bei Fiducia jaehrlich Centbetraege verursachen, die bei einem Jahresueberschuss von 8 Millionen Euro dann doch eher untergehen duerften. Und dass meine Irritation dem Kundendienstler hoerbar scheissegal war.

Ein einziges Schreiben. Ich haette bezahlt dafuer. Kein Problem.

Gab’s aber nicht. Hauptanliegen der Fiducia (neben dem regelmaessigen Aendern der Direkt-URLs zum VR-Homebanking, so dass man alle paar Wochen die Bookmarks aendern muss) ist eben, alle Bestandsnutzer abzuwickeln, um sich aus dem offenkundig unprofitablen Endkundengeschaeft zurueckzuziehen. Und ob die nach wie vor Kunden bei ihrer lokalen Bank sind, ist ihnen egal.

Lustig nur, dass die Episode eben fuer mich auf meine oertliche Raiffeisenbank ein ebenso negatives Licht wirft wie auf die Fiducia — obwohl die gar nichts dafuer kann.

Lessons learned

Niemals auf andere Dienstleister verlassen. Moeglichst viel selber anbieten. Und: Das Internet vergisst mehr, als man denkt. Nach Anbieterkonkurs 2010 (inklusive Insolvenzverschleppung und aehnlichem Unsinn) und einem ueber Nacht verschwundenen Anbieter 2007 ist das jetzt der dritte groessere, ehemals von mir betriebene Brocken im Netz, der verschwunden ist.

Untergrundkunst

Als kleine Ergaenzung zu den Pariser Guerilla-Renovateuren und -Kuenstlern Les UX: Ein wunderschoener Artikel im Wired Magazine mit Bildern und Interviews.

In an era when ubiquitous GPS and microprecise mapping threaten to squeeze all the mystery from our great world cities, UX seems to know, and indeed to own, a whole other, deeper, hidden layer of Paris. It claims the entire city, above- and belowground, as its canvas; its members say they can access every last government building, every narrow telecom tunnel. Does Gautron believe this? “It’s possible,” she says. “Everything they do is very intense.”

(via erlehmann)