Archiv für den Monat: Juli 2011

Woher Politikverdrossenheit kommen und wohin sie fuehren koennte

Hat eine Weile gedauert, bis ich das Video endlich mal in voller Laenge sehen konnte — und ich moechte es gerne teilen.

In D ist der gesamte wirtschaftliche Zuwachs der vergangenen 20 Jahre statistisch gesehen ausschließlich bei den Beziehern von Kapitalerträgen und Unternehmensgewinnen gelandet, während die Arbeitnehmer real und netto auf dem Stand von 1991 blieben. Weil aber viele hoch Qualifizierte heute natürlich mehr Einkommen haben, heißt das, dass erhebliche Teile der Bevölkerung seit Jahren mit schrumpfenden Einkommen auskommen müssen.

Gleichzeitig häufen sich in einem ganz kleinen Teil der Bevölkerung sich immer größere Vermögen an. Heute besitzen in D 10% der Bürger. 2/3 des gesamten
Anlagevermögens. Knapp 1% der Erwerbsbevölkerung, also 650.000 Menschen, besitzen ein Viertel. Und selbst diese Zahl ist noch irreführend, weil auch selbst genutzte Immobilien eingerechnet sind, also Oma ihr klein Häuschen ist auch dabei. Rechnet man das heraus, sind die Werte sogar noch deutlich höher.

Das ist keineswegs nur Problem der Gerechtigkeit, sondern auch massives volkswirtschaftliches Problem: Denn diese Vermögen und die Einkommen daraus dienen nicht dem Konsum, sie erzeugen keine Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen. Stattdessen steigt unablässig die Nachfrage nach Finanzanlagen und so ist die Vermögenskonzentration selbst eine wesentliche Ursache für die Aufblähung der Finanzindustrie und der damit produzierten Krise

[…]

Während die Minderheit der Vermögenden über ihren Besitz an Kapital immer größere Macht anhäufen, breitet sich in der übrigen Gesellschaft die Angst vor dem Abstieg aus. Und das führt überall zur selben Konsequenz:

Wer sich von Ausgrenzung bedroht sieht, trachtet seinerseits nach Ausgrenzung der noch schwächeren und der Fremden.

Kaum etwas ist politisch so explosiv wie die Ausbreitung von Statusängsten. Denn diese verunsichern die Menschen in ihrer Identität, in ihrer Vorstellung über ihren Platz in der Gesellschaft.
Dann suchen sie nach Absicherung nach unten, und das geht nun mal am ehesten über die Abwertung anderer. Beinahe automatisch greifen darum mit wachsender sozialer Spaltung Rassismus und der Ruf nach Abschottung gegen das böse Ausland um sich. Nicht die Armut selbst ist eine Gefahr für die Demokratie, aber umso mehr die Angst davor.

Dies ist eine historische Konstante, die über alle Zeiten und Kulturen hinweg gilt:

Wachsende Ungleichheit stärkt unvermeidlich die irrationalen politischen Kräfte.

 

(Harald Schumann – Wirtschaftliche Macht und Demokratie / Transcript / via Jens Scholz)

Alles nur Wettbewerb

Ich bin wohl doch nicht der Einzige, dem das hoeher-schneller-weiter beim Schwoermontag nichts taugt: Auf Ralf Grimmingers ulm-news.de gibt’s einen schoenen Artikel, der sich mit den „Hahnenkaempfen der Radiosender“ auseinandersetzt.

Ich weiss momentan Grimmingers Position in der etwas undurchschaubaren Hackordnung der Ulmer Medienhaeuser und dementsprechend eventuelle Voreingenommenheiten nicht so recht einzuschaetzen, aber einige Details ueber den Klein(geist)krieg zwischen Radio7 und Donau3FM als wechselweise Ausrichter der Muensterplatzkonzerte lesen sich dann schon… kleinstaedtisch:

So erlebte Donau 3 FM/Gerngeschehen/Provinztours vor einigen Jahren eine Desaster mit dem Konzert von Liza Minelli. Der Konkurrenzsender Radio 7 hatte nichts anderes zu tun, als mehrmals am Tag enthusiastische O-Töne von der eigenen ausverkauften Veranstaltung mit „Pink“ im Jahr zuvor zu senden. Immer verbunden mit dem Hinweis, das ja Liza Minelli nicht so wahnsinnig hip und dolle sei. Radio 7/ Allgäu Concerts erlebte jetzt selbst ein Liza Minelli – Debakel mit „Jamiroquai“. Auch weil Donau 3FM/Gerngeschehen/Provinztours eine fette Konzertereihe mit Topact „Unheilig“, der allein schon 7000 Fans auf den Klosterhof lockte, direkt in der Schwörwoche platzierte und damit eine gewaltige Menge Geld abschöpfte.

Und genau so etwas meinte ich mit der Selbstdarstellung (nicht nur) am Ulmer Stadtfeiertag. Mir haengt’s langsam zum Hals heraus.

Ein Schwoermontag ohne Werbung…

…das waer mal was.

Die Boote mit relativ offensichtlichem Bezug zu Firmen sind mir dabei wurscht — das find ich sogar nett, wenn das Betriebsklima hergibt, dass man gemeinsam die Donau runterschippert.

Dass aber manche Firmen ueberall am Donauufer praesent sein und moeglichst ueberall ein Riesenzinnober veranstalten muessen, nervt mich langsam.

Ich habe mich selbst dieses Jahr bewusst aus dem ganzen Trubel herausgehalten — mich nicht an der Liveuebertragung beteiligt, keine Sonderaktionen gefahren, sondern einfach nur dem Nabada zugesehen, ein paar Bierchen in der Flussmeisterei getrunken, gut war’s. Irgendwann mal wieder einen Schwoermontag zu haben, an dem nicht alles auf die groessten Konzerte, die tollsten Promoaktionen und den groessten Umsatz ausgerichtet ist… ja, das wuerd‘ mich freuen.

„Ich sprech‘ inzwischen über Geld“

Starkes Interview mit Katja Kullmann ueber ihr Buch „Echtleben“* und die Selbstausbeutung der „kreativen Klasse“:

Die Freiberufler, Ich-AGs und Minijober usw. haben keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, sie sind sofort auf Hartz IV. Von da aus können Sie sich aber überhaupt nicht mehr bewegen […]

Man muss seinen Beruf dann praktisch aufgeben, egal wie gut es jahrelang vorher lief, man muss darauf warten, bis man angestellt wird, sonst kommt man da erst mal nicht raus. […]

Heute tut es mir leid, dass ich mich in meinen Uni-Jahren nicht stärker mit linken Theorien und Kapitalismuskritik beschäftigt habe.

„Ich sprech‘ inzwischen über Geld“ – Kultur – dieStandard.at › Kultur.

* Amazon-Referrerlink / via @plomlompom

Lassen Sie mich Arzt, ich bin durch!

Ich besitze seit einigen Monaten einen Labormantel. So etwas wollte ich schon immer besitzen, weil man da so schoen „Ohoo, auf ins Labor!“ oder „Lasst uns Wissenschaft betreiben!“ sagen und einen Labormantel anziehen kann, bevor man z.B. jemandem Schnaps einfuellt.

Eigentlich war das nur als Tarnung gedacht, weil ich mehrere Kilogramm Broschueren von der Uni West zur Uni Ost fahren wollte, dafuer nur den geklauten Einkaufswagen vor dem BECI-Buero verwenden konnte und keine Lust hatte, um die Klinik herum zu fahren. In mehreren Versuchen wurde dann bestaetigt, dass das Klinikpersonal es fuer vollkommen okay haelt, wenn jemand einen Einkaufswagen voller Broschueren durch die Klinik faehrt, solange er dabei einen weissen Mantel traegt, den er sich kurz zuvor fuer 10 EUR bei den Chemikern gekauft hat.

Ich hatte mir fuer den Mantel auch noch weitere Ideen vorgenommen, z.B. mal im vollbesetzten Bus zu sagen, dass man mich bitte hinsitzen lassen solle, ich sei naemlich Arzt. Und auch in Besprechungen oder wissenschaftlichen Versuchen (z.B. wie viel Schnaps man in jemanden fuellen kann, bevor Resultate sichtbar werden) kam der Mantel gut an. Seit gestern bin ich mir aber nicht mehr so sicher, ob ich den Mantel noch mag.

Ich hatte ihn mir naemlich auf dem Heimweg von der Uni angezogen, weil ich nur ein T-Shirt anhatte und es wegen eines Gewitters maechtig kuehl geworden war. Auf dem Weg vom Theater zur Frauenstrasse wurde ich dann — es war halb ein Uhr morgens — von einem Paar mittleren Alters freundlich laechelnd begruesst und sollte ihnen offenbar helfen. Ich war zunaechst etwas verwirrt, weil ich mich an keinen Termin mit einem Paar mittleren Alters um halb eins in der Olgastrasse erinnern und mir zudem auch nicht vorstellen konnte, wie ich ihnen denn helfen konnte.

Die Situation wurde dann aufgeloest als eine Tuer weiter ein weiterer Mensch mit weissem Kittel hinzukam, der nun dem Paar mittleren Alters weiterhelfen konnte, mit dem er spontan einen Termin um halb eins hatte, nachdem die beiden die Nachtglocke an der Apotheke gedrueckt hatten.

Das rueckt dann auch die Sache mit der Klinik in ein ganz anderes Licht. Ich brauche ein Stethoskop.

OpenMovie 2011

Seitdem Ernst Abrazzo eine GoPro-Kamera* hat, gibt es wirklich von allem ein Zeitraffer-Video. Natuerlich auch vom OpenMovie — sieht stellenweise aus wie die Visualisierung von Sortier- oder Defragmentieralgorithmen 😉

OpenMovie Aufbau from Ernst Abrazzo on Vimeo.

time-lapse movie made out of about 8h of footage shot with a GoPro HD Hero

the background music is „Fortune Days“ by „The Glitch Mob“

* Referrerlink. Macht mich reich! Ihr wisst, ich habe es verdient!