Archiv für den Monat: Mai 2011

Unter Kontrolle

Schoen, wenn in der Sneak kommt, was man sowieso ansehen wollte: „Unter Kontrolle“ (ZDF-Kurzportrait) hat sich auf leicht gespenstische Weise schon ueberholt, bevor er ins Kino kam. Volker Sattel erzaehlt in gewaltiger Bildsprache und teilweise schmerzhaft langsamen Dollyfahrten die Geschichte der „friedlichen Atomkraftnutzung“ in Deutschland und Oesterreich — angefangen von den Verheissungen der 1950er ueber den laufenden Betrieb bis hin zur Endlager- und Rueckbauproblematik laesst er einfach nur die Beteiligten fuer sich sprechen. Ganz ohne Kommentar schafft er so eine Bestandsaufnahme und damit im wahrsten Sinne des Wortes eine Dokumentation ueber den Status Quo: Ueber die Brennstabrevision und den Arbeitsalltag in Gundremmingen, die IAEO und das Forschungszentrum Karlsruhe bis hin zum Endlager Morsleben und den Umbau nie in Betrieb gegangener Anlagen zu Vergnuegungsparks und Schulungseinrichtungen.

Da steht dann in der simulierten Leitwarte der Reaktorschule Essen das dem Dialekt nach aus Gundremmingen kommende Bedienpersonal vor riesigen Bedienpaneelen, die in Form und Baujahr aus einem 1970er-James-Bond-Film stammen koennten. Alarmklingeln schrillen und Warnanzeigen blinken, das Personal nimmt eine Schnellabschaltung vor, und gefuehlte drei Minuten spaeter erzaehlt ein Kerningenieur, dass man technisch auf dem neuesten Stand sei. Man will es nicht recht glauben.

Das ist ein anstrengender Film. Ganz sicher kein Hollywood-Mainstream. Und ich weiss nicht, woran das lag, aber offenbar war gestern eine ganze Menge Arschloecher im Kino, die das Mephisto aus unerfindlichen Gruenden fuer ein Mainstream-Sneakkino hielt. Ob man diese in diesem Umfang und Tiefe doch eher seltene Bilderschau auch zehn Wochen nach dem zweiten INES-7-Unfall der Menschengeschichte und mit einem bereits einmal havarierten Reaktor direkt vor der Haustuere interessant finden soll, sei jedem selbst ueberlassen. Wer sich dann aber eine halbe Stunde lang mit dem Nachbarn unterhaelt, ob man nicht doch lieber in die Olgabar gehen will, offenbar nicht ohne Erzaehler-Meinungsvorgaben auskommt oder sogar Galileo als Referenz fuer gute Dokumentationen heranziehen will, soll halt verdammt nochmal in die Dietrich-Sneak gehen.

Irgendwann baue ich ein Geraet, das labernden Dummbacken in der Sneak automatisch eins in die Fresse haut. Ich werde steinreich werden.

Verkehrsverbunderkundung: Flohmarkt in Riedlingen

Irgendwann letzten Herbst, als Mareyle, MonSi und ich fahrgasterhebend im DING-Gebiet unterwegs waren, kam uns mal die Idee, uns doch mal Fahrziele im Verkehrsverbund auszusuchen, die man mit dem Semesterfahrschein besuchen koennte.

Das allein heisst nicht viel: Wir denken uns ziemlich oft irgendwelches Zeug aus, von dem dann in der Regel nur ein Bruchteil in die Tat umgesetzt wird, und dann lamentieren wir rum und Mary schimpft unsere Traegheit. Und um dem entgegenzuwirken, hatte MonSi einen guten Einfall:

Ein Tag auf dem Riedlinger Flohmarkt

Riedlingen. 10.000 Einwohner, Landkreis Biberach, suedoestlich von Ulm, innert einer Stunde mit dem IRE von Ulm zu erreichen, DING-Gebiet. Mehr muss man nicht wissen, sagt MonSi, ausser dass es jedes Jahr am dritten Samstag im Mai dort einen Flohmarkt in der Altstadt hat. Und das ist dann nicht so ein Bemberlesflohmarkt mit zehn Kindern, die ihre Comics auf dem Kirchenplatz verkaufen, sondern es ist tatsaechlich die gesamte Altstadt mit Flohmarkt gefuellt. Das sah ja mal gar nicht schlecht aus.

Ich mag Flohmaerkte ziemlich gern, und das liegt nur teilweise daran, dass man dort sinnloses Geraffel kaufen kann, das dann unnuetz im Keller herumsteht. Handeln zu koennen und die Aussicht, vielleicht den einen oder anderen Schatz zu einem Spottpreis zu finden, das macht fuer mich den Reiz aus, und ich wurde auch nicht enttaeuscht. Auch in Riedlingen gibt es rein professionelle Haendler — die halten sich aber gefuehlt die Waage mit privaten Staenden und Vereinen, die die ausgeraeumten Dachboeden ihrer Mitglieder fuer einen guten Zweck verscherbeln. Man kann dann mit den schon ziemlich sekt-seligen KLJB-Standverkaeufern noch das Schachern anfangen — wenn sie einem aber eine prima erhaltene Feuerhand 276 fuer 1,85 EUR anbieten, wird nicht mehr gehandelt, sondern der Geldbeutel gezueckt 😉

MonSi hat uns dann in eine Tradition aus seiner Jugend eingefuehrt: Wir erhandelten uns an verschiedenen Staenden moeglichst guenstige Bierkruege, die wir dann an einem der Bierwaegen ausspuelen und mit Russ fuellen liessen. Diese Strategie hat den Vorteil, dass man beim Umherschlendern immer ein kuehles Bier dabei hat, ohne sich ueber die Pfandrueckgabe Gedanken zu machen — beim naechsten Stand wird einfach nachgeschenkt. Unklugerweise hatte ich mir einen schoenen Steinzeug-Masskrug der Bergbrauerei fuer 2 EUR geschossen, waehrend die anderen nur Halbe tranken. Kurz gesagt: Gegen 1400 Uhr hatte ich eine ordentliche Brez’n im Gesicht.

Das mit der Brez’n war aber kein Problem. Eine stattliche Zahl der Standverkaeufer hatte nicht nur schicke Zylinder auf dem Kopf, sondern auch schon morgens die eine oder andere Halbe in der Blutbahn. Und damit ich mit meiner an die Tasche geklipste Feuerhand (also: Taschenlampe) und der zweiten von MonSi ausgehandelten Sonnenbrille und meinem Masskrug nicht allzu arg auffiel, hat sich Dodo kurzerhand eine Handballenhupe und einen massiven Sombrero gekauft, die waehrend des restlichen Tages reichlich zu benutzen bzw. tragen offenbar Ehrensache war. Das mag dann mit 17 EUR vielleicht kein so ein Schnaeppchen wie JuKas 4-EUR-Bialettikaennchen oder Marys antike Handkaffeemuehle gewesen sein, aber man kann damit Autofahrer anhupen:

„Die Autofahrer schauen alle so grimmig, aber wenn ich sie anhupe, dann lachen immer alle“

„Dodo, du hast einen komischen Hut auf und eine Hupe in der Hand. Die lachen ueber dich.“

„Egal. Die lachen, und das macht mich gluecklich.“

Aus irgendeinem Grund holte ich mir dann noch einen passenden Berg-Halbe-Keferloher und liess Dodo zielsicher den mit Abstand geschmacklosesten Krug fuer sich aussuchen, so dass wir dann am Donauinsel“strand“ das zwischendurch geholte Bier aus jedem denkbaren Gefaess trinken konnten.

Fazit: Ich will da wieder hin. Naechstes Jahr.

Das BMI will Input zu „Vergessen im Internet“

Nachdem „Studierende [und] Wissenschaftler“ in der Mail des Innenministeriums pauschal angesprochen waren, will ich das mal weiter streuen:

Gesucht werden im Rahmen dieses Wettbewerbs die besten Ideen zum Thema „Vergessen im Internet“. Dabei soll es um die Auseinandersetzung beispielsweise mit den folgenden Fragen gehen: Wie schaffen wir ein Bewusstsein für die Probleme, die mit dem Nicht-Vergessen im Internet zusammenhängen? Was kann der einzelne Nutzer bzw. die Gesellschaft insgesamt tun, um diesen Herausforderungen besser zu begegnen? Brauchen wir eine technische Lösung oder genügt es, den Umgang mit persönlichen Daten zu verändern? Müssen auf politischer Ebene neue Regeln definiert werden?

„Vergessen“? So wie bei der Radiergummi-Extension? Mir kommt da eher ein kleines Trollgrinsen ins Gesicht, und der Ansporn, das mal ein wenig in die andere Richtung hin zu entwickeln. Zumal es auch ein Preisgeld gibt:

Der Gestaltungsspielraum für die Wettbewerbsbeiträge ist außerordentlich groß. Es können beispielsweise Plakate, Fotocollagen, Videos, Essays, wissenschaftliche Texte, Entwürfe für technische Lösungen u.v.m. eingereicht werden.

Teilnehmen können Studierende aller Semester und Fachrichtungen sowie Wissenschaftler bzw. wissenschaftliche Institute – sowohl Einzel- als auch Gruppenarbeiten sind möglich. In den verschiedenen Kategorien gibt es für die besten Beiträge jeweils 5.000,- € zu gewinnen. Zusätzlich können im Einzelfall durch unsere Netzwerke Praktika und Stipendien vermittelt werden. Besonders geeignete Ideen können im Rahmen von Kooperationen weiterentwickelt werden. Gerade diese Möglichkeiten dürften für Studierende besonders interessant sein.

Aluhuete und Spackos: Los geht’s. Der Wettbewerb laeuft noch bis 31. August.

(Hervorhebungen wie im Original)

Zwei Tipps aus dem Mephisto

…der eine kam gestern in der Sneak, der andere laeuft noch eine Weile im Mephisto

„Haende hoch, das ist ein Gig!“


(direktmusicforonehighway)

„Sound of Noise“ beginnt scheinbar unzusammenhaengend mit einem Polizisten, der aus einer Familie mehrerer Generationen von Musikgenies entstammt — und Musik hasst. Und nun einer Gruppe durchgeknallter „Musikterroristen“ nachstellt, die… nein, das verraet man besser gar nicht erst. Wer den Trailer sieht, hat leider schon viele der besten Stellen gesehen — ohne Vorkenntnisse wird das ein herrlich-skurriles Filmvergnuegen, dem man auch die eher flache zweite Haelfte verzeiht.

Wem die Musiker bekannt vorkommen: Ja, das sind die aus „Music for one Apartment and Six Drummers“.

Oy Noeddelstrauch

„Wir riefen Arbeitskraefte und es kamen Menschen“ — ganz unironisch schliesst „Almanya“ mit dem gefluegelten Frisch-Zitat. Wer die Geschichte von drei Generationen tuerkisch-deutscher Einwanderer nacherzaehlt bekommen will, findet hier leichtfuessige Unterhaltung, der man auch das Abdriften ins leicht kitschige Ende verzeihen mag. Die Sprachbarrieren der Einwanderer ist wunderbar ueber ein Kunst-Deutsch verdeutlicht, das sich wie eine Mischung aus Finnisch und Tuerkisch anhoert — und „Plueng, Ding-Dong Pluengeluengelueng“ hoert sich tatsaechlich irgendwie besser an wie „Kling, Gloeckchen…“ 😉

„Almanya“ laeuft noch mindestens eine Woche in Ulm;

Der Echoraum

„Soziale Spaltung“ im Netz titeln die einen, die anderen nehmen die Facebook-Fankommentare um den Luegenbaron Guttenberg als Beispiel: Wenn das Netz ein Abbild der gesamten Gesellschaft ist, dann findet sich frueher oder spaeter eben auch die Klientel der Bild-Leser dort, oder beliebiger anderer Gruppen, die fuer uns bisher einfach „die anderen“ waren.

Jetzt kann man natuerlich argumentieren, dass man schon aus Gruenden der eigenen geistigen Gesundheit vielleicht einfach darauf verzichtet, bestimmte Twitterer, PI-News oder sonstige Ecken des Netzes zu verfolgen. Wir schaffen uns einfach unsere eigenen Echoraeume, wo alle mit uns einer Meinung sind, und leben friedlich bis in alle Zeit (juppheidi etcetera).

Damit werden dann aber halt nicht die Probleme zwischen datenschutzkritischer Spackeria und Datenschuetzern geklaert. Und wenn ich dann sehe, dass ich bei einem Facebook-Dialog wie dem Obigen der Einzige bin, dem der Vergleich sauer aufstoesst, dann finde ich das auch bitter. Wir haben uns dann eine Weile per Message ueber den Post gezofft und am Ende hatte die Urheberin auch verstanden, warum ich nicht so begeistert war — da war ich aber auch schon entfreundet.

Das gibt einem dann schon zu denken. Also nicht das Entfreunden, das war mir egal, ich kannte die Betreffende nur, weil sie mal zu einer WG-Party bei mir aufgekreuzt ist. Aber wenn ich jemanden wegen seiner seltsamen Meinungen bei Twitter entfolgen will, denke ich mittlerweile zwei Mal drueber nach. Lieber Meinungspluralitaet als ewig dieselben Meinungen zu lesen.

PS an alle Twitterer: Ich hab echt kein Problem mit Montag. Da haben wenigstens die Geschaefte offen.

Die Karrierestudenten

Das Interessante am Ausseneinsatz auf Bildungs- und Abiturmessen ist ja, irgendwie seinem juengeren Selbst zu begegnen: Gerade in den letzten Zuegen der Schul(aus)bildung und in der Regel vollkommen planlos, was sie eigentlich spaeter machen sollen. Und die Antwort, dass man mit einem Unistudium hinterher „eigentlich alles, was man will“ machen kann, stellt nur wenige zufrieden — auch wenn es eigentlich die einzig richtige Antwort ist.

Manche wollen aber moeglichst gleich eine Vollorientierung haben: Fuenf Semester dieses, dann ein wenig davon, und hinterher ist man $definierte_Berufsbezeichnung mit einem jaehrlichen Gehalt $x. Das klappt halt nicht. Uni ist Selbstfindung, und was man nach fuenf Jahren Studium kennen gelernt und fuer sich entdeckt hat, kann man als Abiturient ganz einfach nicht abschaetzen. Klingt vielleicht hochspurig, ist aber nicht so gemeint. Und es haelt nicht alle davon ab, sich tatsaechlich erst einmal einen Karriereplan zurechtzuzimmern, um am Ende $x nach oben hin zu maximieren:

„Ich ziehe durch, was ich mir vorgenommen habe, ich will mein Leben nicht verbummeln“ – Anna-Lena ist eine Vertreterin der Generation Lebenslauf, die kühlen Blicks das Drauflosstudieren entsorgt hat und allzeit bereit ist zu harter Arbeit, sofern es reinpasst ins Karrieredesign. Nüchtern bis zur Selbstaufgabe planen sie das eigene Fortkommen. Als ideologiefreie „Ego-Taktiker“, die ihr Leben als Managementaufgabe begreifen, beschreibt sie Klaus Hurrelmann, Leiter der Shell-Studie. „Zielorientiert“ nennt die Studie das – und untertreibt noch. Es sind Ultra-Pragmatiker, die knallharte Kosten-Nutzen-Rechnungen aufstellen auf dem Weg nach oben.

(„Studenten im Optimierungswahn“, Spiegel Online)

Der Artikel geht dann noch ein wenig weiter, um natuerlich irgendwann versoehnlich damit zu enden, dass die krummen Wege manchmal die besseren seien, und die durchgestylten Studierenden ein wenig bloed dastehen zu lassen. Vielleicht ist das ja auch von so einem ehemaligen Langzeitstudenten geschrieben wollen.

Das aendert aber nichts daran, dass mich manche der Karriereabiturienten auf den Messen schon ein wenig schaudern lassen.

Selbstorganisation

Ich hab mir ja die letzten Wochen ueberlegt, wie ich das ganze Geraffel in meiner Tasche organisiere, die ich immer mit mir herumtrage. Die einschlaegigen Zombie-Apocalypse-Preparedness-Foren im Internet empfehlen dafuer High-Tech-Loesungen wie aLokSaks, die im Dreierpack so um die sieben Euro kosten.

Was da nicht steht: Man kann sich einfach Toppits-Zipper-Beutel holen. Die sehen zwar nicht ganz so dramatisch professionell aus, kosten aber auch nur so um die 15 Cent pro Stueck.

Breaking and redecorating

Bisher dachte ich, so etwas gaebe es eigentlich nur bei Pratchett:

Everything has its opposite. Even crime.

Thus, but not very often in a city as venal as Ankh-Morpork, the Watch is troubled with reports of proffering with intent, or breaking and redecorating. Anti-crime mainly consists of what we consider charitable or „good“ acts, but done in a way so as to inflict shame and humiliation on the victim. For example, whitemail consists of threatening to reveal a mobster’s secret donations to charity.

Tatsaechlich gibt es das aber auch im wirklichen Leben, wie der Presseschauer heute verlinkt hatte:

Es war ein ganz normaler Nachmittag in Paris, als zwei Frauen und zwei Männer die Verwaltungsräume des Pantheons betraten, um der Direktion höflich mitzuteilen, dass die große Uhr des Gebäudes nach 50 Jahren Stillstand nun wieder laufe – sie hätten sie restauriert. Nach einem Moment beklemmender Stille fragte der Verwaltungsdirektor ohne jegliche Begeisterung: »Ah bon? Ich war darüber gar nicht informiert.«

Les UX heisst die franzoesische Gruppe, die einfach mal ungefragt und ohne offiziellen Auftrag kaputte Wahrzeichen und Denkmaeler repariert. Das ist dann letztendlich hochwertige Facharbeit, die einen Arbeitswert (im Falle der Pantheon-Uhr) von 13.000 EUR erreichen kann — und trotzdem von den verantwortlichen Stellen nicht gerne gesehen wurde:

Denn die Gruppe hatte die Arbeit zwar umsonst gemacht, aber ohne Erlaubnis offizieller Stellen

Ich, persoenlich, finde das herrlich.