Warum die Oma virtuellen Datenstriptease macht

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Ich sitze gerade im Zug nach Berlin und fuehle mich einem Zustand der vollkommenen Verbloedung, was sicherlich nicht zuletzt an Schlafmangel liegt, moechte aber trotzdem noch etwas loswerden, und dazu hat man ja ein Blog, nicht wahr?

Ich hatte in letzter Zeit relativ viel Kontakt mit Datenschuetzern der alten Schule. Ich weiss nicht, ob es eine alte Schule fuer Datenschuetzer gibt, aber ich nenne das jetzt einfach mal so: Leute, die wirklich fit sind, was die rechtlichen Rahmenbedingungen des Datenschutzes angeht. Die teilweise Datenschutzbeauftragte fuer Firmen sind oder waren. Und die noch irgendwo in den 1990ern haengen.

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Das klingt jetzt vermutlich haerter, als es gemeint ist, und es ist definitiv nicht als „Datenschuetzer sind sowas von nineties (lacht)“ gedacht. Ich bin mir sicher, dass die betreffenden Personen einen aktuellen Kalender fuehren, und auch problemlos aufsagen koennten, wer gerade Innenminister ist, oder so etwas in der Art. Aber dann kommen immer wieder die Kommentare, die sich ziemlich aehneln: Warum soziale Netzwerke, wenn es doch Usenet/IRC/[insert RfC-konforme Technologie here] gebe. Und, was ich eigentlich noch viel schlimmer finde: Die unterschwellige Aussage, wie dumm doch die Leute sind, die Twitter/facebook/sonstwas nutzen. Selber wuerde einem ja nie einfallen, einen „Seelenstriptease“ hinzulegen, und was solle das denn ueberhaupt, der Welt zu erzaehlen, dass man gerade ein Nutellabrot esse…

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Mich hat das anfangs einfach nur geaergert. Fuer mich fuehlte sich das so an, als haetten sich die Betreffenden irgendwann in den fruehen 1990ern einfach einen Schnappschuss der fuer sie stabil laufenden Techniken herausgesucht, diesen eingefroren und ab dem Zeitpunkt nicht mehr nennenswert veraendern wollen. Die Debians unter den Menschen, oder so aehnlich. Ich fand das irritierend, mass dem aber keine weitere Bedeutung mehr bei.

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Irgendwann kam dann die Spackeria, und mit dem oeffentlichen Bekenntnis, dass man deren Thesen jetzt nicht rundweg ablehne, vielen Dank, und vielleicht koenne man ja mal darueber nachdenken, kamen noch mehr Datenschuetzer. „Seelenstriptease“, wieder dieses Wort, und wieder die implizite Unterstellung, dass doch eigentlich jeder ein Trottel sei, der diese sozialen Dingse nutze.

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Nur hatte ich im Februar einige Erfahrungen gemacht, die mir eine etwas andere Sicht auf diese sozialen Netzwerke gegeben haben. Ich hatte zusammen mit zwei KommilitonInnen ein Seminar des Zentrums fuer allgemeine wissenschaftliche Weiterbildung (ZaWiW) der uulm betreut, in dessen Rahmen wir drei Tage lang im „Haus auf der Alb“ der Landeszentrale fuer politische Bildung eine Gruppe SeniorInnen begleiteten.

Jetzt kann man natuerlich fragen, was Senioren mit sozialen Netzwerken zu tun haben sollen. Genauer gesagt war genau das unsere Aufgabe: Unter anderem fuer die Wikimedia Foundation war das Ziel, die Senioren in Gruppen- und Gemeinschaftsarbeiten herauszuarbeiten lassen, welche Bedeutung dieses Thema fuer sie hat, was es ihnen bringt, wo Aengste und Risiken liegen, und so weiter.

Gruppenarbeit "Soziale Netze"

Die Ergebnisse waren in mehrerlei Hinsicht fuer mich als stillem Protokollanten und Beobachter hochspannend. Erstens maeanderten die Gruppenarbeiten oft erst eine Weile vor sich hin, liefen aber jedes Mal frueher oder spaeter auf Schlussfolgerungen hinaus, die ich selbst schon als Beobachtungshinweis notiert oder fuer mich selbst als interessante Feststellung gesehen hatte. Und ausserdem fand ich horizonterweiternd, wie unterschiedlich die Herangehensweise der Senioren an das Erlernen des Umgangs mit neuer Technik im Alter ist. In vielem habe ich meine Eltern wiedererkannt, oder besser gesagt Probleme beim Erklaeren von Ablaeufen, die mich bisweilen beinahe in den Wahnsinn getrieben hatten.

Was wollen "Aeltere" im Netz?

Die Bandbreite war gross; manche hatten schon selbst einen Facebook-Account, andere hatten sich einen Workflow fuer alle Lebenslagen rund um E-Mail geschaffen, alle schienen von meiner spontan improvisierten abendlichen Twitterlesung gut unterhalten.

Aber ein Thema klang immer wieder durch und beschaeftigt mich bis heute. Das war in verschiedene Begriffe verpackt, teilweise umschrieben, aber doch landete es immer wieder auf den Wandzeitungen oder meinen Beobachtungsboegen: „Vereinsamung“. Eine Teilnehmerin beschrieb ihren Netzzugang mitsamt aller von ihr genutzter Anwendungen als „Fenster zur Welt, das vermisst werden wuerde, wenn es nicht mehr da waere“.

Der unabwendbare Teilnehmerfragebogen

Man kann jetzt als profan abtun, wenn die Seniorin auf feierabend.com einen Strickzirkel findet und vormals wildfremde zum Kaffeekraenzchen zu sich einlaedt. Man kann die Gesellschaft beklagen, in der das ueberhaupt notwendig sein sollte, dass man sich womoeglich sozialer Netze bedienen muss, um nicht „zwangslaeufig“ zu vereinsamen. (Und man kann auch in ganz viele Metadiskussionen einsteigen, dass das alles ganz anders ist, und die Schlussfolgerungen total ungueltig, und das alles vollkommen hanebuechen. Worauf ich nur sagen kann: Japp, kann sein, aber mir fallen gerade auch einfach die Augen zu. Eine Ausrede ist also vorhanden).

All das kann man also machen. Was man mir gegenueber seit diesem Seminar aber nicht mehr machen kann, ist die Teilnahme an sozialen Netzwerken pauschal als dummen Unsinn, unverantwortlichen Seelenstriptease oder unsinnige Freizeitbeschaeftigung fuer Jugendliche abzutun.

Das wollte ich nur mal gesagt haben.

6 Gedanken zu „Warum die Oma virtuellen Datenstriptease macht

  1. Pingback: Linkschau, die Zweite. | Die datenschutzkritische Spackeria

  2. Ein debian

    Debian ist auch nicht mehr was es mal war als damals die Hölle zugefrohren ist. Damals als Woody von sarge abgelöst wurde.
    Ich empfand das deutlich intensiver als den Wechsel von potato.

    Und dieser neumodische ubuntu-klicki-bunti Kram.

    Glücklicherweise habe ich hier auch noch ein irix mit netscape laufen. Alles was RFC kann läuft drauf!

    🙂 oben gibt es keine Ironie zu finde

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  3. Notesoflife

    Sehr guter Artikel!
    Zum Thema Hängenbleiben: Ich hab das mittlerweile für mich so erklärt, dass das schlichtweg ein Charakterzug der meisten Leute ist (psychologisch erklärt: Angst vor neuem, Faulheit, Spaß am Spezialistentum, usw.); denn das kann man eigentlich in fast allen Bereichen beobachten, wenn man mal älter wird und sich mit Altersgenossen/Kollegen usw. unterhält. Hier erlebt man – leider – fast schon in der Mehrheit „Stehengebliebene“ auf allen Ebenen!

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  4. stk Beitragsautor

    Danke fuer das angenehme Feedback 🙂

    @Notesoflife, „Spass am Spezialistentum“ scheint gerade der Punkt zu sein. Man hat so viel Zeit investiert und sich so in die Thematik versenkt, dass ein Aufbrechen und die Oeffnung gegenueber anderen Ansaetzen kaum moeglich ist. Teilweise erinnert die Argumentation (wertungsfrei!) wirklich an den Umgang mit religioesen Haeretikern.

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  5. Klischeepunk

    Guter Artikel, danke, hätte den in unserer Diskussion übrigens gern gelesen. Was mich interessieren würde wäre die Wahl des sozialen Netzes, wenn man ein gleichwertiges zu Facebook hätte, das „Anonym“ hält. „Social Networking“ an sich, oder wie immer man das nennen mag sehe ich keineswegs als Gefahr, sondern die Art und Weise wie und die Frage wer auf welche Art wann wieso auf welche Daten(mengen) zugreifen kann.
    Was ich auch interessant fände ist die Frage: Wie würde sich eine Person im Falle eines „Datenklaus“ (mir fehlt leider ein passendes Wort) verhalten – wie würde die Gefahr und die Auswirkungen zuvor und danach eingeschätzt – und um zur „Wir gegen euch“ Diskussion zu kommen: Wie wird die Frage nach Datenschutz davor und danach beantwortet?

    Dass diese nicht abgedeckt waren hab ich geschnallt, aber falls du dazu mal was in der Hand hast, … wäre happy 🙂

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