Ich fang mal so an: Dass ich erst heute dazu komme, die restlichen Ereignisse der re:publica 2010 aufzuschreiben, spricht mit dafuer, wie genial ich es dieses Jahr fand. Insgesamt gab es deutlich kontroversere Diskussionen, in denen sich teilweise richtig gefetzt wurde, und das kollektive Selbstlob, das ich letztes Jahr erfahren hatte, blieb dieses Jahr groesstenteils aus. Dafuer habe ich durch mehrere Zufaelle eine ganze Menge netter Leute kennen gelernt, die aufzuzaehlen ich am besten gar nicht versuche, weil ich ohnehin irgendjemanden vergessen wuerde.
Hier also unsortiert einige Sachen, die mir besonders gefallen oder mich besonders genervt haben:
Social Media Working for Journalism
Gesetzlicher Auftrag der Deutschen Welle ist unter anderem auch die Vermittlung deutscher Sprache und Kultur fuer Auslaender, und hierfuer werden mittlerweile auch soziale Netzwerke wie Facebook genutzt. Die DW nutzt Facebook in allen drei der klassischen Rollen sozialer Netzwerke: Als Rueckkanal, zur Vermittlung weitergehener Informationen bzw als Diskussionskanal, und ganz einfach als weiterer Distributionsweg fuer bestehende Inhalte.
Besonders die DW-Deutschkurse werden auf Facebook stark genutzt und kommentiert, wobei ich glaube, dass das eben hauptsaechlich am gemeinsamen Ziel „Spracherwerb“ der Nutzer liegt — und daran, dass zumindest die meisten Leute nicht wegen falscher Genitiv-Verwendung herumzutrollen anfangen. Die DW-Leute raeumten auch ein, dass „Smalltalk“-Themen wie die Interaktion mit der von ihnen erfundene Kunstfigut Harry Walkott deutlich mehr Kommentare anziehen als aufwaendig vorbereitete Features, und bei den Nachrichtenredaktionen insgesamt deutlich weniger kommentiert werde.
Generell sei auf Facebook wenig Moderation noetig gewesen — es mag am personalisierten Netzwerk liegen, man weiss es aber nicht so genau.
Wissensmanagement Studierender
Nicht das, was ich erwartet hatte, aber einige schoene Einsichten:
- Fuer Liveevaluationen benoetigt man kein sauteures TED-System, sondern kann beispielsweise Hotseat (Uni Purdue) verwenden — Feedback via Twitter, Facebook, Browser oder Mobiltelefon. Muss ich mir nochmal genauer ansehen.
- In Stanford war offenbar kein Geld fuer die flaechendeckende Aufzeichnung aller Vorlesungen vorhanden, also haben die Studierenden selber die Vorlesungen aufgezeichnet. Interessantes Konzept, wenngleich ich keine Quellen hierfuer gefunden habe.
Urheberrecht im Zeitalter der digitalen Reproduzierbarkeit
Der Vortrag des „Schockwellenreiters“ Joerg Kantel zog mit die hitzigste Diskussion mit sich, die ich auf der rp10 miterlebte. Zum Einstieg bezeichnete Kantel das Urheberrecht als ein Phaenomen der buergerlichen Gesellschaft, das mit ihr auch wieder verschwinden werde, und etwa ab dem Zeitpunkt folgten auf Zwischenfragen immer wieder Diskussionen, die von anderen Zuhoerern ausgebremst werden mussten, damit der Vortrag weiter gehen konnte.
Digitale Ware erfahre durch moeglichst grosse Verbreitung einen steigenden Nutzen (also Gebrauchswert) bei gleichzeitig abnehmenden Kosten (Tauschwert). Als steile Folgerung gelte also:
Gebrauchswert(n) → 0 (n→∞),
Tauschwert(n) → 0 (n→∞),
Gebrauchswert(n) ≥ Tauschwert(n)
Demnach sei geistiges Eigentum kein schuetzenswertes Gut, da ueberhaupt kein Tauschwert vorhanden sei und es sich deshalb gar nicht erst um ein „Gut“ handle. Zusammen mit seiner Vision vom bedingungslosen Grundeinkommen als Naehrboden fuer eine solche Kultur sorgte der Umstand, dass Kantel seinen Lebensunterhalt neben seiner Anstellung am MPI vor allem aus der Vermarktung seines „geistigen Eigentums“ als Buchautor bestreitet, fuer hitzige Diskussionen mit einigen Zuhoerern, die tags zuvor schon beim mixd-Vortrag geschimpft hatten.
Kantel stand letztendlich ein Zuhoerer mit schweizer Dialekt bei, der geistiges Eigentum als kollektiven Prozess hervorhab, fuer das ueberhaupt kein UrhG gelten duerfe — auch die Creative Commons seien nur ein Zwischenschritt. Und den Einwuerfen der Verwerter, wie denn der schwer arbeitende Musiker Geld verdienen solle, setzte er einen charmanten Schlusssatz entgegen: Wert entsteht nicht durch Leistung, sondern durch Nutzen fuer andere.
Bernd liefert
Ja :3
Schoenster Satz: Pr0n steht unter „Creative Cum-Ons“.
Ansonsten
Unibrennt und Entschwoerungstheorien kann ich irgendwie nicht zusammenfassen. Der Vortrag zu Swift River war vollkommen fuer die Katze, da der Referent „ein sehr entspanntes Verhaeltnis zu seiner Rolle“ hatte, wie ein anderer Zuhoerer leider sehr treffend bemerkte. Der Wilde-Trolle-Vortrag des Heise-Forenmoderators war im Wesentlichen eine Rekapitulation dessen, was Vetter tags zuvor schon gesagt hatte, und mit Coding for Data Journalism und Datenjournalismus habe ich ganz zum Schluss noch ein paar Anfangspunkte fuer Data Scraping zur Datenvisualisierung mitgenommen — siehe auch scraperwiki.com
Menschlich
Tolles Sozialisieren ist toll. Im Ernst: Die Leute und die Unterhaltungen mit ihnen haben ganz entschieden die rp10 zu dem gemacht, was sie fuer mich war: Gigantisch. Angefangen mit ganz zufaelligen Begegnungen auf dem Gang, in den Panels und im Hof ueber den Abend in der Muschi Obermaier bis hin zur Abschlussveranstaltung in der Kalkscheune — wenn ihr euch hier angesprochen fuehlt, seid ihr es auch: Riesiges Danke ♥